09:41 BAUPROJEKTE

Kunstmuseum Thurgau wird erneuert: Der Weg als Ziel

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Der Kanton Thurgau beabsichtigt, das Kunstmuseum in der Kartause Ittingen zu erneuern. Über einen offenen Projektwettbewerb suchte er Vorschläge für die Optimierung, Sanierung und in beschränktem Umfang für die Erweiterung der aktuellen Räume. Das siegreiche Projekt verspricht eine «kräftige, aber wohldosierte bauliche Intervention».

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Der Zugang zum Kunstmuseum soll durch eine neue Wegführung direkter werden.

Die Kartause Ittingen ist eines der herausragenden Kulturdenkmäler des Kantons Thurgau und auch der Schweiz. Die Anlage an einem sanft abfallenden Südhang über der Thur, rund vier Kilometer nördlich des Kantonshauptorts Frauenfeld gelegen, diente den Mönchen des Kartäuserordens als Kloster. Typisch für die Kartausen sind die Einsiedeleien der Patres, die sich als Klausen, Einzelhäuser mit eigenem Garten, um einen Kreuzgang gruppieren. Die Typologie der Kartausen ist auch eine Inspirationsquelle für Architektinnen und Architekten; Le Corbusier war in jungen Jahren als Bildungsreisender tief beeindruckt von der Kartause von Ema in Italien. Sie half ihm, seine Vorstellungen für eine bessere gebaute Zukunft zu ordnen.

In Ittingen kauften die Kartäuser im 15. Jahrhundert eine bestehende Klosteranlage und bauten sie aus. 1848 wurde das Kloster aufgehoben. Nach über hundert Jahren in Privatbesitz ging es 1977 an die neu gegründete privatrechtliche Stiftung Kartause Ittingen über und wurde in Etappen restauriert. Die Stiftung betreibt in Ittingen heute ein Kultur- und Bildungszentrum und ein Behindertenwohnheim für rund 30 Männer und Frauen, die in den Betrieben der Anlage beschäftigt werden. 

Neben dem Kunstmuseum Thurgau beherbergen die Gebäude auch das evangelische Begegnungs- und Bildungszentrum Tecum und das Ittinger Klostermuseum. Die Kartause bietet auch zwei Hotels mit 68 Zimmern und Seminarräumen, den multifunktionalen Saal «Remise» und das Restaurant Zur Mühle.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Die Kartause dient verschiedenen Zwecken. Das Kunstmuseum ist in der nördlichen Partie des grossen Kreuzgangs angeordnet.

Das vom Kanton betriebene Kunstmuseum Thurgau befindet sich im nördlichen Teil des historischen Kerns der Anlage und umfasst auch einen Teil des Kreuzgangs mit den Klausen. Im Mittelpunkt der Sammlung steht eine Werkgruppe des Thurgauer Malers Adolf Dietrich (1877–1957). Um diesen Kern herum entstand eine eindrucksvolle Sammlung Naiver Kunst. Das Architekturbüro Antoniol + Huber Architekten baute für das Museum neue Ausstellungsräume auf den Grundmauern der nördlichen Klausen. Zwei Klosterkeller mit ihren eindrucksvollen Gewölben bilden im Museum einen stimmungsvollen Rahmen für ein Ausstellungsprogramm von zeitgenössischer Kunst mit internationalem Rang, aber auch regionaler Positionen.

Sanierung und Optimierung

Die Veränderung der allgemeinen Ansprüche an Museen, die stetig wachsende Sammlung des Kunstmuseums und ein verspürter «Konkurrenzdruck» führten ab 2007 zu einer Diskussion über die Schärfung des Museumsprofils und über eine Erweiterung der Museumsräume. Trotz intensiver Bemühungen konnte damals jedoch keine Lösung gefunden werden. Nach diversen Projektierungen, Studien und Vorabklärungen und der Schaffung einer neuen vertraglichen Basis für die Beziehung zwischen Kanton und Stiftung entschied der Regierungsrat 2020, auf einen Neubau des Museums zu verzichten und stattdessen eine Sanierung und Optimierung des bestehenden Kunstmuseums weiterzuverfolgen.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Der siegreiche Wettbewerbsentwurf schlägt einen spezifischen Rundgang durch das Museum vor, der durch den ganzen grossen Kreuzgang führt.

