Erweiterung des Bürgerheims in Appenzell: Ring ergänzt Palast
Die Altersversorgung von Appenzell Innerrhoden bereitet sich auf die Boomer-Generation vor. Das Konzept für den Ausbau des Betreuungsangebots bezieht auch das Bürgerheim aus dem frühen 20. Jahrhundert mit ein. Für seine Aktualisierung und Erweiterung wurde ein Projektwettbewerb ausgeschrieben. Der siegreiche Entwurf sieht ein ringförmiges Gebäude als Ergänzung des palastartigen Ursprungsbaus vor.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Die Erweiterung befindet sich hinter dem bestehenden Bürgerheim und ordnet sich ihm unter.
Appenzells Bürgerheim stammt aus dem frühen 20. Jahrhundert. Damals fällte der Grosse Rat den Entschluss, für Innerrhoden ein neues Armenhaus zu bauen, das bedürftigen Menschen eine Heimstätte bietet. Als Standort wählte man eine gut besonnte Anhöhe rund 500 Meter nördlich des Kantonshauptorts, der eine schöne Aussicht bietet. 1903 wurde das Armenhaus fertiggestellt, 1956 erhielt es den freundlicheren Namen Bürgerheim.
Eine kleine Wohnüberbauung unterhalb machte zur selben Zeit die «Armenhaushalde» zur Sonnhalde, welche heute oft dem Namen der Institution beigefügt wird. Architekt der exponierten, von weither sichtbaren Anlage war August Hardegger (1858 – 1927), der sich vor allem mit Kirchen einen Namen machte. Die Anlage ist als kleiner Palast mit Mittelbau und Seitenflügeln angelegt. Der achsensymmetrische Bau deutet auf der rückwärtigen Hangseite mit seitlichen Vorsprüngen einen Hof an. Die historisierende Architektur orientiert sich am Stil der Gotik, aus der Distanz erinnert das dreigeschossige Bürgerheim mit seiner belebten Dachsilhouette an ein Schulhaus aus der Gründerzeit.
Erweiterung in Holz verlangt
Anlass für die Erweiterung des Bürgerheims ist das ungenügende Raumangebot von aktuell 49 Pflegebetten und der Ausstattungsstandard der Zimmer für die Bewohnerinnen und Bewohner. Machbarkeitsstudien führten zum Schluss, dass die Altersversorgung für die Bürgerinnen und Bürger von Appenzell in Zukunft weiterhin zusätzlich zum Alters- und Pflegezentrum Appenzell auf dem ehemaligen Spitalareal auch im denkmalgeschützten Bürgerheim erfolgen soll. Das Amt für Hochbau und Energie des Kantons Appenzell Innerrhoden schrieb einen Projektwettbewerb im selektiven Verfahren aus. Von den Entwurfsteams wurde eine Erweiterung der Anlage erwartet, so dass dereinst insgesamt 72 Personen in fünf Wohngruppen auf dem Areal des Bürgerheims miteinander leben können.
Der Wettbewerbsperimeter umfasste neben der bestehenden Anlage auch eine unbebaute Parzelle nördlich von ihr, wo das Terrain in Richtung des Tobels vom Lauftenbach leicht abfällt. Ein bestehendes Garagengebäude auf der Nordseite war zum Rückbau freigegeben, auch ein jüngerer Gartenpavillon auf der Südseite durfte entfernt werden. Neben betrieblichen Anforderungen verlangte das Wettbewerbsprogramm die Holzbauweise für die Erweiterung, so dass sich die Wertschöpfung der regionalen holzverarbeitenden Betriebe berücksichtigen lässt, und den Standard Minergie P bei den Neubauten. Das bestehende Bürgerheim sollte nach einer Sanierung wie bisher Zimmer von Bewohnerinnen und Bewohnern enthalten. Hier sah das Programm eine Wohngruppe mit 16 bis maximal 22 Pflegebetten vor, deren betriebliche Organisation über maximal drei Geschosse erfolgen durfte.
