Glasmalerei: Himmlisches Leuchten dank irdischer Kunst
Pascal Engeler ist Glasmaler, Kunstglaser, Glasschmelzer und Glaskünstler in dritter Generation. Momentan restauriert er die Fenster der Pfarrkirche Maria-Lourdes in Dussnang. Dabei wendet er Techniken an, die aus dem Mittelalter herrühren. Einblick in einen Beruf zwischen Tradition und Moderne.
Quelle: Karin Stei
Pascal Engeler restauriert auch Glasfenster aus privater Hand, wie diese Jesus-Darstellung. Der Vater des Besitzers hatte das Fenster aus dem Müll gerettet.
Welche Leuchtkraft Glasfenster haben, zeigt sich eindrucksvoll an diesem trüben Novembermorgen in der Werkstatt von Pascal Engeler. Der Glasmaler und Glaskünstler aus Andwil bei St. Gallen stützt vorsichtig das Oberteil des Portals der Pfarrkirche Maria-Lourdes in Dussnang gegen die Glaswand der Werkstatt, ein Ensemble aus Holz, Metall und Glas, das um die 50 Kilogramm wiegt.
Auch das Grau des Tages kann das Farbspiel der Glasmalereien nur dämpfen. «Die Brillanz und Farbschatten, die sich nach Sonnenstand und Saison verändern, machen Glasfenster so faszinierend. Die Fenster leben, sie sind Teil des Gebäudes ebenso wie der Natur, denn man holt die Natur durch die Fenster ins Innere», erklärt Pascal Engeler begeistert.
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Massarbeit und höchste Konzentration waren beim Einbau der Design-Fenster für das Hotel Eden au Lac in Zürich gefragt.
Die neugotische, der Gottesmutter Maria geweihte Pfarrkirche von Dussnang, ist ein Projekt des Schweizer Architekten August Hardegger und wurde zwischen 1888 und 1892 als erster Kirchenbau der Schweiz in Beton konstruiert. Seit 2022 wird die Pfarrkirche aussen und innen unter Beteiligung der Engeler AG Glaswelt saniert. «In den 1960er-Jahren erhielten die Jugendstilfenster, die sehr schöne figürliche Glasmalereien um 1900 aufweisen, eine Schutzverglasung auf der Aussenseite mit industriell hergestelltem Floatglas. Das ist das Fensterglas, das wir heute kennen», erklärt der Andwiler. «Das sah aus wie eine Industriefassade und war dementsprechend optisch furchtbar.»
Die bestehende marode Schutzkonstruktion hat das vierköpfige Team von Pascal Engeler bereits saniert und das Floatglas gegen gezogenes Glas ausgetauscht. «Ziehglas wird wie vor 150 Jahren hergestellt. Es weist eine leichte Struktur auf und mutet deshalb alt und damit authentisch und passend zum Objekt an.» Diese neue Schutzverglasung spiegelt auch kaum mehr und wirkt filigraner. «Das hat der Kirche ein komplett anderes Gesicht gegeben», freut sich der Glasmaler.
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Meisterhaft: Nach dem Entwurf von Ara Starck hat die Engeler AG Glaswelt Fenster für das Hotel Hotel Eden au Lac in Zürich angefertigt.
Mit Geduld und ruhiger Hand
Der Zustand der Jugendstilfenster der Dussnanger Kirche war weniger problematisch. Nur 15 Scheiben in der Grösse von ein mal ein Meter mussten ausgebaut werden. «Im Wesentlichen werden die Glasfenster von uns ganz achtsam gereinigt. Bruchstellen löten wir nach und ersetzen fehlende, beschädigte und gesprungene Gläser», erklärt Pascal Engeler. Die meisten Kirchenfenster werden vor Ort gereinigt, um so wenig wie möglich in die Strukturen einzugreifen. Die Reinigung der sensiblen Glasmalereien braucht eine ruhige Hand. Mit einem mit destilliertem Wasser befeuchteten Wattebausch, manchmal auch mit Papier oder einem Baumwolllappen, fährt der Glasmaler vorsichtig über die Scheibe. «Wenn man sieht, dass die Glasmalerei nicht fest ist, weil sie nicht richtig eingebrannt wurde, darf man sie nicht berühren», weiss Pascal Engeler.
Seit dem Mittelalter werden Gläser in der Technik der sogenannten Schwarzlotmalerei bemalt. Auch die Kirchenfenster in Dussnang sind in dieser alten Technik bemalt worden. Dabei handelt es sich um eine spezielle Schmelzfarbe, bestehend aus Metalloxiden, Glaspulver und Bindemitteln, die bei einer Temperatur von 600 Grad Celsius in das Material eingebrannt wird und dadurch lichtbeständig ist. «Die Glasmalerei funktioniert heute noch genauso. Im Gegensatz zum Mittelalter kann in den modernen Öfen die Temperatur jedoch genau kontrolliert werden. Deshalb wurde die Farbe früher manchmal zu stark oder zu schwach eingebrannt und tendiert unter anderem deshalb zur Ablösung», weiss Pascal Engeler.
