Wärmerückgewinnung: Im Abwasser steckt noch viel Energie
Die Abwasser-Wärmerückgewinnung ist eine interessante Energiequelle. Mit der richtigen Planung und Umsetzung kann das Potenzial des Energieträgers sehr gut ausgeschöpft werden. Das zeigen zwei Projekte aus Kriens LU und der Stadt Bern.
Quelle: Michael Staub
Der Hauswart hat gut lachen: Energie aus dem Abwasserkanal heizt und kühlt das Stadthaus Kriens zuverlässig und umweltschonend.
Beim Duschen ist die Abwasserwärmenutzung schon lange ein
Thema. Seit über zehn Jahren gibt es Systeme wie Joulia, die Schlitzrinnen mit
Mini-Wärmetauschern verbinden. So kann das abfliessende Wasser mindestens einen
Teil zur Erwärmung des Warmwassers beitragen. Abgesehen davon gilt beim
Haushaltsabwasser in den meisten Fällen: Aus den Augen – aus dem Sinn.
Damit lässt man einen interessanten Energieträger ungenutzt. Denn laut einem
Positionspapier des Verbandes Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute
(VSA) könnten bis zu zehn Prozent des Schweizer Gebäudeparks ihren Wärmebedarf
aus Abwasser decken (siehe Kasten «Unterschätzter Energieträger»). Besonders
interessant: Weil die Temperatur des Abwassers in der Regel zwischen zehn und
25 Grad liegt, kann es sowohl für die Wärme- wie auch für die Kälteerzeugung
dienen.
Wärme aus dem Kanal
Diese duale Nutzung funktioniert zum Beispiel in der Stadt
Kriens. Das 2017 erbaute Zentrum Pilatus ist einerseits zentraler Bürostandort
für die Stadtverwaltung, andererseits umfasst es auch einen grossen
Veranstaltungssaal, Gewerbeflächen, eine Poststelle und knapp 30 Mietwohnungen.
Geheizt und gekühlt wird das Gebäude im Minergie-P-Standard mit Hilfe eines 81
Meter langen Wärmetauschers, der im Abwasserkanal der angrenzenden
Schachenstrasse installiert ist. Der Kanal transportiert das gesamte Abwasser
vom höher gelegenen Ortsteil Obernau Richtung Kriens und Luzern. Der Durchsatz
beträgt mindestens 20 Liter pro Sekunde, auch nachts. Denn der Krienbach,
welcher im Pilatusgebiet entspringt und via Obernau und Kriens nach Luzern
fliesst, verliert einige hundert Meter oberhalb des Stadthauses sein offenes
Flussbett und wird unterirdisch weitergeführt. Dank der grossen und konstanten
Durchflussmenge im Kanal kann der Wärmetauscher rund um die Uhr effizient
betrieben werden. Über einen Zwischenkreis beliefert er eine reversible
Wärmepumpe von CTA. Diese liefert im Winter bis zu 200 Kilowatt Wärme, im
Sommer hingegen 50 bis 150 Kilowatt Kälte für das Freecooling.
Die Anlage wurde so ausgelegt, dass 85 Prozent des
Wärmebedarfs mit der Wärmepumpe gedeckt werden können. Nur für die restlichen
15 Prozent kommt ein Spitzenlast-Gaskessel mit einer Leistung von 300 Kilowatt
zum Einsatz. «Die Wirtschaftlichkeit überzeugt. Die Wärmepumpenanlage kommt
dank dieser Dimensionierung auf viele Betriebsstunden und funktioniert optimal.
Eine grösser ausgelegte, monovalente Wärmepumpe würde hingegen nur wenige
Stunden im Jahr auf Volllast laufen», sagt Cornel Utz, Bereichsleiter HLK bei
der Amstein + Walthert Luzern AG, welche für die Planung zuständig war. Die
Wärme respektive Kälte wird in der Energiezentrale im Stadthaus in einem
Speicher mit jeweils 4000 Litern Volumen gespeichert. Der Wartungsaufwand ist
überschaubar, wie Cornel Utz berichtet: «Die Wärmepumpe erhält einen jährlichen
Service, damit Öl- und Kältemittelkreislauf sowie die Drücke kontrolliert
werden können.» Auch der Wärmetauscher im Kanal benötigt nur wenig Unterhalt.
