11:36 BAUPROJEKTE

Metronetze der Sowjetunion: Unterwegs in unterirdischen Palästen

Geschrieben von: Silva Maier (mai)
Teaserbild-Quelle: Frank Herfort

Die prächtigen Stationen der Metro von Moskau sind legendär. Allerdings gibt es auch in anderen Städten der ehemaligen Sowjetunion solche unterirdischen Paläste. Fotograf Frank Herfort nimmt in seinem Band „CCCP Underground“ mit auf eine besondere Reise.

Metrostation "Aeroport" in Moskau

Quelle: Frank Herfort

Die Station "Aeroport" befindet sich in der Nähe des ersten Flughafens von Moskau, der heute nicht mehr in Betrieb ist.

Als ich zum allerersten Mal in meinem Leben mit der Untergrundbahn fuhr, war ich etwa fünf Jahre alt. Es war die U-Bahn von Ostberlin. Ich fand es unglaublich, dass es einen Zug gibt, der unterirdisch verkehrt», schreibt Fotograf Frank Herfort im Vorwort zu seinem Fotoband «CCCP Underground – Metro Stations of the Soviet Era». Dennoch war er, als der kleine Junge, der er damals war, enttäuscht: Unter dem Boden gab es nichts zu sehen obwohl die Waggons Fenster hatten.

«Bis heute bin ich kein Fan davon, mit der U-Bahn zu reisen. Ich mag es ganz einfach nicht, wenn ich nicht sehe, wohin ich fahre», so Herfort. Das sollte sich ändern, als er erstmals in einen Zug der Moskauer Metro stieg. Plötzlich habe es etwas zu sehen gegeben. Zwar nicht unterwegs, sondern bei den einzelnen Stationen: Es gab prunkvolle Architektur zu bestaunen. «Ich spürte, dass dies viel mehr war als nur ein effizientes Transportsystem», erinnert sich Herfort. Dies dürfte den Ausschlag zum Fotoband «CCCP Underground» gegeben haben: eine Fahrt in Buchform entlang den Stationen der U-Bahnnetze in Städten der ehemaligen UdSSR.

Moskau auf den Spuren der London Underground

Die Reise startet in Moskau, mit dem ältesten und legendärsten Metronetz Russlands. Zwar existierte die Idee für ein unterirdisches Verkehrsmittel nach dem Vorbild der London Underground schon 1870, aber das Projekt konkretisierte sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Ingenieure Pjotr Balinski und Jewgni Knorre erste Pläne vorlegten. Die Stadtbevölkerung war zu diesem Zeitpunkt auf über eine Million angewachsen und der öffentliche Verkehr hatte seine Kapazitätsgrenzen erreicht.

Richtig in Fahrt kam das Projekt allerdings erst nach der Revolution, als es 1935 Teil von Stalins Masterplan für Moskau wurde: Der Plan umfasste neben dem Ausbau der ÖV- und der Strassennetze auch gross angelegte Plätze und Alleen, Wohnüberbauungen, Hochhäuser, Brücken und Dämme. Die Stadt sollte «zur modernen Hauptstadt einer aufstrebenden Industrienation» umgestaltet werden, schreibt Ksenia Smirnova. Sie ist Direktorin des Schusev Museums für Architektur in Moskau und verfasste die Einführungstexte zu den im Band vorgestellten U-Bahnnetzen.

Auch wenn der Masterplan nicht verwirklicht worden ist, eine Idee von den Dimensionen und den architektonischen Ansprüchen geben Stationen wie die 1938 eröffnete Aeroport-Haltestelle. Sie gilt als ein Kleinod sowjetischer Art-Déco-Architektur und lag einst beim ersten Flughafen der Stadt, der allerdings heute nicht mehr in Betrieb ist. Für die Gestaltung hatten sich die Architekten B. Vilensky und V. Yershov von der Luftfahrt inspirieren lassen. So haben Fallschirmschlingen die Vorlage für die sich überkreuzenden Reliefstreifen an der Decke geliefert.

Schwieriger Grund in Baku

Station „Nizami Ganjai“ in Baku

Quelle: Frank Herfort

Die Station „Nizami Ganjai“ Baku trägt den Namen des gleichnamigen persischen Dichters.