Mit der Präqualifikation wurden 20 Teams und zwei Ersatzbüros ausgewählt. Schlussendlich waren 16 Beiträge zu beurteilen. Am Ende des Beurteilungsverfahrens empfahl das Preisgericht einstimmig das erstrangierte Projekt Nr. 15 «Bruder Sonne Schwester Mond» des Teams um Cukrowicz Nachbaur Architekten ZT GmbH, Bregenz, Österreich, zur Weiterbearbeitung. Der Entwurf setze, so das Gremium, in einer Gegenüberstellung zweier auf sich selbst bezogenen und absoluten architektonischen Gebäudeformen ein überzeugendes und rigoroses Konzept überzeugend um.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Die Frontseite des Bürgerheims soll in den Ursprungszustand zurückgeführt werden, auch der alte Eingang wird reaktiviert.
Auf der Symmetrieachse
Das Siegerprojekt stellt dem palastartigen Solitärbau des Bürgerheims eine starke Form gegenüber. Sie beruht auf einer klaren geometrischen Grundrissfigur, einem Ring, der auf der Symmetrieachse des historischen Palastes nördlich von diesem angeordnet ist. Die zweigeschossige, unterkellerte und mit einem Flachdach versehene Struktur ist im Durchmesser ein bisschen breiter als das alte Bürgerheim, doch durch seine geringe Höhe und seine Einbettung in die Senke hinter ihm ordnet es sich diesem klar unter. Ein eingeschossiger, ebenfalls unterkellerter Verbindungsbau, der exakt in den erwähnten angedeuteten Hof des Ursprungsbaus eingepasst ist, macht aus den beiden für sich stehenden Volumen ein Ensemble.
Das Projekt reaktiviert den alten Haupteingang in der talseitigen Symmetrieachse des Bürgerheims. Er kann vom terrassierten Frontgarten über eine Freitreppe oder seitlich, von der Zufahrtstrasse her über eine rollstuhlgängige Rampe erreicht werden. Das einstige Vordach will man rekonstruieren. So wird die repräsentative, zur Stadt orientierte Ansicht gewissermassen «purifiziert». Der Garten auf dieser Schauseite zeigt sich in der Projektpräsentation als parkartiger, mit Stauden und Hecken eingefasster Aufenthaltsort für die Bewohnerinnen und Bewohner. Die Bestandesbäume sollen erhalten bleiben und gemäss historischen Fotos wieder zu einer rahmenden Baumreihe ergänzt werden.
Entlang der Hauptachse gelangt man vom alten Eingang an der Empfangszone vorbei auf einen «Marktplatz». Diese gemeinsame Aufenthaltszone beginnt im historischen Gebäudeteil beim Kreuzungspunkt mit dem Längskorridor der direkt zu den Treppenaufgängen in den beiden Seitenflügeln führt. Von hier dehnt sich der «Marktplatz» durch die alte Fassade hindurch aus in einen saalartigen, mit Oberlichtern versehenen Raum im neuen Verbindungsbau. Er ist beidseitig von Aussenterrassen flankiert. An seinem nördlichen Ende erfolgt der Übergang in die neue Ringstruktur. In der Symmetrieachse liegt auch der Zugang zum offenen Hofgarten im Zentrum des Rings, der vier der fünf geplanten Wohngruppen beherbergt.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Die Erweiterung ist auf der Symmetrieachse des Bürgerheims angeordnet. Im historischen Entree beginnt ein «Marktplatz», der sich durch den Zwischenbau erstreckt.
Prinzip der Zentrifuge
Die Ringstruktur ist mit seiner klaren geometrischen Grundstruktur grundsätzlich ein Zentralbau. In diesem Fall ist er sowohl zum Zentrum mit dem Hofgarten, wie auch zur Peripherie orientiert. Da an der Peripherie die Zimmer der Wohngruppen angeordnet sind, kann man von einem Prinzip der Zentrifuge sprechen; je näher man sich am äusseren Rand befindet, desto privater sind die Räume. Das Zentrum ist hingegen ein allgemein zugänglicher Freiraum. Umlaufende Korridore erschliessen die Zimmer und die drei Treppenhäuser, die ebenfalls an der Peripherie liegen. Hofseitig des Korridors sind Gemeinschaftsräume und Büros angeordnet, beim Zugang vom «Marktplatz» her befindet sich auch ein in der Höhe über beide Geschosse reichender Andachtsraum, der die Kapelle im Bürgerheim ersetzt. Zwischen diesen hofseitigen Raumeinheiten befinden sich Nischen des Hofgartens, der somit an verschiedenen Stellen direkt vom Korridor einsehbar und erschlossen ist.
