10:13 BAUPRAXIS

Nicht alles, was glüht, ist Wärmeverlust

Teaserbild-Quelle: Regula Roos

In dunklen Winternächten herrschen oft ideale Bedingungen, um Wärmelecks von Häusern sichtbar zu machen: Die Thermografie liefert Erkenntnisse, wo noch Nachholbedarf beim Isolieren besteht. Bei der Interpretation der Bilder ist jedoch Vorsicht geboten, denn nur unter idealen Wetterbedingungen entstehen aussagekräftige Wärmebilder.

Bei Nacht, Kälte und vorzugsweise Hochnebel, wenn nur noch Lebewesen mit Ultraschallorganen etwas sehen, macht sich der Thermograf Christoph Tanner auf, um mit seiner Infrarotkamera Stellen an Häusern zu erkennen, durch die die Wärme unbemerkt entweicht. Aus verschiedenen Winkeln schiesst er mit einem pistolenähnlichen Apparat Wärmebilder (auch Infrarotbilder genannt) von Fassaden, Fenstern und Türen. Nach der Bildbearbeitung am Computer geben seine Aufnahmen Aufschluss über den Isolationszustand und Dichtigkeit von Häusern. Hinsichtlich des grossen Sanierungsbedarfs des Schweizer Häuserparks kann er anhand seiner Bilder Empfehlungen abgeben, wo sich welche Eingriffe lohnen würden oder ob gar dringender Handlungsbedarf besteht. Von solchen nächtlichen Gebäudeaufnahmen lassen sich nachher am Computer verschiedene Bilder herstellen, die unterschiedliche Eindrücke erwecken können. Es ist deshalb wichtig, vor Ort alle möglichen Randbedingungen zu dokumentieren, insbesondere Wetter und Temperaturen. Bei der Bearbeitung der Bilder kann je nach Skalierung eine Tür ganz rot erscheinen. «So könnte man den Eindruck erhalten, dass diese schlecht gedämmt ist und sofort gehandelt werden muss», sagt Tanner. «Wenn ich jedoch anders skaliere, sieht das Bild gerade gegenteilig aus. Die Tür wird blau und für den Auftraggeber gäbe es kein Grund zur Sorge.» Unter skalieren versteht man das Festlegen der Temperaturbereiche auf der Farbskala, was für die Wärmebild-Gestaltung entscheidend ist.

Diese Bildgestaltungs-Freiheit ist der Grund, weshalb Tanner mit der Firma QC-Expert AG, einem Spin-off der Eidgenössischen Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) ein Projekt gestartet hat. Ziel des Projektes ist es, Grundlagen und Vorschläge für sinnvolle Skalierungen zu erarbeiten. Finanziert wird es vom Bundesamt für Energie (BFE). «Es ist dringend notwendig, Empfehlungen zu haben, die eine nachvollziehbare Darstellung und Beurteilung von Wärmebildern ermöglichen», so Tanner. Diese und andere Vorgaben einzuhalten, zeichnet schliesslich auch die Arbeit der seriösen Thermografen aus. Denn auf dem Markt gibt es auch Billiganbieter, die reihenweise zu Dumpingpreisen Wärmebilder produzieren und dabei in Kauf nehmen, dass die Bildbearbeitung unprofessionell und die Interpretationen fraglich bis falsch sind.

Wärmebilder können nicht über alle Bereiche eines Gebäudes Auskunft geben. So stossen sie bei hinterlüfteten Fassaden und bei Dächern oder bei speziellen Materialien wie Glas und Metall an ihre Grenzen. Auf der einen Seite können Wärmebilder bei älteren Bauten Sanierungspotenzial aufzeigen, auf der anderen bei Neubauten oder sanierten Gebäuden zur Qualitätskontrolle beigezogen werden. Schliesslich müssen ja auch Minergie-P Gebäude zwingend eine Abnahmeprüfung bestehen: die Luftdurchlässigkeitsmessung.

Ideale Bedingungen: Kälte, Wolken

«Ein Haus lässt sich leider nicht ins Labor versetzen, wo wir ideale Aufnahmebedingungen hätten», schmunzelt Tanner. Deshalb telefoniert er vor einer Infrarot-Aufnahmenacht regelmässig mit einem Meteorologen, bevor er mitten in der Nacht ausrückt. «Die Wetterbedingungen müssen stimmen, sonst ist der ganze Aufwand vergebens.» Zur Vorbereitung sollte das Haus möglichst gleichmässig auf rund 20 Grad beheizt werden, und auch in der Nacht, in der die Infrarotbilder erstellt werden, sollte die Temperatur im Haus ohne Nachtabsenkung gleichmässig sein. Alle Fenster müssen geschlossen und alle Fensterläden offen sein. Dann braucht es aber noch die Gunst des Wetters. Mindestens am Vortag sollten die Tag- und Nachttemperaturschwankungen möglichst klein sein und die Aussentemperaturen idealerweise im Bereich von minus fünf bis plus fünf Grad liegen. Ist die Temperatur tiefer, kann es sein, dass sich der Gebäudesockel durch das Erdreich aufwärmt und damit Fehlinterpretationen entstehen. Hochnebel, dichte Wolkenfelder oder gar leichter Schneefall sind jedoch ideal, denn damit wird die Abstrahlung und damit die Unterkühlung von Bauteilen gegen den kalten Weltraum verhindert. Ein klarer Sternenhimmel hat von der Erde aus gesehen eine Temperatur von bis zu minus 90 Grad. Damit aber nicht genug der Probleme: Gewisse Oberflächen wie Glas, polierter Naturstein oder Metall können im Infrarotbereich teilweise die Umgebung spiegeln, womit sich ihre wahre Temperatur im Wärmebild nicht erkennen lässt.

