14:57 BAUPROJEKTE

Ein 25 Kilometer langer Superabwassertunnel für London

Teaserbild-Quelle: Tideaway London

In diesen Tagen ging der „London Tideway Tunnel“ in Betrieb, ein rund 25 Kilometer langes unterirdisches Bauwerk, das die gezeitenabhängige Themse von Abwasser aber auch Regenwasser entlastet.

Blick in den "London Tideaway"-Tunnel

Quelle: Tideaway London

Der "London Tideaway"-Tunnel soll Abwasser auffangen, sodass es nicht in der Themse landet.

In der Sommerhitze des Jahres 1858 eskalierten Londons Abwasserprobleme: Zusammen mit den Industrieabwässern, Exkrementen und menschlichen Abfällen verwandelten die hohen Temperaturen das Zentrum der Millionenstadt im Juli und August in eine einzige, beissend stinkende, giftige Kloake. Ein grosser Teil des Drecks lief direkt in die Themse, deren Pegel auch von den Gezeiten abhängig ist. Als „The Great Stink“ sollten diese Wochen später in die Stadtgeschichte eingehen. Sie gaben letztlich auch den Ausschlag für ein Projekt der Superlative , dessen Bau bereits im Jahr nach der Katastrophe startete und anderen Metropolen ein Vorbild lieferte: das Londoner Abwassernetz.  Der Kopf hinter dem Projekt war Joseph William Bazalgette, Tiefbauingenieur und Chef des Londoner Bauamts. 

Konkret ging es dabei um insgesamt 135 Kilometer unterirdische Abwassersammelkanäle, mit deren Hilfe das verschmutzte Wasser aus den übrigen Kanälen künftig nicht mehr unkontrolliert in die Themse fliessen sollte. Für den Bau der neuen Kanäle setzte Bazalgette nicht auf Ziegel und Mörtel - dieses Material hätte dem ätzenden Schmutz nicht gut genug standgehalten, wie damals Tests gezeigt hatten - sondern auf hochwertigen Portlandzement. Zudem entwickelte er für die Sammelkanäle ein  eiförmiges Querschnittsprofil das auch heute noch verwendet wird. Im Fall von London hatte letzteres eine Höhe von drei Metern.

Allerdings war Bazalgette bei seinem System von einer Bevölkerung von 4,5 Millionen ausgegangen, seine Berechnungen wurden schnnell von der Realität überholt. Um 1900 zählte die Themesestadt bereits 6,5 Millionen Menschen. Im Zuge dieses rasanten Bevölkerungswachstums stiess das Abwassersystem schnell wieder an seine Grenzen. 1890 gab es erste Erweiterungen, weitere sollten folgen.

Mittlerweile zählt die Stadt neun Millionen Menschen, ihr Abwassersystem war immer wieder regelmässig überlastet. Ursache liegt allerdings nicht nur in der Infrastruktur an sich, sondern auch in der teils problematischen Abfallentsorgungspraxis der Bevölkerung: Werden Einwegwindeln, Feuchttücher, Frittieröl oder grobe Essensreste und andere Abfälle die Toilette hinunter gespült oder über das Lavabo entsorgt und geraten diese ins Abwasser, bilden sie in den Kanälen im Laufe der Zeit zementartige, fettige Klumpen, sogenannte Fettberge. Ihre Ausmasse können spektakulär sein: Vor rund drei Jahren hatte ein gigantischer Fettberg, der laut Medienberichten "so schwer wie ein Bungalow" gewesen war, aus der Londoner Kanalisation entfernt werden müssen. Es dauerte rund zwei Wochen, bis die stinkende Masse vollständig entsorgt gewesen war.

95 Prozent der Abwässer sollen nicht in die Themse gelangen

London kämpfte dauernd mit solchen Problemen, parallel dazu litt die Themse unter  Schmutz und Dreck. Das dürfte nun Vergangenheit sein. Ein Kanalprojekt der Superlative soll die Situation entschärfen und die Wasserqualität der Themse verbessern: der „London Tideaway Tunnel“, auch "Super Sewer" (Super Abwasserkanal) genannt. Nach rund zehnjähriger Bauzeit ist er kürzlich vollständig in Betrieb gegangen unf soll 120 Jahre in  Betrieb sein. Er nimmt das Wasser aus den 34 grössten Regenüberläufen des Abwasserystems auf und sorgt er dafür, dass zwischen 90 und 95 Prozent des Abwassers, das ansonsten in die Themse geraten würde, nicht im Fluss landet, sondern der Kläranlage zugeführt werden kann. Das Gros des Wassers wird in der Kläranlage bei Beckton gereinigt, der grössten ihrer Art in Europa. - Das Gesamtfassungsvermögen des Systems beläuft sich auf rund 1,6 Millionen Kubikmeter.

Insgesamt zieht sich der Super Skewer über eine Strecke von rund 25 Kilometern im Grund der Stadt. Und zwar von Acton im Westen Londons bis zur Abbey Mills Pumping Station im Osten, unter der Themse hindurch.  Mit einem Durchmesser von 7,2 Metern entspricht er laut Medienmitteilung  etwa drei Londoner Doppeldeckerbussen. Damit alles im Fluss bleibt, befindet sich der Kanal in Acton auf einer Tiefe von 31 Metern und fällt von dort aus kontinuierlich auf seinen tiefsten Punkt - 66 Meter - in Abbey Mills ab. Mit dem viktorianischen Abwassersystem ist er an 21 Stellen verbunden. Gekostet hat der Tunnel rund 5 Miilarden Pfund. - Zusammen mit dem 6,9 Kilometer langen, 2016 in Betrieb gegangenen Lee-Tunnel, an den er vor rund einem Jahr angeschlossen worden ist, bildet er nun das  „London Tideway Tunnel“-System (LTT). (mai)

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