Das zentrifugale Prinzip äussert sich auch in der Gestalt der Zimmer: Auf eine «klassische Zone» beim Zugang vom Korridor mit Garderobe und Nasszelle folgt ein polygonaler, sich zur Fassade ausweitender Wohnbereich. Da die Fassade nicht in einer konzentrischen Kurve, sondern in einer Zickzacklinie verläuft, ist die Fassadenfront in jedem Zimmer eine vorspringende Ecke, welche die Wirkung eines Erkers besitzt und eine Aussicht in zwei Richtungen bietet. Damit liess sich das streng geometrische Konzept mit der Forderung vereinbaren, dass kein Zimmer eine reine Nordausrichtung haben darf.
Als Konzession an die Reinheit der Form kann man den Entscheid sehen, den Zimmern wie im Ursprungsbau keine individuellen Aussenräume wie Balkone oder Loggien zu geben. Die Fassade verhilft dem Ring so zu einer kompakten, rhythmisierten Form, die in der Horizontalen von Holzbrüstungen und Fensterbändern gegliedert wird. Im Bestandsgebäude des Bürgerheims ordnet der Siegerentwurf im Erdgeschoss die allgemeinen Räume an. Die zwei Obergeschosse und das Dachgeschoss dienen der fünften Wohngruppe, die im Gegensatz zu den anderen Wohngruppen auch Doppelzimmer anbietet. Ihr Zentrum ist die über zwei Geschosse reichende einstige Kapelle in der Symmetrieachse über dem Eingangsbereich. Eine kleine Brücke im zweiten Obergeschoss soll diesen Gemeinschaftsraum überqueren.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Der Zwischenbau mit dem Markplatz ist flankiert von zwei Terrassen.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Der Längsschnitt durch die Symmetrieachse gibt Einblick in den «Marktplatz» und in den neuen Gemeinschaftsraum im Bürgerheim, der durch die Verlegung der Kapelle von dort in ein Volumen am Hof möglich gemacht wird.
Ring in Holz-Hybridbauweise
Der Ring des Anbaus bestimmt auch den Grundriss des Untergeschosses. Es ist ebenfalls rund um den nicht unterkellerten Hofgarten angeordnet. Im östlichen Teil befindet sich eine Tiefgarage mit 36 Stellplätzen. Dieser Unterbau in Beton, der über den Verbindungsbau direkt mit dem Keller im alten Bürgerheim verbunden ist, bildet den Sockel der oberirdischen Struktur in Holz-Hybridbauweise. Die drei aufsteigenden Treppenhäuser sind ebenfalls in Beton vorgesehen. Sie dienen als «Anker» für den Holzbau, der primär aus vertikalen Schotten und einer Holz-Beton-Verbunddecke mit Balken aus Vollholz bestehen soll. Ein Betonüberzug wird den Schallschutz gewährleisten und das Holztragwerk an die der Kerne anbinden, was für die nötige Stabilität gegen Wind und Erdbeben sorgt.
Im Innen- wie im Aussenraum sollen Holzoberflächen die atmosphärische Stimmung und den architektonischen Ausdruck prägen. Für die Fassade ist eine feine vertikale Holzschalung vorgesehen, die mit horizontalen, leicht ausstehenden Blechfassungen vor der Witterung geschützt werden. Auch diese leicht und bescheiden wirkende Verkleidung unterstreicht die Rangordnung zwischen dem historischen Hauptbau in Massivbauweise und der rückwärtigen Ergänzung, die zwar eine ganz andere architektonische Sprache spricht, aber dennoch mit diesem zu einer schlüssigen Einheit zusammengeschweisst ist.
Quelle: cukrowicz nachbaurarchitekten
Der neue, zenital mit Tageslicht versorgte Andachtsraum ragt in den Hof im Zentrum des Rings.
