Photovoltaik im Hochgebirge: Die Wintersonne besser nutzen
Die Schweiz muss mittelfristig den wegfallenden Atomstrom ersetzen. Solaranlagen in den Bergen könnten dabei eine Schlüsselrolle spielen, wie ZHAW-Professor Jürg Rohrer im Gespräch erläutert. Diese produzieren primär dann, wenn der Strom gebraucht wird – nämlich im Winter.
Herr Rohrer, Ihre ZHAW-Forschungsgruppe begleitet die Solartestanlage auf der Totalp zusammen mit dem WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF und der ETH Lausanne wissenschaftlich. Weshalb betreiben die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich diese Anlage auf einer Höhe von 2500 Metern über Meer?
Jürg Rohrer: Die Schweiz muss bereits heute im Winterhalbjahr Elektrizität importieren. Dieser Bedarf wird in absehbarer Zeit deutlich zunehmen, da gemäss unserer Energiestrategie früher oder später der Atomstrom ganz wegfallen wird. Zudem führen auch die wachsende Elektromobilität sowie der zunehmende Einsatz von Wärmepumpen zu einem Strommehrverbrauch. Dieser Nebeneffekt ist noch nicht vollends in die Energiestrategie des Bundes eingeflossen. Wir müssen es schaffen, deutlich mehr Winterstrom aus erneuerbaren Quellen zu erzeugen. In den Bergen ist die Einstrahlungsintensität höher, es gibt weniger Nebellagen, und der Schnee reflektiert das Sonnenlicht. Das sind ideale Voraussetzungen für Solaranlagen, die im Winter mehr Elektrizität liefern als Photovoltaikmodule auf einem Hausdach im Mittelland.
Bestätigen die jüngsten Messresultate der Davoser Testanlage diese These?
Ja, wir können im Hochgebirge tatsächlich mehr Winterstrom erzeugen. Werden Photovoltaikmodule im Gebirge nahezu senkrecht aufgestellt, verteilt sich der Stromertrag sehr gleichmässig übers ganze Jahr. Dennoch ist der Gesamtertrag einseitiger Solarpaneele auf der Totalp rund 1,5 Mal höher als bei einer vergleichbaren optimal ausgerichteten Anlage im Mittelland. Das haben unsere Messungen gezeigt.
Wie sollte Photovoltaik in Höhenlagen am besten zum Einsatz kommen?
Dank dem flachen Sonnenstand und dem reflektierenden Schnee machen in den Bergen Solarmodule an Hausfassaden Sinn. Aber natürlich stehen in den Alpen nicht so viele Gebäude. Mit Freiflächenanlagen könnten wir viel günstigen Winterstrom dort produzieren, wo es bis anhin noch keine Infrastruktur gibt. Allerdings sind solche Eingriffe in die alpine Natur gesellschaftlich umstritten, da sie die Landschaft verschandeln, wie gewisse Kreise finden. Wenn wir alternativ bestehende Infrastrukturen ausnützen wollen, sollten wir insbesondere prüfen, Paneele an Seilen oberhalb von Lawinenverbauungen zu montieren. Eine Direktmontage an die Verbauungen wäre viel zu teuer.
Wie steht es um die Akzeptanz von Solaranlagen im Gebirge?
Im Moment hätten es PV-Freiflächenanlagen wohl schwer, vermute ich. Erst bei einer stärkeren Gewichtung der Produktionskosten durch Politik und Gesellschaft könnten solche Projekte wieder zur Diskussion stehen. Ich glaube jedoch, dass Solaranlagen oberhalb von Lawinenverbauungen bereits heute mehrheitsfähig wären. Als wir unser Tool zur Beurteilung von Standorten für Photovoltaik-Anlagen entwickelt haben, führten wir getrennte Workshops mit Umweltverbänden, Stromversorgern und Photovoltaikfirmen durch. Schon damals zeigte sich, dass sich die Umweltverbände unter dem Eindruck des Klimawandels bewegen und bezüglich der Umweltverträglichkeit von Projekten differenzieren. Noch vor 20 Jahren hätten sie Solarkraftwerke im Hochgebirge grundsätzlich als Landschaftsverschandelung abgelehnt. Unser Beurteilungs-Tool für Solarprojekte kann möglicherweise helfen, die Vor- und Nachteile einander objektiv gegenüberzustellen – und die Standortdiskussion zu versachlichen.
Zur Person
Quelle:
Professor Jürg Rohrer leitet die «Forschungsgruppe Erneuerbare Energien» am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil.
Professor Jürg Rohrer leitet die «Forschungsgruppe Erneuerbare Energien» am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) in Wädenswil.