Sozial verträgliche Sanierung in Thun: Mit grossem Sprung in die Gegenwart
Die Bau- und Wohngenossenschaft Nünenen hat in Thun eine ältere Wohnsiedlung aus den 1970er-Jahren umfassend saniert. Mit grossen Photovoltaikanlagen, leistungsfähigen Grundwasser-Wärmepumpen und einem Areal-ZEV ist diese nun fit für die Zukunft.
Quelle: Peter Hanimann
Allein die Anlage auf den Häusern 103 und 105 bringt eine Leistung von über 60 kWp. Die PV-Leistung aller sanierten Gebäude (ohne Neubau) beläuft sich auf 330 kWp.
Die Sanierung von älteren Siedlungen ist für viele Bauträger eine ungeliebte Strafaufgabe. Bei einem Ersatzneubau hingegen scheinen alle Nachteile wegzufallen: Die Wohnungen können grosszügiger gestaltet und die aktuellen Komfortstandards erfüllt werden. Doch den Preis für die umfangreiche Aufwertung bezahlt meistens die vorherige Mieterschaft: Sie kann sich die schicken neuen Wohnungen nicht mehr leisten und wird günstigere Lagen, aufs Land oder gar ins Altersheim gezwungen.
Einen anderen Weg geht die Bau- und Wohngenossenschaft Nünenen in Thun (BWG Nünenen). Man achte bewusst darauf, dass die Mieten bezahlbar blieben und niemand aus seiner Wohnung «heraussaniert» werde, sagt Ruth Guldimann, Präsidentin der BWG Nünenen. So etwa bei der Siedlung Pestalozzistrasse aus den 1970er Jahren. Mit einem aufwendigen Sanierungsprojekt wurden fünf Bestandesbauten in die energetische Gegenwart geholt. «Wir heizen mit Grundwasser-Wärmepumpen anstelle der alten Gas-/Ölheizung, haben auf allen Dachflächen Photovoltaikmodule installiert und zudem 50 Garagenplätze für Elektrofahrzeug-Ladestationen vorbereitet», sagt Ruth Guldimann.
Aufwendige Vorbereitungen
Am Anfang des Projektes stand die Suche nach einer neuen Heizungslösung. Gleichzeitig mit der Siedlung der BWG Nünenen baute die Wohnbaugenossenschaft Schönau Ende der 1960er Jahre ihre Siedlung auf der anderen Strassenseite. Dort befand sich auch eine grosse Zweistoffanlage (Öl/Gas), welche die Siedlung der BWG Nünenen über Fernleitungen mit Wärme versorgte. «Die WBG Schönau entschied sich, die gemeinsame Heizung rückzubauen und auf die KVA-Fernwärme von Energie Thun umzusteigen. Deshalb brauchten auch wir eine neue Lösung», berichtet Ruth Guldimann. Die Vorteile und Kosten verschiedener Varianten wurden detailliert untersucht.
Dabei zeigte sich, dass eine eigene Heizung mit Holzschnitzeln oder Pellets mangels Kaminanlage und Platz für das Brennstofflager nicht realistisch war. Doch auch die KVA-Fernwärmelösung schnitt schlechter ab, als zunächst gedacht: «Die Siedlung ist relativ gut gedämmt. Trotzdem hätte man unter dem Strich fast gleichviel Wärmeenergie benötigt wie bisher. Denn beim Transport über Fernleitungen entstehen hohe Verluste. Wegen dieser hohen Leitungsverluste suchten wir eine dezentrale Heizungslösung», sagt Energieingenieur Peter Hanimann. Er erstellte für die BWG Nünenen eine Vorstudie, erarbeitete das Sanierungsprojekt und begleitete dessen Umsetzung von A bis Z.
Quelle: Michael Staub
Dank der konsequenten Nutzung der Dachflächen für PV-Kraftwerke reicht der Strom nicht nur für Heizung und Warmwasser, sondern auch für das Laden von Elektrofahrzeugen.
