Konzerthalle Andermatt: Kultur im Kellergeschoss
Vergangenen Juni wurde die Konzerthalle im Untergeschoss des neuen Hotelkomplexes in Andermatt mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung von Constantinos Carydis eröffnet, im Januar war Daniel Barenboim zu Gast. Die lichte Konzerthalle im Untergeschoss des neuen Hotelkomplexes in Andermatt bringt Hochkultur ins Urserntal.
Quelle: Roland Halbe
Das Eingangsportal befindet sich gegenüber dem Hallendach.
Andermatt erhält internationales Flair. Und mit der neuen Konzerthalle dürfte vermehrt ein musikbegeistertes Publikum den Weg in den Ferienort finden. Die Andermatt Konzerthalle gilt als das erste grosse, eigens für diese Nutzung konzipierte Konzerthaus in einem Wintersportort. Geplant wurde es vom Studio Seilern Architects aus London unter der Leitung von Christina Seilern, erbaut von Andermatt Swiss Alps und der belgischen Besix SA.
Der Saal bietet mit rund 650 Sitzplätzen eine intime Atmosphäre und verfügt über eine aussergewöhnlich flexible Bühne mit Raum für ein 75-köpfiges Orchester. Für die Akustik und das Saalkonzept zeichnen Kahle Acoustics aus Brüssel und Ducks Scéno aus Villeurbanne (F) verantwortlich, die auch die Philharmonie de Paris gestaltet haben.
Die Andermatt Konzerthalle befindet sich im Dorfteil Andermatt Reuss, nahe dem Eingang in die Schöllenenschucht, und ist fester Bestandteil der Anlage Andermatt Swiss Alps. Diese umfasst neue Hotels (The Chedi Andermatt und Radisson Blu Hotel Reussen sind bereits in Betrieb), 42 Apartmenthäuser, Chalets, die Skiarena Andermatt-Sedrun sowie den Andermatt Swiss Alps Golf Course. «Die Andermatt Konzerthalle wird Andermatt als Reiseziel einen enormen Schub verleihen und zudem hoffentlich einen gewichtigen Beitrag zur Musik in Europa leisten und Gästen wie auch Einheimischen viel Freude bereiten», sagte Samih Sawiris, Verwaltungsratspräsident der Andermatt Swiss Alps AG, anlässlich der Eröffnung.
Saal im Erdreich
Als Studio Seilern Architects (SSA) an die Aufgabe herangeführt wurde, gab es den Raum mit einem Volumen von rund 2000 Kubikmetern bereits. Das Entwurfsteam spricht von einer «Betonkiste», in der eigentlich bloss Veranstaltungen und Kongresse der benachbarten Hotels hätten durchgeführt werden sollen.
Die SSA-Spezialisten schlugen vor, das bereits bestehende Dach anzuheben um das akustische Volumen mit rund 5340 Quadratmetern praktisch zu verdoppeln und so die Möglichkeit zu schaffen, dass auch grosse Symphonieorchester auftreten können. Dank der Intervention mit der Anhebung des Dachs war es möglich, innerhalb des neuen Feriendorfs ein skulpturales Gebilde entstehen zu lassen und die Idee des Konzertsaals als geschlossener, introvertierter Raum neu zu überdenken.
Quelle: Monika Rittershaus
Letzten Juni fand das Eröffnungskonzert mit den Berlinern Philharmonikern statt.
Viel Tageslicht
So befindet sich der Saal zwar im Erdreich, doch aufgrund einer grosszügigen Glasfassade unter dem angehobenen Dach wird der Raum mit Tageslicht durchflutet. Dem Entwurfsteam schwebte dabei die romantische Vorstellung eines Konzerts im Winter vor, bei dem das Publikum von einem Wirbel aus Schneeflocken umringt ist, und von Veranstaltungen im Sommer mitten in der Natur und im alpinen Sonnenlicht.
