Vegane Baumaterialien: Erobern Veganer die Bauwelt?
Gesellschaftliche Themen beeinflussen die Baubranche stark, wie das Thema Nachhaltigkeit zeigt. Im Trend liegt seit einigen Jahren auch der vegane Lebensstil. Im Bauwesen und vor allem im Innenausbau gibt es zaghafte Versuche, auf diesen Zug aufzuspringen. Doch ist das überhaupt eine gute Idee? Und besteht eine Nachfrage? Der Versuch einer Annäherung.
Quelle: zvg
Die mexikanischen Unternehmer Adrián López Velarde (links) und Marte Cázarez mit dem von ihnen entwickelten Kaktusleder Desserto.
Auf den ersten Blick hat das Bauwesen nichts mit tierischen Produkten zu tun. Denn wo soll sich in Glas, Stahl, Beton und Co. Tierisches verbergen?
Tatsächlich enthalten indessen viele Baustoffe zum Beispiel Rindertalg wegen seiner wasserabweisenden Wirkung. In der Zementherstellung kommen teilweise Schlachtabfälle als Sekundärstoffe zum Einsatz. Auch in manchen Farbpigmenten für Wandfarben verstecken sich tierische Stoffe, zum Beispiel bei Rottönen wie Cochenille, Karmin oder Purpur. Ganz zu schweigen von Bienenwachs als Oberflächenbehandlung, Leder oder Fellen in der Einrichtung.
Veganismus in der Hotellerie
Doch interessiert das die Bauherren? 2021 gab es rund 40’000 vegan lebende Menschen in der Schweiz. Natürlich nehmen Veganer allem voran das Essen unter die Lupe, aber die meisten verstehen ihren Lebensstil ganzheitlich, tragen vegane Kleider und verzichten aufs Ledersofa und Fellkissen – sei es aus Gründen der Nachhaltigkeit oder des Tierschutzes.
Natürlich könnte man einwenden, die Gruppe sei verschwindend klein, doch immerhin verdoppelte sich die Anzahl von Veganern innerhalb eines Jahres. Und weil das Thema quasi ein Bereich des übergeordneten und sehr angesagten Themas Nachhaltigkeit ist, sollte man diese kleine, stark wachsende Gruppe nicht vernachlässigen – auch in der Baubranche nicht.
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Das Sonnenberg Health Hotel by Tibits in Schwellbrunn setzt nicht nur auf veganes Essen, sondern auch auf vegane Zimmereinrichtungen und Pflegeprodukte.
Der Trend zum veganen Leben zeigt sich zögerlich, gut sichtbar ist er aber bereits in der Hotellerie. Die Plattform Veggie Hotels listet Häuser auf, die auf eine rein pflanzlich basierte Gastronomie setzen und bei denen sich der vegane Lebensstil teilweise auch bei der Einrichtung und den Pflegeprodukten fortsetzt.
In der Schweiz ist das beispielsweise das Sonnenberg Health Hotel by Tibits in Schwellbrunn. Auf der Plattform wird genau aufgelistet, wie breit der vegane Lebensstil im jeweiligen Haus gefasst ist. Im Beispiel des Sonnenbergs sind auch die Pflegeprodukte und die Zimmereinrichtung komplett vegan. Die Duvets beispielsweise haben keine Daunenfüllung, sondern bestehen aus einer Mischung von Baumwoll- und Bambusfasern.
Apfelreste statt Rinderhaut
Insbesondere bei der veganen Einrichtung hat sich viel getan in den letzten Jahren. Alternativen zu Leder oder Daunenfüllungen für den Bettinhalt spriessen wie Pilze aus dem Boden: vegane Ledervarianten aus Ananasfaser, Kaktussen, Apfelleder, Duvetfüllungen aus recyceltem Plastik sind nur einige Beispiele. Seit 2017 gibt es sogar einen Preis in diesem Bereich: die PETA Vegan Homeware Awards, in denen die Tierschutzorganisation jedes Jahr Innovationen für ein tierfreies Zuhause würdigt.
