Wenn das Gebäude den Energiehaushalt plant
Um die Versorgungssicherheit des künftigen Energiesystems zu gewährleisten, braucht es nebst dem Ausbau erneuerbarer Energien, ausgeklügelte Kontrollmechanismen, die Produktion, Einspeisung und Verbrauch effizient steuern. Ein Team der Empa hat dafür einen vorausschauenden Kontrollalgorithmus entwickelt: Er optimiert das Energiemanagement auf Ebene des Gebäudes, ohne dass er den Komfort der Nutzer einschränkt.

Quelle: Andreas Slotosch, Unsplash
Die Stadt als Energiesystem? Ein an der Empa entwickelter Algorithmus soll es möglich machen. Im Bild: Zürich bei Nacht vom Uetliberg aus (Symbolbild).
Von Christoph Stapfer*
Mit zunehmender Nachfrage nach erneuerbaren Energien steigt auch die Bedeutung von Gebäuden, wenn es darum geht, ein nachhaltiges Energiesystem zu entwerfen. Wo Photovoltaik-Anlagen ihr Potenzial in einem kleinen Rahmen – für ein Einfamilienhaus etwa – längst bewiesen haben, stellen sich immer noch gewisse Fragen, wenn es um die Versorgungssicherheit unseres Gesamtenergiesystemsgeht.
Reichen die Potenziale erneuerbarer Energien wirklich aus, um über das ganze Jahr hinweg genügend Energie zu haben? Oder droht plötzlich wieder eine Energiemangellage wie im Winter vor zwei Jahren? Das primäre Problem ist dabei jedoch nicht die Produktion erneuerbarer Energie, sondern die Logistik in Zusammenhang mit dem Verteilsystem. Dieses war bislang auf Produktionsanlagen ausgerichtet, die permanent eine gewisse Menge Energie ins Stromnetz einspeisen.
Damit sich der Energiebedarf künftig durch erneuerbare Quellen decken lassen kann, braucht es also sowohl einen Ausbau der Produktionsanlagen als auch smarte Technologien, die fortwährend die Netzstabilität gewährleisten. Denn im Gegensatz zu traditionellen Energieträgern wie etwa Kohle oder Uran, produziert eine Solaranlage eben nicht durchgehend die gleiche Menge Strom: Sie unterliegt den Wetterbedingungen und vor allem aber auch dem Tag-Nacht-Rhythmus. Damit muss also einerseits der Energiebedarf dann minimiert werden, wenn die Produktion gering ist – zum Beispiel während der Nacht – andererseits müssen sogenannte Produktionsspitzen lokal verbraucht werden, damit das Stromnetz nicht überladen wird.
Von der Theorie in die Praxis
Um diese komplexe Logistik bewältigen zu können, bieten sich automatisierte Systeme an. Diese können auf der Basis von lokaler Produktion, den vorhandenen Speichermedien und der Verfügbarkeit im Netz den Stromverbrauch dahingehend optimieren, dass sowohl Netzstabilität als auch Flexibilität der Verbraucher stets gewährleistet sind. Konkret heisst das: Durch die vorausschauende Energieplanung stellt das Gebäudesystem sicher, dass ich auch dann heiss duschen oder kochen kann, wenn gerade zu wenig Strom produziert wird, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Gleichzeitig wird überproduzierte Energie nicht zwangsläufig lokal gespeichert, sondern nach Möglichkeit ins Stromnetz eingespeist, so dass die Nachfrage jederzeit gedeckt werden kann.
Um zu demonstrieren, dass solche automatisierten Systeme praxistauglich sind, haben Forscherinnen und Forscher der Abteilung «Urban Energy Systems» der Empa im Nest untersucht, inwiefern ein bewohntes Gebäude verschiedene flexible Nachfragekriterien unter einem Dach vereinen kann. Im Fokus standen dabei die Reduktion der CO2-Emissionen, die Flexibilität der Energienachfrage sowie der Komfort der Bewohner. Mittels eines prädiktiven Kontrollalgorithmus gelang es dem Team, das Energiemanagement innerhalb des Gebäudes mit folgendem Setup zu optimieren: einer Photovoltaik-Anlage zur Stromproduktion, einem Batteriespeicher, einer Wärmepumpe sowie einer bidirektionalen Ladestation für e-Fahrzeuge. Oberstes Ziel war es, die CO2-Emissionen während des Betriebs zu minimieren – und zwar indem Strom vom Netz bevorzugt dann bezogen wurde, wenn er aus erneuerbaren Quellen verfügbar war. Zudem waren Mindesttemperaturen für die Innenräume und den Warmwasserspeicher vorgegeben. Über das Verhalten der Bewohner lernte der Algorithmus in kurzer Zeit, Nutzerflexibilität und Energieaustausch mit dem Stromnetz zu optimieren.

Quelle: Zooey Braun / Empa
Die UMAR-Unit im Nest diente als Versuchsumgebung für die experimentelle Studie.
Gebäude als Akteure
Zunächst konnte das Forschungsteam zeigen, dass sein System den CO2-Ausstoss des Gebäudes um mehr als zehn Prozent senken konnte. Mindestens genauso wichtig war die Erkenntnis, dass das Gebäude in der Lage war, vorausschauend zu kommunizieren, wann es wieviel Strom vom Netz beziehen, respektive in dieses einspeisen kann. Dies ist vor allem dann relevant, wenn zu Spitzenzeiten (zu) viel Strom produziert oder nachgefragt wird. Das Experiment hat somit gezeigt, dass die flexible Verfügbarkeit erneuerbarer Energien nicht a priori ein Problem darstellt. Allerdings sind unter diesen Umständen verlässliche Angaben zur Nachfrage und eine vorausschauende Planung essenziell – zwei Aufgaben, die ein selbstlernender Algorithmus besser und konsistenter bewältigen kann, als es ein Mensch je könnte.
Um die Ergebnisse in entsprechenden Anwendungen skalierbar zu machen, müssen Gebäude daher künftig konsequent digitalisiert werden. Damit die dafür notwendige IT-Infrastruktur aber nicht selbst wieder grosse Mengen an CO2 verursacht, hat sich Empa-Forscher Hanmin Cai bereits in einer anderen Studie mit dem Einsatz wiederverwendeter Hardware, namentlich alter Smartphones, für die Gebäudeautomation auseinandergesetzt.
Bereits heute arbeiten Cai und seine Kollegin Federica Bellizio daran, ihre Technologie im Rahmen des Start-ups «Kuafu» auf den Markt zu bringen. Bellizio wurde erst kürzlich mit dem «Empa Entrepreneur Fellowship» ausgezeichnet, ein Stipendium für Forscherinnen und Forscher, die ihr eigenes Unternehmen gründen wollen. Mit ihrem datengetriebenen System wollen sie eine Brückenfunktion zwischen Netzbetreibern und Energieanbietern einnehmen und so ganz konkret zu Energieoptimierung und Dekarbonisierung im Gebäudebereich sowie in der Elektromobilität beitragen.
*Dieser Artikel erschien zuerst auf www.empa.ch