Bieler Tagesschule: Sanierung mit Signaletik-Konzept
Die Heilpädagogische Tagesschule Biel ist eine ganz besondere Bildungseinrichtung. Hier lernen 116 Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen im zweisprachigen Ambiente. Die 1974 errichtete Tagesschule wurde von in den vergangenen zwei Jahren saniert, erweitert und mit einem speziellen Signaletik-Konzept ausgestattet.
Seit Beginn des laufenden Schuljahrs sind die Schüler, Lehrer und Therapeutinnen in ihre rundum sanierte Schule am Falbringen zurückgekehrt. Die Heilpädagogische Tagesschule wurde 1963 durch die Heilpädagogen Werner und Violette Jaggi gegründet. 1975 wurde das heutige Schulgebäude mit Werkstätten und Therapieräumen bezogen. Nach 40 Jahren intensiver Nutzung bestand einerseits Platzmangel, andererseits mussten gravierende bautechnische Defizite an der gesamten Gebäudehülle und den Haustechnikanlagen behoben werden. Zudem war die Schulanlage an die aktuellen Vorschriften bezüglich Brandschutz, Hygiene, Erdbebensicherheit, Energiehaushalt und Flächenvorgabe anzupassen.
Bereits auf dem Weg zur Heilpädagogischen Tagesschule erschiesst sich dem Besucher ein besonderes Bild der Stadt Biel. Mit dem Bus geht es in Richtung Fuchsenried. Ganz anders als in der betonlastigen Innenstadt wird man während der Fahrt auf Landidylle eingestimmt. Beim Aussteigen und dem kurzen Spaziergang ist dieser Eindruck bestätigt: Der flache Baukörper des Schulgebäudes versteckt sich hinter altem Baumbestand. Direkt am rückseitigen Hang befinden sich das Tiergehege und Gartenanlage der Schule. Vom angrenzenden Bauernhof ist Geschnatter und Quicken der tierischen Bewohner zu vernehmen.
Denkmalgeschützte Schulanlage
Die Schule ist die grösste heilpädagogische Bildungseinrichtung des Kantons Bern. Sie ist die einzige zweisprachige Sonderschule, in der schulbildungsfähige Kinder gemeinsam mit Altersgefährten mit körperlichen und / oder geistigen Behinderungen lernen. Die Schüler werden in vier französischsprachigen Klassen, elf werden in deutscher Muttersprache unterrichtet. Das Berufsorientierungsjahr ist zweisprachig ausgelegt.
Seit 1982 ist die Tagesschule Biel eine Stiftung, die auch als Bauherrin den Umbau und die Sanierung des Gebäudes veranlasste. Der Entwurf des ursprünglichen Schulhauses stammt von den Architekten Andry & Habermann. Es wurde in Zusammenarbeit mit dem deutschen Pädagogen Hugo Kükelhaus entworfen. Der Grundriss basiert auf einem Sechseck-System, das eine ausgeklügelte Innenraumgestaltung ermöglicht. Die grossen Gemeinschaftsräume wie Saal, Turnhalle, Schwimm- und Therapiebad sowie die Halle mit Kamin bilden das Zentrum des Gebäudekomplexes.
Alle Klassenzimmer und Ateliers sind um den zentralen Saal angeordnet und über sehr zurückhaltend gestaltete Korridore miteinander verbunden. Dieser als «organologisches Bauen» proklamierte Entwurf steht heute unter Schutz der Denkmalpflege. Die Erweiterung und Neugestaltung waren deshalb im Sinne dieser strukturalistischen Architektur vorzunehmen.
Die sanierte Struktur bietet optimale Bedingungen für die individuelle Förderung jedes einzelnen Schülers. Im alten Konzept waren Klassenräume von 30 Quadratmetern eingeplant worden. Diese sind nach jetzt geltenden Anforderungen zu klein, die mindestens 50 Quadratmeter Grundfläche vorgeben. Um allgemein mehr Platz zu schaffen, wurde das Gebäude deshalb an drei Seiten erweitert: auf der Südseite für die Vergrösserung der Klassenzimmer, auf der Nordseite für Therapieräume und Ateliers und auf der zweigeschossigen Nordost-Seite mit den Räumen für die Administration, Lehrer- und Konferenzzimmer sowie weiteren Therapieräumen.
Erscheinungsbild fast unverändert
Die Erweiterung ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen, da die strenge geometrische Formvorgabe mit dem Sechseck-Raster, Raumhöhen sowie die Material- und Farbauswahl konsequent wieder aufgenommen wurden. Beton, Eichenholz und Glas waren bereits die Baustoffe der 70er-Jahre. Sie prägen weiterhin den Charakter des ganzen Gebäudes. Auch in der Bauweise wurde die bestehende Technik weitergeführt. Die Primärstruktur besteht aus einer auf Stahlstützen aufgelagerten Stahlbetondecken.