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Das Möbellabel Gus* Modern baut Möbel mit Bezügen aus Apfelleder. Damit gewann die kanadische Firma den Innovation Award der letztjährigen Vegan Homeware Awards der Tierschutzorganisation PETA.
Im vergangenen Jahr ging einer der Preise an die kanadische Möbelforma Gus* Modern für seine Möbel mit Leder aus Apfelresten. Ein weiterer wurde an die mexikanischen Unternehmer Adrián López Velarde und Marte Cázarez für das Naturleder Desserto verliehen. Dieses besteht aus Fasern von Nopal-Kakteen und wird für Bekleidung, Möbel und die Innenausstattung von Autos eingesetzt. Übrigens ist auch die Autoindustrie auf den Zug des veganen Lebensstils aufgesprungen. So sind bereits zahlreiche Wagen mit veganen Innenräumen auf dem Markt, angeboten von rund einem Dutzend Autoherstellern, darunter Tesla, Volvo, VW oder Fiat.
Veganes Bauen ein Randthema
Doch zurück zur Baubranche: Ist veganes Bauen ein Thema und gibt es Unternehmen, die sich diesbezüglich klar positionieren? Die Recherchearbeit ist harzig und nicht sehr ergiebig. Bei vielen Schweizer Firmen oder Verbänden klingt es ähnlich wie bei Baubioswiss: Veganes Bauen sei ein Randthema, fasst der Geschäftsleiter Jürg Wittwer zusammen und ergänzt: «Es hat noch nicht die Bedeutung wie andere Nachhaltigkeitsthemen, zum Beispiel Baustoffrecycling, bei dem sich derzeit viel bewegt.»
Ähnlich sieht das Thomas Bühler von Haga Baustoffe, ein Unternehmen, das seit 40 Jahren im Bereich baubiologische Stoffe federführend ist. «Seit zirka einem Jahr gibt es eine verschwindend kleine Minderheit von Kunden, die explizit nach veganen Produkten fragt. Es ist eine Teilgruppe einer wachsenden Kundschaft, die sich intensiv mit gesunden, allergiefreien und baubiologischen Baustoffen befasst», führt er aus und merkt kritisch an, dass gerade die Lehmputze und mineralischen Putze von Haga Baustoffe schon immer vegan waren – Grund dafür, dies auch klar zu deklarieren, sieht er aber nicht.
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Mit der neuen Homepage vegane-baustoffe.org bringt Sakret Sachsen Bewegung in die Diskussion um veganes Bauen. Es hat 2021 zwei vegane Putze auf den Markt gebracht.
Veganer Putz als Marketingcoup?
Ganz im Unterschied zum deutschen Unternehmen Sakret Sachsen, das im vergangenen Sommer zwei vegane Baustoffe auf den Markt brachte: Einen veganen Putz für den Innen- und einen für den Aussenbereich. Klaus Hoffmann, Leiter Forschung und Entwicklung bei Sakret Sachsen, betont, technisch unterschieden sich die veganen Putzmörtel nicht von konventionellen Produkten: «Beide veganen Versionen stellen DIN-konforme, bewährte Verfahren dar und können uneingeschränkt verwendet werden.» Einen Unterschied gäbe es indessen bei der Verarbeitung. So reagierten die veganen Zemente etwas schneller als jene mit konventionellen Bindemittel, die oftmals tierische Stoffe enthalten. «Doch ein versierter Handwerker stellt sich zweifelsohne sofort darauf ein», fügt er an.
Aus marketingtechnischer Sicht sind die neuen Produkte, die übrigens auf der ganzen Herstellungslinie von den Inhalten über die Produktion bis hin zur Verpackung vollständig ohne tierische Stoffe auskommen, ein geschickter Coup. Die beiden veganen Putze fanden nach der Lancierung ein breites Echo in der internationalen Fachpresse. Ob die neuen Produkte aber nicht nur medienwirksam, sondern auch tatsächlich einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, sei dahingestellt. Fest steht, dass die Debatte erst am Anfang steht, dass veganes Bauen aber nur ein kleiner Teilaspekt von grösseren – und vielleicht wichtigeren – Themen wie ressourcenschonende Baumaterialien, Recycling oder Baubiologie sind.
