Schwammstadt: Regenwasser als Ressource
Im Zuge der Erderwärmung verändert sich das Klima, dies ist inzwischen auch deutlich in der Schweiz spürbar. Besonders starke Regenfälle häufen sich in den letzten Jahrzehnten; die Zerstörungskraft von Wasser verursacht inzwischen die höchsten Schadenssummen. Neue Strategien sind gefragt um Siedlungsräume den neuen Bedingungen anzupassen.
Die Relevanz der Klimatagung «Wie die Stadt zum Schwamm wird» war offensichtlich: Die Veranstaltung im Frühjahr, organisiert von kantonaler Seite, war bereits Wochen zuvor ausverkauft. Rund 260 Teilnehmende aus der Immobilienwirtschaft, aus Planungs-, Beratungs- oder Architekturbüros, sowie der Verwaltung und der Wissenschaft wollten erfahren, wie sehr Städtebau in den letzten Jahren klimafreundlicher wurde und sich weiterentwickeln kann. Denn die Siedlungsgebiete des Kantons Zürich werden sich in Zukunft noch mehr verdichten. Bis 485 000 neue Einwohner werden sich im wirtschaftlich stärksten Kanton der Schweiz bis im Jahre 2050 niederlassen. Trotz allem sollen die neuen Zentren grün, kühl und lebenswert sein.
Durch die Prinzipien der Schwammstadt soll das bisherige Wassermanagement von Schweizer Städten revolutioniert werden. Dieses landschafts- und städtebauliche Konzept sieht vor, Meteorwasser nicht wie bisher als Abwasser in die Kanalisation zu leiten, sondern im Erdreich zu speichern. Auf Freiflächen, unter Strassen sowie auch auf den Dächern von Gebäuden und integrierten Wasserreservoirs soll es langsam verdunsten und versickern können. Dadurch verringert sich die Belastung der Kanalisationsinfrastruktur.Gleichzeitig sinkt durch Verdunstungskälte die Temperatur in den Städten. Ein wesentlicher Schritt, um dieses Konzept in den Städten der Schweiz zu verankern, liegt darin, versiegelte Oberflächen der heutigen Städte so weit wie möglich rückzubauen und zu begrünen. Bettina Walch von der Kommunikationsagentur Plan Biodivers, die als Moderatorin durch die Tagung führte, engagiert sich sehr für die Verbreitung und Wissenvermittlung dieser Städtebauidee, ist sie doch als Teil der Gruppe «Die Asphaltknackerinnen» bereits in Zürich tätig und hat so manchen asphaltierten Parkplatz rückgebaut.
Rund um die Schwammstadt
Die vormittäglichen Projektpitches kreisten das Thema «Schwammstadt» und seine Auswirkungen auf die Planung, Verwaltung, sowie auf die Förderungspolitik der Schweiz ein. Die zukünftige notwendige Infrastruktur ist «grün-blau» – Pflanzen und Erdreich als Wasserschwamm, die in das Stadtbild integriert werden.
Der Anfang der Präsentationen lag in der ausführenden Praxis. Lennard Rogenhofer ist Chief Climate Officer bei Losinger Marazzi. Er präsentierte das Leuchtturmprojekt des Unternehmens, das Greencity Areal im Zürcher Quartier Manegg. Seit dem Jahr 2000 wurde das Gebiet entlang der Sihl entwickelt. Um das Regenwasser auf dem Areal speichern zu können, sind die Gehbeläge mit offenen Fugen gestaltet. Durch Versickerungsmulden, die als Grünräume gestaltet wurden, fliesst fast kein Regenwasser in die Kanalisation.
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Quelle: Bundesamt für Umwelt
Bei unversiegelter Fläche verdunstet das Wasser stärker als bei versiegelter Flächge.
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Quelle: Bundesamt für Umwelt
Das Konzept der Schwammstadt.
Den städtischen Anteil der konkreten Realisierung konnte der Leiter des Winterthurer Tiefbauamts, Martin Joos, präsentieren. In Winterthur ist der neue kommunale Richtplan in der Vernehmlassung, in dem bereits die Prinzipien der Schwammstadt angewendet wurden. Martin Joos sieht es als seine Aufgabe, trotz der geplanten baulichen Verdichtung der Stadt die Biodiversität zu erhalten. Die Ingenieure des Tiefbauamts arbeiten an Versuchsreihen mit Versuchssubstraten, um das beste Erdreich für zukünftige wasserspeichernde Terrains zu entwickeln. Gemeinsam mit dem Stadtgrün und dem Amt für Städtebau betreiben sie ein Schwammstadt-Testlabor im ehemaligen Industriegebiet von Winterthur.
