Goldin Finance 117: Ein unvollständiger 597 Meter hoher Wolkenkratzer in China
Mit einer Höhe von 597 Metern zählt der Wolkenkratzer «Goldin Finance 117» in der Stadt Tianjin in China zu den grössten Bauten der Welt. Anders als seine Gegenstücke wurde er aber nie fertiggestellt. Die Bauarbeiten starteten vor 13 Jahren.
Quelle: Goldin Properties Holdings
Der markante «Goldin Finance 117» ist bis heute nicht fertiggestellt.
Die Baugeschichte des Wolkenkratzers erinnert an jene des «Hotel of Doom» im nordkoreanischen Pjöngjang. Bezüglich der geplanten Höhe ist der chinesische Turm dem 300 Meter hohen Hotelbau aber deutlich überlegen: Der «Goldin Finance 117» ist heute 597 Meter hoch. Seine endgültige Form hat der Wolkenkratzer aber bisher nicht erreicht.
Ein Stadt-Viertel für Superreiche
Das riesige Bauwerk bildete das Herzstück des Entwicklungsprojekts «Goldin Metropolitan» der Goldin Properties Holdings, hinter der der Milliardär Pan Sutong steht. Mit einer vorgesehenen Fläche von 180 Hektaren zählte es zu den grössten Bauvorhaben in der Geschichte der Stadt Tianjin. Das gesamte Projekt wurde in erster Linie für Superreiche entwickelt und umfasste deshalb neben dem prestigeträchtigen Wolkenkratzer den Bau mehrerer Villen.
Auch ein Weinmuseum und ein Polo-Club war für das «High Society»-Viertel geplant. Mehrere weitere Gebäude sollten ausserdem Wohnraum, Büros, Hotels, Geschäfte, ein Kongress- und ein Unterhaltungszentrum sowie Grünflächen umfassen. Der «Goldin Finance 117» diente als symbolträchtiges «Juwel» des Distrikts. Dies im wahrsten Sinne des Wortes: Die Spitze des Turms sollte ein diamantförmiges, drei Etagen hohes Glas-Atrium krönen, in dem eine Aussichtsplattform, ein Schwimmbad, ein Restaurant sowie eine «Sky-Bar» Platz finden sollten.
Erdbebensicher dank eingerahmtem Stahlbetonkern
Der Turm hätte nach damaligen Plänen bei seiner
Fertigstellung das höchste Gebäude Nordchinas sowie das dritthöchste Gebäude
der Welt werden sollten. Insgesamt 128 Stockwerke sollte das Bauwerk aufweisen,
wovon 117 für Hotel- und Geschäftsflächen und 11 für betriebliche
Dienstleistungen vorgesehen waren. Im Untergrund war auf vier Etagen unter
anderem eine grosse Tiefgarage vorgesehen.
Aufgrund seiner langen und dünnen Form und einem Verhältnis von
Höhe zu Breite von 9,5:1 hätte das imposante Bauwerk eigentlich sehr anfällig
für seitliche Krafteinwirkungen sein müssen. Denn das Verhältnis überschreitet
sogar den Grenzwert der chinesischen Erdbebenverordnung. Das Gebäude wurde aber
auf eine Weise konzipiert, dass es diesen Kräften widerstehen kann, wie das
Newsportal «Design Build Network»
in einem Beitrag zum Projekt berichtete.
Möglich macht dies demnach ein Aussenrahmen aus sich nach
oben zuspitzenden, massiven Stützen sowie Streben und Trägern, die in der Mitte
von einem Kern aus Stahlbeton und einer Stahlverbundwand gestützt werden.
Dadurch entstehe eine nahezu unbewegliche Struktur.
Die Geschichte hinter dem Wolkenkratzer im Video. (Quelle: The B1M)
10 Milliarden Dollar teurer Masterplan
Betrachtet man die Baugeschichte des «Goldin
Metropolitan»-Projekts, so scheint es, als ob das Vorhaben von Anfang an
schlechte Karten hatte. Der Ursprung für das Scheitern liegt aber wesentlich
tiefer. In China dürfen neue Immobilienentwickler erst dann mit dem Vorverkauf
ihrer Projekte starten, wenn die Behörden das Endprodukt inspiziert und
abgesegnet haben. Ausnahmen werden hierbei in der Regel nur bei etablierten und
meist staatlichen Unternehmen gewährt, wie «The B1M» im
Juni 2021 in einer Videoreportage zum Projekt berichtete.