«Normalerweise reicht ein Starkregen oder Gewitter, damit Ablagerungen
ausgespült werden», sagt Michael Reinhard, Sales & Project Manager bei der
Herstellerfirma KASAG Swiss AG. Dazu kommt eine jährliche Reinigung mit Hilfe
eines normalen Spülwagens.
Quelle: Michael Staub
Der Backup-Ölkessel läuft nur selten.
Quelle: Michael Staub
Neben den TABS stehen in den Räumen der Stadtverwaltung auch Heiz-/Kühldecken im Einsatz.
Quelle: Michael Staub
Herzstück der Anlage ist eine grosse Wärmepumpe/Kältemaschine in der Technikzentrale.
Zuverlässige Lösung
Die Abgabe der aus dem Abwasser gewonnenen Wärme respektive
Kälte erfolgt in den Büroflächen der Stadt Kriens als Grundlast über TABS in
der Decke sowie ergänzend über Heiz- und Kühldecken. Falls der Bedarf höher
ist, kann zusätzliche Kälte von der Wärmepumpe/Kältemaschine bereitgestellt
werden. Gemäss Roland Fankhauser, Ressortleiter Verwaltungsliegenschaften bei
der Stadt Kriens, sind die Erfahrungen mit dem System sehr positiv: «Wir haben
durchs ganze Jahr hindurch eine konstante, angenehme Raumtemperatur um 23 Grad
Celsius. Nur bei sehr schwülem Wetter, einige wenige Tage pro Jahr, leidet die
Behaglichkeit etwas.» Die städtischen Mitarbeitenden seien mit dem System im
Grossen und Ganzen sehr zufrieden.
Eine gewisse Trägheit gebe es systembedingt bei schnellem
Wetterumschlag: «Unsere Heizung und Kühlung kann nicht auf jeden
Temperatursprung sofort reagieren. Doch unter dem Strich haben wir eine sehr
zuverlässige und effiziente Lösung.» Als Ergänzung zu den Heiz- und Kühldecken
ist in den Büroräumen der Stadt eine mechanische Lüftung installiert. Damit
können die Luftfeuchtigkeit und die CO2-Sättigung der Luft auf einem
vertretbaren Mass gehalten werden. Die Anlage steht mittlerweile im siebten
Betriebsjahr und funktioniert tadellos.
Wertvolles Badewasser
Abwasser mit hohen Temperaturen gibt es nicht nur in der
Siedlungswasserwirtschaft, sondern auch in Hallenbädern. Die kaskadierte
Nutzung des Badewassers gehört deshalb seit längerem zum Standard. Eine der
modernsten Anlagen in der Schweiz ist die 2023 eröffnete Schwimmhalle Neufeld
in der Stadt Bern. Sie bietet den Bernerinnen und Bernern ein überdachtes
50-Meter-Schwimmerbecken. Doch nicht nur die Olympiastrecke und die gelungene
Architektur sorgen für Begeisterung, sondern auch der ökologische Effort. Die
Realisierung erfolgte nach dem Standard Minergie-P-ECO. Dahinter steht
ein ausgefeiltes Energiekonzept. Für die Raum-, Luft- und Badewasserheizung
wird primär die Abwärme der Kälteanlage genutzt. Diese Anlage produziert
Kaltwasser, das zur Luftentfeuchtung benötigt wird. Zudem stellt sie ergänzende
Kühlung bereit, falls PV-Anlagen, Notlicht- oder IT-Anlagen nicht ausreichend
mit Luft gekühlt werden können.
Quelle: Michael Staub
Vor der Schwimmhalle Neufeld weisen nur einige Revisionsöffnungen (Dolendeckel) auf die grossen Sammeltanks für das «abgebadete» Wasser hin.
Quelle: Michael Staub
2023 eröffnet, ist die Schwimmhalle Neufeld das neue Highlight für Berns Wasserratten.
Das Konzept für die Badewasseraufbereitung ist mehrstufig.
