07:07 BAUPROJEKTE

Bodensee als Wärmespeicher: Segel setzen für alternative Energie

Geschrieben von: Karin Stei
Teaserbild-Quelle: Lisa Fecker, Unsplash

Trinkwasserreservoir, Freizeit- und Naturparadies – all das ist der Bodensee heute. Damit ist sein Potenzial aber noch nicht ausgeschöpft: Als Energiespeicher soll der Bodensee in Zukunft klimaneutrales Heizen und Kühlen ermöglichen. Dafür stellen die Städte und Gemeinden der Bodenseeanrainerstaaten gerade die Weichen. 

Bodensee

Quelle: Karin Stei

Der Bodensee ist eine schier unerschöpfliche Energiequelle.

Die Energiestrategie der Schweiz sieht vor, bis 2050 die Treibhausgasemissionen auf Netto-Null zu senken. Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden, Österreich bis 2040. Ein Ziel, das alle Ressourcen erfordert. So richtet sich der Blick verstärkt auf das energetische Potenzial, das in Binnengewässern wie dem Bodensee schlummert. Stichwort Seethermie: Bei diesem technischen Verfahren wird dem Wasser, das aus einer Tiefe zwischen 20 und 40 Metern abgepumpt wird, mittels Wärmetauschern Energie entzogen. 

Mit Wärmepumpen wird die Energie dann auf das gewünschte Temperaturniveau gehoben und anschliessend das nun kältere Wasser sauber und unbelastet wieder zurück in den See geleitet. Der Clou: CO2-neutral und damit klimaschonend kann dadurch im Winter geheizt und im Sommer gekühlt werden. Neben den Vorteilen fürs Klima bietet Seethermie auch den Bonus der Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von fossilen Brennstoffen. In vielen Gemeinden und Städte rund um den Bodensee werden nun Schritte unternommen, den Energiespeicher Bodensee anzuzapfen.  

Ökologische Schutzmassnahmen

Voraussetzung dafür war 2014 die Änderung der Bodenseerichtlinien der Internationalen Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB). Seitdem ist eine thermische Nutzung von Bodenseewasser zur Wärme- und zur Kältegewinnung zulässig, wenn der «Zustand des Sees und seiner Lebensgemeinschaften weder in seiner Gesamtheit noch regional, respektive lokal nachteilig beeinträchtigt werden». 

Bei der Planung sind unter anderem ökologische Schutzaspekte zu berücksichtigen. So darf beispielsweise der Rückfluss nur in den Schichtungsbereich von 20 bis 40 Metern Wassertiefe erfolgen und die Rückgabetemperatur höchstens 20 Grad betragen. Die natürlichen Schichtungsverhältnisse im See sollen möglichst wenig gestört werden. Die Umsetzung in der Schweiz sieht zudem vor, dass das Wasser höchstens drei Grad kälter oder wärmer als vorher in den See zurückfliesst, in Forellenregionen sind 1,5 Grad vorgeschrieben. 

Dass dem Seewasser im Winter Wärmeenergie entzogen wird, kann laut Studien des Schweizer Wasserforschungsinstituts Eawag und des Instituts für Seenforschung der Landesanstalt für Umwelt (LUBW) in Langenargen der Klimaerwärmung entgegenwirken, die in vielen Gewässern die Temperatur ansteigen lässt. Das Projekt «Klimawandel am Bodensee» zeigte, dass bei Abkühlung in der Grössenordnung 0,5 Grad bzw. Erwärmung um 0,2 Grad keine negativen Folgen für die Ökosysteme zu erwarten sind. Erst bei einer lokalen Erwärmung oder Abkühlung um etwa ein Grad könne es unter Umständen zu Schäden an Tier- und Pflanzenwelt kommen. Die thermisch genutzte Wassermenge ist im Vergleich zur gesamten Seewassermenge klein. Die Berechnungen der Eawag gehen davon aus, dass dem Bodensee im Winter Wärme in der Grössenordnung der Energieproduktion eines Kernkraftwerks für rund eine Million Menschen entnommen werden könnte, ohne die Wassertemperatur an der Oberfläche wesentlich zu verändern. 

