12:50 BAUPRAXIS

Neue Nest-Unit «Step2»: Forschung und Entwicklung näher am Markt

Geschrieben von: Manuel Pestalozzi (mp)
Teaserbild-Quelle: Zooey Braun

Die Unit «Step2» füllte die vorletzte Lücke des Forschungsgebäudes Nest auf dem Campus der Empa in Dübendorf. Verschiedene Anbieter setzten sich beim Bau der zweigeschossigen Büroeinheit mit den Themen Materialeffizienz, Upcycling und generell der CO2-Reduktion auseinander. Verschiedene der verwendeten Innovationen sind bereits am Markt erhältlich.

Nest Unit «Step2»

Quelle: Zooey Braun

Die zweigeschossige Unit «Step2» steht in der Südostecke der obersten Nest-Plattform.

Nest steht für Next Evolution in Sustainable Building Technologies, also für die Weiterentwicklung nachhaltiger Baustoffe und -methoden. Die drei offenen Betonplattformen rund um den Kern des Forschungsgebäudes wurden ab 2016 mit Raumkörpern, den so genannten Units, belegt. Jede Unit widmet sich einem Nest-Thema, hinter jeder steht ein anderes Team von Beteiligten aus Forschung und Wirtschaft.

Neue Art der Zusammenarbeit

«Step2» hatte im Vergleich mit anderen Units eine relativ lange Entwicklungszeit. «Wir sind hart am Wind gesegelt», sagte Enrico Marchesi bei der Eröffnung am 29. August 2024. Corona kam der Planung in die Quere, präzisierte er. In der Entwicklungsphase gab es auch zwei «Strömungsabrisse», doch die Beteiligten hätten sich durchgebissen. Der Innovation Manager Nest erklärte auch, was es mit dem Namen der Unit auf sich hat. «Step2» bezeichnet eine neue Phase für Nest; die bei den Units eingesetzten Innovationen sind fortan näher bei der Marktreife oder bereits im Angebot.» Es geht also darum, der Bauindustrie stärkere Geltung zu verschaffen und die Praxistauglichkeit von Innovationen hervorzuheben.

Der Hauptpartner bei «Step2» war der deutsche Chemiekonzern BASF. «Er ist schon länger auf dem Campus der Empa ansässig, von ihm kam der Zündfunke», erklärte Enrico Marchesi. Der Senior Innovation Manager von BASF Schweiz AG, Olivier Enger, nahm ebenfalls am Eröffnungsanlass teil. Für ihn stand bei «Step2» das Konzept «Co-Creation» im Zentrum. «Es ging uns um die Anreicherung bestehender Netzwerke über die gesamte Wertschöpfungskette», konkretisierte er das Vorgehen. Man habe für diverse Materialien der Unit auf jeder Stufe mit neuen Partnerunternehmen oder -gemeinschaften zusammengearbeitet. 

«Wir verfolgten gemeinsame Ziele mit der Absicht, schnelle Entwicklungszyklen zu erreichen», sagte Olivier Enger, «und zwar in Feldern, in denen sich die Marktakzeptanz parallel dazu entwickelt.» Dabei handelte es sich um Innovationen, die sich für die «Co-Creation» anstelle einer inkrementellen Entwicklung besonders zu eignen scheinen. «Wir erlebten dieses Vorgehen als einen spannenden Prozess – das ist ein wahrer Step», ergänzte er und gab dem Namen der Unit so seine eigene Bedeutung.

Nest-Unit Step 2 Wendeltreppe

Quelle: Zooey Braun

Eine elegante, von der oberen Decke abgehängte Wendeltreppe verbindet die beiden Geschosse.

Nest-Unit Step 2 Wendeltreppe

Quelle: Zooey Braun

Für die 17 Stufen der Treppe konnte dieselbe, mit einem 3D-Verfahren erstellte Schalung verwendet werden.

Zahlreiche Produkte wurden in «Step2» verbaut. Die gestalterische Aufsicht lag bei der ROK Architekten GmbH aus Zürich. Silvan Oesterle, das O in ROK, erklärte, dass es sich bei der Planung von «Step2» um eine «integrierte Architekturentwicklung» handelte: «Alle relevanten Partner waren ab der ersten Minute an Bord», sagte er. Die von Enrico Marchesi als Bremsklotz wahrgenommenen Covid-Restriktionen sah er als Chance. 

Die Beteiligten dieses partizipativen Vorhabens hätten alle plötzlich viel Zeit gehabt, sich mit dem noch ungewohnten Planungsprozess auseinanderzusetzen. In der Darstellung des Architekten folgte auf die Phase der Ideation anstelle der Projektausschreibung jene der Interaktion, anschliessend anstelle der Ausführungsprojektierung jene der Koordination. Dann schritt das Team zur Umsetzung. «Zeitlich wurden viele Entscheide in die frühe Entwurfsphase vorverschoben», erklärte Silvan Oesterle. Ob das die Zukunft des Planungsprozesses ist, liess er offen, aber möglicherweise wird sich am Rollenverständnis in der Bauplanung tatsächlich einiges ändern.

Nutzbares Büro als Prüfstand und Präsentationsraum

Als zweigeschossige Unit steht «Step2» in der Südostecke der obersten Nest-Plattform. Sie wurde als Modul eines Bürohochhauses geplant, die Empa will sie auch auch als Büro nutzen. Die Gebäudehülle besteht aus einer neu entwickelten Doppelhautfassade der Firma Aepli Metallbau mit integrierter Beschattung und kontrollierter natürlicher Lüftung. Mit wenig Aufwand können in den kommenden Jahren einzelne Module ausgewechselt und dadurch neue Technologien verbaut werden. Aktuell enthält die Fassade ein Fensterelement von New Digital Craft mit integrierter, 3D-gedruckter Struktur. Letztere passt die Beschattung dem Sonnenverlauf an. Für ihre Herstellung brachte BASF im Bereich der digitalen Produktionstechnologien innovative 3D-Druckmaterialien ein.

