Technorama-Park: Bald überspannt eine Stahlbrücke üppiges Grün
Der Park vor dem Winterthurer Technorama wandelt sich zur Experimentierlandschaft. Das Herz der thematisch gegliederten Grünanlage mit Outdoor-Exponaten ist die Wunderbrücke. Sie will den Besuchern die grossen Naturkräfte und die Ingenieurbaukunst näher bringen.
Quelle: Quaint/zvg
Eine imposante Stahlkonstruktion mit Weitblick: Die Wunderbrücke ist das unbestrittene Wahrzeichen des neugestalteten Winterthurer Technorama-Parks.
Sie ist nicht zu übersehen. 130 Meter lang und bis zu 17 Meter hoch ist die imposante Stahlkonstruktion, die in den letzten Monaten parallel zum Swiss Science Center Technorama errichtet wurde. Die Bauteile dafür waren teilweise so gross, dass sie nur über Nacht mit Spezialtransportern nach Winterthur geliefert werden konnten. Die sogenannte Wunderbrücke wird die beiden Teile des neugestalteten Technorama-Parks verbinden, indem sie den querenden Riedbach überspannt.
Doch das kühne Bauwerk mit den beachtlichen Dimensionen ist weit mehr – es ist das Herz der neuen Anlage. «Als Plattform in luftiger Höhe bietet die begehbare Megafachwerkstruktur mit einem Gefälle von fünf Prozent viel Platz für spektakuläre Exponate, lädt aber auch zum Entspannen und Verweilen ein», erläutert Bauingenieur Gianfranco Bronzini.
Der bekannte Bündner Brückenbauer war beim Projekt, das die SIA-Berufsgruppe Ingenieurbau vor gut zehn Jahren angestossen hatte, von Anfang an mit viel Herzblut dabei. «In enger Zusammenarbeit mit dem Technorama haben wir nach Wegen gesucht, Ingenieurbaukunst für die Besucherinnen und Besucher draussen im Grünen erlebbar zu machen», erzählt das Geschäftsleitungsmitglied der Churer Conzett Bronzini Partner AG.
Das Ganze habe dann in einen Masterplan zur Neugestaltung des Technorama-Parks gemündet, den sein Büro gemeinsam mit den Krebs und Herde Landschaftsarchitekten aus Winterthur verfasste. Mit diesem wolle sich das Science Center auch vom Image einer klassischen Schlechtwetterdestination lösen. «Die bestehende Grünanlage um das Science Center mit Ausstellungen und Labors war kein Anziehungspunkt und im Sommer unternutzt», so Bronzini.
Parkpaten gesucht
Bis zur Eröffnung im April 2021 entsteht nun auf einer Fläche von gut zwei Fussballfeldern eine attraktive Parkanlage mit sorgfältig eingebetteten Exponaten, deren unbestrittenes Wahrzeichen die Wunderbrücke ist. Das Büro Krebs und Herde Landschaftsarchitekten zeichnet dabei für das naturnahe Gestaltungskonzept des Technorama-Parks verantwortlich, hat aber auch die planerische Federführung inne.
Landschaftsarchitekt Andreas Haustein koordiniert im einmaligen Projekt mit überregionaler Ausstrahlung als Oberbauleiter auch die anderen Planungspartner: die Brückenbauspezialisten von Conzett Bronzini Partner sowie die Wasser- und Leitungsbauexperten der Winterthurer Hunziker Betatech AG.
16,1 Millionen Franken beträgt das Budget des Ausbauprojekts, zu dem der Zürcher Lotteriefonds sieben Millionen und die Stadt Winterthur 1,1 Millionen beitragen. Die aktuell noch bestehende Finanzierungslücke von gut einer Million Franken schliesst das Technorama derzeit mittels einer breit angelegten Spendenkampagne. Den Laufmeter Brücke gibt es etwa für 1000 Franken, eine Erle für 500 Franken oder einen Quadratmeter Parkfläche für 100 Franken (technoramapark.ch/mit-anpacken).
Aufwendige Erschliessung
Bei Baubeginn im Januar 2019 wurden aber natürlich noch keine Bäume gepflanzt. Im Rahmen der umfassenden Geländevorbereitung mussten unter anderem die bestehenden Gebäude weichen. Zudem wurde der Riedbach, der die Anlage streng rechtwinklig querte, aus seinem Betonbett befreit. Seit letztem Spätsommer schlängelt er sich nun durchs Gelände und führt so selbst in Trockenzeiten genug Wasser, um für Fauna und Flora ein attraktiver Lebensraum zu sein.
