Ausbau von Wind- und Solarenergie bedrängt Schweizer Wald
Wald darf in der Schweiz nur mit besonderer Genehmigung gerodet werden. Während dieses System aktuell gut funktioniert, könnte der geplante Ausbau von Wind- und Solarenergie bald für Konflikte sorgen. Dies zeigt eine Untersuchung im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms „Nachhaltige Wirtschaft“.
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Wald ist im Mittelland eher von Rodungen bedroht als in den Alpen.
Etwa 185 Hektar Wald werden jedes Jahr in der Schweiz gefällt. Das entspricht der Fläche von 260 Fussballfeldern. Gründe dafür sind nicht Holzschlag oder Windbruch, sondern weil Strassen, Mobilfunkantennen, Trinkwasserfassungen, Kiesgruben und andere Infrastruktur Platz brauchen. Dem Ausbau von erneuerbaren Energien - zum Beispiel Windkraftwerke oder Solaranlagen - dürften demnächst viel mehr Bäume geopfert werden. Dies, obwohl verlorener Forst prinzipiell kompensiert werden muss.
Weltweit einzigartige Datensammlung zu Rodungen
Da Rodungen für Infrastruktur in der Schweiz genehmigungspflichtig sind, wird darüber genau Buch geführt. «Seit 120 Jahren wird jedes einzelne Projekt erfasst. Diese Datensammlung ist weltweit einzigartig und wurde bisher noch kaum für die Forschung genutzt», erklärt Agrarökonom und ETH-Doktorand David Troxler. Bisher habe sich die Forschung zu Waldrodungen hauptsächlich auf die Tropen und Entwicklungsländer fokussiert. Troxler hat im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms «Nachhaltige Wirtschaft» (NFP 73) die digitalisierten Datensätze aus den Jahren 2001 bis 2017 analysiert, die insgesamt über 6000 Projekte umfassten. Er suchte dabei nach Zusammenhängen zwischen den Gründen für die Waldrodungen und Faktoren wie Landschaft und Bevölkerungsdichte. Dies mit dem Ziel, die treibenden Kräfte besser zu verstehen und Lösungsansätze für potentielle Konflikte aufzuzeigen.
Dabei kam er zum Schluss, dass das System Schutz des Waldes in der Schweiz im Grossen und Ganzen gut funktioniert. So werden etwa in Gebieten mit intensiver Landwirtschaft nicht mehr bewaldete Flächen gerodet als anderswo. «Es läuft hier nicht so wie in den Tropen, wo gut erschlossene Waldflächen geopfert werden, um neue Anbauflächen zu schaffen», so der Wissenschaftler. Er konnte auch nicht feststellen, dass in vom Tourismus geprägten Regionen in den Alpen besonders viel Forst neuen Skiliften und anderen, ähnlichen Infrastruktur zum Opfer fallen. Das Fehlen solcher typischen Muster sei ein Zeichen dafür, dass die Kontrollmechanismen greifen. – Weil in den Alpen immer mehr Alpweiden der Natur überlassen werden, nimmt dort die bewaldete Fläche sogar zu.
Wenig Platz für den Wald im Mittelland
Die meisten Verluste pro vorhandene Waldfläche stellte Troxler im Mittelland fest: Hier war zwischen 2001 und 2017 war dort etwa ein halbes Prozent der bewaldeten Gebiete von einer temporären oder dauerhaften Rodung betroffen. Und so kommen in dieser dicht besiedelten Region denn auch die meisten Zielkonflikte vor. «Hier konvergieren besonders viele Nutzungsansprüche», so Troxler. Zum einen betrachtet die Bevölkerung den Wald als wichtigen Erholungsraum und schützenswertes Ökosystem, zum anderen will man aber auch mehr Wohnraum und gute Verkehrsverbindungen. Ausserdem ist die Holzwirtschaft im flachen, gut erschlossenen Mittelland attraktiv.
Deshalb ist es in dieser Region auch zunehmend schwer, die gesetzlich vorgeschriebenen Ersatzflächen für gerodeten Wald zu finden. Während man in der Landwirtschaft dafür auf keinen Quadratmeter der bereits jetzt schrumpfenden Anbaufläche verzichten will, möchte man Baugebiete ebenfalls man nicht auszonen. «Weil man kaum gleichwertige Ersatzflächen mehr findet, wird man deswegen wohl vermehrt von den schon jetzt bestehenden Ausnahmeregeln Gebrauch machen müssen», konstatiert Troxler. Solche Regeln sehen zum Beispiel vor, dass es keine neue Aufforstung gibt, sondern dass bereits bestehender Wald ökologisch aufgewertet wird. Zurzeit untersucht er, wie häufig derartige Ausnahmen vorkommen.
Zielkonflikte in naher Zukunft wegen den Erneuerbaren
In der nahen Zukunft rechnet der Agrarexperte mit einer Verschärfung der Zielkonflikte. Denn der Ausbau der erneuerbaren Energien dürfte auch auf Kosten der Bäume gehen, vor allem in den Alpen und im Mittelland; Die benötigte Fläche ist aufgrund der Vielfalt der Projekte schwer zu beziffern. Denn nicht nur Platz Windturbinen und Solaranlagen selbst brauchen Platz, sondern auch die entsprechenden Hochspannungsleitungen, Baustellenzufahrten und Stauseen. «Dabei steht diese Infrastruktur in Zusammenhang mit einer nachhaltigen Wirtschaft, die ja eigentlich gesellschaftlich erwünscht ist», sagt Troxler. Dieser Zwiespalt zeigt sich bereits in der Rechtsprechung: Seit 2017 wird der Erhalt des Forstes juristisch nicht mehr höher gewichtet als der Bau von Infrastruktur im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien.
Damit zukünftige Konflikte minimiert werden können, empfiehlt Troxler den Behörden vorausschauend zu planen. Dies damit frühzeitig Realersatzflächen gesichert werden können. Zum Beispiel, in dem ein Flächenpool zwischen verschiedenen Regionen eingerichtet wird. «Hier sollten die Kantone bereits Konzepte in der Hinterhand haben, damit das Walderhaltungsgebot nicht weiter aufgeweicht wird.» (mgt/mai)