«Wikkelhouse»: Ein gewickeltes Öko-Haus aus Karton
Das niederländische Studio «Fiction Factory» kreiert sogenannte «Wikkelhouses». Das sind wortwörtlich gewickelte, nachhaltige Häuser, die hauptsächlich aus Frischfaserkarton bestehen. Dank einer speziellen Folie sind die modularen Bauten sogar wasserdicht.
4,5 Meter lang, 1,2 Meter breit und 3,5 Meter hoch: Das sind die Masse eines einzigen Segments des Karton-Häuschens. Wie viele solcher Einheiten ein «Wikkelhouse» besitzt, kann der Auftraggeber selbst bestimmen. Theoretisch könne man unendlich viele Segmente anfügen, der Bau werde damit einfach immer länger, erklärt Oep Schilling. Der Designer hat gemeinsam mit dem Studio «Fiction Factory» das «Wikkelhouse» in seiner heutigen Form entwickelt und so ein modulares Haus geschaffen, das hauptsächlich aus Karton besteht.
Mit dem Bau wollte Schilling eine Möglichkeit für nachhaltigeres Bauen und Wohnen bieten. So ist seine Karton-Methode laut seiner Aussage bis zu drei Mal nachhaltiger als ein traditioneller Hausbau. Bei der Herstellung eines «Wikkelhouse» kommt deshalb auch nicht Recyclingkarton zum Einsatz, sondern nach FSC zertifizierter Frischfaser-Wellkarton. Dieser stammt aus nachwachsenden Forstbeständen und ist zu 100 Prozent biologisch abbaubar bzw. kompostierbar.
Gewickeltes Karton-Haus
Der spezielle Name der Konstruktion kommt nicht von ungefähr. Er stammt vom niederländischen Wort «Wikkelen» ab, was übersetzt schlicht «wickeln» bedeutet. Und auch das ist kein Zufall: Die Karton-Bauten werden tatsächlich gewickelt. Dies übernimmt eine speziell dafür entwickelte, riesige Maschine, die im Studio der «Fiction Factory» in Amsterdam steht. Dort werden die jeweiligen Segmente des «Wikkelhouse» hergestellt.
Die nachhaltigen Bauten sind sehr einfach aufgebaut und bestehen aus einzelnen Segmenten, die individuell ausgestattet werden können. Die «Fiction Factory» bietet hierfür drei Grundmodelle: Basic, Office und Home. Die Basic-Version ist lediglich mit Steckdosen ausgestattet. Bei der Office-Variante ist das Haus hingegen für Workshops, Präsentationen, Meetings oder als Showroom ausgelegt und verfügt neben Strom auch über eine Heizung und eine Toilette. Das Home-Modell ist für eine längere Nutzung vorgesehen: Es beinhaltet neben Küche auch ein Bad- und Schlafzimmer.
Wasserdicht dank Kunststoffolie
Das eigentliche Wickeln des Hauses übernimmt besagte Maschine in Amsterdam. Sie nutzt dafür eine grosse Frischfaserkarton-Rolle à 320 Metern und wickelt diese um eine eigens für diesen Zweck geschaffene Stahl-Hausform. Insgesamt 24 Karton-Schichten werden dabei um die Formgewickelt und mit einem umweltfreundlichen Holzkleber aufeinander fixiert. Nach den ersten zwölf Schichten kommt aus statischen Gründen eine zusätzliche Schicht Sperrholz in die Wand, damit die Wellpappe nicht zerdrückt wird.
Auf das Holz folgen dann die letzten zwölf Karton-Schichten und schliesslich eine atmungsaktive und wasserresistente Kunststofffolie, die das «Wikkelhouse» vor Regen und Feuchtigkeit schützt. Damit diese Folie nicht unter UV-Strahlen und Sonnenlicht leidet, umgibt das fertige Segment aber noch eine thermisch modifizierte Holzfassade aus gebeiztem Kiefernholz, die auch noch den ästhetischen Feinschliff liefert. Im Innenraum werden die Wände zudem auch mit Holz verkleidet.
Richtig stabil wird das «Wikkelhouse» vor allem durch die gewellte Struktur im Frischfaserkarton. Neben der statischen Funktion liefert diese aber auch durch die Luftpolster in den Wellen optimale Bedingungen für eine gute Isolation des Baus. Einen kleinen Nachteil hat die Konstruktion dennoch: So verhindert die luftdurchlässige Kunststofffolie in den Wänden zwar Schimmel im Karton und sorgt dafür, dass allfällige Feuchtigkeit aus dem Inneren nach draussen gelangen kann. Aber mit der Zeit wird diese porös, weshalb man sie nach 15 Jahren ersetzen muss.
Kein Fundament benötigt
Die Maschine benötigt für die Herstellung eines Segments tatsächlich nur etwa 40 Minuten. Aber nicht nur die Vorfertigung im Studio geht schnell voran, sondern auch der eigentliche Aufbau am vorgesehenen Standort ist laut Schilling innerhalb eines Tages erledigt. Dort werden nämlich bloss die vorgefertigten Segmente auf einer Art Grundrahmen platziert, der als Fundament dient, und zusammengeschraubt.
Ein richtiges Fundament ist nicht nötig, da das Gewicht eines Wikkelhauses sehr niedrig gehalten sei, wie Schilling erklärt. Ein Segment wiege demnach «nur» rund 500 Kilogramm. Berechnungen einer statischen Analyse des Ingenieurbüros Tentech von 2014 hätten zudem gezeigt, dass Wind für das «Wikkelhouse» trotz fehlendem Fundament keine Gefahr darstelle.
Erfindung ist nicht neu
Die ursprüngliche Version des nachhaltigen Hauses stammt aber nicht von Oep Schilling oder der «Fiction Factory». Den Grundstein dafür legte vor vielen Jahren der Techniker René Snel, der mit einer ersten kleineren Maschine aus Wellpappe eine extrem starke Tomatenkiste kreierte, die ganze vier Jahre lang hielt. Inspiriert davon baute Snel eine grössere Maschine und wollte damit beweisen, dass Karton stark genug für den Hausbau ist.
Der Techniker war seiner Zeit aber weit voraus: Klimawandel und Nachhaltigkeit waren damals kein grosses Thema. Das Interesse an den Karton-Häusern hielt sich demnach in Grenzen. Zudem konnte Snel auch keine Lösung finden, um das Haus wasserdicht zu machen. So gerieten die Idee und die dafür konzipierte Maschine langsam in Vergessenheit.
Schliesslich wurde sie von Oep Schilling 2012 wiederentdeckt, der das Projekt zum Karton-Haus wieder aufnahm. Er kaufte Snel die Maschine ab, entwickelte die Grundidee weiter und machte die Bauten mit Hilfe der Folie wasserdicht. Damit traf Schilling den Nerv der Zeit: Bis heute konnten bereits über 60 «Wikkelhouses» realisiert werden (siehe Bilder). Und die Auftragsbücher sind randvoll. Auf der Homepage wikkelhouse.com wird eine Wartezeit von acht Monaten angegeben.
Weitere Videos zum Bauprozess eines «Wikkelhouses» gibt es hier.