Den gesundheitlichen Aspekt des Lebens in der Schwammstadt beleuchtete Tobias Baur, Professor an der OST (Ostschweizer Fachhochschule). Fast 85 Prozent der Schweizer Bevölkerung wohnt in urbanen Gebieten, die besonders von der Überhitzung betroffen sind. Das Naturdefizit in den Städten hat auch volkswirtschaftliche Folgen: Schon heute sterben in der Schweiz mehr Menschen über 75 an Überhitzung denn an Verkehrsunfällen. In seiner sozioökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse zeigte er die positiven gesundheitlichen Effekte der Schwammstadt als kostenfreie Dienstleistungen der Natur den Menschen gegenüber auf. Mit dieser Gegenüberstellung der steigenden Gesundheitskosten zu den Kosten der öffentlichen Versorgung möchte er die letzten Skeptiker überzeugen. Eine Infrastruktur, die auf die Speicherung und Verdunstung ausgelegt wäre, lässt ausserdem geringere Betrieb- und Wartungskosten erwarten.
Michael Richter von der Hafencity Universität in Hamburg hat bereits Erfahrungen sammeln können, was die Umsetzung der Prinzipien der Schwammstadt in Verkehrsräumen anbelangt. Er erforscht die Wirksamkeit von Planungsinstrumenten, um in der Verkehrs- und Freiraumplanung Regenwasser speichern und nutzen zu können. Gerade wurde die zweite Phase seines Forschungsprojekts «BlueGreen Streets» genehmigt. Die Unterstützung von lokalen Politikern sei beim Gelingen von diesen Strassenräumen essentiell. Michael Richter erfuhr diese durch den Hamburger Senator Anjes Tjarks, der das Entsiegeln der Asphaltflächen und die Wasserspeicherung über den Social Media Kanal Linked-In und in lokalen Medien publizierte. Als zweiten Erfolgsfaktor spricht er die Netzwerke an, die in den Zeiten von Corona über Zoom-Workshops gewachsen sind. Deutschlandweit konnten kommunale Planer so voneinander lernen und ihre Erfahrungen austauschen, die bereits in Regelwerke einflossen.
Gerhard Hauber ist Executive Partner des dänischen Landschaftsarchitektur- und Architekturbüros Henning Larsen. Er betont, wie sehr Städte als Landschaften gedacht werden müssen, um zur Schwammstadt zu werden. Die Topographie der Stadt soll Feuchtgebiete aufweisen, die den Wasserhaushalt der Landschaft mit dem Urbanen verbindet. Das «hydraulische Modell», also die Integration von Regenwassermanagement und Mikroklima, erfordert seiner Meinung nach interdisziplinäre Klimamoderatoren. Diese müssen zwischenArchitektur, Freiraum, Verkehrplanung, Entwässerung und Infrastrukturplanung vermitteln können. Gleichzeitig ist es ihre Aufgabe, die grösseren Zusammenhänge, wie das Mikroklima und den Wasserhaushalt mitzudenken.
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Quelle: Stadt Winterthur
Die Schwerpunkträume der Stadt Winterthur; Sie bilden eine Art urbanes Rückgrat.
Den Abschluss der Projektpitches lieferte Roland Hohmann,
Sektionschef der Klimaberichterstattung und -anpassung beim Bundesamt
für Umwelt (Bafu). Er sprach über die finanziellen Anreize, die bereits
geschaffen wurden, um die Anpassungen der Städte an den Klimawandel
durchzuführen. Dafür wurde das CO2-Gesetz 2024 revidiert. Die Erlöse aus
Versteigerungen von Emissionsrechten werden für Förderprogramme
eingesetzt, die den Folgen des Klimawandels entgegengesetzt werden.
Politische Werkzeuge der Überzeugungsarbeit
Eine «Raumplanung des Untergrunds» nötig
Der zweite Teil des Vormittags widmete sich den organisatorischen Grenzen bei der Einführung der Schwammstadt: Silvia Oppliger,
überwindet beim VSA (Verband Schweizer Abwasser- und
Gewässerschutzfachleute) als «Frau Schwammstadt» das Silodenken in
Disziplinen. Sie fordert einen Paradigmenwechsel: Statt in der
Raumplanung von Gebäuden zu reden, liegt es in der Zukunft daran,
Freiräume zu denken. Sie fordert eine «Raumplanung des Untergrunds», um
Wasser besser speichern zu können. In der bisher herkömmlichen
Wasserableitung wurde der natürliche Wasserhaushalt durch das Ableiten
von Wasser um das 10-fache beschleunigt. Dies hat Folgen: 71 Prozent der
Versicherungsfälle sind durch Oberflächenwasser generiert. Jährlich
liegen die Schadenssummen durch Oberflächenabfluss laut dem
Immobiliendienstleister Mobimo inzwischen bei 140 Millionen Franken.