Grundwasser marsch
Die Lösung lag schliesslich im Boden: Aufgrund der günstigen geologischen Situation kann an der Pestalozzistrasse das Grundwasser als Energieträger genutzt werden. Bei der detaillierten Variantenstudie zeichnete sich zudem ab, dass diese Lösung auch finanziell überzeugte. An der Genossenschafterversammlung 2019 wurde ein Baukredit von CHF 3 Millionen bewilligt, und das Projekt konnte angepackt werden. Zuerst wurde je ein Brunnen für die Entnahme und Rückgabe des Grundwassers erstellt. Eine einzige Versorgungsleitung führt das gefasste Grundwasser durch das Areal zu den Heizungsräumen der einzelnen Gebäude und anschliessend zum Rückgabebrunnen. Dank eines innovativen Konzepts mit zwei Wärmepumpen pro Gebäude (siehe Infobox) ist die Heizungslösung sehr effizient. Der Jahresarbeitszahl der Wärmepumpen beträgt nahezu 5. Das heisst, pro Kilowatt eingesetzten Strom werden knapp fünf Kilowatt Wärme erzeugt.
Mit der Nutzung des Grundwassers und grossflächigen PV-Anlagen auf allen Dachflächen schien das Konzept zunächst fertig. Im Prinzip hätte nun jedes Gebäude einzeln als Zusammenschluss zum Eigenverbrauch (ZEV) angemeldet werden können. Die Zuleitungen für die Ladestationen von den Gebäuden zur Einstellhalle waren vorsorglich bereits verlegt worden. «Dann entstand im Vorstand der BWG Nünenen jedoch die Idee eines Areal-ZEV. Der Vorteil war klar: Bei einem solchen grossflächigen Zusammenschluss kann der PV-Strom aller PV-Anlagen für den Haushaltsstromverbrauch und die Ladestationen genutzt werden, ohne ihn via EW-Netz wieder beziehen zu müssen», berichtet Peter Hanimann.
Quelle: Michael Staub
Alles im Griff: Peter Hanimann (Planer), Ruth Guldimann (Präsidentin BWG Nünenen) und Peter Bürki (Hauswart BWG Nünenen).
Vorteilhafter Areal-ZEV
Mitten in der Bauphase verfügte die BWG Nünenen einen Marschhalt und liess diese Situation abklären. Eine neue Elektroversorgung wurde berechnet. «Neu gibt es nur noch eine einzige öffentliche Stromzuleitung auf das Siedlungsareal», erläutert Hanimann. Andererseits mussten die Gebäude untereinander auf Kosten der Bauherrschaft vernetzt werden. Die Arbeiten waren aufwendig, doch laut Ruth Guldimann hat sich der Aufwand gelohnt: «Nun können wir unseren eigenen PV-Strom in der Genossenschaft bestmöglich selber verwenden und haben so einen grossen wirtschaftlichen Nutzen. Der Mieter profitiert vom eigenen Strom durch einen günstigeren Strompreis gegenüber dem EW-Bezug. zudem sind wir auch ökologisch bestens aufgestellt.» Ein erster Mieter hat bereits die Ladestation für sein Elektrofahrzeug montieren lassen. Bei 49 weiteren Garagenplätzen sind die Grundplatten für die Stationen montiert. Innert Tagen können dort weitere Stationen in Betrieb genommen werden. Weitere 104 Garagenplätze verfügen bereits über die Stromzuleitung und können bei Bedarf rasch nachgerüstet werden.
Ein Energiemanagement steuert in den Gebäuden die grossen Verbraucher wie etwa Waschmaschinen, Wäschetrockner oder Schmutzwasserpumpen, damit die Lastspitzen und der Eigenverbrauch optimiert werden. Zwischen diesem Areal-Energiemanagement und den Ladestationen wurde ein dynamisches Lastmanagement eingebaut. Derzeit sammelt man Daten und Erfahrungen, auf der Areal-Hauptverteilung ist für alle Fälle bereits der Anschluss für einen Batteriespeicher vorbereitet. Für die Mieterschaft werden die wichtigsten Daten (aktuelle PV-Produktion, aktueller Stromverbrauch) mit einem Monitor visualisiert, der jeweils im Hauseingang montiert ist. Mit einem Energiemonitoring für Wärme, Strom und Wasserverbrauch kann zudem das Hauswart-Team den Betrieb der Gebäudetechnik kontrollieren und optimieren. Ein arealinternes Netzwerk bietet den Hauswarten und Anlagelieferanten einen komfortablen Fernzugriff. Ebenso werden alle Störungsmeldungen automatisch an die Hauswarte übermittelt.
Quelle: Michael Staub
Blick in eine Energiezentrale mit Plattenwärmetauscher, Brauchwasser-Wärmepumpe und Warmwasserspeicher (von links). Nicht im Bild ist die Grundwasser-Wärmepumpe für die Raumwärme.