Solche Druckmaterialien halfen auch bei der Herstellung des auffälligsten Elements im Inneren der Anwendung, der von der oberen Decke abgehängten Wendeltreppe aus Betonelementen. In diesem Falle ging es um die Schalung der 17 Stufen. An der Entwicklung von «Cadenza», so nennt sich die begehbare Skulptur, beteiligte sich neben dem Architekturbüro ROK der Lehrstuhl «Digital Building Technologies» der ETH Zürich. Eine einzige 3D-gedruckte Schalung liess sich für das Giessen aller Stufen verwenden. «Cadenza» besitzt eine komplexe und äusserst materialreduzierte Form. 

Die Vorspanntechnik des Empa-Spinoffs re-fer, die auf einer Formgedächtnislegierung basiert, fixierte die aufeinander gefädelten Stufen. Beteiligt waren auch die ehemalige BASF-Tochtergesellschaft Forward AM, der Betonfertigteile-Hersteller SW Umwelttechnik und das Ingenieurbüro WaltGalmarini. Die Empa bezeichnet das Resultat als einsatzreife Lösung für individuelle Bauvorhaben. Der Herstellungsprozess eigne sich nicht nur für massgeschneiderte Betontreppen, sondern trage aufgrund der digitalen Planung und Fertigung generell zu effizienten und leistungsstarken Designlösungen bei.

Nest-Unit Step 2 Beton-Deckenelemente

Quelle: Zooey Braun

Die vorfabrizierten, materialsparenden Beton-Deckenelemente sorgen auch für eine gute Akustik.

Jeans auf dem Boden, Kaffee an der Wand

Ins Auge sticht auch sofort die Betondecke im Eingangsgeschoss. Als Rippen-Filigrandecke konzipiert, erlaubt sie Spannweiten von bis zu 14 Metern, wodurch ihr eine besondere Eignung für den Büro- und Hochhäuserbau zugesprochen wird. Hier arbeiteten ROK und Walt-Galmarini mit Stahlton zusammen. Das Unternehmen hat die Decke bereits in ihrem Angebot. Erneut arbeitete man mit digitalen Planungsmethoden und 3D-gedruckten Schalungen. 

Der Materialaufwand wie auch die CO2-Emissionen sollen verglichen mit einer Beton-Flachdecke derselben Spannweite um rund 40 Prozent gesenkt worden sein. Integrierte, 3D-gedruckte Boxen, die mit einem Tonschaum von BASF zur Schallisolation gefüllt sind, sorgen für eine angenehme Raumakustik, trotz schallharter Oberfläche. Ausserdem dient die Decke als thermische Speichermasse, sie wirkt damit ausgleichend auf die Raumtemperatur und ist ein wichtiger Bestandteil des Energiekonzepts der Unit. Die innovative Kombination aus Nachhaltigkeit und Effizienz zeigt das Potenzial moderner Baumethoden auf.

Nest-Unit Step 2 Wandverkleidung aus Pappbecher

Quelle: ROK Architekten

Für die Wandverkleidung nutzte man auch gebrauchte Pappbecher.

Bei den Raumoberflächen testet man in der Unit neue Upcycling-Produkte. BASF hat dafür gemeinsam mit Partnern Verfahren und Materialien entwickelt. Die Kombination bestehender Verarbeitungstechnologien mit neuer Bindemitteltechnologie und zweitgenutzten Rohstoffen erlaubte es, Holzfaserplatten wie auch Textilreststoff und Kaffeesatz durch thermoplastische Verformung dreidimensional zu gestalten. 

Auf diese Weise entstanden individuell geformte Wandpaneele für die Unit. Die Wandpaneele wie auch die Bodenplatten wurden aus Reststoffen von rezyklierten Denim-Fasern, gebrauchten Pappbechern und Kaffeesatz mithilfe eines innovativen Bindemittels und von leistungsstarken Beschichtungen hergestellt. Für den Küchenbereich wurde ebenfalls in bekannten Verfahren ein neues Bindemittel eingesetzt, um mit Kaffeesatz langlebige, hochwertige Möbeloberflächen herzustellen. Diese neuen, den Ausstoss von Treibhausgasen reduzierenden Materialien schaffen ein anmutiges, ästhetisch befriedigendes Ambiente. Sie müssen nun in der Unit ihre Langlebigkeit unter Beweis stellen.

Nach «Step2» besteht bei Nest nur noch eine verbleibende freie Stelle, auf der mittleren Plattform. Bald soll auch sie gefüllt werden mit der Unit «Beyond Zero». Sie soll vielversprechende CO2-reduzierte und CO2-negative Innovationen im Gebäudesektor enthalten und zeigen, ob und wie Gebäude als Kohlenstoffsenken wirken können. Enrico Marchesi geht von einer Fertigstellung bis 2026 aus. In einer späteren Phase werden die ältesten Units das Ende ihrer Aufenthaltsdauer im Nest erreichen und eine zweite Generation von Units ablösen.

Nest-Unit Step 2 Küchen

Quelle: Zooey Braun

Küchenfronten im oberen Geschoss bestehen aus rezykliertem Kaffeesatz.

Geschrieben von

Freier Mitarbeiter für das Baublatt.

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