Wenn Schichtmaterial dämpft und dennoch steif ist
Ein Verbundstoff, der äusserst steif ist und gleichzeitig stark dämpft: Ein solches Material ist an der ETH entwickelt worden. Es handelt sich um ein Schichtmaterial, das ultradünne, gummiartige Polymerschichten enthält. – Sein Einsatz ist vielfältig, sei es für Maschinen, für die Raumfahrt oder aber für Fensterglas.
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Vibrationen können auch die Gesundheit schädigen, deshalb wird in Geräten und Maschinen zusätzliches Schwingungen dämpfendes Material eingebaut. Ein neuartiges Schichtmaterial könnte dies überflüssig machen.
Von Peter Rüegg *
Ein Kompressor brummt, eine Klimaanlage scheppert, das Fahrgestell eines Eisenbahnwagons rattert und schüttelt die Fahrgäste durch: Vibrationen sind nicht nur nervig, sie können auch schädlich sein. Sie zerstören auf die Dauer Material und Maschinen und verkürzen ihre Lebensdauer. Zudem schädigt der durch die Schwingungen erzeugte Lärm die Gesundheit. Darum werden in vielen technischen Anwendungen dämpfende Materialien verbaut, zum Beispiel Schäume, Gummis oder mechanische Elemente wie Federn oder Stossdämpfer. Allerdings macht dies Maschinen oder Geräte voluminöser, schwerer und teurer. Darüber hinaus ist es nicht immer möglich, mit nachträglich angebrachten Dämpfungselementen Vibrationen wirksam zu unterdrücken. Daher besteht weltweit eine hohe Nachfrage nach Materialien, die steif und tragend sind, aber auch eine hohe Dämpfung erzielen.
Ein solches Material zu entwickeln, ist nicht einfach, da sich die beiden Eigenschaften gegenseitig ausschliessen. Ein Materialforschungsteam der ETH hat nun ein solches Material entwickelt, welches das vermeintlich Unvereinbare auf sich vereint. Gelungen ist das Kunststück Ioanna Tsimouri in ihrer Doktorarbeit bei den Professoren am Departement Materialwissenschaft Andrei Gusev und Walter Caseri. Tsimouri hat Werkstoffe geschaffen, die aus mehreren Lagen eines steifen Materials bestehen, die durch ultradünne gummiartige Polymerschichten miteinander verbunden sind.
Für ihre ersten Prototypen verwendete Tsimouri Glas- und Siliziumplatten von lediglich 0,2 bis 0,3 Millimeter Dicke. Die gummiartigen Polymerschichten zwischen den Platten messen sogar nur wenige hundert Nanometer. Tests haben aufgezeigt, dass diese neuen Verbundmaterialien tatsächlich die erhofften Eigenschaften aufweisen. Vergangenen Frühsommer meldeten Tsimouri und ihre Kollegen ihre Erfindung zum Patent an und veröffentlichten sie in der Fachzeitschrift «Composites Part B: Engineering».
Smartphone-Glas und Polymer
Zuerst berechnete Tsimouri zusammen mit dem Materialphysiker Gusev mithilfe von Computermodellen, wie dick die verbindenden Polymerschichten sein müssen, damit das Verbundmaterial gleichzeitig sehr steif und stark dämpfend ist. Diese Berechnungen zeigten ihr, dass die gewünschten Materialeigenschaften nur dann erreicht werden, wenn die Schichtdicken in einem bestimmten Verhältnis zueinanderstehen. So müssen die dämpfenden Polymerschichten weniger als ein Prozent des gesamten Materialvolumens ausmachen, die steifen Glas- oder Siliziumschichten dagegen mindestens 99 Prozent. «Ist die Polymerschicht zu dünn, gibt es kaum Dämpfungseffekte. Ist sie zu dick, ist das Material nicht steif genug», erklärt Tsimouri.
