Windräder-Recycling: Wohin mit ausgedienten Rotorblättern?
30’000 Windenergieräder drehen sich in Deutschland. Viele von ihnen kommen langsam in die Jahre. 2019 mussten 2000 Rotorblätter entsorgt werden, 2024 werden es schon 15’000 sein. Doch wohin mit den bis zu 90 Meter langen und rund 15 Tonnen schweren Ungetümen?
Quelle: Karsten Würth, unsplash
Rund 20 Prozent des Stroms wurden in Deutschland 2018 von Windenergieanlagen erzeugt. Im Bild: Windturbinen in Mölsheim, Deutschland.
Wenn die Klimaziele erreichen werden sollen, muss in den nächsten 30 Jahren in Deutschland die Zahl der Windenergieanlagen verzehnfacht werden, sind Fachleute überzeugt. Es müssen jedoch nicht nur neue Windkraftanlagen installiert, sondern auch zahlreiche alte entsorgt werden – wegen Materialermüdung oder einfach, weil sie noch grösseren und effizienteren Anlagen weichen.
Kleber erschwert Recycling
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie ICT prognostiziert: Zu den 15’000 Rotorblättern, die 2024 aussortiert werden müssen, kommen in den folgenden drei Jahren 72’000 hinzu. Für den in den Windkraftanlagen verbauten Stahl oder Beton gibt es bereits umweltverträgliche Entsorgungsverfahren, schwierig bleibt aber das Recycling der Rotorblätter.
Rotorblätter bestehen nicht aus Stahl. «Das wäre zu schwer und unbeweglich. Sie sind grösstenteils aus mit Glasfasern verstärktem Kunststoff (GfK) und Balsaholz, das mit Epoxid- oder Polyesterharz verklebt ist», sagt Projektleiter Peter Meinlschmidt vom Fraunhofer-Institut für Holzforschung, Wilhelm-Klauditz-Institut WKI in Braunschweig.
Die Klebeverbindung ist extrem fest. Das muss sie auch sein – die Rotorblätter erreichen Spitzengeschwindigkeiten von über 250 Kilometern pro Stunde, die Krafteinwirkung ist enorm. Für ein sortenreines Recycling ist jedoch genau das das Problem: Die einzelnen Bestandteile des Materialverbundes sind nur schwer voneinander zu lösen.
Extrem leichtes Balsaholz
Balsaholz ist eines der leichtesten Hölzer der Welt und wird unter anderem im Modellbau eingesetzt. Es wiegt nur 40 bis maximal 130 Kilo pro Kubikmeter – Fichtenholz etwa 500. Ein Klötzchen Balsaholz in der Grösse eines Zauberwürfels liegt in der Hand wie eine Feder. Ein Arbeiter trägt einen Stamm auf seiner Schulter aus der Plantage – ohne Anstrengung.
In einem Rotorblatt stecken rund 15 Kubikmeter des Holzes, das nicht nur extrem leicht ist, sondern auch extrem druckfest. «Das ist der entscheidende Vorteil von Balsaholz gegenüber den meisten Kunststoffschäumen», erklärt Meinlschmidt. Das exquisite Holz wird vor allem in Ecuador angebaut. Bisher gab es keine Möglichkeit, das Holz bei der Entsorgung der alten Rotorblätter zurückzugewinnen.
«Obwohl es kaum einen Brennwert hat, wird es im Materialverbund verbrannt, meistens in Zementfabriken. Die Zementrohstoffe müssen auf etwa 1500 Grad erhitzt werden, bis sie miteinander verschmelzen und Zementklinker entsteht. Die Fabriken haben deshalb einen hohen Energiebedarf. Ausserdem können die geschmolzenen Glasfasern und die Asche später dem Zement beigemischt werden und Teile des Quarzsandes ersetzen, der dem Prozess sonst zugeführt werden müsste.»