Die Durchsichtigkeit der überirdischen Struktur der Konzerthalle lässt auch Personen, die sich im Aussenraum aufhalten, Anteil an der Architektur haben. Von der Strasse aus sehen sie die Akustik-Reflektoren unter dem Dach schweben, als handle es sich um eine Skulptur im Freien. Beim Nähertreten können sie auch in den Saal hinabblicken, auf das Orchester und sein Publikum. Die Schaffung einer Öffentlichkeit des Konzertbetriebs war eines der Anliegen des SSA-Teams.
Die Tatsache, dass nur ein Teil des Dachs angehoben werden konnte, veranlasste das Entwurfsteam dazu, die Plattform für die Aufführungen in die Mitte der Halle zu rücken. So liess sich ein symmetrischer Grundriss ausarbeiten, bei dem die frühen akustischen Reflektionen auf verschiedene Deckenhöhen und Seitenbalkone treffen.
SSA vergleicht die Raumoberflächen mit einem Origami-Faltwerk. Ihre Ausformung wurde gemeinsam mit Kahle Acoustics entwickelt, um ein ausgewogenes, natürliches akustisches Gleichgewicht zu gewährleisten. Der Saal verfügt aber auch über ein elektronisches Akustiksystem, das eine grössere Nachhallzeit erzeugen kann mit dem Ziel, etwa die Klangwirkung von lauteren Orchestern auf das Raumvolumen abzustimmen und zu optimieren.
Quelle: Studio Seilern Architects
Der Schnitt verdeutlicht die Lage der Halle und lässt die pavillonartige Dachstruktur erkennen.
Quelle: Studio Seilern Architects
Der Saal, zugänglich über ein grosszügiges Foyer, ist in die Architektur der Einstellhalle eingepasst.
Akustische Topographie
Die Raumgrenzen sind so angeordnet und ausgestaltet, dass gesprochene Worte möglichst leicht verständlich sind und Musik hell und klar aufs Ohr trifft, sodass sich das Publikum von Melodien eingehüllt fühlt. Die abgeschrägten Balkonfronten und die skulpturale Deckenverkleidung aus Holz formen eine Art Welle, die vom Boden aufsteigt. Die akustische Wirkung dieser Bewegung wird unterstützt durch die abgehängten Akustiksegel.
Die zentrale Bühne befindet sich direkt am Foyer, das dadurch zu einer Übergangszone wird, auch für den Auftritt des Orchesters. Dies soll eine intime Atmosphäre erzeugen, bei der Orchester und Publikum eine physische und visuelle Nähe spüren. Die schrägen Wände des Foyers sind mit facettiertem Spiegelglas verkleidet, was symbolhaft an Gletscher- und Felsformationen der alpinen Umgebung erinnern soll.
Zur Übergangszone und ins SSA-Konzept integriert werden musste auch die Treppe, die vom Strassenniveau in den Saal hinabführt. Die Konzerthalle kann für verschiedene Anlässe genutzt und entsprechend in diversen Varianten bestuhlt werden. So können sowohl Klassik- als auch Rockkonzerte oder Kongresse aller Art in einem angemessenen Ambiente durchgeführt werden.
Quelle: Roland Halbe
Von der Promenade her sind die Deckensegel des Saals zu erkennen.
Quelle: Roland Halbe
Die Decke und die geschlossenen Wände wirken wie ein Faltwerk. Die Oberflächen optimieren die Akustik.
Quelle: Roland Halbe
Das Treppenhaus führt mit einem eleganten Schwung ins Foyer hinab.
Flexibel für verschiedene Anlässe
Die notwendige Flexibilität und die Möglichkeit, das Layout schnell und unkompliziert zu verändern, beruht auf verschiebbaren Publikumsrängen. Bis zu neun abgetreppte Sitzreihen lassen sich innerhalb weniger Minuten unter dem Hauptbalkon zum Verschwinden bringen. Mit solchen Massnahmen kann innerhalb kürzester Zeit ein Saal mit intimer Theateratmosphäre in einen zwölf Meter hohen offenen Raum verwandelt werden. Bei Grossanlässen wie Bankette oder Ausstellungen entsteht auf solche Weise genügend Stehraum, wobei in diesem Fall in den Rängen auf den Balkonen immer noch Sitzgelegenheiten zur Verfügung stehen.