Quelle: Michael Staub
Die erste Ladestation in der Einstellhalle ist bereits montiert, 49 weitere können im Handumdrehen nachgerüstet werden.
Ökologisch und fair
Wie das Beispiel der Siedlung Pestalozzistrasse zeigt, steckt im Bestand ein grosses energetisches Potenzial. Trotz der anspruchsvollen Lösung für Stromproduktion, Wärmeversorgung und E-Mobilität müssen die Mietparteien nicht die Zeche bezahlen. «Wir konnten das gesamte Projekt mit einem Kredit von 3 Millionen Franken realisieren. Für unsere Bewohnenden ergab sich daraus kein Nachteil, denn die Mietzinse mussten nicht erhöht werden», sagt Ruth Guldimann. Das Projekt Pestalozzistrasse ist also nicht nur ein mustergültiges Beispiel für die Sektorkopplung sondern zeigt auch, wie die Energiewende sozial verträglich gestaltet werden kann.
Interessante Heizungslösung
Zu zweit geht es einfacher als alleine. Diesem Prinzip folgt auch das Heizsystem der BWG Nünenen, das für die Siedlung Pestalozzistrasse jeweils zwei Wärmepumpen pro Gebäude nutzt . Zunächst wird die Energie mit einem Plattenwärmetauscher von der Grundwasserleitung auf einen Zwischenkreis übertragen. «Mit diesem Kreis speisen wir in jedem Gebäude die Haupt-Grundwasser-Wärmepumpe», erläutert Peter Hanimann. Diese Maschine erzeugt die Raumwärme für die Heizung und liefert auch einen grossen Teil der notwendigen Wärme für das Warmwasser. Sie bringt das Grundwasser auf eine Temperatur von 24-42 Grad Celsius (Sommerbetrieb) respektive 30-50 Grad Celsius (Winterbetrieb) und lädt es in den unteren Teil einen grossen Kombispeichers. Dieses vorerwärmte Wasser wird nun von einer zweiten, wesentlich kleineren Warmwasser-Wärmepumpe genutzt. Sie macht einen Temperaturhub auf 60 Grad Celsius, wozu nur noch wenig Strom benötigt wird. Dank einer ausgeklügelten Vernetzung melden alle Grundwasser-Wärmepumpen, wie viel Leistung sie gerade liefern müssen. Mit dieser Information werden die drei Pumpen im Grundwasser-Entnahmebrunnen geregelt. Auf Volllast laufen sie damit nur, wenn tatsächlich die maximale Heizleistung benötigt wird. (ms)
Quelle: W2H Architekten AG
Ansicht West.
Sanierung und Neubau
Die Bau- und Wohngenossenschaft Nünenen (BWG Nünenen) besteht seit 1948 und bietet in ihren drei Siedlungen insgesamt 199 Wohnungen an. Die Siedlung Pestalozzistrasse entstand ab 1967. und umfasst fünf Wohnhäuser mit insgesamt 142 Wohnungen. Dazu gehörte auch ein eingeschossiger Gewerbebau in zunehmend schlechtem baulichem Zustand. Aus dem Gedanken, die bestehenden, günstigen Wohnungen zu bewahren, aber die bestehende Parzelle besser zu nutzen, entstand die Idee für einen Neubau. Das bestehende Gebäude wurde 2022 rückgebaut. Ersetzt wird er mit dem Projekt «für d'Lise» aus der Feder von W2H Architekten (Bern). So können insgesamt 27 zusätzliche Wohnungen mit einem modernen Ausbaustandard geschaffen werden.
Das Gebäude besteht aus einem achtgeschossigen Teil an der Pestalozzistrasse, das den neuen Zugang zur Siedlung markiert. Daran schliesst sich ein zweigeschossiger Trakt an. Neben den Wohnungen sollen im Gebäude auch ein Bistro, drei Joker-Zimmer (kurzfristig buchbare Räume für Besucherinnen und Besucher oder Feriengäste) sowie ein Gemeinschaftsraum Platz finden. Umgesetzt wird der Bau mit einem Betonkern, betonierten Geschossdecken sowie einer Holzelementfassade, die mit Welleternit verkleidet wird. Balkone und Laubengänge werden als Stahl-/Betonkonstruktion vorgehängt. Der Bezug ist für 2025 vorgesehen. (ms)
Quelle: W2H Architekten AG
Ansicht Süd und Nord.