Architektur im Grünen: Leben im eigenen Baumhaus
Als Kinder haben sie davon geträumt, als Erwachsene erfüllen sich viele ihren Traum vom eigenen Baumhaus. Die Ideen für die Stelzen-Konstruktionen sind vielzeitig. Das Buch «Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen» stellt verschiedene Projekte vor.
Quelle: Andreas Wenning, baumraum
Baumhaus Black Beauty auf der nselUsedom in Deutschland.
Baumhäuser sind nichts Neues in der Geschichte der
Architektur. Früher war das Leben in den höheren Bereichen vor allem eine Frage
der Existenz. Die Menschen suchten Schutz vor Feinden, wilden Tieren oder
sonstigen Naturgefahren. Nicht in den Bäumen, aber auch erhöht auf Stelzen
wurden die Pfahlhäuser im Alpenraum errichtet.
Die Schweizerischen Fundstätten aus der Jungstein- und
Bronzezeit schlummern inzwischen am Seegrund von Zürich-, Boden-, Bieler- und
Hallwilersee. Die prähistorischen Pfahlbausiedlungen entstanden in der Zeit von
5000 bis 500 vor Christus und wurden auf Pfeilern etwas erhöht über dem Boden
errichtet, um die Bewohner vor Hochwasser zu schützen.
Quelle: Michael O’Neal, Baumraum
Das Baumhaus «Black Crystal» in den Catskill Mountains, New York State, USA.
Orte der Musse
Im alten Ägypten und Rom gab es ebenfalls berankte Lauben und Baumhäuser, die vor allem dem Vergnügen dienten. Selbst der römische Kaiser Caligula soll bereits ein Baumhaus auf seinem Anwesen in Velitrea südöstlich von Rom besessen haben, in dem er kleine Bankette für seine Gäste abhielt. Um das Jahr 1500 erwähnen zahlreiche Quellen die Baumhäuser, die sich die italienischen Reichen und Adeligen in ihren Gärten errichten liessen.
Auch in
England kam diese Mode auf. Das wohl älteste noch erhaltene Baumhaus der Welt
befindet sich bei Pitchford Hall nahe Shrewsbury, westnordwestlich von
Birmingham. Es wurde 1714 erstmals erwähnt und ist in eine uralte Linde
eingebaut.
Danach wird lange Zeit nicht von Baumhäusern berichtet. Erst
in der Zeit der Romantik feiert das Leben in den Bäumen wieder ein Comeback. In
Deutschland wurde bevorzugt auf Konstruktionen unter Linden gefeiert und
getanzt. In Frankreich entstand im 19. Jahrhundert in der Nähe von Paris ein
ganzes Baumhausprojekt für ein Restaurant in einem riesigen Kastanienbaum. Auch
in England waren Baumhäuser ein dekorativer Bestandteil der Gartenkultur, die
unter anderem als Teesalon genutzt wurden.
Doch in manchen Kulturen oder Ländern dienen die Konstruktionen in luftiger Höhe vor allem dem Schutz in kriegerischen Zeiten und vor gefährlichen Tieren. In Indonesien hat sich das Volk der Korowai weiterhin seine steinzeitlichen Lebensformen erhalten und errichtet seine Behausungen in den oberen Etagen des Regenwaldes auf Höhen zwischen fünf und zwölf Metern.
In Nordamerika findet man viele Häuser in der freien Natur, die zwischen den Bäumen
schweben. Diese Konstruktionen sind zumeist auf den Reichtum an natürlichem
Baumaterial und die grosse Experimentierfreude zurückzuführen.
Quelle: Alasdair Jardine, baumraum
Blick auf das Baumhaus Bâlvedere in Basel.
Kindheitstraum wird wahr
Beim Begriff Baumhaus denkt wahrscheinlich jedermann zuerst
an einen recht rustikal zusammengezimmerten Holzverschlag, der sich zwischen
den Zweigen eines knorrigen Apfel- oder Birnbaums im Garten versteckt. Das
einige Meter über dem Erdboden gelegene Reich der kleinen Abenteurer ist meist
nur über eine Strick- oder angelegte Leiter zu erreichen, denn allen anderen
soll der Zutritt ja verwehrt bleiben. Diese Hütten werden meist ohne grosse
Vorplanung errichtet. Alle Baumaterialen, die in Keller, Werkstatt oder Garten
zu finden sind, werden kreativ verbaut.