Mit einem offenen Projektwettbewerb wollte man die Chance nutzen, möglichst frei über einen attraktiven Rahmen für die künftigen Bedürfnisse des Museumsbetriebs im Zusammenhang mit der Kartause in ihrer Gesamtheit nachdenken zu können. Vom Verfahren erhoffte man sich Perspektiven für einen modernen Museumsbetrieb in den geschichtsträchtigen Räumen der Kartause. 

Der Wettbewerbsperimeter fasste die Bereiche der geschützten Anlage zusammen, in denen bauliche, freiräumliche sowie kuratorisch-szenografische Eingriffe erlaubt sind. Er beinhaltete – über alle Geschosse gesehen – sämtliche Innenräume, die bereits vom Kunstmuseum genutzt wurden, die Wegführung ab dem Kreuzungspunkt von drei historischen Eingängen sowie die Freiräume vor dem Museumseingang, um den Kreuzgang Nord und des Grossen Kreuzgartens.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Der bedeutendste Eingriff des siegreichen Wettbewerbsprojekts ist die vorgeschlagene neue Treppe ins Untergeschoss.

Es wurden insgesamt 43 Wettbewerbsbeiträge eingereicht, einer von ihnen ging zu spät ein und wurde vom Verfahren ausgeschlossen. Eine Vorprüfung liess erkennen, dass fast alle Projekte teilweise wesentliche Verstösse bei den Perimetervorgaben aufwiesen. Trotzdem entschloss die Jury nach intensiven Diskussionen, keines der Projekte von der Preiserteilung auszuschliessen. Stattdessen setzte man sich im Rahmen der Beurteilungsrundgänge bei jedem Projekt individuell mit diesen Verstössen auseinander. Nach zwei Bewertungsrundgängen schafften es acht Projekte in die engere Auswahl. 

Der Jurybericht weist auf die Schwierigkeit in diesem Wettbewerb hin, die eher strengen denkmalpflegerischen Vorgaben so weit wie möglich auszuloten, und trotzdem ein stimmiges Projekt zu erarbeiten. Trotzdem – oder vielleicht gerade deswegen – kam es zu einer grossen Vielfalt von Vorschlägen. Am Ende überzeugten das Preisgericht die eher subtilen Projekte, welche mit wenigen aber gezielten Massnahmen die räumlichen Gegebenheiten zu verändern und damit den inneren Zusammenhang und das räumliche Erlebnis des Kunstmuseums zu verbessern vermögen. 

Am Schluss des Verfahrens stand die einstimmige Empfehlung des Preisgerichts, das Projekt «Scala» der ARGE Keller.Hubacher.Architekten. aus Herisau, BBK Architekten AG aus Balzers, und Harder Spreyermann Architekten AG aus Zürich, mit dem Landschaftsarchitekturbüro Kollektiv Nordost GmbH aus St. Gallen, weiterbearbeiten zu lassen.

Ober- und Unterwelt

Der Name des Projektes «Scala» deutet schon an, dass sein Eingriff dem Einfügen guter Verbindungen zwischen den Ausstellungsflächen und dem Platzieren einer geräumigen, einfach auffindbaren Vertikalverbindung eine vorrangige Rolle zuweist. Im Bereich der Erschliessung befindet sich aktuell auch eine Schwachstelle. «Wenn den Besuchenden das räumliche Gefüge des Kunstmuseums Thurgau labyrinthisch vorkommt, dann liegt dies an den gewundenen, knappen Treppen, welche die Oberwelt der Kirche und Kartausen mit der Unterwelt der Gewölbekeller verbinden», stellte das Preisgericht in der Würdigung des Projektes fest.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Zwischen dem neuen Treppenabgang und der Kirche befindet sich der zweite, höher gelegene Gewölbekeller. Er soll teilweise mit einer Galerie ergänzt werden.

«Scala» kappt in einer vom Preisgericht als «Befreiungsschlag» begrüssten Intervention einen bestehenden Verbindungsgang im Zwischenraum zwischen grossem Kreuzgang und kleinem Gewölbekeller, am nordwestlichen Ende des grossen Kreuzgangs. Hier beseitigt er einen bestehenden Lichthof zugunsten einer breiten Kaskadentreppe, die in die Tiefe führt. Dies ist ein Verstoss gegen die Vorgaben des zu erhaltenden Freiraums. Er werde aber selbst von Seiten der Denkmalpflege als gering und zulässig beurteilt, kommentiert die Jury diesen Eingriff. Ein verglastes Dach bringt Tageslicht in diese neue Verzweigung, wo sich der Raum ausweitet und ein Richtungswechsel um 90 Grad den Eintritt in den eigentlichen Ausstellungsbereich signalisiert.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Eine neue unterirdische Zwischenebene ist für die Garderobe und Toilettenanlagen vorgesehen.

