«Striatus»-Brücke an Biennale: Material sparen mit 3D-Betondruck
Die temporäre Treppenskulptur «Striatus» war auf der Biennale in Venedig ein Blickfang. Die Einzelteile des Massivbaus wurden mit 3D-Betondruck materialreduziert produziert. Als optimierte Version wird sie dieses Jahr in Frankreich mit dem gleichen Verfahren gebaut.
Quelle: Naaro
Auf der Unterseite der 3,50 Meter hohen Treppenskulptur waren die Spuren des Betondrucks noch gut erkennbar.
Im Giardino della Marinaressa, einem
südlich des Arsenals gelegenen Aussengelände der Architekturbiennale von
Venedig war die 16 mal 12 Meter grosse Treppenskulptur der raumgreifende
Blickfang. Unverkennbar zeigten deren expressiv fliessende Formen die Handschrift
ihres kreativen Ursprungs – nämlich des weltbekannten Londoner Büros Zaha Hadid
Architects (ZHA).
«Striatus» hatten die Schöpfer Shajay Bhooshan von ZHA,
Associate Director bei Zaha Hadid Architects in London und Philipp Block von
der ETH Zürich das Werk getauft. Sie wollten mit dem Namen auf die strukturelle
Logik des Herstellungsprozesses anspielen, einem 3D-Druck, der aus zahllosen,
weitgehend parallel zueinander angeordneten dünnen Betonlagen besteht.
Aber das Gebäude wollte weit mehr sein als ein dekoratives Kunstwerk. Sobald man unter das insgesamt 3,50 Meter hohe Gebilde trat, offenbarte sich die Bauweise in Form von gedrucktem Beton. Tatsächlich wurde eine Reihe von gedruckten Objekten vorgestellt. Zu nennen sind etwa das White-Tower Projekt im bündnerischen Mulegns oder das Wohnhaus im deutschen Beckum. Auch der Umstand, dass es sich zumindest oberirdisch um einen bewehrungsfreien Massivbau handelt, erscheint angesichts des Betondruckverfahrens als vorteilhaft, aber wenig spektakulär.
Quelle: Tom van Mele
Der Aufbau des 24,5 Tonnen schweren Objekts liess sich in lediglich 35 Tagen bewerkstelligen.
30 Prozent weniger Beton
Revolutionär wird es jedoch beim Wissen um die Logik, wie gedruckt wurde und wie die einzelnen Druckebenen angelegt waren. Denn die insgesamt 53 Betonblöcke bestanden mitnichten aus einer Struktur horizontaler, aufeinander abgelegter Schichten. Vielmehr waren diese mithilfe eines Sechsachsen-Roboterarms grundsätzlich senkrecht zur Richtung der final im Bauwerk verlaufenden Druckkräfte angelegt worden. Damit konnte der Betonbedarf im Vergleich zur konventionellen Konstruktionsweise um rund 30 Prozent reduziert werden.
Durch den Betonauftrag in spezifischen Winkeln und die
senkrechte Anordnung zu den auftretenden Druckkräften wird erreicht, dass sich
die‘ zwischen vier und 14 Millimeter starken Schichten gegenseitig
stabilisieren. Die vorausgehende, grundlegende Erkenntnis ist, dass in
konventionellen Betonkonstruktionen eine lineare Geometrie den kurvenförmigen
Verlauf einer Belastung aufnimmt, wodurch jedoch immer statisch ineffiziente
Füllbereiche entstehen.
Prinzip der Umkehrung bei Hängemodell
Der statische Aufbau von «Striatus» ist auf eine Weise ausgelegt, dass im gesamten sichtbaren Bauwerk nur Druckkräfte auftreten, die schräg nach aussen wirkend in die drei Fundamente der Brückenköpfe eingeleitet werden. Lediglich diese Fusspunkte sind im Erdreich mit Zugseilen gegeneinander verspannt, sodass diese durch die einwirkenden Gewichtskräfte nicht auseinanderdriften können. Tatsächlich betrug die hier verbaute Stahlmenge nur zehn Prozent des Armierungseisenbedarfs einer vergleichbaren Konstruktion nach konventionellem Verfahren.
Quelle: Alessandro Dell' Endice
Die Verwendung recycelten Baustoffs erbrachte eine Gewichtsersparnis. 200 bis 800 Kilogramm wogen die Blöcke.
Basis des statischen Wissens für diese Konstruktion ist das so genannte Hängemodell, welches auf das Prinzip der Umkehrung von Druck- und Zugkräften ausgerichtet ist. Demnach ist bei einem Steinbogen und einem Seil der Kraftverlauf identisch – jedoch bei entgegengesetzten Kraftrichtungen. Um die Geometrie eines Gewölbes zu ermitteln, kann man ein Seilmodell erstellen. Die von oben auf ein Gewölbe einwirkenden Masselasten, wie etwa Turmaufbauten, werden im Modell durch zusätzliche, daran hängende Gewichte ersetzt. Die so entstehende Seilkurve entspricht dabei dem Grad der erforderlichen Gewölbekrümmung.
Das Prinzip der so genannten Kettenlinie, auch Katenoide genannt, war schon in antiker Zeit bekannt. Die Römer entwickelten mit dieser Methode beispielsweise ihre Viadukte und Steinbrücken. Noch in der Renaissance und in der Barockzeit finden sich Zeichnungen, welche die Kenntnis dieses Prinzips belegen. Danach ging jedoch dieses Wissen fast verloren, bis Antoni Gaudí im Rahmen seines Entwurfs für die Sagrada Família 1908 das Prinzip wiederentdeckte.