Die im Buch «Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen»
vorgestellten Projekte haben ausser der bevorzugten Lage in den Baumwipfeln und
dem Ausblick auf die Umgebung kaum mehr etwas mit diesem Abenteuerrefugium
gemeinsam. Andreas Wenning stellt 50 besondere Projekte in der Schweiz, Europa
und Übersee vor, die nicht allein ihrer besonderen Architektur wegen, sondern
auch mit einem aussergewöhnlichen Ambiente punkten können. Diese werden durch
verschiedene Design-Studien des deutschen Architekturbüros Baumraum ergänzt.
Der Kreativität sind inzwischen kaum mehr Grenzen gesetzt. Vom kleinen privaten Rückzugsort bis zum voll eingerichteten Feriendomizil für die ganze Familie werden rund um die Welt Projekte realisiert. Bereits seit 2003 ist das Architekturbüro Baumraum auf dem Gebiet tätig.
Die Projekte des
Bremer Architekten Andreas Wenning sowie seiner Kollegen Jan Fuchs und Louis
Beck wurden in ganz Europa, Russland, Argentinien, Brasilien, China und den USA
umgesetzt. Andreas Wenning gilt als absoluter Spezialist auf dem Gebiet, hält
Vorträge, lehrt und ist durch zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland
bekannt.
Einen Einblick in die umfangreiche Tätigkeit ermöglicht die
erweiterte Auflage des Buches. Bereits beim ersten Durchblättern ist zu
erkennen, wie vielfältig Form und Gestaltung ausfallen können. Der Geschmack
des Erbauers, aber auch die Verwendungsweise und das finanzielle Budget lassen
eine breite Palette von Bauwerken entstehen, die von der traditionellen
Formensprache des Baumhauses komplett abweichen und mit der kleinen Holzhütte
mit Satteldach und Sprossenfenstern fast nichts mehr gemeinsam haben. Moderne
Materialien und Ausstattungen ermöglichen den Projektanten bei der Planung und
Gestaltung viel Spielraum.
Quelle: Laura Fiorio, baumraum
Das Baumhaus Halden in Halden.
Quelle: Laura Fiorio, baumraum
Innenraum des Baumhauses in Halden.
Baumhäuser in der Schweiz
Zwei der vorgestellten Projekte befinden sich in der
Schweiz. «Bâlvedere» bietet einen Ausblick auf die Stadt Basel und die
Höhenzüge der Vogesen. Das kleine Baumhaus wurde 2009 inmitten von vier
Fichtenstämmen installiert und ist über drei Treppenläufe und zwei Podeste
erreichbar. Die Kabine mit Terrasse befindet sich in zwölf Metern Höhe. Der
rechteckige Kubus hat eine Kupferfassade, die sich mit der Alterung des
Materials optisch in die natürliche Umgebung integriert.
Mehr Komfort bietet das Baumhaus «Halden» in der Nähe des Bodensees. Auf dem Grundstück steht bereits ein Haus, sodass die haustechnische Versorgung gewährleistet war. Gemeinsam mit den Besitzerinnen wurden die architektonischen Details und Materialien abgestimmt. Das kleine Haus mit Balkon ist aussen dunkel gehalten und wird von einem Spitzdach gekrönt.
Letzteres ermöglich einen teilweisen Innenausbau auf zwei Ebenen. Geschlafen
wird auf der Galerie, im darunterliegenden Teil sind die Küche und das Bad
untergebracht. Der offene Innenraum wurde in Eiche gestaltet und wird von
grossen Fensterflächen mit Blick über das Tal dominiert.
Quelle: André Dogbey, baumraum
Elbinselhof Krautsand auf Stelzen in Drochtersen-Krautsand (D).
Quelle: André Dogbey, baumraum
Die Baumhäuser des Elbinselhofs Krautsand. in Drochtersen-Krautsand bieten Platz für vier Personen.
