Architektur: Wie die Olympiade von 1972 München veränderte
Er gehört zu München wie das Oktoberfest: Der Olympiapark mit den Zeltdach aus der Feder von Otto Frei. Einst für die Münchner Sommerspiele von 1972 errichtet und auf eine Lebensdauer von 15 Jahren ausgelegt steht es noch immer. Der Park prägt die Stadt bis heute.
Quelle: Markus Spiske, Unsplash
Blick auf den Olympiapark.
Wie verändert Olympia eine Region? Dafür liefern die Spiele von München ein sehr anschauliches Beispiel. Die grossstädtische Infrastruktur, die längst selbstverständlich erscheint, wurde damals zu wesentlichen Teilen vor den Spielen von 1972 gebaut. Der Zuschlag zu den Olympischen Spielen sorgte Ende der 60er und Anfang der 70er Jahre in ganz München - und weit darüber hinaus - für einen beispiellosen Bauboom.
Schliesslich mussten Bauwerke wie Sportstätten, Wohnungen und Verkehrseinrichtungen aus dem Boden gestampft werden. "Das grösste Fest der Welt bestrahlte schon eine Weile zuvor alles Leben der Stadt", berichtet der Münchner Reporter Karl Stankiewitz über die damalige Zeit. Der 93-Jährige schreibt seit Jahrzehnten über die Landeshauptstadt und hat die Entwicklung vor und nach den Spielen nun in dem Buch "München 1972 - Wie Olympia eine Stadt veränderte" zusammengefasst.
ÖV-Projekte: U-Bahn für die Stadt und S-Bahn für die Vororte
Grosse Projekte waren damals die neue U-Bahn und auch der Bau der Münchner S-Bahn in die Vororte. Vor den Spielen wurde das Netz fertig und elementar für das Sportevent: "In den 17 Tagen während der Olympischen Spiele wurden über drei Millionen Menschen transportiert", betont der S-Bahn-Betreiber. Enorme Bedeutung erlangten die Spiele auch für den Bau von Wohnungen und Appartements für Studierende. So bietet das Olympische Dorf bis heute begehrten Wohnraum für Tausende Münchner, doch auch an anderen Stellen entstanden etliche neue Wohnhäuser.
Unmittelbar an den Olympiapark angrenzend wurde zudem die "Pressestadt" aus dem Boden gestampft. Hier berichteten erst 4000 Journalisten von dem Weltereignis, dann zogen Münchner in die 28 Blocks ein. Daneben wiederum lockt der ebenfalls 1972 eröffnete Konsumtempel Olympia Einkaufszentrum täglich zahlreiche Kunden an, auch wenn das OEZ 2016 durch einen rassistischen Anschlag mit neun Todesopfern in der Nähe zu trauriger Berühmtheit kam.
Letztlich sind fast alle Bauten nach 50 Jahren noch rege frequentiert, nicht nur weil die Olympiahalle nach wie vor zu den wichtigsten Veranstaltungsorten Süddeutschlands gehört und der Münchner Olympiapark generell ein beliebter Freizeitort ist. Längst nicht alle Gastgeberstädte in der olympischen Geschichte haben es geschafft, ihre Olympiaarchitektur ähnlich nachhaltig zu nutzen.
Das Berühmte Zeltdach ist inzwischen neben Frauenkirche, Rathaus und Stachus ein Wahrzeichen Münchens. Am Stachus, dem Karlsplatz, beginnt auch eine weitere Errungenschaft, die wenige Wochen vor den Olympischen Spielen Realität wurde - die Fussgängerzone im Münchner Zentrum.
Architekturikone von Otto Frei und ein Maiskolben nach US-Vorbild
Drohnenflug über den Olympiapark. Video von Spirit of Space.
Die Bedeutung der Spiele betonte auch Hans-Jochen Vogel, Münchner Oberbürgermeister während der Bauphase. Nach den Spielen sprach der SPD-Politiker von einem "grossen Zwiespalt", schliesslich überschattete der Terroranschlag auf das israelische Team mit zwölf Todesopfern das Sportfest. „München wird mit diesem Zwiespalt leben müssen“, schrieb Vogel in einer Bilanz in dem Buch „Olympia 1972“, herausgegeben von ZDF-Sportjournalist Harry Valérien. „Eines allerdings wird bleiben: der Nutzen, den München aus den Spielen als Folge seiner Anstrengungen gezogen hat." Die U- und S-Bahn, die Fussgängerzone sowie der Olympiapark seien "Einrichtungen, um die uns viele andere Städte in und ausserhalb der Bundesrepublik beneiden", sagte damals der vor zwei Jahren gestorbene Vogel.
Der Olympia-Bauboom erfasste damals auch noch andere Regionen. So wurde in Augsburg, mehr als 60 Kilometer vom Münchner Olympiapark entfernt, in einer rekordverdächtigen Bauzeit von nur etwas mehr als einem Jahr eines der höchsten Gebäude Bayerns errichtet. Der mehr als 115 Meter hohe Hotelturm sollte 1972 unbedingt bezugsfertig sein und zu Olympia Gäste empfangen. Das Gebäude wurde nach dem Vorbild von Bertrand Goldbergs Marina City Towers in Chicago entworfen - und wird wie das US-Original wegen des markanten Wabendesigns im Volksmund auch „Maiskolben“ genannt.
Der unter Denkmalschutz stehende Olympiapark ist den Münchnern letztlich lieb und auch teuer geworden. Denn die Kehrseite der bis heute rege genutzten Olympia-Bauwerke ist, dass seit Jahrzehnten immer wieder grosse Modernisierungsprojekte umgesetzt werden müssen. So muss das von dem Architekten Frei Otto (1925-2015) konstruierte Dach, welches einst nur eine 15-jährige Lebensdauer haben sollte, in den kommenden Jahren bereits zum zweiten Mal grundlegend saniert werden.
Die dafür derzeit angesetzten Kosten von 84 Millionen Euro dürften in Zeiten drastisch steigender Baupreise gerade einmal der Einstiegspreis sein. In einigen Jahren dürfte feststehen, ob und wann die Bundesrepublik den Olympiapark bei der Unesco als Welterbe nominiert. Die Stadt München und der Freistaat werben gemeinsam dafür. (Ulf Vogler, dpa / sda)