In seine Pläne hat das Entwurfsteam einen Rundgang eingestrichelt, der von den Besucherinnen und Besuchern nicht unbedingt befolgt werden muss, aber beim Durchschreiten des Museums wohl die interessantesten Raumerlebnisse bietet. 

Dieser Rundgang führt durch das bestehende Entree mit der Kasse zum Kirchenportal. Dieses liegt am Korridor, der nach Norden zum grossen Kreuzgang führt und zur erwähnten Kaskadentreppe. Über diese geht es hinab in einen neuen unterirdischen Ausstellungsraum unter den beiden nordwestlichsten modernen «Klausen» von Antoniol + Huber. Auf einem Zwischenpodest befindet sich der Zugang zu einer neuen, unterirdischen Garderobe mit angegliederten Toiletten. Der Ausstellungsraum am unteren Ende der Treppe wird über ein Oberlicht im Garten zwischen den Klausen mit Tageslicht versorgt. 

Durch einen kurzen Korridor erreicht man von ihm den schon bisher vom Museum genutzten grossen Ausstellungskeller im Eingangstrakt. Die bestehende Treppe führt hinauf in die Zwischenebene der Garderoben und über eine neue Rampe zum etwas höher liegenden kleinen Gewölbekeller an der Nordfassade der Klosterkirche. In der westlichen Hälfte dehnt sich dieser Raum nach oben aus in einen Dachstuhl. In diesem Gebäudeteil schlägt der Entwurf eine Galerie vor, die einige Stufen über dem Niveau des Eingangs liegt. Eine Treppe in der Nordecke des kleinen Gewölbekellers erschliesst sowohl diese Galerie als auch den Korridor, der vom Eingang zur neuen Kaskadentreppe führt. 

Der Rundgang setzt sich in diesem Korridorabschnitt, der zum zweiten Mal beschritten wird, fort. Er führt nun an der Kaskadentreppe vorbei und hinter ihm in den Ausstellungskorridor, der nach Osten verläuft und in den grossen Kreuzgang übergeht. An ihm liegen die neuen Klausen und anschliessend die historischen, von welchen das Museum eine ebenfalls nutzt. Nach der letzten Museumsklause geht der Rundgang über in eine Flanierstrecke durch den restlichen Kreuzgang, vorbei am Grossen Kreuzgarten und in den Korridor im Eingangstrakt zurück, wo der aufgefrischte Shop wartet.

Kunstmuseum Thurgau

Quelle: ARGE Keller.Hubacher/BBK/Harder Spreyermann

Der neue unterirdische Saal wird von einem Oberlicht im Garten zwischen zwei Klausen mit Tageslicht versorgt.

Das Entwurfsteam platzierte einen Waren- und einen Personenlift zwischen Entree und Ausstellungskorridor, so dass über beide die unterschiedlichen Niveaus mit Ausnahme des Galeriebereichs und dem Obergeschoss der historischen Klause schwellenfrei erreichbar sind. Im Aussenraum werden neue Wege vorgeschlagen, welche das Museum direkter erschliessen. 

Der Freiraum zwischen den Klausen und der nördlichen Einfassungsmauer des Klosters möchte das Entwurfsteam als Skulpturengarten stärken und mittels üppiger Gehölzpflanzungen aufwerten, so dass die einzelnen Klausen mehr für sich stehen, was deren einstige zellenhafte Abgeschiedenheit unterstreichen würde. Es stellt sich hier ein fast dschungelartig dichtes Unterholz vor, das ein besonderes Umfeld für Skulpturen mit verwunschenen Ecken und naturnahen Szenerien bietet.