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Ein Schritt im Arbeitsprozess eines Kunstglasers: Der Metallrahmen, in dem das Glas eingesetzt wird, muss zusammengelötet werden.
Unendliche Farbenvielfalt
Für die Restaurierung kann der Glasmaler auf hunderte verschiedenfarbige Glasplatten zurückgreifen, die streng nach Farben sortiert, die Werkstattregale füllen. Wenn der richtige Farbton nicht vorrätig ist, oder bei Spezialaufträgen, schickt Pascal Engeler Farbmuster ins bayerische Waldsassen oder reist selbst dorthin. «Hier steht die einzige Glashütte in Europa, die noch mundgeblasenes Farbglas wie vor 400 Jahren herstellt. Man kann jeden Ton, den es gibt, wiederherstellen.» Das Naturprodukt Glas enthält im Wesentlichen Sand, Soda und Kalk und wird dann nach Wunsch mittels Zugabe von Metalloxyden eingefärbt.
Während das mundgeblasene Glas unendlich viele Farbschattierungen erlaubt, ist man in der industriellen Glasherstellung in punkto Farben reduziert. Deshalb setzt Pascal Engeler auch in seinen künstlerischen Arbeiten auf die Qualität der bayerischen Glasmeister. Für die Kirche in Lenzburg hat er zum Beispiel ein neues Glasfenster entworfen, das zukünftig mitten im Orgelraum strahlen wird. Zwei Farb-Varianten – ein zarter Goldrosaton und ein intensives Goldorange, die beide das Thema Sonnenuntergang verkörpern – hat er in der Glashütte ausgesucht. Auch der passende, filigrane Rahmen wird aus seiner Werkstatt stammen, in Kooperation mit einem Metallbauer.
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Mit mundgeblasenem Glas lassen sich unendlich viele Farbtöne kreieren.
Pascal Engeler hat dafür ein spezielles System
entwickelt, mit dem sich filigrane Rahmen wie bei alten Kirchenbauten
herstellen lassen. Jedes einzelne Teil wird aus Flachstahl ausgelasert,
zusammengesteckt und dann verschweisst. Bedingt durch die Grösse des
Orgelfensters wird erst der Metallrahmen eingebaut, dann folgt die
Kunstverglasung mit Bleiruten, die die einzelnen Farbgläser zusammenhalten.
Jedes Viertelfeld des runden Fensters wird zwischen zwei Isoliergläsern
eingebaut, die unter anderem einen UV-Schutz bieten. «Man kann das Isolierglas
auch nur aussen anbringen und die Kunstverglasung innen. Mit der Bauphysik
stimmen wir uns ab, wie viel Isolierglas nötig ist», führt Pascal Engeler aus.
Glasmaler in 3. Generation
Eine unerwartete Verbindung zur eigenen Familien- und Firmengeschichte stellte Pascal Engeler während der Restaurierungsarbeiten in Dussnang fest. Sein Vater Albin Engeler hatte in den 1970er-Jahren alle Fenster bereits einmal ausgebaut und restauriert. «Damals waren sie in ganz schlechtem Zustand, ein grosser Teil der Bleifassungen mussten ersetzt werden.» Pascal Engeler ist nicht nur der Sohn, sondern auch der Enkel eines Glasmalers. Der Grossvater Gottlieb Engeler designte anfangs Paramente – im Kirchenraum und in der Liturgie verwendete Textilien – und verkaufte sie persönlich an die Pfarreien. «Als Designer hat er sich mit den Kirchenfenstern beschäftigt, die er auf seinen Reisen sah. Die Brillanz und Wirkung des Glases hat ihn fasziniert, genauso wie mich auch», erzählt Pascal Engeler.
Gottlieb Engeler lernte an einer deutschen Manufaktur für Glasmalerei das Metier. 1935 gründete er das Unternehmen in Andwil. «Bei der Ausführung ist er auch in Berührung mit Künstlern gekommen wie dem Schweizer Maler Ferdinand Gehr», berichtet Pascal Engeler. «Dieser designte viele Kirchenverglasungen in den 1950-er und 1960er-Jahren, die ausschliesslich mein Grossvater ausführte. Dadurch haben wir das grösste Farbglaslager in der Schweiz mit etwa 2000 Tönen, darunter viele Originaltöne, mit denen mein Grossvater gearbeitet hat. Bei Sanierungen und Restaurierungen können wir so für Objekte aus der Zeit meines Grossvaters auf die Originalgläser zurückgreifen.»
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Mit der Satiniermaschine können verlaufende Satinierungen oder „Fade Out – Flächen“, matte Oberflächen, die klar auslaufen, produziert werden.