Projekte am Schweizer Bodenseeufer

Rund 20 Anlagen gibt es gemäss einer Bestandsaufnahme vom Jahr 2018 der IGKB am Bodensee. 16 Anlagen sind auf Schweizer Seite in Betrieb, die insgesamt einen Wärmeumsatz von 34 Gigawattstunden (GWh) pro Jahr haben. Dabei wäre weitaus mehr möglich, wie Berechnungen der Abteilung Energie des Kantons Thurgau 2019 zeigten. So liegt das nutzbare Potenzial für die Schweizer Seite des Bodensees bei rund 2800 GWh Wärmenutzung und 1400 GWh Kältenutzung pro Jahr. Der Wärmebedarf aller Gemeinden mit Seeanstoss in den Kantonen St. Gallen und Thurgau bewegt sich in der Grössenordnung von 1200 GWh pro Jahr. Der gesamte Wärmebedarf liesse sich also mit thermischer Seewassernutzung decken. 

Seethermie ist allerdings nicht unkompliziert. Ökologische Aspekte und die hohen Investitionskosten für Leitungen, Wärme- und Wasserpumpen, Wärmetauscher und weitere Installationen bremsen aktuell noch eine schnelle Umsetzung. Um das Thema Seethermie voranzutreiben und Investitionsentscheide zu erleichtern, hat die Abteilung Energie des Kantons Thurgau 2021 die Machbarkeitsstudie «Thermische Nutzung Bodensee und Rhein» vorgelegt. Sie stellt Planungsgrundlagen für Gemeinden und Private bereit und soll konkrete Projekte anstossen. 

Mehr als zehn Prozent des gesamten Wärmebedarfs des Kantons Thurgau könnten mit Wärmeenergie aus dem Bodensee (Rhein, Unter- und Obersee) gedeckt werden, so die Studie. 14 potenzielle Standorte wurden identifiziert, die günstige Voraussetzungen für einen Energieverbund bieten: Diessenhofen, Steckborn, Berlingen, Ermatingen, Gottlieben, Tägerwilen, Konstanz-Kreuzlingen, Bottighofen, Münsterlingen, Uttwil, Romanshorn, Arbon, Horn und Amriswil. Attraktiv werden die favorisierten Gebiete vor allem auch dadurch, dass bereits die ökologischen Anforderungen zu Wasser und auf dem Land abgeklärt worden sind. Denn die thermische Nutzung des Seewassers braucht eine Konzession und ist damit bewilligungspflichtig.

Konstanz aus der Vogelperspektive

Quelle: Lisa Fecker, Unsplash

Konstanz D (Bild) und Kreuzlingen wollen eine gemeinsame Wärmeversorgung aus dem Bodensse.

Parallel dazu hatten 14 Gemeinden der «Regio Kreuzlingen» selbst eine Potenzialanalyse in Auftrag gegeben. Dabei wurde Seethermie als sinnvoll für die Orte Salenstein-Arenenberg, Ermatingen, Gottlieben-Tägerwilen, Kreuzlingen Bodensee-Arena, Kreuzlingen Seeburg-Fischerhaus, Bottighofen und Münsterlingen erachtet. Die «Regio Kreuzlingen» sowie auch Arbon und Diessenhofen unterstützen deshalb auch das Projekt des Elektrizitätswerks Thurgau (EKT AG), die den Bau und Unterhalt von bis zu fünf Seethermie-Werken plant. Indes: Die Finanzierung ist noch in der Schwebe. 

In Gottlieben am Untersee sind die Planungen dagegen sehr konkret. Die Initialzündung kam von zwei Hotelbetrieben, die im Zuge einer Gesamtsanierung nach einer alternativen Energieversorgung suchten. Bürger- und Politische Gemeinde gaben daraufhin eine Machbarkeitsstudie beim Elektrizitätswerk des Kantons Thurgau (EKT) und dem Kompetenz-Zentrum Erneuerbare Energie-Systeme Thurgau (KEEST) in Auftrag – mit positivem Bescheid. Im März 2023 wurde eine Absichtsvereinbarung zwischen Gemeinde und EKT unterzeichnet. Im Jahr 2024 ist ein Vorprojekt geplant, ab Herbst 2024 soll dann der Baustart für das Fernwärmenetz erfolgen. Das Wärmenetz soll erstmals im Winter 2025/26 saubere Wärme aus dem Bodensee liefern. 

Der Vorteil Gottliebens: Durch die dichte Bebauung ist eine gewisse Wärmebedarfsdichte vorhanden, die wirtschaftlich genug ist für den Bau eines Fernwärmenetzes. Das EKT plant ein Investitionsvolumen von 6,1 Millionen Schweizer Franken, das Projekt wird vom Energieförderprogramm des Kantons finanziell unterstützt. In Steinach und Horn haben die Bauarbeiten mit dem Aushub der Energiezentrale für das Seewärmenetz bereits im November 2023 begonnen. Rund 800 Haushalte sollen mithilfe von Bodenseewasser klimafreundlich schon ab Herbst 2024 nach und nach beheizt werden. 