Im nächsten Schritt überprüfte sie gemeinsam mit Caseri die Berechnungen experimentell und stellte im Labor mehrere Varianten des Verbundmaterials her. Als Material für die steifen Schichten ihres Prototyps verwendete die Forscherin unter anderem Glas, wie es für Smartphone-Bildschirme genutzt wird. Das gummiartige Polymer besteht aus einer Mischung handelsüblicher Polymere auf der Basis von Polydimethylsiloxan (PDMS), die chemisch reaktive Stellen enthalten. Nach der Zugabe eines Katalysators verbinden sich diese Stellen und bilden ein Polymernetzwerk, das die steifen Platten wie eine Zweikomponentendichtung verbindet. Schliesslich testeten die Materialforschenden in Zusammenarbeit mit Peter Hine von der Universität Leeds die Schichtmaterialien auf ihre mechanischen Eigenschaften, die frequenz- und temperaturabhängig sind. Zum Einsatz kam ein spezieller Beugungstest.
Quelle: Michel Büchel / ETH Zürich
Ioanna Tsimouri hat ein dämpfendes und dennoch steifes Laminat erfunden, das sie zum Test fallen lässt.
Auf die Tischplatte geworfen
Zudem prüfte Tsimouri ihre Produkte mit einem einfachen, aber aussagekräftigen praktischen Test: Sie liess die Laminatplatten aus 25 Zentimetern Höhe auf eine Tischplatte fallen und verglich die akustische und mechanische Dämpfung mit derjenigen einer gleich grossen Platte aus reinem Glas. Dabei bewies das Laminat seine hervorragenden dämpfenden Eigenschaften, aber auch seine Stabilität. Das Aufschlagen auf der Tischplatte war viel leiser. Zudem sprang es nicht auf. Reines Glas hingegen erzeugte beim Aufschlagen auf der Tischplatte einen lauten Knall, sprang auf und überschlug sich. «Mit diesem Test konnte ich zeigen, dass das Laminat Schwingungen und Lärm hervorragend dämpft», sagt Tsimouri.
«Eine grosse Schwierigkeit war, eine Mischung von PDMS-Polymeren zu finden, die ein gummiartiges Polymer mit verbesserten Dämpfungseigenschaften in einem breiten Temperaturbereich ergibt. Auch die Polymerschicht in der gewünschten Dicke zu erzeugen, war schwierig», erklärt sie weiter. Da die Polymere nach Zugabe des Katalysators sehr schnell reagieren, musste sie ein spezielles Verfahren entwickeln, um die Lösungen auf die Glas- respektive Siliziumplättchen aufzutragen. Viel Zeit habe sie auch dafür gebraucht, die Dicke der Schichten zu prüfen. Dafür musste sie Querschnitte des Laminats herstellen und mit einem Elektronenmikroskop untersuchen. «Das war enorm aufwändig», erinnert sie sich.
Vom Fensterglas zur Raumfahrt
Das Laminat könnte laut den Forschenden in vielen Anwendungen zum Zuge kommen, angefangen bei Fensterglas, Maschinengehäusen oder in Autoteilen. Es könnte verwendet werden von der Luft- und Raumfahrt bis hin zur Sensorik, wo vibrationsfreie Materialien sehr gefragt sind. «Der Weltmarkt für dämpfende Materialien ist riesig», betonen die Forschenden.Zudem hat das Schichtmaterial einen weiteren Vorzug: Das bindende und dämpfend wirkende Polymer hält eine grosse Spannbreite an Temperaturen aus, ohne dass sich seine dämpfenden Eigenschaften verändern. Erst unterhalb einer Temperatur von Minus 125 Grad Celsius wird das Polymer glasig und verliert seine Dämpfungskapazität.
Nicht zuletzt wäre ein solches Laminat auch nachhaltig und ressourcenschonend: Wenn man Materialien mit «eingebauter» Dämpfung verwendet, braucht es kein zusätzliches Dämpfungsmaterial. Zudem können Glas und Silizium leicht recycelt werden. Beim Einschmelzen würden kleinere Mengen des Polymers zu Glas zerfallen und den Recyclingprozess nicht beeinträchtigen. Caseri hält die Technologie für gut skalierbar. «Wenn ein Hersteller über entsprechende Maschinen verfügt, kann er das Laminat auch in mehrere Quadratmeter grossen Paneelen herstellen.»
* Der Text stammt von den ETH-News; das Original kann auf ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen nachgelesen werden.