Nach aussen präsentiert sich der Bau mit einer geschosshohen Glasfront. Die Pfostenriegelfassade aus massiven Eichenholz ermöglicht nicht nur eine gute natürliche Belichtung. Sie gewährt auch gleichzeitig grosszügigen Einblick und Ausblick in die Umgebung. Stellenweise ist an den Scheiben ein zartes Muster zu erkennen, das in vielen Bereichen des Gebäudes in variierender Form wiederkehrt. «Hier lernen Kinder mit Handicap und gleichzeitig besonderen Fähigkeiten. Blickkontakt, Durchsicht und Formen spielen mit einem sich ständig ändernden Schattenwurf eine besondere Rolle in der Wahrnehmung ihres Umfelds», erklärt Designerin Susanne Dubs, die das Konzept der künstlerischen Gestaltung und Signaletik entwarf.
Die Klassenzimmer spielen dabei eine besondere Rolle. Die Kleinklassen bestehen in der Regel aus vier bis acht Kindern. In diesem Raum halten sie sich die meiste Zeit auf, es wird auch gemeinsam zu Mittag gegessen, aufgeräumt und geputzt. Sie entwickeln einen sehr persönlichen Bezug zu diesem Umfeld, was auch in der individuellen Gestaltung der Räume zu erkennen ist. Die Gestaltung der Klassenzimmer unterliegt den Schülern und Lehrpersonen selbst. Keine Klasse gleicht der anderen: Das eine Zimmer ist kunterbunt und mit viel Kreativität gestalten Bildern und Objekten geschmückt, das andere mit Pflanzen, Kuschelecke und Hängematte ausgestattet, das dritte wiederum streng geordnet und mit abgeschirmten, ruhigen Arbeitsplätzen.
Einige Einrichtungselemente kehren immer wieder: Diese genau auf Fensterbreite ausgerichteten quadratischen Holzkuben können als Regal, Aufhängevorrichtung, Schreibtisch oder Sitzbank in die Fensterfront eingehängt werden. Sie ist sehr einfach mittels eines praktischen Einhängesystem von konischen Eichenzapfen zu handhaben. Diese werden in dafür vordisponierte Löcher in den Fassadenpfosten eingepasst und können jederzeit ohne Werkzeuge umgehängt. Damit ermöglichen sie mehr oder weniger Ein- und Aussicht und viel Gestaltungsfreiheit. Auch Therapie- und Werkräume können damit spezifisch eingerichtet werden. Das Sortiment ist jederzeit mit neuen Elementen erweiterbar.
Zusammenarbeit bei der Gestaltung
Die Schüler sollen sich im neu gestalteten Schulhaus gut orientieren können, wo sie sich von acht bis 15 Uhr aufhalten. Vor allem sollen sie sich aber wohlfühlen. Um sie in den Umgestaltungsprozess mit einzubeziehen, wurden Workshops angeboten. «Wir haben versucht, ihre Wahrnehmung und Ideen mit spielerischen Gestaltungsübungen für die spätere konzeptionelle Gestaltung von Boden, Wänden, Vorhängen, Umgebung, Spiel und Erholung, Signaletik und Orientierung zu finden», berichtet Architekt Peter Bergmann. Auch Lehrer und Therapeuten konnten ihre Wünsche und Gestaltungsvorschläge einbringen. So hätten viele Aspekte und Anregungen einbezogen und mit fachlicher Kompetenz zu Lösungen führen können. Teilweise ergeben sich komplett neue Gestaltungsansätzen.
«Es muss nicht immer kompliziert und aufwendig sein, oft erweist sich ein einfacher, fast selbstverständlicher Ansatz als der beste», so Designerin Susann Dubs. Wichtig sei, einen engen Bezug zum Gebäude und dem darin verlaufenden Leben zu schaffen. So stellte sie fest, dass viele Kinder sich sehr gut konzentrieren können, diese Aufmerksamkeitsphase aber zeitlich sehr begrenzt ist.
Dieses «sich immer wieder erneut Fokussieren» hat die Designerin schlussendlich in der von ihr entwickelten Ornamentik aufgegriffen. Als Grundlage dafür dienen die Grundrisse der Räume. Sie bilden das Zentrum der Muster, die zum Rand hin immer zum wilden Durcheinander auslaufen. Jeder Raum hat seine eigene Variation, die sich auf den Glasscheiben der Türen, den Fenstern und in den Vorhängen wiederfindet. Manche sind dichter, andere sehr fein. Aber alle hätten freie geometrische Stellen zum «Spienzle, wie es die Kinder lieben», wie Dubs erläutert.
Farbe kann sprechen
Nicht nur die Ornamentik, auch die Farben spielen für Kinder, aber auch Besucher eine wichtige Rolle. Deshalb hat die Designerin ein Konzept entwickelt, das sich ebenfalls durch das gesamte Gebäude zieht. «Es soll den Kindern die Möglichkeit geben, sich alleine zu orientieren um das gesamte Gebäude zu erschliessen», so Dubs. Die von den Klassenräumen zugeteilte Farbe trifft man im Symbol auf dem Türsichtschutz und an den Möbeln der Garderoben wieder. Bisher nur zu Testzwecken sind an einigen Oberlichtern farbige Ornamente angebracht.
Den ganzen Artikel lesen Sie im Baublatt Nr. 23 vom 8. Juni.