Ab in die Ferien
Nicht nur einzelne Ferienhäuser, ganze Baumhaus-Hotels sind
bereits rund um den Erdball entstanden. Eines haben alle gemeinsam: Sie stehen
in landschaftlich besonders schönen Gegenden. So liess ein Schweizer
Hotelentwickler ein Wellnesshotel nahe der argentinischen Stadt Mendoza mit
Blick auf die schneebedeckten Gipfel der Anden realisieren. Die elliptisch geformten
Kabinen mit Aussenterrasse ruhen in rund fünf Metern Höhe auf mehreren
unregelmässig angeordneten Stahlstützen. Die Wohnräume sind komplett
ausgestattet und verfügen über einen integrierten Whirlpool auf der Terrasse.
Am Deich, nur rund 500 Meter von der Elbe entfernt, steht das Baumhaus-Hotel Elbinselhof Krautsand. Das Projekt war seit langem angedacht, wurde aber erst 2016 umgesetzt, nachdem der Besitzer zufällig eine der Erstauflagen des Baumhaus-Buches entdeckt hatte. Bereits ein Jahr später begann die Planung.
Die Hotelanlage besteht aus einem Erdhaus und drei grossen,
zwischen alten Weiden gelegenen Baumhäusern mit den Namen Jojo, Lotti und Anni.
Sie bieten einen schönen Blick von oben auf die Pferdekuppeln und Wiesen, auf
denen die Wildgänse Rast machen. Die Häuser wurden in Holzbauweise errichtet
und lagern auf schräg stehenden Stahlstützen. Die Fassade ist in unbehandelter
Edelkastanie gehalten, für die Inneneinrichtung wurde geölte Eiche verwendet.
Quelle: André Dogbey, baumraum
Lütetsburg Baumhaus – Lodges in Lütetsburg bei Norden (D).
Quelle: André Dogbey, baumraum
In der Lütetsburg Baumhaus – Lodges wird auf zwei Ebenen gelebt und geschlafen. Es ist ausreichend Platz für eine ganze Familie.
Arbeiten in den Bäumen
Die im Schwarzwald ansässige Firma Waldfabrik ist auf handwerklich gefertigte Dekorations- und Geschenkartikel spezialisiert. Ihren Sitz hat sie in einem architektonisch anspruchsvollen Gebäude, das sie mit einem externen Raum für Meetings und Ruhepausen erweitern wollte.
Realisiert
wurde von Büro Baumraum ein exponierter Anbau für das bestehende Hauptgebäude.
Der abgerundete Baukörper ist der Form eines sich spiralförmig windenden
Holzspans nachempfunden und steht auf Stelzen. Über eine Brücke ist er mit dem
oberen Stockwerk des Hauptgebäudes verbunden.
Für die Brücke, Geländer und tragende Elemente wurden
pulverbeschichtete Stahlprofile verwendet. Für viele andere Bauteile wie die
Verkleidungen der Unterseite, den gerundeten Aufbau und die schrägen Stützen
kam Holz zum Einsatz. Innen zeigt sich das Oval in einem starken Kontrast zur
Aussenseite. Die Wände und Böden sind mit gelaugtem und geseiftem Tannenholz
verkleidet. Grosse Fensterfronten ermöglichen einen weiten Blick über den
Schwarzwald.
Quelle: Ferdinand Graf Luckner, baumraum
Baumhaus Oval Office in Freudenstadt (D).
Vieles ist inzwischen möglich geworden, einige Projekte von
Baumhäusern werden aber wohl immer ein Traum bleiben. Der reich bebilderte Band
ermöglicht deshalb nicht nur einen Blick auf die Geschichte und Facetten der
Baumhaus-Architektur in den verschiedenen Kulturen, es werden auch die neuesten
Erkenntnissen zur Baumstatik und zu Befestigungsmethoden vermittelt.
Den Planern stehen moderne Techniken und Materialien zur Verfügung, die individuelle Wünsche in verschiedenen Grössen, Ausführungen und Ausstattungen möglich machen. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei immer dem schonenden Umgang mit den Bäumen und dem sie umgebenden Naturraum.
Deshalb
werden einige Projekte immer Visionen bleiben. Doch auch diese Entwürfe stellt
Andreas Wenning im abschliessenden Kapitel vor. Wer weiss, irgendwann werden
sie vielleicht doch noch in die Realität umgesetzt.
Buchtipp
Baumhäuser – Neue Architektur in den Bäumen», Andreas Wenning, 336 Seiten, 450 Abbildungen, Hardcover, ISBN 978-3-86922-189-2 (deutsch), ISBN 978-3-86922-736-8 (englisch), 70,80 Franken