Schulbauten: Ein hölzerner Hut für den «Chindsgi»
Unscheinbare Flachdach-Klötze als Kindergärten gehören der Vergangenheit an – zumindest in Obfelden ZH, wo die Kinder zwischen Holzwänden und hohen Glasfenstern herumspringen und spielen. Bei der Entstehung des Gebäudes waren die Bedürfnisse der kleinen Nutzer genauso wichtig wie die nachhaltigen Materialien.
«Was möchte ein Kind? Was braucht ein Kind?», fragte sich Architekt Melk Nigg, als er das neue Gebäude für den Kindergarten Räsch in Obfelden ZH entwarf. In einer grünen Umgebung, direkt am Waldrand und in der Nähe eines Baches sollte der Ersatzneubau entstehen.
Für Nigg war klar: «Das neue Gebäude muss sich in diese Natur eingliedern, muss Teil der Natur sein.» Da sei der Griff zu natürlichen Baumaterialien naheliegend gewesen.
Material wächst in neun Minuten nach
Die Entscheidung fiel auf Schweizer Holz: Insgesamt 185 Kubikmeter Holz aus einheimischen Wäldern wurden im Tragwerk des Gebäudes verbaut. Die Oberflächen sind aus Fichte, Lärche und Esche.
Innerhalb von neun Minuten wächst das verbaute Holz im Wald nach. Lignum Schweiz, die Dachorganisation der Schweizer Wald- und Holzwirtschaft, hat das Tragwerk des Kindergartens deshalb mit dem «Herkunftszeichen Schweizer Holz» ausgezeichnet.
Beitrag zum Bestand der Schweizer Wälder
Der Baustoff Holz sei aus mehreren Gründen eine gute Wahl, erklärte Hansbeat Reusser, Präsident von Lignum Zürich, an der Eröffnung des Kindergartens im Frühling 2017: «Holz ist der nachwachsende Rohstoff der Schweiz. Er speichert CO2, was für das Klima von grosser Bedeutung ist.»
Konkret sind in diesem Kindergartenbau rund 166 Tonnen CO2 gespeichert. Das entspricht etwa der Menge, die 33 Schweizer jährlich gemeinsam verursachen. Zudem werde durch die Wahl von Holz mit Schweizer Herkunft ein wichtiger Beitrag zum Bestand der Schweizer Wälder und der regionalen Wirtschaft der ganzen Holzkette geleistet, so Reusser.
Riechen und lauschen
Für den auf Schulhausbauten spezialisierten Architekten Nigg spielen neben ökologischen Überlegungen auch die Beschaffenheit des Holzes und dessen Wirkung auf alle, die sich im Gebäude aufhalten, eine grosse Rolle: «Holzwände haben eine weiche Eigenschaft und absorbieren den Schall gut.» Holzbauten seien ausserdem in Sachen Raumklima «dankbarer und gutmütiger» als Bauten aus anderen Materialien, ergänzte Martin Birrer, Präsident der Baukommission und Verantwortlicher für die Liegenschaftsverwaltung der Schulgebäude in Obfelden.
Der Architekt des Kindergartens forderte die Besucher an der Eröffnung sodann auf, das Gebäude aus Sicht eines Kindes wahrzunehmen: «Das Kind ‹schmöckt› den Raum, es fasst an, es horcht, es hört sich selbst, wenn es durch die Räume stapft, und es hört die anderen Kinder. Es hat eine ganz andere Wahrnehmung als wir Erwachsenen.»
Überdimensionales Dach
Die Anforderungen und Wünsche, die ein Kind an ein Gebäude hat, bilden die Grundlage für Niggs Schulbauten. Im Fall des Kindergartens Räsch ist sein Entwurf geprägt durch ein gemeinsames Bedürfnis der spielenden Kinder und des Gebäudes selbst: Beide brauchen Schutz. Dieser Gedanke habe zur Idee eines überdimensionalen, alles überragenden Daches geführt.
Das 950 Quadratmeter grosse, begrünte Holzdach sitzt wie ein Hut auf dem Gebäude und bietet bereits eine erste geschützte Spielfläche unter dem Vordach. Es schützt aber eben nicht nur die spielenden Kinder, sondern ebenso die Fassade und Fenster.
Geschützte Fassade
«Nachhaltigkeit ist mittlerweile zwar ein sehr abgedroschenes Wort. Dennoch trifft es hier auch auf die Konstruktion mit dem Vordach zu, denn es wirft Schatten und schützt vor dem Wetter», so Martin Birrer, der selbst als Innenarchitekt tätig ist. «Die alte Baukunst hat uns das schon gelehrt.» So brauche es an den hohen Fenstern, die trotz Vordach für viel Lichteinfall sorgen, keine Storen. Deren Reinigung und Reparatur verursache in anderen Schulhäusern regelmässig Arbeit und Kosten, die hier wegfallen.
«Und auch die fast etwas unspektakuläre Fassade ist durch das überdimensionale Dach sehr dankbar im Unterhalt.» Es müsste schon sehr stark stürmen, damit Fenster und Fassade richtig verregnet würden, ist Birrer überzeugt.
Verborgenes Stockwerk
Die Dachkonstruktion bewirkt aber noch einen zusätzlichen Effekt, der für die Bauherrin, die Primarschule, ein ausschlaggebender Punkt war: «Das Besondere am Gebäude ist seine Zweistöckigkeit, die von aussen verborgen bleibt und die man erst im Innern mit Überraschung entdeckt», so Birrer. In der Gebäudemitte ist unter dem Dach nämlich ein zweites Geschoss eingebaut, das in Form von mehreren Galerien über den Schulräumen «schwebt».
Eine breite Wendeltreppe verbindet die beiden Stockwerke, und auch aus den einzelnen Klassenzimmern gelangt man über Holztreppen in die jeweils darüber liegende Galerie. Durch die versteckte Zweistöckigkeit wirke das Gebäude viel kleiner als es eigentlich sei, hält Birrer fest. (...)
Quelle: Nadine Siegle
Unter dem grossen Vordach bietet sich den Kindern eine geschützte Spielfläche.