Zeitgleich beauftragte die Planerin Hunziker Betatech spezialisierte Unternehmen, eine Vielzahl unterirdischer Strom-, Wasser- und Datenleitungen zu verlegen, um damit über dreissig Grossexponate im Technorama-Park betreiben zu können. Für ein unterarmdickes Kabel war gar eine gesteuerte Spülbohrung drei Meter unter dem revitalisierten Riedbach hindurch notwendig.
Die leistungsstarke Elektroleitung verbindet die neue Photovoltaik-Anlage auf den zwei Lagerhallendächern am Rande des Parks mit dem Technorama-Hauptgebäude. Das 2400 Quadratmeter grosse Solarkraftwerk soll jährlich rund 420'000 Kilowattstunden Strom zum Technorama-Betrieb beisteuern.
Quelle: René Dürr, Atelier für Architekturfotografie, Zürich
Die Errichtung der Wunderbrücke im Winterthurer Technorama-Park wird an manchen Tagen vom Wetter besonders dramatisch inszeniert.
Wo Wassermassen fallen
Im Juli 2019 startete dann der Bau der Wunderbrücke mit den Gründungsarbeiten. Für die beiden lasttragenden Betonsockel der w-förmigen Stahlkonstruktion waren je vier Grossbohrpfähle mit einem Durchmesser von 120 Zentimetern und einer Länge von bis zu 18 Metern zu erstellen.
Für eine Ausführung in Stahl habe man sich aus konstruktiven und wirtschaftlichen Gründen entschieden, sagt Bauingenieur Bronzini. Unbehandeltes Lärchenholz sei für die Treppenstufen und zum Teil für den Plattformboden vorgesehen. «Stahl ermöglicht eine filigrane Ausbildung der Konstruktion, welche aber die hohen Lasten der Exponate problemlos aufnehmen kann», so Bronzini.
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Die Brücke wird vibrieren! Die Besucher merken, dass sich auch eine steif aussehende Stahlkonstruktion durchaus bewegt.
Bauingenieur Gianfranco Bronzini, Geschäftsleitungsmitglied der Conzett Bronzini Partner AG
Bauingenieur Gianfranco Bronzini, Geschäftsleitungsmitglied der Conzett Bronzini Partner AG
Und tatsächlich wird der Wunderbrücke so einiges abverlangt. Beim spektakulären Exponat am Plattformende werden mehrmals täglich 5000 Liter Wasser aus einem Behälter in zehn Metern Höhe auf einen Schlag in ein darunter liegendes spezielles Halfpipe-Becken abgelassen.
Die Wassermasse wird umgelenkt und spritzt zurück zu den staunenden Besuchern. Die plötzliche Entlastung um fünf Tonnen werde schöne Schwingungen auslösen, ist sich Bronzini sicher: «Die Brücke wird vibrieren! Die Besucher merken, dass sich auch eine steif aussehende Stahlkonstruktion durchaus bewegt. Physikalische Zusammenhänge werden so erlebbar.»
Gespeist wird der Wassertsunami über eine Pumpleitung, die zum höchsten Punkt der Plattform führt. Dort teilt sich diese dann: Das Wasser fliesst in zwei seitlich angeordneten offenen Chromstahlrinnen bis zum tiefer gelegenen Plattformende, wo es den Behälter des Exponats Liter um Liter füllt. Sobald dieser voll ist, öffnet er sich mittels eines ausgeklügelten Mechanismus ganz plötzlich – und das Wasser donnert ins Becken. Der Kreislauf kann wieder von vorne beginnen.
Quelle: René Dürr, Atelier für Architekturfotografie, Zürich
Auf die Wunderbrücke führen vier breite unterschiedlich geneigte Treppen und ein Lift.
Physikalischer Thrill
Das Potenzial zum Publikumsliebling hat aber auch die Kragbühne am höchsten Punkt der Wunderbrücke, 17 Meter über dem grosszügigen Parkweiher. Hierher gelangt man entweder über eine der vier breiten, unterschiedlich geneigten Treppen, die durch die räumliche Tragstruktur nach oben führen, oder aber barrierefrei per Lift. Der Aussichtspunkt bietet den Besuchern nicht nur einen tollen Blick über die Baumwipfel der Grünanlage und in die Ferne, sondern auch etwas Nervenkitzel.