Betrieben wird es von der See Energie AG. Im Sommer/Herbst 2025 soll die Erschliessung von Untersteinach erfolgen. Positiv war hier, dass zwei grosse, private Investoren entschieden, mit Wärme aus dem Bodensee zu heizen und zu kühlen. Konkrete Pläne, die Wärmeenergie im Bodensee zu nutzen, verfolgen auch Romanshorn, Arbon sowie Steckborn und Egnach. 

Grafik Seewärme Meersburg Stadtwerk am See

Quelle: Seewärme Meersburg/Stadtwerk am See

Der Stand der Pläne im Herbst 2023 für eine Seethermie-Anlage in Meersburg.

Entwicklung am deutschen und österreichischen Bodenseeufer

Einsamer Vorreiter war auf deutscher Seite die Universität Konstanz, die seit 1972 mit Bodenseewasser unter anderem ihr Rechenzentrum kühlt. Die Seethermie steckt, davon abgesehen, auf deutscher Seite in den Kinderschuhen. Das ändert sich nun. Mit am fortgeschrittensten sind die Pläne für eine klimaneutrale Wärmeversorgung in Meersburg. Das Stadtwerk am See (SWSee) und die Stadt Meersburg haben eine gemeinsame Gesellschaft zur Realisierung des Seewärmeprojektes gegründet: die «Seewärme Meersburg GmbH». 

Bis zu 150 Häuser, öffentliche Gebäude und Unternehmen sollen mit Wärme aus dem See geheizt werden. Eine Energiezentrale soll neben der Therme in Meersburg entstehen. Das Nahwärmenetz soll in mehreren Etappen in den nächsten zehn Jahren realisiert werden und auch Häuser in der historischen Innenstadt versorgen. Der Investitionsbedarf liegt mit Förderungen bei ca. 8,4 Millionen für die «Seewärme Meersburg GmbH». Die Förderung durch Land und Bund ist essenziell für die Umsetzung.

Grenzüberschreitend könnte langfristig ein Wärmenetz zwischen den Nachbarn Konstanz und Kreuzlingen entstehen. Die kommunalen Energieversorger Energie Kreuzlingen und die Stadtwerke Konstanz sowie der Verband KVA Thurgau und EKT AG unterzeichneten 2022 eine Absichtserklärung für eine Machbarkeitsstudie. Diese kam 2023 zu einem positiven Ergebnis. Der Mix sieht eine Fernwärmeleitung nach Weinfelden, wo man die Abwärme der Müllverbrennungsanlage nutzen könnte, Seethermie und den Aufbau von Wärmenetzen vor. 

Ob das Konzept vor allem wirtschaftlich umgesetzt werden kann, sollen die weiteren Planungen zeigen. Dazu gehören die Standortsuche für Technikzentralen, eine mögliche Organisationsstruktur zur Realisierung der Fernwärmeleitung aus Weinfelden und die gemeinsame Genehmigungsplanung für die Nutzung der Seewasserwärme. Zudem ist für Konstanz die Erstellung einer weiteren Machbarkeitsstudie gemäss Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW) erforderlich, um bei einer Realisierung Investitionskostenzuschüsse für Seewasserwärme und Wärmenetze von 40 Prozent zu erhalten.

Auch Langenargen überlegt, in die Seethermie einzusteigen. Eine Kooperationsvereinbarung mit der Stuttgarter KWA Contracting AG wurde im Oktober 2023 unterschrieben. Ziel ist es, mit KWA eine Energiegemeinschaft aufzubauen. Die nächsten Schritte sind unter anderem die Ausarbeitung eines Geschäftsmodells und der Gesellschafterverträge sowie die Fördermittelprüfung.

Das Land Vorarlberg hat mit Bregenz, Hard und Lochau Mitte 2023 eine Untersuchung in Auftrag gegeben, ob und wie diese Gemeinden ihre Wärmeversorgung und Kühlung im Sommer mit Energie aus dem Bodensee realisieren könnten. Mit der Umstellung der Wärmenutzung aus dem Bodensee für das Festspielhaus und das Schwimmbad haben die Stadtwerke Bregenz ein paralleles Projekt bereits begonnen. Schon ab 2025 sollen das Hallenbad und das Festspielhaus mit Seewasser beheizt werden. 

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Freie Mitarbeiterin für das Baublatt.

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