Präzise zusammengesteckt
Auch bei der Ausführung bediente man sich bewährter Techniken. Ähnlich wie bei den Eisenbahnviadukten der Rhätischen Bahn wurde ein hölzernes Lehrgerüst gestellt. Auf diesem wurden dann die computergedruckten Betonfertigteile abgelegt, die sich erst mit dem Einfügen des mittleren Schlusssteines und dem Absenken des Gerüstes zu einem sich selbst tragenden System stabilisierten.
Die optimierte Drucktechnik erbrachte verbesserte statische Eigenschaften, was wiederum gestattete, dass ein Recyclingbeton für den Druck verwendet werden konnte. Der Zementhersteller Holcim entwickelte unter Optimierung des Elastizitätsmoduls eigens für dieses Projekt die Betonmischung, die im Vergleich zu «normalem» Material weniger CO2-Emissionen verursacht. Die Verwendung des recycelten Baustoffs erbrachte aber auch eine nicht unbedeutende Gewichtsersparnis, da alle 53 Betonblöcke nur zwischen 200 und 800 Kilogramm wogen. Somit konnte der Aufbau der insgesamt 24,5 Tonnen schweren Treppenskulptur im Rahmen einer Kleinbaustelle erfolgen. Dies geschah mit nur fünf Monteuren sowie einem Spinnenkran. Der Aufbau samt vorbereitender Tiefbauarbeiten liess sich in lediglich 35 Tagen bewerkstelligen.
58 Kilometer Druckweg
Da die einzelnen Blöcke nicht miteinander verbunden waren, wurde eine Neoprenlage lose in diese Bauteilstösse gelegt, die jedoch keine Trennschicht bildete. Vielmehr diente das Neopren der gleichmässigen Lastverteilung auftretender Druckkräfte über die gesamten Stossflächen hinweg. In früheren Zeiten wurden diese Details mit weicheren Mörtelarten oder mit Bleiplatten ausgeführt.
Die dünnen Neoprenkissen kompensieren aber nur geringfügige Oberflächenunebenheiten, weshalb die einzelnen Bausteine so präzise wie möglich auszudrucken waren. Erreicht wurde dies innerhalb von in 84 Stunden mit dem 6-DOF-Roboter. Der gesamte Druckweg betrug dabei 58 Kilometer, der sich auf 7883 Druckebenen verteilte. Hervorzuheben bei diesen «Layern» ist, dass deren Stärke nicht durchgehend linear sein musste, sondern entsprechend ihrer individuellen statischen Anforderungen variierten.
Quelle: In3d
Die Schichten der 53 Betonblöcke waren senkrecht zur Richtung der Druckkräfte angelegt.
Eine sich selbst fixierende Bauweise kam auch für die Montage der seitlichen Brüstungen zur Anwendung. Um Horizontalkräfte aufzufangen, wie sie etwa Personen verursachen, die sich dagegen lehnen, wurde das Bogenprinzip mit dem fixierenden Schlussstein auch in der Horizontalen angewandt. Dem Grundriss ist zudem zu entnehmen, dass die Brückenabschnitte zwischen den drei Treppenaufgängen Bogenabschnitte waren. Wie in der Vertikalen werden dabei die nunmehr horizontalen Druckkräfte zur Seite geleitet und schliesslich in die Fundamente der drei Brückenköpfe eingeführt.
Interdisziplinäres Team
Betreut wurde das Projekt «Striatus» von Shajay Bhooshan, der an der ETH Zürich studierte und auf dem Forschungsgebiet «Computergestützte Formfindungsmethoden und Optimierung von Tragwerken» bei Block promovierte. Auf dessen Initiative ergab sich die Möglichkeit, mit dem Projekt anlässlich der Biennale ein Ergebnis der aktuellen Forschung zu präsentieren.
Vom Entwurf bis zur Statik wurde das Projekt ganzheitlich von vielen Partnern gemeinsam entwickelt. Gearbeitet wurde dazu im Forschungsverbund «Incremental3D», der rund um das Thema 3D-Betondruck entstanden ist, sowie mit der Computer-Plattform «Compas». Auf diese Weise konnten verschiedene Teams parallel an Optimierungen von Design, Statik, Robotersteuerung und Werkstofftechnik arbeiten und die Ergebnisse miteinander abgleichen.
Quelle: Naaro
Schliesslich wurden die Bauteile zerlegt und gemahlen. Mit dem Material wird in Frankreich eine Brücke gebaut, die dauerhaft genutzt werden kann.
Recycling und Zukunft
Die Treppenskulptur «Striatus» fand bei der Biennale grossen Anklang und führte zu einem erheblichen Besucheranstieg im Giardino della Marinaressa, einem 40 mal 30 Meter grossen Garten an der Uferpromenade des Canale Grande. Obwohl man sich in Venedig einen dauerhaften Verbleib des Objekts hätte vorstellen können, war es für Block der temporäre Charakter der Installation sehr bedeutsam. . Das Vergängliche, verbunden mit einem schonenden Recycling der Bauteile, gehörte für ihn zwingend zum Gesamtkonzept dieses Kunstobjektes.
So wurde die Treppenskulptur nach Beendigung der grossen Kunstschau zerlegt und die 53 Betonbauteile anschliessend klein gemahlen. Vorgesehen ist, die Brücke das nächste Mal Bauwerk dauerhaft zu errichten. Konkrete Vereinbarungen und eine entsprechende Planung bestehen bereits. Gebaut werden soll die Treppenskulptur dem Vernehmen nach im Verlaufe dieses Jahres in Frankreich. Die Wiederverwendung bedingt auch einige Optimierungen wie die Lauffläche, die in der ursprünglichen Version bei der Biennale noch auch Holz bestand.