Das «abgebadete» Wasser wird zunächst gefiltert. Darauf folgt die Ozonierung
sowie eine Chlorierung. Das benötigte Chlor wird vor Ort mit einer modernen
Salzelektrolyseanlage produziert. Für die Brauchwarmwassererwärmung wird eine
grosse FEKA-Anlage mit einer Spitzenleistung von 330 kW verwendet. Sie nutzt
die im «abgebadeten» Wasser enthaltene Wärme, um das frisch gereinigte
Badewasser wieder auf Temperatur zu bringen. Der Wärmetauscher kann den Bedarf
auch bei maximaler Auslastung der Schwimmhalle decken. «Gerechnet auf die
Fläche der Gebäude sind wir von den Ergebnissen begeistert», sagt Marcel
Schüpbach vom Fachcontrolling technische Anlagen bei Hochbau Stadt Bern (HSB).
Der aktuelle Brauchwarmwasser-Tagesbedarf kann stark schwanken. Er ist unter
anderem von der Anzahl Besucher und deren Duschverhalten abhängig. Und wie in
jeder Badeanstalt beeinflusst das Publikum auch im Neufeld den Aufwand für die
Badewasser-Aufbereitung. Je sauberer die Schwimmerinnen und Schwimmer ins Becken
hüpfen, desto schneller und effizienter kann das Badewasser gereinigt
werden.
«Bade und bschütte»
Dem gereinigten und gefilterten Badewasser wird je nach
Besucherzahl und der nötigen Zahl von Rückspülungen der Sand- und
Aktivkohlefilter auch Frischwasser zugegeben. Denn gemäss TBDV ist für jeden
Badegast eine bestimmte Menge Frischwasser vorgeschrieben. Da es sich beim
Schwimmbad um ein geschlossenes System handelt, entsteht so ein
Wasser-Überschuss, der verworfen wird. In der Schwimmhalle Neufeld wird das
verworfene Wasser neutralisiert und anschliessend für die Bewässerung der
Umgebung und der direkt danebenliegenden Fussballplätze verwendet. Eine clevere
Wassernutzung, die sicherlich auch in anderen Badeanlagen Schule machen
könnte.
Wie die Beispiele aus Kriens und Bern zeigen, kann die
Abwasserwärmenutzung energetisch sehr interessant sein. Angesichts des grossen
Potenzials dieses Energieträgers sind mehr Projekte wünschenswert. Das Abwasser
mag nicht so schick sein wie der «Solarexpress» oder Windparks, doch ist
es schon heute vorhanden und kann darum auch energetisch genutzt werden.
Quelle: Michael Staub
Mittels einer grossen FEKA-Anlage kann die Abwärme zurückgewonnen und für die Brauchwassererwärmung genutzt werden.
Unterschätzter Energieträger
Das Potenzial der Abwasserwärmenutzung ist enorm. Gemäss einer Schätzung des Branchenverbandes VSA könnten aus dieser Quelle bis zu 10 Prozent der Schweizer Gebäude mit Wärme versorgt werden. Die Wärmegewinnung kann wahlweise vor oder nach der Kläranlage erfolgen. Im ersten Fall kommen entweder Anlagen in Abwasserkanälen (z. B. via Sohlenwärmetauscher) oder in speziellen Sammlern (z. B. FEKA) in Frage. Anlagen in ARA bieten den Vorteil, dass das gereinigte Abwasser noch eine relativ hohe Temperatur besitzt, aber auf den Wärmetauschern keinen Biofilm bildet.
Anlagen im Siedlungsbereich liegen dafür näher an den Verbrauchern, was insbesondere für die Brauchwassererwärmung via Abwärme interessant ist. Jedoch braucht es hier in der Regel eine kantonale Konzession für die Nutzung der Abwärme im Kanal sowie eine Bewilligung der jeweiligen ARA. Denn wenn dem Abwasser zu viel Wärme entzogen wird, könnten die biologischen Prozesse und damit die Reinigungsleistung der ARA beeinträchtigt werden. Dieser Bewilligungsprozess sowie die Tatsache, dass man mit einer Abwassernutzung in einem fremden Gewerk eingebunden ist, scheinen manche Bauherrschaften noch abzuschrecken. (ms)
Positionspapier des VSA, «Wärmepotenzial des Abwassers nutzen!». Version vom 28.02.2024. Gratis-Download als PDF unter www.vsa.ch, Suchbegriff «Wärmepotenzial».