«Betreten mehr als zwei Personen die Kragbühne gleichzeitig, gibt sie plötzlich zehn Zentimeter nach und kippt nach vorne», erzählt Bronzini. Um das möglichst unvermittelte Auslösen zu garantieren, werde das Exponat nämlich durch einen Starkmagneten reguliert. «Der magnetische Mechanismus soll aber auch ‹zum Gumpe› verführen», sagt Bronzini, der physikalische Gesetze auf unterhaltsame Weise vermitteln will. «So können nämlich auch bereits zwei Personen das plötzliche Absacken gemeinsam auslösen – dank der dynamischen Vergrösserung ihres Eigengewichts.»
Einiges über die Schwingungsformen lernen können die Besucher auch auf einer kleinen Hängebrücke, die mit Betontritten über den Riedbach führt. Sie macht die erste, zweite und dritte Frequenz erlebbar. Denn mittels einer motorisierten Spannvorrichtung lassen sich bei dieser die Steifigkeit und der Zug verändern.
«Jetzt gibt sie gerade stark nach, mir wird fast schlecht», gesteht Bronzini schmunzelnd auf dem Weg ans andere Bachufer. Zu guter Letzt verbindet auch noch eine breite Parkbrücke die beiden Teile der Technorama-Experimentierlandschaft, die nach dem Konzept der Krebs und Herde Landschaftsarchitekten naturnah gestaltet wird.
Quelle: nightnurse images, Zürich
Der «Science Jungle» im Technorama-Park: Rund um die Wunderbrücke wächst in den nächsten Jahren ein dichter Stangenwald.
Park punktet mit Vielfalt
«Wir wollen eine Art ‹Science Jungle› kreieren, gleichzeitig aber auch individuelle Räume für die rund 30 Exponate schaffen, die thematisch gruppiert sind», erläutert Andreas Haustein. Der 15000 Quadratmeter grosse Technorama-Park gliedert sich denn auch in fünf Themenbereiche. Licht und Wind wird gleich beim Parkeintritt erlebbar, mit Sonnenuhren und Windmaschinen im offenen Gräsersaum.
Ganz im Zeichen des Wassers steht der eng bepflanzte Bereich zwischen Wunderbrücke und grosser Teichanlage. «Aus dem Pflanzenbestand heraus entwickeln wir hier einen dichten Stangenwald», sagt der Landschaftsarchitekt. Schleichwege durch den Dschungel biete das abwechslungsreiche engmaschige Wegenetz. «Hier können sich etwa Schulklassen auf eine spannende Suche nach den Exponaten machen.»
Im Raum um den Riedbach, der mit Stauden und Bäumen bepflanzt wird, sorgen Exponate wie die Flüsterstrecke oder der Klangbrunnen für akustische Aha-Erlebnisse. Bewegung ist hingegen auf und neben der Hängebrücke Programm. Dieser Parkteil, der eine offene Platzfläche mit spielgeräteähnlichen Exponaten erhält, ist von einem Haselsaum mit Flügelnussbäumen und Ahornarten gefasst.
Der Bereich Sinnlichkeit und Haptik auf der gegenüberliegenden Bachseite zeichnet sich weniger durch die darin integrierten Exponate aus, als vielmehr durch seine Aufenthaltsqualitäten. «Die Besucher können hier unter Einzelbäumen in einer offenen Wiesenlandschaft zur Ruhe kommen», sagt Haustein.
Die bestehende Geländemodellierung bleibe in dieser Ecke des Technorama-Parks unverändert erhalten. Abgeschlossen wird die Grünanlage von einer sogenannten Parkkruste mit Sträuchern und Kleingehölzen. Sie soll gemäss dem Landschaftsarchitekten etwas Distanz zur ziemlich unwirtlichen Aussenwelt schaffen, insbesondere zu den vorbeiführenden SBB-Geleisen.
Quelle: Gabriel Diezi
Der Technorama-Park ist thematisch gegliedert: Beim Eintritt erleben Besucher Licht und Wind unter anderem mit Sonnenuhren im offenen Gräsersaum.
Intensiver Austausch
Das ganze Wegenetz erinnert – von der Wunderbrücke betrachtet – an ein Kunststoffnetz, das sich an einigen Stellen unter der Last dehnt. Es erhält einen festen durchgehenden Belag aus Sickerasphalt ohne Randabschlüsse. Schliesslich sollen etwa auch Rollstuhlfahrer, Gehbehinderte oder Blinde im Technorama-Park problem- und gefahrlos von A nach B gelangen. «Wir müssen den barrierefreien Zugang zu allen Exponaten gewährleisten, das ist eine der gesetzlichen Anforderungen», so der Oberbauleiter.