Nachgefragt... bei Regierungsrat und Bauherr Ruedi Ulmann
Quelle: Philipp Griesemer Photography
Regierungsrat und Bauherr Ruedi Ulmann ist Vorsteher des Bau- und Umweltdepartements des Kantons Appenzell Innerrhoden.
Welche Bedeutung hat das Bürgerheim, einst
als Armenhaus errichtet, heute im Ortsbild?
Obwohl der untere Teil der Sonnhalde in der
Mitte des 20. Jahrhunderts weitgehend bebaut wurde, hat das Bürgerheim seine
dominante und weithin sichtbare Stellung erhalten können. Es gehört
unbestritten zu den prägenden Bauten des Ortsbilds von Appenzell. Entsprechend
ist es im Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz von
nationaler Bedeutung (ISOS) von Appenzell speziell erwähnt und mit dem
Erhaltungsziel A (Erhalten der Substanz) aufgeführt. Dass ein Asyl für die
ärmste Bevölkerungsschicht an einem der schönsten und sonnigsten Plätze des
Dorfs erstellt wurde und dies in einer repräsentativen bürgerlichen
Architektur, zeugt von einem hohen gemeinschaftlichen Bewusstsein. Dieser
sozialgeschichtliche Aspekt ist ein wichtiger Teil des kulturellen
Zeugniswerts. Zwar vermag die Architektur aus heutiger Sichtweise etwas zu
eklektizistisch wirken, sie widerspiegelt damit aber den damaligen Zeitgeist
und ist somit ein wichtiger architekturgeschichtlicher Zeuge.
Wie wurde bei der Vorbereitung des
Projektwettbewerbs ein Gleichgewicht zwischen der historischen Bedeutung des
Bürgerheims und dem Betreuungsauftrag des Kantons gefunden?
Die heutigen Bewohner des Bürgerheims
fühlen sich im bestehenden Gebäude sehr wohl. Um dem zukünftigen Bedarf an
Pflegeplätzen zu entsprechen, hat die Standeskommission für den Ersatz und
Erweiterung des Bürgerheims mittels Machbarkeitsstudien zunächst alternative
Standorte prüfen lassen. Dabei kam die Standeskommission zum Schluss, dass die
aktuelle Lage für den geplanten Ausbau am geeignetsten ist. Die Denkmalpflege
und die Beteiligten des Bürgerheims wurden bei der Machbarkeitsstudie von
Anfang an ins Boot geholt.
Ein wichtiges Element des Siegerentwurfs
ist der Marktplatz, welche das Bürgerheim mit dem Neubau verbindet. Hat man
schon eine konkrete Idee, wie dieser Marktplatz genutzt wird? Soll er auch eine
breitere Öffentlichkeit anlocken?
Der Marktplatz soll als öffentliches und
verbindendes Zentrum für die Bewohnenden und Besucherinnen und Besucher spürbar
und in Verbindung mit dem Bestandsgebäude erlebbar sein. Es ist geplant, dass
im Marktplatz den Bewohnenden die Mittag- und Abendessen serviert werden und er
während des Tages als Cafeteria dient, in welche auch die Öffentlichkeit zum
Verweilen eingeladen ist.
Beim Neubau fällt auf, dass der Weg zu
Freiräumen, abgesehen vom geschlossenen Hof für Einrichtungen dieser Art,
ziemlich lang sind. In den Empfehlungen an das Siegerteam regte die
Wettbewerbsjury eine Öffnung des Hofes nach aussen an. Fand diesbezüglich schon
eine Weiterentwicklung statt?
Es fanden bereits erste Besprechungen mit
den Nutzern statt. Die Inputs der Nutzer und die Vorgaben des Juryberichts
werden momentan von den Architekten bearbeitet.
Welches ist der aktuelle Stand des
Projekts? Wann ist mit dem Spatenstich zu rechnen?
Die Ausschreibung der Fachplaner hat
stattgefunden. Die Vergabe dieser Leistungen erfolgt im Februar. Wenn alles
optimal läuft, rechnen wir mit dem Spatenstich im Herbst 2026.
(Interview: Manuel Pestalozzi)