Militärische Anwendungen

Die ersten Infrarotkameras wurden schon vor Jahrzehnten für militärische Zwecke eingesetzt. Damals interessierte es kaum jemanden, wie viel Energie ein Gebäude verbraucht. Wichtiger war es, den bösen Feind bei Nacht zu erkennen oder Raketen so fernzusteuern, dass sie ihr Ziel selber erkennen. Das gab der Forschung den Antrieb. Seither hat sich die Messtechnik enorm weiter entwickelt, und die Infrarotkameras sind klein und handlich geworden. Auch kosten sie nicht mehr 100 000 Franken, sondern sind für die Bauanwendung im vier bis fünfstelligen Frankenbereich zu haben.

Heute liegt die Standardauflösung der Infrarot-detektoren bei 320 mal 240 Pixeln. Das heisst, dass bei einer Infrarotaufnahme die Wärmeabstrahlung einer Oberfläche, die dem menschlichen Auge verborgen bleibt, mit 76 800 einzelnen Punkten gemessen wird. Durch einen Rechner wird dann jedem Messpunkt dem Temperaturwert entsprechend, eine bestimmte Farbe zugeordnet. Daraus entsteht das Infrarotbild. Wie eingangs erläutert, bewirkt dann die Vorgabe einer maximalen und minimalen Temperatur auf der Farbskala, dass eine grössere oder kleinere Spannweite von Temperaturen aufgezeigt wird. Im Extremfall lässt sich eine Bilddarstellung wählen, die noch Unterschiede von 0,1 Grad aufzeigen kann. Die gleiche Infrarot-aufnahme lässt sich also mit veränderten Skalierungen zu optisch völlig unterschiedlichen Bildern verarbeiten. Farbskalen in üblichen Infrarotbildern zeigen kalte Oberflächen mit blauen und warme mit rotgelben Farbtönen.

Nach den nächtlichen Aufnahmen müssen die Infrarotbilder dargestellt, ausgewertet und interpretiert werden, bevor ein aussagekräftiger Bericht erstellt werden kann. Aus diesem Bericht sollten Auftraggeber oder Baufachleute erkennen, wo die Schwachstellen der Gebäudehülle sind. Für Sanierungsplanungen sind Wärmebilder eine ideale Ergänzung für den Baufachmann. Denn oft zeigen sie unsichtbare Mängel. Umgekehrt gilt aber auch: Versierte Baufachleute erkennen vieles, das mit der Infrarotkamera nicht erfasst werden kann. «Wünschbar wären auch Infrarot-Innenaufnahmen. Das scheitert aber oft an finanziellen Gründen, da es mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Was sinnvoll ist – aussen, innen oder beides – muss aufgrund der Fragestellungen des Auftraggebers abgewogen werden», sagt Tanner.

Von Michael Hunziker

Nachgefragt bei Christoph Tanner

Wie kamen Sie zur Thermofotografie?

Nach meiner Ausbildung zum Architekten am Technikum in Winterthur arbeitete ich einige Jahre auf dem Beruf, bis ich 1987 bei der Empa, Abteilung Bauphysik, eine befristete Stelle bekam. Dort konnte ich verschiedene praxisorientierte Bauforschungsprojekte angehen und im Labor machte ich Wärmeflussmessungen, bei denen wir auch Wärmebildkameras einsetzten. Das war mein Einstieg in die Thermografie. Heute, fast 25 Jahre später bin ich Gründungsmitglied und Vizepräsident der Thermografie Verbandes Schweiz (theCH). Ich gebe dort vor allem fachtechnische Inputs, organisiere Workshops und halte Vorträge.

Was ist der Zweck des Berufsverbandes?

Wir haben den Verband vor drei Jahren gegründet, um das Know-how der Thermografen und der Kamera-Anbieter zu vereinen. Uns ist es wichtig, gemeinsame, verbindliche Qualitätsstandards zu definieren, aktuelle Themen zu besprechen und Weiterbildung anzubieten. Damit grenzen wir uns auch von den Billiganbietern ab. Neuerdings haben wir auch eine Gruppe für Luftdurchlässigkeitsmessungen (BlowerDoor) gegründet, da diese Messtechnik mit der Thermografie eng verbunden ist und in der Schweiz keinen eigenen Verband hat.

Gibt es überhaupt eine Ausbildung zum Thermografen?

Eine Berufsausbildung gibt es keine. Man kann jedoch Grundkurse bei den Kameraverkäufern besuchen und später auch Zertifizierungskurse nach EN 473. Ein guter Gebäudethermograf zeichnet sich jedoch nicht nur durch Ausbildung aus, sondern durch möglichst viel Erfahrung, wobei auch bauphysikalisches Grundwissen und Konstruktionskenntnisse unbedingt notwendig sind. (mh)

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