Neues Verfahren: Bauen mit Beton ohne Guss
Ein Forschungsteam der ETH Lausanne (EPFL) hat eine Brücke aus wiederverwendeten Stahlbetonblöcken gebaut. Sie stammen von einem in Renovierung befindlichen Gebäude. Die Premiere des neuen Verfahrens könnte auch Abbruchunternehmen neue Perspektiven eröffnen.
Quelle: zvg
Bögen bilden die ideale Tragstruktur für die Wiederverwendung von Betonblöcken, da das Material nur Druckkräften ausgesetzt ist.
Die Fussgängerbrücke im Popup-Atelier des Smart Living Lab in Freiburg spannt einen neuen Bogen zur Kreislaufwirtschaft. Denn die zehn Meter lange Brücke ist aus 25 Betonelementen zusammengesetzt, die wiederverwendet wurden. Vor kurzem konnten die Belastungstests erfolgreich abgeschlossen werden.
Aufwendige Aufbereitung von Granulat
Der Nachhaltigkeit verpflichtet, erkennt die Bauindustrie Gebäude immer mehr als eigentliche Rohstofflager. Recycling-Experten gehen davon aus, dass sich der grösste Teil von Zuschlagstoffen für Frischbeton mit aufbereitetem Abbruchmaterial von Gebäuden gewinnen lässt, macht Beton doch rund die Hälfte der Abbruchabfälle aus.
Hat ein Gebäude das Ende der Nutzungsdauer erreicht, werden Teile aus Beton vermehrt zu Schotter oder Granulat verarbeitet und als Zuschlagsstoffe verschiedener Korngrösse der Wiederverwertung zugeführt. Auch ermöglichen neue Verfahren, das klimaschädliche Kohlendioxid unter Anwendung bauchemischer Verfahren im Granulat zu binden. Doch die Verfahren benötigen zusätzliche Energie.
Abbruchmaterial direkt rezyklieren statt zu Granulat zu verarbeiten
Nun schlagen Forscherinnen und Forscher der EPFL Lausanne bei der Wiederverwertung von Ausgangsmaterialien für Betonkonstruktionen einen neuen Weg ein. Anstatt die Betonteile aufwendig zu Granulat zu verarbeiten, schlägt das Forscher-Team als Alternative vor, Abbruchmaterial von Gebäuden direkt wiederzuverwenden. In Frage kommen auch nichttragende Betonstrukturen, die bei Erneuerungen aufgrund von architektonischen Interventionen in Gebäuden entfernt werden müssen.
Gelegenheit
für die Anwendung des neuen Verfahrens bot ein Gebäude, das zehn Jahre nach Fertigstellung
renoviert werden sollte. Ein ideales Objekt für die Forscherinnen. Auch ein auf
Abbrüche spezialisiertes Unternehmen war für die neue Art der Zusammenarbeit
rasch gefunden.
Anstatt mit dem Vorschlaghammer ging es mit der Betonsäge ans Werk. Elemente mit einer Betonstärke von 20 Zentimetern waren in den benötigten Massen aus einer nichttragenden Wand des Gebäudes zu schneiden und für den Kabelzug mit Löchern vorzubereiten. Um die leichten Unterschiede in den Abmessungen auszugleichen, die bei der Wiederverwendung von Bauteilen unvermeidlich sind, wurden die Blöcke auf dem Holzgerüst mit Mörtel zusammengefügt, die Kabel eingezogen und diese dann gespannt.
Bögen sind im Grunde die ideale Tragstruktur für die Wiederverwendung von Betonblöcken, da das Material nur Druckkräften ausgesetzt ist. Zwar handelt es sich erst um einen Prototypen, doch dient dieser auch dazu, mögliche Bedenken hinsichtlich der Praxistauglichkeit des Verfahrens zu entkräften.
Bautechnische Sicherheit nachgewiesen
Denn bei der Wiederverwendung von Betonblöcken ortet Corentin Fivet, Assistenzprofessor an der EPFL und Leiter des Structural Xploration Lab (SXL) im Smart Living Lab, in der Baubranche noch eine gewisse Zurückhaltung, verweist aber auf die Möglichkeiten des Verfahrens. "Wir wollten zeigen, dass Betonblöcke, die für die Wiederverwendung ausgewählt wurden, genauso zuverlässig und nützlich sind wie neue Blöcke.“
Auch Bauherren sträuben sich laut Fivet noch gegen die Wiederverwendung von Beton in dieser Form, weil sie darin ein zusätzliches Risiko sehen. Das Team des SXL wolle mit dem als Fussgängerbrücke konzipierten Bau den Nachweis für die bautechnische Sicherheit des Verfahrens erbringen.
Downcycling von altem Beton wird verzögert
Der zusammengesetzte Betonkörper im Versuchslabor in Freiburg ist Teil einer Forschungsinitiative, die darauf abzielt, den Ausstoss von Kohlendioxid in der Bauindustrie durch die Anwendung der Kreislaufwirtschaft zu verringern. Zwar verursache das Verfahren ebenfalls Emissionen, doch seien diese drastisch reduziert. Das Volumen von Bauabfällen liesse sich reduzieren und Produktion von neuem Beton vermeiden. Zudem würde die Notwendigkeit des sogenannten Downcyclings von altem Beton hinausgezögert, so die Forscher.
Fivet befasst sich seit Jahren mit potenziellen Anwendungen der Kreislaufwirtschaft in der Bauindustrie, bisher vor allem mit der Wiederverwendung von Metallbauteilen. Nun wendet sich das SXL, das Teil der Fakultät für Architektur, Bau- und Umweltingenieurwesen (ENAC) der EPFL ist, auch dem Beton als Forschungsschwerpunkt zu. Einen Fokus richten will das SXL-Team auch auf die Faktoren, welche zum Entscheid führen, dass Gebäude renoviert werden oder abgerissen werden. Denn genauere Kenntnisse über den Zustand von Gebäuden könnte die Wiederverwendung von Betonkomponenten zusätzlich erleichtern.
Wenn Abrissunternehmen auch zu Produzenten werden
Eine sinnvolle Wiederverwendung von Beton erfordert nach Ansicht von Fivet auch neue Entwurfsmethoden, die auf die Nutzung bestehender Betonelemente zugeschnitten sind. Diesbezüglich ist der herkömmliche Ansatz vorteilhaft, denn Frischbeton wird den Anforderungen des jeweiligen Projekts entsprechend gegossen.
Diese Anforderungen müssen auch Anwendungen mit dem neuen Verfahrens erfüllen. Allerdings können die Eigenschaften eines vorhandenen Elements variieren, zumal diese nicht immer im Voraus bekannt sind. Auf diesen Aspekt konzentrieren sich in nächster Zeit die Forschungsaktivitäten. Eine vom SXL entwickelte Software soll Ingenieurinnen und Ingenieuren bei der praktischen Umsetzung der neuen Methode zur Wiederverwendung von Betonblöcken unterstützen und durch Automation die Wahl der Bauteile optimieren.
Und nicht zuletzt biete der Ansatz der Kreislaufwirtschaft Abrissunternehmen die Möglichkeit, sich als Produzenten zu etablieren. Denn bis anhin stehen sie am Ende der Wertschöpfungskette. (mgt/sts)