In enger Abstimmung mit dem Technorama gelte es aber auch, Bauschutzbestimmungen zu berücksichtigen sowie Sicherheitsräume und Fluchtwege festzulegen. Das Science Center sei kein klassischer Bauherr, der einfach den Bau eines Parks vergeben habe, betont Haustein: «Als Entwickler und Erbauer der Exponate gestaltet das Technorama seine neue Parkanlage aktiv mit. Entsprechend intensiv ist unser Austausch.» Da sowohl der «Science Jungle» als auch die darin eingebettete Wunderbrücke Prototypen seien, habe es zudem von Anfang an auch zahlreiche Schnittstellen mit den Brückenbauern gegeben.
Der Funke soll springen
Bauingenieur Bronzini betont ebenfalls wie wichtig in diesem interdisziplinären Projekt das enge Zusammenspiel mit dem Bauherrn und den anderen Fachplanern sei. «Es war zu Beginn herausfordernd, ein für den Kontext geeignetes Ingenieurbauwerk zu kreieren.» Man habe zuerst an eine kleine bewegliche Brücke oder einen Turm gedacht – und mit vielen Beteiligten unterschiedlichste Varianten ausgearbeitet.
«Doch irgendwann fanden wir das alles zu kleinlich und entschieden uns, dem Ganzen eine stärkere Präsenz zu geben. Die Idee der ikonenhaften Wunderbrücke war geboren», erzählt Bronzini. Bei deren Platzierung hätten sie dann Rücksicht auf die Umgebung innerhalb und ausserhalb der Grünanlage genommen und diese eingebunden. «Das bestehende Technorama-Gebäude, die Wunderbrücke und der Park sind eigenständige Elemente, die aufeinander abgestimmt sind und als Gesamtanlage wirken», so Bronzini.
Für den Bündner ist der Bau des Brückenprototyps, der noch bis Juni dauert, «ein spannendes Forschungsprojekt, das es in unserer Domäne so sonst nirgends gibt». Brückenbau sei zumeist von Funktionalität geprägt. «Hier dürfen wir für einmal verspielt sein und Begeisterung wecken.» Er sei nun gespannt, ob der Funke im Parkbetrieb auf die Besucher überspringe. «Wenn im Sommer viele Technorama-Besucher fasziniert die Wunderbrücke bevölkern, ist das mein ganz persönlicher Lohn für die jahrelange Arbeit.»
Technorama: Das Schweizer Science Center
Die Geschichte des Technoramas ist eng mit jener der ehemaligen Industriestadt Winterthur verbunden. 1947 wurde am Standort der Konzerne Sulzer und Rieter ein Verein zur Gründung eines technischen Museums der Schweiz ins Leben gerufen. Die Mitglieder trugen denn auch bereits historisch interessante Objekte zusammen, hauptsächlich aus den Beständen der Winterthurer Industrieunternehmen und des Schweizer Maschinenbaus im «Goldenen Dreieck» Winterthur–Zürich–Baden.
1969 wurde eine Stiftung gegründet, deren Zweckbestimmung eine Einrichtung vorsah, die «vorab als Bildungsstätte dient, indem [sie] Wissenschaft und Technik in lebendiger Schau zur Darstellung bringt (…)». Was daraus entstand, war eine museale Ausstellung, die einer breiten Öffentlichkeit den direkten Umgang mit diesen Themen ermöglichen wollte. Doch ab Anfang der 80er-Jahre interessierten sich immer weniger Besucher für die veralteten Anlagen und Maschinen. 1985 drohte dem Technorama gar der Konkurs.
Die Verantwortlichen gaben aber nicht auf. Sie verabschiedeten 1990 ein neues Leitbild, das die Idee hinter den angelsächsischen Science Centern aufgriff. Das Technorama sollte sich sukzessive zu einem interaktiven Wissenschaftsmuseum wandeln. Im Jahr 2000 war dieser Umbau planmässig abgeschlossen. Heute ist das Technorama das erste Science Center der Schweiz und eines der grössten in Europa. Es bietet ein breites Angebot an Ausstellungen, Vorführungen sowie Labors und weckt mit verblüffenden Erfahrungen von Naturphänomenen Interesse, Begeisterung und Verständnis für naturwissenschaftliche und technische Fragestellungen.(gd)
Weitere Informationen:www.technorama.ch