Weniger Bekanntes aber nicht weniger Spektakuläres zeigen die Folgekapitel. Nach Moskau führt der Weg nach Baku in Aserbaidschan. Bakus U-Bahnnetz entstand einige Jahre später als jenes in Moskau. Obwohl die Bauarbeiten zu Beginn der 1950er-Jahre aufgenommen worden waren, ging die Metro von Baku erst 1967 in Betrieb. Ursache für die Verzögerungen waren unter anderem schwierige hydrogeologische Bedingungen. Des Weiteren entdeckte man beim Bau unterirdische Flüsse und alte Brunnen, zudem wurden archäologische Funde gemacht.

Zwischen der Metro Moskaus und jener der aserbaidschanischen Metropole ortet Smirnova keine grossen Unterschiede: «Der einzige Unterschied ist ein subtiler orientalischer Einfluss, der sich in den Lanzettmustern der Säulenkapitelle und in den Ornamenten der Gleiswände niederschlägt.» Das dürfte auch für die 1976 erbaute Station «Nizami Ganjavi» gelten, die den Namen des gleichnamigen persischen Dichters aus dem 12. Jahrhundert trägt und von dem die Mosaiken in der Perronhalle erzählen. «Die Station sticht unter den neueren Haltestellen heraus», schreibt Smirnova. «Sie verbindet Stil und Innovation der Moderne (mittels einer eleganten Lösung der Beleuchtungselemente) mit dem Klassizismus der 1950er-Jahre.»

Juri Gagarin in Taschkent

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Quelle: Frank Herfort

U-Bahnstation „Kosmonavtlar“ in Taschkent, die blauen Wände sollen an den Orbit und die Raumfahrt erinnern.

Eine weitere Station ist Taschkent in Usbekistan: Hier wurde 1977, pünktlich zum 75-Jahr-Jubiläum der Sowjetunion, die erste Metro von Zentralasien eröffnet. Für das Projekt in der Hauptstadt von Usbe-kistan waren Künstler und Architekten aus der ganzen Sowjetunion eingeladen worden, sich zu beteiligen. Viele fanden Inspiration in der reichen Architektur des Landes: prächtige Kuppeln mit verspielten Mustern, goldene Kronleuchter und Kande-laber, bunte Keramikfliesen und Blumen-ornamente. «Für mich ist die Metro von Taschkent die schönste aller U-Bahnen. Mit ihrem orientalischen Charme bezaubert sie jeden, der sie zum ersten Mal sieht», so Herfort. Unter den märchenhaft anmutenden unterirdischen ÖV-Palästen fällt einer besonders auf. Dies, weil er im Vergleich mit den meisten andern völlig gegensätzlich erscheint. Wer in der «Kosmonavtlar» unterwegs ist, hebt unterirdisch gewissermassen in den Orbit ab: Die Wände bei den Gleisen sind im unteren Bereich hellblau und laufen unter der Decke in ein tiefes Nachtblau aus. Hauptgestaltungselement sind die Porträts moderner Helden. Zum Beispiel von Kosmonauten wie Juri Gagarin und Walentina Tereschkowa, die 1963 als erste Frau im Weltraum gewesen ist.

Die Fahrt durch den sowjetischen Untergrund endet auf der anderen Seite der Grenze: Nachdem bei allen sowjetischen U-Bahnnetzen haltgemacht worden ist –nebst Moskau, Baku und Taschkent sind dies Sankt Petersburg, Jerewan, Charkiw, Kiew, Dnipro, Krywyj Rih, Minsk, Jekaterinburg, Nowosibirsk, Tiflis, Kiew, Wolgograd und Samara – lädt Herfort noch zu einem Abstecher ins Untergrundnetz von Bukarest, Budapest und Prag. Die Städte gehörten zwar nicht zur Sowjetunion, standen aber unter ihrem Einfluss – und das gilt auch für die Architektur ihrer U-Bahnnetze.

«CCCP Underground Metro Stations of the Soviet Era», Frank Herfort, Benteli Verlag, Englisch, 256 Seiten,ISBN 978-3-7165-1863-2, ca. 40 Franken

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