Nachgefragt... bei Karsten Schmidt-Hoensdorf
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Innenarchitekt und Hotelspezialist Karsten Schmidt-Hoensdorf, Inhaber von IDA 14.
Der Innenarchitekt Karsten Schmidt-Hoensdorf hat ein breites Portfolio im Bereich Hotels, Health Care und privaten Interieurs. Seit 25 Jahren führt er sein eigenes Zürcher Studio IDA14 und ist auch international als Berater, Fachautor und Dozent tätig.
Herr Schmidt-Hoensdorf, Sie haben mehrfach Artikel publiziert zum Thema veganes Hoteldesign. Sind Sie ein Verfechter des veganen Bauens?
HS: Nein, der Begriff vegan ist für mich eher wie ein Gleichnis, das gut zum Hotelbereich passt, weil es dort eben auch ums Essen geht. Mir geht es eher um Sorgfalt.
Wie meinen Sie das?
Beim Bauen muss man genau hinschauen, ob die Materialien wertig und nachhaltig sind. Es geht um einen sorgfältigen Umgang mit Baustoffen, Verkleidungsmaterialien etc.
Wird Ihrer Meinung nach somit zu wenig auf nachhaltige Produkte geachtet?
Leider stelle ich fest, dass viele Architekten und Innenarchitekten oftmals das anbieten, was die Kunden wollen. Und gerade im Hoteldesign ist das oft immer noch so, dass es zwar gut ausschauen sollte, aber möglichst billig sein. Ein Beispiel: In Hotelzimmern wird oft Leder an allen möglichen Stellen verwendet, weil es als edel gilt; für Schreibtischablagen, an Türgriffen etc. Aber billige Leder zum Beispiel aus China stammen teilweise von Katzen und Hunden, wurden mit problematischen chemischen Produkten behandelt und unter katastrophalen Arbeitsbedingungen hergestellt. Das meine ich mit hinschauen. Als Innenarchitekt sehe ich meine Rolle auch darin, glaubwürdig zu kommunizieren, was gesunde, nachhaltige Materialien sind. Hier besteht noch viel Handlungsbedarf.
Und was wären dann die Alternativen?
In der Schweiz haben wir einfache, gute Materialien und eine hohe handwerkliche Fertigungstradition. Es muss nicht immer Leder sein, und wenn, dann gibt es durchaus Firmen wie De Sede, die nur Häute von artgerecht gehaltenen Rindern verwendet, die für die Fleischproduktion gezüchtet werden.
Aber gerade beim Leder gibt es vegane Varianten, wie schätzen Sie diese ein?
Riechen Sie mal an einem Sofa mit Kaktusleder… Für mich hat ein Material auch eine sinnliche Qualität, in der Haptik, im Geruch und auch in der Verarbeitung. Aber wenn schon Leder, dann muss man wissen, woher es kommt und wie es verarbeitet wurde – das ist genau so wie das beim Fleischkonsum heute auch der Fall ist.
Somit halten Sie also gar nichts von veganen Interieurs?
Von Ideologien halte ich allgemein nicht viel, mir geht es um Sorgfalt. Ich verwende lieber echte, regionale Materialien, arbeite mit Handwerkern vor Ort und setze Leder ein, aber dann will ich wissen, woher es kommt. Wenn man dann Materialien mit tierischen Inhaltsstoffen verwendet, gilt es zu überlegen, ob das notwendig ist und falls ja, woher diese Produkte stammen. Und übrigens: Statt für veganes Bauen plädiere ich mehr für den Upcycling-Gedanken. Einige Schweizer Firmen wie de Sede, Embru oder Horgenglarus reparieren Stühle oder Sofas auch nach 20, 30 Jahren noch und verhelfen den Möbeln so zu unübertroffener Langlebigkeit. Das ist wirklich nachhaltig! (ka)
Serie über neue Baumaterialien
In einer losen Folge stellt das Baublatt innovative Materialien im Bereich Konstruktion, Architektur und Innenausbau vor. Dabei geht es sowohl um traditionelle, in Vergessenheit geratene Werkstoffe, die neu entdeckt und weiterentwickelt werden, als auch um Recycling oder Hightech-Materialien.