Goldin Properties war zum Zeitpunkt des Bauvorhabens ein
börsennotiertes Unternehmen mit Sitz in Hongkong und ein relativ neuer Akteur
auf dem chinesischen Markt. Die Firma musste laut «The B1M» den insgesamt 10
Milliarden Dollar teuren Masterplan für das Entwicklungsprojekt vollständig selbst
finanzieren und konnte seine Investitionen erst nach Fertigstellung der Gebäude
wieder einholen. Dieser Umstand brachte das gesamte Vorhaben von Anfang an in
eine prekäre Lage.
Sofern es während der Bauphase nicht zu groben Störungen auf
den Immobilienmärkten kommt, sollte dem Projekt nichts im Weg stehen. Ähnliche Annahmen
traf wohl die Immobilienfirma, als sie am 18. August 2008 mit den Bauarbeiten
startete. Dann erfasste die globale Finanzkrise auch China. Goldin befürchtete dann eine Abkühlung des
chinesischen Immobilienmarktes und sorgte sich auch um Investitionen, die das
Unternehmen im Ausland getätigt hatte.
Quelle: Yeti-Hunter wikimedia CC BY-SA 4.0
Eine Aufnahme von 2017 zeigt den unvollständigen 597 Meter hohen Wolkenkratzer.
Bauarbeiten vorübergehend eingestellt
In der Folge wurde der Bau des «Goldin Finance 117» im
Januar 2010 vorübergehend eingestellt. Ein Jahr später hatte sich der Markt
wieder erholt, sodass die Arbeiten am Turm fortgesetzt werden konnten.
Daraufhin wuchs das Gebäude rasch in die Höhe und erreichte die aktuelle Höhe
von 597 Metern. Zum Verhängnis wurde Goldin dann aber die im Vergleich zu China
langsame Erholung der internationalen Märkte. Goldin setzte dann praktisch alle
Karten auf das Projekt und wollte den Wolkenkratzer unbedingt vor dem nächsten
Konjunktureinbruch fertigstellen.
Im Juni 2015 platzte dann aber die chinesische Aktienblase:
Innerhalb von nur einem Monat verlor die Börse in Shanghai einen Drittel ihres
Wertes. Obwohl es sich dabei nicht um eine ausgewachsene Krise handelte, war
der Schaden bereits angerichtet. Da Goldin keine Reserven mehr hatte, um die
turbulente Zeit zu überstehen, stürzte der Aktienkurs des Unternehmens an der
Börse ab. Der Vorstandsvorsitzende Pan Sutong – mit einem Anteil von 64 Prozent
an Goldin beteiligt – verlor Berichten zufolge 13 Milliarden Dollar seines
Vermögens.
Im September 2015 sollte noch ein symbolisches Richtfest das
Vertrauen in das Vorhaben wiederherstellen, nur um die Arbeiten dann einen
Monat später erneut einzustellen. 2018 wurden die Bauarbeiten ein letztes Mal
wiederaufgenommen. Kurze Zeit später verliess die ausführende Baufirma, die
China State Construction Engineering, das Projekt aber, nachdem es Berichten
zufolge von Seiten Goldin ausstehende Zahlungen gab.
Das schien dann der endgültige Todesstoss für den «Goldin Finance 117» zu sein. Denn seither hat sich am Erscheinungsbild des Turms nichts mehr verändert, er steht nach wie vor unvollständig an Ort und Stelle. Das letzte Update zum Mega-Projekt veröffentlichte die Goldin Properties Holdings 2015 auf ihrer Webseite.
Quelle: N509FZ wikimedia CC BY-SA 4.0
Eine Aufnahme von 2018, als die Bauarbeiten am Goldin Finance 117 für kurze Zeit wieder aufgenommen wurden.
Artikelserie «Planungsleichen»
In dieser Serie stellen wir in loser Folge die Geschichten hinter geplanten Projekten auf der ganzen Welt vor, die schlussendlich gar nicht oder nur teilweise realisiert wurden.