Dabei liegen die effektivsten Veränderungen im Kleinen, zum Beispiel bei
den Baubehörden, die Private dazu anregen, Dachwasser sichtbar in
Mulden abzuleiten und Parkplätze nicht, wie herkömmlich, zu versiegeln.
Norbert Kräuchi ist
Forstwissenschaftler und leistet seit Jahrzehnten Überzeugungsarbeit
als Abteilungsleiter für Landschaft und Gewässer im Kanton Aargau.
Nachdem 99 Prozent der ehemaligen Auenlandschaft der Flüsse Aare und
Reuss durch Trockenlegung und Eindohlung im Kanton Aargau verloren ging,
war er es, der den Auenschutzpark entwickeln durfte. Die Idee des
Auenschutzpark, das 1% des Kantons als Feuchtgebiet erhielt, wurde 1993
in einer Volksabstimmung beschlossen. Die Werkzeuge und Ergebnisse
seiner langjährigen politischen Überzeugungsarbeit präsentierte er an
der Klimatagung. Laut Kräuchi sind Pilotprojekte, in der Bund und Kanton
zusammen agieren, besonders erfolgreich. Solche Zusammenarbeiten konnte
er sowohl für hitzeangepasster Sieldungsentwicklung als auch für
Projekte, welche die Effekte des Klimawandels auf Fischerei und
Landwirtschaft offenlegten, begleiten. Der Kanton Aargau hat wegen der
teils vorhandenen Wasserknappheit seine Wasserstrategie inzwischen
geändert. Besonders optisch dargelegte Erklärgrafiken helfen ihm beim
Vermitteln seiner Botschaften.
Anpassungen in den Gesetzen
Der Nachmittag galt der Diskusssion von noch notwendigen Änderungen der heutigender Gesetzestexte und Normen: Den Auftakt bildete Carlo Becker von BGMR Landschaftsarchitekten aus Berlin. Der deutsche Entwickler des Schwammstadtkonzepts konnte bereits für Quartiere in Berlin deren Prinzipien anwenden. Dabei stolperte er immer wieder über die existierenden Vorgaben. Ein Beispiel: In Deutschland ist bei der Leitungsführung in Strassen vorgesehen, einen Abstand zu Bäumen von 2,5 Metern einzuhalten. Auch sollte laut der deutschen Vereinigung für Wasserwirtschaft, Abwasser und Abfall das Grundwasser runt einen Meter unterhalb eines Gebäudes liegen. Mit solchen Regelungen ist es nur begrenzt möglich, vorhandene Strassenzüge als speichernden Untergrund umzubauen.
Die nachmittäglilchen Workshops thematisierten die heutigen Stolpersteine in der Planung der Schwammstadt in Zusammenarbeit mit den Besuchern. Drei Kernthemen bei der Umsetzung untersuchten die Besucher der Klimatagung gemeinsam mit den Vortragenden. Wie sollten die Elemente der Schwammstadt bei Neubauten integriert werden? Was passiert mit dem Wasserfluss, der an der Schnittstelle vom privaten zum öffentlichen Grund nicht halt macht? Und: Welche innovativen Ansätze können Erfolgfaktoren sein, um Städte klimaresilienter zu machen?
Ausblick auf ein klimafreundlicheres Bauen
Den Abschluss des Tages bildete Martin Neukom, der als Regierungsrat und Vorsteher der Baudirektion im Kanton Zürich an einem wirksamen Klimaschutz der Stadt Zürich interessiert ist. Seit dem Beginn der Temperaturmessung ist in der Schweiz ist die Oberflächentemperatur um 2,8 Grad gestiegen, was mehr ist als die durchschnittliche globale Erwärmung. Gerade der Bevölkerungszuzug im Kanton wird zu einer Herausforderung der öffentlichen Hand und des Gesetzgebers. Die Tagung als Ort des Austauschs und Abgleichs bot einen gelungenen Ausblick auf ein brennendes Thema aktueller Baupolitik.
Anmerkung der Verfasserin: Die Resultate der Workshops hätten den Umfang dieses Texts gesprengt, können aber unter der Website der Klimatagung nachgelesen werden: https://www.zh.ch/de/umwelt-tiere/klima/klimatagung.html#main_accordion
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Quelle: Henning Larsen / C. Dreiseitl
Der Bishan Ang Mo Kio Park in Singapur.