Flüssigerdgas: Deutschland baut erstes LNG-Seeterminal im Eiltempo
Deutschland will seine Abhängigkeit von russischem Gas verringern und baut dazu aktuell in Wilhelmshaven einen ersten schwimmenden Importterminal für Flüssigerdgas. Weitere schwimmende Anlagen werden evaluiert. Die Aktivitäten haben auch Folgen für die Schweiz.
Quelle: German LNG Terminal GmbH
Über den schwimmenden LNG-Terminal können pro Jahr bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas umgeschlagen werden.
Aufgrund der Weltlage wird die Sicherheit der Gasversorgung zum Politikum ersten Ranges. Für den Import von verflüssigtem Erdgas fehlte bisher die nötige Infrastruktur. Deshalb soll der Bau schwimmender und fester Terminals für den Umschlag von LNG (Liquefied Natural Gas) beschleunigt werden, indem die Behörden für die Genehmigung bestimmte Verfahrensschritte wie die Umweltverträglichkeitsprüfung auslassen können.
Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sprach laut dem Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» im Mai davon, innerhalb von zehn Monaten einen LNG-Terminal zu bauen und einzurichten. Ziel sei, mit dem Import von Flüssigerdgas die Versorgung in Deutschland zu sichern und die Abhängigkeit von Russland zu verringern.
LNG-Terminal und 30 Kilometer lange Leitung
Das Flüssiggas wird mit Tankschiffen geliefert. Ein erster LNG-Importterminal soll daher in Wilhelmshaven gebaut werden. Um das Gas ans Fernleitungsnetz anzubinden, wird im Friesland bis Ende dieses Jahres zwischen der Floating Storage and Regasification Unit (FSRU) und dem Übergabepunkt in das Erdgasleitungsnetz der Open Grid Europe (OGE) zudem eine 30 Kilometer lange Hochdruckleitung erstellt.
Bauen soll die Leitung der Gasnetzbetreiber Open Grid Europe. Zusammen mit einer schwimmenden Plattform, über die das verflüssigte Erdgas angelandet und wieder in gasförmigen Zustand verwandelt wird, soll spätestens ab Anfang 2023 mit dem LNG-Import über Wilhelmshaven begonnen werden können.
Quelle: German LNG Terminal GmbH
Bei der ersten Anlage in Wilhelmshaven ist der erste Rammschlag bereits erfolgt. In zehn Monaten könnte sie betriebsbereit sein, falls auch eine 30 Kilometer lange Leitung fertiggestellt ist.
Über den schwimmenden LNG-Terminal können pro Jahr bis zu 7,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas umgeschlagen werden, was in etwa 8,5 Prozent des aktuellen deutschen Gasbedarfs entspricht. Offizieller Baustart war vergangenen Montag. Der erste Rammschlag für das Projekt ist laut dem beteiligten Energieversorger Uniper bereits Anfang Mai erfolgt. Umweltverbände haben starke Bedenken gegen das Projekt geäussert und einen sofortigen Baustopp verlangt, weil laut dem «Spiegel» eine unumkehrbare Zerstörung eines Unterwasserbiotops drohe und der Lebensraum von Schweinswalen gefährdet sei.
Die Bundesregierung hat laut eines Berichts der «Welt am Sonntag» bereits vier schwimmende Flüssiggasterminals gemietet. Zwei Schiffe sollen gemäss Wirtschaftsminister Habeck allenfalls bereits Ende dieses Jahres zur Verfügung stehen oder zum Jahreswechsel 2022/23 in Wilhelmshaven und Brunsbüttel eingesetzt werden. Die Inbetriebnahme ist laut dem Energieversorger RWE, welche die LNG-Terminals im Auftrag der Bundesregierung chartert, jedoch davon abhängig, wie schnell der landseitige Anschluss für die Pipeline zur Verfügung steht.
