Systembau in der Schweiz: Wohnungsnot und Materialknappheit
Gebäude wie jene der Göhnersiedlungen machen ein Grossteil des Schweizer Baubestands aus: im Systembau erstellte Häuser, von der Villa über die Schule bis zum Industriebau. Die Arbeitsgruppe System & Serie der Icomos Suisse hat dazu eine detailreiche Publikation herausgegeben, in der sie verschiedene Systeme vorstellt und Denkanstösse zu Erhalt und Sanierung solcher Bauten liefert.
Es hatte 1920 in Zürich Seefeld angefangen: Mit 20 Jahren übernahm Ernst Göhner die Schreinerei und Glaserei seines soeben verstorbenen Vaters. Der aus Süddeutschland stammende Schreinermeister hatte verschiedene Wohnhäuser realisiert, und auch sein Sohn begann bald eigene Bauprojekte umzusetzen – mit Erfolg. Das Unternehmen wuchs. So kaufte Ernst Göhner rund zehn Jahre später die Türen- und Fensterfabrik Tufa AG, und stellte sie von Einzelanfertigung auf normierte Serienproduktion um.
Materialmangel wegen Zweitem Weltkrieg
Einen weiteren Schub erhielt das Unternehmen nach dem
Zweiten Weltkrieg, der sich auch auf die Baubranche der weitgehend von den
Zerstörungen verschont gebliebenen Schweiz ausgewirkt hatte. Ursache war etwa
der während des Krieges gravierend rar gewordene Stahl. Derweil mussten in den Nachbarländern die versehrten Städte schnell wieder aufgebaut werden. Neue Ideen
und Technologien waren gefragt. Häuser aus vorfabrizierten Elementen zu
erstellen, war naheliegend.
So hatte etwa der französische Metallbaupionier Jean Prouvé mit der „Maison portique“ bereits während der Kriegsjahre ein Haus entwickelt, das aus einer patentierten Portalrahmenkonstruktion aus Stahlblech besteht und das sich von vier Personen innert weniger Stunden aufstellen lässt; in Frankreich sind 400 davon im Zuge des staatlich organisierten Wiederaufbaus errichtet worden. Anstelle von Stahlblech konnte auch Holz oder Aluminium eingesetzt werden.
Nachdem die Bautätigkeit in der Schweiz während der Kriegsjahre stark zurückgegangen war, herrschte in vielen Gemeinden Wohnungsnot. In diese Zeit fällt auch die Entwicklung des Elementbausystems, das Ernst Göhner zusammen mit dem Architekten Gottfried Schindler konzipiert hatte. Allerdings basiert das konstruktive Grundgerüst des Schindler-Göhner-Systems auf eingekaufter Technik, wie Eva Stricker im von der Icomos Arbeitsgruppe „System und Serie“ herausgegebenen Band „Systembau in der Schweiz – Geschichte und Erhaltung“ festhält. Und zwar auf dem vom ehemaligen Citroën-Ingenieur Raymond Camus französischen Beton-Grosstafelbausystem, es war wie viele damalige Bausysteme für den staatlich finanzierten sozialen Massenwohnungsbau entwickelt worden.
„Göhner“ Wohnen im Kanton Zürich
Für das Schindler-Göhner-System wurde Camus' Entwicklung für hiesige Verhältnisse und Qualitätsanforderungen optimiert. So hatten Göhner-Plattenbauten ein konventionell erstelltes Untergeschoss. Zudem liessen sie sich auf die Häuser abgestimmten Produkten von Partner- und Tochterfirmen ausbauen, zum Beispiel mit passenden Parkettplatten oder Spannteppichen. Auf diese Weise konnte Göhner vom Rohbau bis zum Innenausbau alles aus einer Hand bieten.
In den Nachkriegsjahren war der Wohnungsbau zu einem Treiber
des wirtschaftlichen Aufschwungs avanciert. Damit boomten auch die Göhnerbauten.
So sind zwischen 1966 und 1975 in der Schweiz rund 9000 Wohnungen im
Göhnersystem erstellt worden, ist in der Icomos-Publikation zu erfahren. Im
Kanton Zürich betraf dies etwa jede zehnte Neubauwohnung.
Allerdings ist das System Göhners in der Schweiz nur eines von vielen, eine vorherrschende spezifische Systembauweise gibt es nicht. Im Band werden weitere siebzehn Systeme in detaillierten Porträts vorgestellt und ausführlich mit unterschiedlichsten Bauprojekten illustriert, vom Einfamilienhaus über die Wohnüberbauung bis hin zum Stellwerk oder zur Kirche. Interviews mit Fachleuten, in denen die Herausforderungen der Statik und Bauphysik beleuchtet werden, drei Essays zu Architekturgeschichte, Soziologie und architektonischen Aspekten sowie ein Verzeichnis der Systembauten in der Schweiz runden das Buch ab.
Herausforderungen und Potenzial
Die grosse Anzahl der Systembauten wirft die Frage auf, wie und auch ob sie erhalten werden sollen. Eine zusätzliche Dämmung etwa sei – angesichts der zweischaligen Konstruktion der Fassaden – kein leichtes Unterfangen, schreibt Eva Stricker über die Göhnerbauten. Als Beispiel führt sie die zwischen 1970 und 1972 errichtete Langrüt-Überbauung in Zürich-Albisrieden an: Eines der Häuser wurde isoliert, indem man es mit Faserzementplatten einhüllte. Vom ursprünglichen Erscheinungsbild ist nicht mehr viel geblieben. Bei den übrigen Gebäuden hat man die Fassadenelemente aussen mit einer CO2- und wasserabweisenden Beschichtung versehen. – Gewandelt haben sich auch die Anforderungen an die Erdbebensicherheit. Am Institut für Baustatik der ETH hat man die Langrüt-Überbauung untersucht: Es zeigte sich, dass die Längsfassaden ab etwa zehn Geschossen verstärkt werden müssten.
Gleichzeitig haben Siedlungen wie Langrüt Potenzial: „Göhners
Gewinnstreben und die Monokultur vorstädtischer Bilderbuchfamilien erhitzten
zwar zur Bauzeit die Gemüter“, resümiert Stricker. „Aus heutiger Perspektive
verdanken wir ihnen aber doch die fünfzigjährigen Wohnungen, deren Grundrisse sich
teils verblüffend wenig von jüngsten Planungen unterscheiden.“
Systembau in der Schweiz – Geschichte und Erhaltung; Herausgeber: ICOMOS Suisse Arbeitsgruppe System & Serie; Verlag gta; 208 Seite; ISBN 978-3-85676-428-9; ca. 54 Franken 90
Internettipp: Website zum Buch mit Porträts von Bausystemen www.system-serie.ch
Werbefilm der Ernst Göhner AG zum Elementbau um 1966