Schrottplätze für Rotorblätter
Doch die Zahl der Zementwerke in Deutschland ist mit insgesamt 53 überschaubar, ihr Bedarf an Rotorblättern als Brennmaterial ebenfalls. «Mittlerweile sind einige Rotorblattschrottplätze entstanden. In der Nähe von Flensburg gibt es einen, da warten bereits heute Tausende von Rotorblättern auf ihre Verschrottung oder ein Second Life im Ausland. Die Schrottplätze dienen auch als Ersatzteillager, falls bei älteren Modellen mal ein Teil defekt ist und ausgewechselt werden muss.»
Die Kapazitäten sind allerdings beschränkt und jetzt schon so gut wie ausgeschöpft. Es gibt aber Hoffnung, der drohenden Rotorblattflut Herr zu werden: Meinlschmidt hat mit seinem Team, den Kollegen vom Fraunhofer ICT und Partnern aus der Industrie, eine neue Recyclingtechnik entwickelt. Damit man das Balsaholz aus den Rotorblättern zurückgewinnen und wiederverwerten kann, werden die abgenommenen Blätter noch an ihrem Standort zerlegt.
«Klassischerweise wird das Rotorblatt mit einer Bandsäge gedrittelt oder geviertelt, was jedoch relativ aufwendig ist. Wir sind daher auf die Idee gekommen, es stattdessen mit einer Wasserstrahllanze zu probieren. Und siehe da: Es ging deutlich schneller und besser», erzählt Meinlschmidt begeistert. Die Lanze kann an einem speziellen Fahrzeug befestigt und von dort aus gesteuert werden. «Mit der Hand könnten wir sie aufgrund des gewaltigen Rückstosses nur schwer führen.»
Die zehn bis zwanzig Meter grossen Rotorblattstücke werden dann noch vor Ort in eine mobile Zerkleinerungsmaschine gepackt, die sie in etwa handtellergrosse Stücke bricht. Mithilfe einer sogenannten Prallmühle gelingt es den Forschern schliesslich, diese Stücke in ihre einzelnen Bestandteile zu trennen. Dafür werden sie in Drehungen versetzt und mit hoher Geschwindigkeit auf Metall geschleudert. Meinlschmidt erklärt: «Das Verbundmaterial bricht dann auseinander, weil das Holz zähelastisch ist, während Glasfaser und Harz sehr hart sind.»
Dämmen mit Rotorblättern
Die Balsaholzstücke werden am Fraunhofer WKI unter anderem zu extrem leichten Holzfaser-Dämmstoffmatten verarbeitet. «Bei den Gebäude-Dämmstoffen sind zurzeit etwa zehn Prozent aus nachwachsenden Rohstoffen – da ist noch Luft nach oben.» Die Matten sind mit einer Dichte von unter 20 Kilo pro Kubikmeter bisher einzigartig auf dem Markt und bieten eine ähnlich gute Dämmung wie gängige Materialien aus Styropor.
Auch ein neuartiger, elastischer Holzschaum lässt sich aus dem recycelten Balsaholz herstellen. Dafür wird es sehr fein gemahlen und mit Schaummittel versetzt. Die Festigkeit des Schaums entsteht durch holzeigene Bindekräfte, die den Einsatz von synthetischen Klebstoffen überflüssig machen. Der Schaum eignet sich als umweltfreundliches Dämm-, aber auch als Verpackungsmaterial, das einfach im Altpapier-Container entsorgt werden kann.
Für die Autoindustrie ist der flexible Holzschaum ebenfalls interessant. «Wärmeisolierung ist bei E-Autos ein grosses Thema. Ohne Verbrennungsmotoren gibt es keine Abwärme, die für die Heizung genutzt werden kann. Die Wärmeenergie muss deshalb die Batterie liefern, die Reichweite sinkt», so Meinlschmidt. Ideen für die Weiterverwertung des wertvollen Balsaholzes aus den Windrädern gibt es genug – dank der neuen Fraunhofer-Recyclingtechnik gibt es jetzt auch die Möglichkeit dazu.
Dieser Artikel ist zuerst im Fraunhofer-Magazin «weiter.vorn» 4/19 erschienen.