Schwimmende und fest installierte Anlagen
Die Bundesregierung prüft zudem weitere Anlandepunkte für die Schiffe. Neben Wilhelmshaven und Brunsbüttel wird auch in Rostock der Bau eines Terminals evaluiert. Die Rede ist von insgesamt vier schwimmenden Speicher- und Regasifizierungseinheiten. Schwimmende Terminals können kurzfristig eingesetzt werden. Fest installierte Anlagen könnten laut dem Energieministerium in Hannover frühestens ab 2025 betriebsbereit sein. Mittel- bis langfristig sollen in Wilhelmshaven mit einem Wasserstoffprojekt zudem die Weichen für eine klimaschonendere Energieversorgung gestellt werden. Geplant ist der Bau von zusätzlichen Entlade- und Umschlagsmöglichkeiten für grüne Gase wie Wasserstoff oder Ammoniak.
Quelle: German LNG Terminal GmbH
Auch die Schweiz hat Vorkehrungen getroffen, denn sie bezieht drei Viertel der Gaslieferungen aus Deutschland. Vorgesehen sind Speicher im Ausland und die Beschaffung von Optionen für zusätzliche nicht-russische Gaslieferungen.
Der Standort Wilhelmshaven bietet sowohl aus maritimer als auch aus logistischer Sicht ideale Bedingungen. LNG-Tanker aller Grössen können die Anlage unabhängig von den Gezeiten und im Einklang mit internationalen Sicherheitsstandards anlaufen. Das Unternehmen Uniper plant zudem, bis 2035 in der europäischen Stromerzeugung CO2-neutral zu werden. Es verfügt über eine installierte Kapazität von rund 33 Gigawatt und ist weltweit auch im Bereich der Wasserstoffproduktion tätig, der als tragende Säule der künftigen Energieversorgung gilt.
Wenige Lieferanten für Flüssigerdgas
Auf dem Weg zur Klimaneutralität liesse sich der Einsatz von Flüssigerdgas als Rückschritt interpretieren. Doch aus politischer Sicht ist mit allen Eventualitäten zu rechnen wie dem Zudrehen des Gashahns. Lieferanten von Flüssigerdgas gibt es nicht viele. Im Fokus stehen die USA und Kanada. Die USA wollen in diesem Jahr gemeinsam mit internationalen Partnern 15 Milliarden Kubikmeter LNG zusätzlich in die EU liefern. Langfristig soll die Menge auf 50 Milliarden Kubikmeter pro Jahr ansteigen.
Darüber sind sich US-Präsident Joe Biden und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen Ende März einig geworden. Als Lieferanten in Frage kommen auch Länder, die nicht unumstritten sind wie das Emirat Katar, mit dem Deutschland eine Energiepartnerschaft über Flüssiggas und Wasserstoff abgeschlossen hat. Beliefert werden könnte Europa auch von Venezuela.
Schweiz: Gasspeicher im Ausland und zusätzliche Optionen
Die Schweiz hat keine eigenen Gasspeicher und ist daher vollständig auf Importe angewiesen. Bis zu drei Viertel der Gaslieferungen in die Schweiz erfolgen via Deutschland. Von Gasengpässen in der EU und insbesondere in Deutschland wäre deshalb auch die Schweiz betroffen. Können die Speicher nicht entsprechend den Plänen gefüllt werden, lässt sich eine Mangellage im kommenden Winter nicht ausschliessen, wie es aus dem Wirtschafts- und Energiedepartement hiess.
In der Schweiz haben die Bundesbehörden zusammen mit der Gasbranche daher eine «Task Force Winterversorgung 2022/2023» eingesetzt. Vorgesehen sind zwei Massnahmen. Als physische Gasreserve werden zum einen in Nachbarländern Speicher eingerichtet. Diese sollen 15 Prozent oder rund sechs Terawattstunden (TWh) des jährlichen Gasverbrauchs der Schweiz von rund 35 TWh abdecken. Zum anderen sollen «Optionen für zusätzliche nicht-russische Gaslieferungen» in Höhe von sechs TWh (rund 20 Prozent des Schweizer Winterverbrauchs) beschafft werden, die bei Bedarf kurzfristig abgerufen werden können. (mgt/sts)
Quelle: German LNG Terminal GmbH
Die Speicher im Ausland sollen 15 Prozent oder rund sechs Terawattstunden (TWh) des jährlichen Gasverbrauchs der Schweiz von rund 35 TWh abdecken.