Wasserschöpfanlage in Steffisburg: Alte Technik neu gedacht
Dieser Tage ging in Steffisburg BE eine neuartige Wasserschöpfanlage in Betrieb: Ein selbstangetriebenes Wasserschöpfrad stellt sicher, dass ein Nebenfluss der Zulg trotz verbessertem Hochwasserschutz auch weiterhin mit Wasser versorgt wird. Es ist bereits das zweite Projekt dieser Art, an dem die Empa beteiligt ist.

Quelle: Empa
Das neuartige Wasserschöpfrad fördert im Vollbetrieb rund 150 Liter Wasser pro Sekunde aus eigener Kraft. Bild: Empa
Für einen besseren Hochwasserschutz im bernischen Steffisburg hat man die Zulg bei der Müllerschwelle um rund zwei Meter abgesenkt. Trotzdem bleibt der Mühlebach weiterhin mit Wasser versorgt. Möglich macht dies eine neuartige Wasserschöpfanlage, die das Wasser nach oben pumpt und es in den Nebenfluss der Zulg leitet. Lediglich von Wasserkraft angetrieben, dreht sich ein über fünf Meter grosses Wasserrad – und bewegt über ein Zahnradgetriebe ein Schöpfrad, das rund 150 Liter Wasser pro Sekunde in eine Sammelrinne schüttet. Vorletztes Wochenende ist die historisch inspirierte Konstruktion offiziell eingeweiht und in Betrieb genommen worden.
Damit der Mühlebach auch weiterhin Wasser führt
Der Mühlebach prägt seit Jahrhunderten das Ortsbild von Steffisburg – zunächst als Energiequelle für Handwerksbetriebe, später diente es Kleinfabriken und heute ist es Teil eines geschützten Erholungsraums. Dafür, dass der Bach auch weiterhin Wasser führt, sorgt die neue Wasserschöpfanlage. Ursprünglich war eine elektrische Schneckenpumpe vorgesehen, doch die zuständigen Ingenieure wollten eine nachhaltigeren Lösung und fanden sie schliesslich in Glattfelden im Zürcher Unterland: Dort versorgt ein Wasserschöpfrad nach historischem Vorbild die Glatt mit Wasserkraft und dient auch als Blickfang im Naherholungsgebiet. Eine ähnliche Lösung erwies sich auch für Steffisburg als ideal – nachhaltig dank erneuerbarer Antriebsenergie und gleichzeitig eine Attraktion für den Industrielehrpfad Mühlebachweg mit der historischen «Saagi» und dem «Fabriggli».
In der Folge kontaktierten die Verantwortlichen Silvain Michel von der Empa-Abteilung Mechanical Systems Engineering, Michel hatte bereits am Wasserschöpfrad im Zürcher Unterland mitgewirkt. Laut dem Ingenieur bestand die technische Herausforderung darin, die Wasserschöpfanlage an die Anforderungen in Steffisburg anzupassen: «Sie muss bei einem minimalen Abfluss der Zulg von einem Kubikmeter pro Sekunde mindestens 125 Liter Wasser in den Mühlebach speisen. Und selbst bei geringeren Zuflüssen müssen noch mindestens 100 Liter pro Sekunde gefördert werden, um die Biotope zu erhalten.» An bestimmten Tagen benötigt der Schaubetrieb der «Saagi am Mühlebach» gar 150 Liter pro Sekunde.
Eine Innovation von Walter Zuppinger aus dem Jahr 1849

Quelle: Emap
Die neuartige Wasserschöpfanlage vor der Inbetriebnahme: Ein separates Antriebsrad (links) treibt über ein Zahnradgetriebe das eigentliche Schöpfrad (rechts) an.
Weil die traditionellen Schöpfräder für die Gegebenheiten von Steffisburg nicht leistungsfähig genug waren, entwickelte Silvain Michel eine moderne Variante eines historischen Konzepts: das Zuppinger-Rad. Diese weitgehend in Vergessenheit geratene Konstruktion vom Schweizer Ingenieur Walter Zuppinger stammt aus dem Jahr 1849. Das sogenannte mittelschlächtige Wasserrad wurde speziell für geringe Gefälle optimiert. Seine hohe Effizienz konntge allerdings erst 2016 in aufwendigen Modellversuchen an der TU Darmstadt wissenschaftlich nachgewiesen und 2018 von der Universität Stuttgart bestätigt werden.
Auch
Erfahrungen aus dem Glattfelden-Projekt fanden ihren Niederschlag im
neuen Konzept. Der entscheidende Unterschied: ein separates Antriebsrad,
das über ein Zahnradgetriebe das Schöpfrad antreibt. «So kann jedes Rad
mit seiner optimalen Drehzahl laufen – eine Voraussetzung für den
maximalen Wirkungsgrad der Anlage», erläutert Michel, der die exakte
Dimensionierung mithilfe selbst entwickelter Berechnungstools ermittelt
hat. Bei der technischen Umsetzung war das Konstruktionsbüro EKZ in Thun
als Partner beteiligt. Die endgültige Form der Anlage wurde mithilfe
dynamischer Strömungssimulationen an der Empa und bei der CFD-Schuck
GmbH optimiert.
Dass das Konzept funktioniert, zeigte sich an der
Inbetriebnahme: Vor den Augen zahlreicher Gäste erreichte die Anlage
die berechnete Leistung von bis zu 6,7 Kilowatt. Sie konnte bis zu 209
Liter Wasser pro Sekunde fördern – mehr als ausreichend für den Betrieb
der historischen «Saagi». (mgt/mai)
Den Originaltext der Empa lesen auf www.empa.ch