Nachgefragt... bei Eva Keller

Sie haben den Projektwettbewerb als eine Arbeitsgemeinschaft (ARGE) mit zwei anderen Architektur- und einem Landschaftsarchitekturbüro gewonnen. Wie erfolgte die Teambildung? Welches war der Grund für ein gemeinschaftliches Entwerfen?
Die Teambildung erfolgte aus dem Vorstand des Bundes Schweizer Architektinnen und Architekten (BSA) Ostschweiz heraus. Johannes Brunner von BBK Architekten und ich teilen uns den Vorsitz, auch Regula Harder von Harder Spreyermann Architekten ist im BSA Ostschweiz aktiv. Wir diskutierten die Aufgabe an einem BSA-Anlass und beschlossen, gemeinsam am Wettbewerb teilzunehmen. Es war ein Erstversuch, der sogleich gelang. Das Büro von Regula Harder hat bereits in der Kartause Ittingen Projekte geplant und realisiert und konnte viel Wissen zur Anlage einbringen. Die Wahl des Landschaftsarchitekturbüros geht auf einen Vorschlag von mir zurück. Ich bearbeitete mit dem Büro schon das Projekt Kirche Herisau.

Wenn man die Pläne des Projekts betrachtet, scheint der Raumbedarf für die Gebäudetechnik für ein Kunstmuseum recht bescheiden zu sein. Hat die Kartause eine «natürliche Eignung» für diesen Verwendungszweck?
Das Augenmerk lag bei diesem Wettbewerb noch nicht auf Erfordernissen der Gebäudetechnik. Der Raumbedarf ist vorhanden, wir haben ihn aber nicht ausgewiesen, da wir noch nicht wissen, wie gross er wird. Das erfahren wir, wenn die Fachplanung zum Projektteam stösst.

Es gibt in der historischen Anlage auch keine störenden Fluchtwege. Wie konnten Fragen des Brandschutzes zufriedenstellend gelöst werden?
Auch mit diesem Aspekt haben wir uns im Rahmen des Wettbewerbs noch nicht eingehend befasst. Der Betrachtungsperimeter für den Brandschutz ist erst zu bestimmen. Erst dann wird bekannt, wo wir Fluchtwege sicherstellen müssen. Die bestehenden grossen Säle im Untergeschoss haben eine direkte Verbindung zum Aussenraum. Das waren einst Wein- und Gemüsekeller, die direkt betretbar waren. Wir rechnen nicht mit grossen Problemen wegen dem Brandschutz und den Fluchtwegen.

Das Preisgericht schrieb in der Würdigung Ihres Projekts, dass es bei den baulichen Interventionen eine grössere Nähe zur Materialwelt des Bestands begrüssen würde. Wie werden Sie mit diesem Wunsch umgehen?
Zur Beantwortung dieser Frage ist es ebenfalls noch zu früh. Fragen der Materialwelt sind Gegenstand des Projektes, das wir nun entwickeln. Es muss noch diskutiert werden, ob es im Inneren einen «White Cube» geben wird oder ob historische Gewölbe erlebbar bleiben. Wir hatten seit dem Wettbewerb erst eine Sitzung mit dem Kanton und sind jetzt dabei, eine Projektsteuerungsgruppe zu bilden. Mit der Projektüberarbeitung beginnen wir frühestens im kommenden Januar. Wir sind also noch weit weg von konkreten geplanten Massnahmen.

Sie zeigen in Ihrem Vorschlag Respekt für die Intervention des Architekturbüros Antoniol + Huber aus den 1980er-Jahren und wollen auch die modernen «Klausen» über Ihrem neuen unterirdischen Saal erhalten. Halten Sie diese rund 40-jährige Ergänzung der Anlage auch für schützenswert?
Die Kartause wurde von der Denkmalpflege integral unter Schutz gestellt, mit den neuen Anfügungen aus den 1980er-Jahren. Das haben wir respektiert und sind mit dem Bestand entsprechend umgegangen. Es macht aus meiner Sicht auch keinen Sinn, die zwei nordwestlichen Klausen von Antoniol + Huber wieder abzureissen. Es braucht in der Anlage nicht noch eine dritte Generation von Klausen.

Welches ist der aktuelle Stand dieses Projekts? Weiss man schon, wann die Bauarbeiten für die Aktualisierung starten könnten?
Wie schon erwähnt, stehen wir am Beginn der Projektüberarbeitung. Das Projekt muss jetzt auch den politischen Weg beschreiten. Vieles ist noch unbekannt, etwa welcher Anteil gebundene Kosten sein wird. Welche Stationen bis zur Realisierung passiert werden müssen, ist aktuell ebenfalls offen. Jedenfalls sehe ich den Baubeginn noch in weiter Ferne.

(Manuel Pestalozzi)

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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