Faszination Glas
Pascal Engeler hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Nach einer Berufslehre zum Kunstglaser und Glasmaler leitet er seit 2008 das Atelier der Engeler AG Glaswelt. Und einen schöneren Beruf kann sich der Andwiler, dem die Liebe zum Glas in die Wiege gelegt wurde, kaum vorstellen. «Ich komme mit so vielen interessanten, stilistisch höchst unterschiedlichen Objekten aus verschiedenen Zeitepochen in Berührung und lerne bei jeder Restaurierung etwas dazu. Der Beruf ist unglaublich interessant, nachhaltig und spannend», erklärt Pascal Engeler. Um die bestmögliche Wirkung mit Glas zu erzielen, hat er eine Ausbildung zum Farbgestalter absolviert.
Sein Wissen um die Farbpsychologie kann Pascal Engeler sowohl bei sakralen als auch profanen und privaten Arbeiten ausspielen, ganz zu schweigen von seinen eigenen Kunstobjekten wie Möbel, Leuchten oder auch Glasinstallationen. Fasziniert ist der Glasmaler auch von der Epoche des Jugendstils (1890 bis 1910) mit der er sich intensiv beschäftigt hat. Leider seien viele Jugendstil-Glasarbeiten in den letzten Jahrzehnten abhandengekommen oder auch weggeworfen worden, da sie nicht mehr dem Zeitgeist entsprachen. Umso mehr freut sich Pascal Engeler denn auch über die Wiederentdeckung dieser Stilrichtung.
«Zahlreiche Privatleute lassen alte Fenster restaurieren oder sich neue im Jugendstil entwerfen.» Sein fundiertes Wissen sorgt dafür, dass ein Replikat kaum von einer Originalarbeit zu unterscheiden ist. Ein Beispiel dafür sind die in traditioneller Kunstglaserarbeit gefertigten Verglasungen einer neu gebauten Orangerie, die zu einer bestehenden Jugendstil-Villa in Baden im Kanton Aargau passen sollten.
Quelle: Engeler AG Glaswelt
Für eine neu gebaute Orangerie entwarf und fertigte Pascal Engeler Jugendstil-Verglasungen an. Sie sind von historischen Arbeiten kaum zu unterscheiden.
«Wir haben sogar das Bleinetz so patiniert, dass es wie aus der Zeit wirkt.» Aber auch moderne Auftrags- und Designarbeiten liefert die Engeler AG Glaswelt. Mittels einer Satiniermaschine können sowohl Fenster, Raumteiler, Decken, Türen wie auch Duschwände mit unterschiedlichen Glasmattierungen und Mustern versehen werden. Ein von ihm selbst entwickeltes Glasschmelzverfahren lässt sich gut im architektonischen und künstlerischen Bereich einsetzen. In Andwil entstehen vorwiegend Spezialanfertigungen, so wie auch die von ihm designten Leuchten aus handgefertigtem Glas und High-End LED-Technologie, die Pascal Engeler unter dem Namen «Glaslicht» vertreibt.
Ritterschlag durch Philipe Starck
Ein Höhepunkt für das Team war ohne Zweifel 2019 die Anfrage des Pariser Ateliers Philipp Starck, des berühmten Designers. Die Andwiler erhielten den Auftrag, 33 Glasbilder nach Entwürfen der Künstlerin Ara Starck für das Hotel Eden au Lac in Zürich anzufertigen. Einer der bedeutendsten Aufträge in der fast 90-jährigen Firmengeschichte. Das über drei Generationen erlangte Know-how floss in die Umsetzung der Glasmalerei mit Schwarzlot und mundgeblasenen Farbgläsern ein.
In Zusammenarbeit mit den Architekten gestaltete Pascal Engeler die Stahlkonstruktion aus geöltem Schwarzstahl. Das Ergebnis kann sich mehr als sehen lassen. Philippe Starck selbst lobte bei der Abnahme die perfekte Ausführung. Trotz der manchmal illustren Kundschaft – auch kleine Aufträge nimmt Pascal Engeler gerne an. «Zu uns kann auch die Oma kommen, die das Grablicht reparieren möchte», erklärt der Glasmaler. Und wer selbst einmal das traditionelle Handwerk ausprobieren möchte, kann sich auf einem Event in der Werkstatt an der Gestaltung eines Tellers versuchen.
Die Technik
Die Glasmalerei blickt auf eine lange Tradition von mehr als 1000 Jahren zurück. Vor allem in der Gotik und im Jugendstil erreicht die Glasgestaltung einen Höhepunkt. Alles beginnt mit dem Entwurf und den Abmessungen für die Glasmalerei. Der Bleiriss bestimmt den Verlauf der Bleiruten und die Trennung der Farbfelder. Er wird auf einen Schablonenkarton übertragen. Die Auswahl der Farbtöne und der Glaszuschnitt sind weitere Schritte im Arbeitsprozess. Die Konturen werden mit Schwarzlot gemalt, ein Gemisch aus zermahlenem Glas, Kupfer oder Eisenoxid. Kontur und Überzug werden im Ofen bei 600 Grad eingebrannt. Anschliessend fügt man die Glasstücke mit den Bleiruten zusammen, lötet und verzinnt die Bleiruten. (ks)