Natur- und Kulturland: Den Siedlungsrand in den Fokus rücken
Siedlungsränder können eine Vielzahl von Funktionen erfüllen. Sie dienen als Erholungs- und Bewegungszonen, vernetzen aber auch wertvolle Lebensräume für Tiere und Pflanzen. Nicht zuletzt statten sie Gemeinden mit einer mehr oder weniger attraktiven Visitenkarte aus. Es lohnt sich also, die Ränder vermehrt in den Fokus zu rücken.
Quelle: Pusch
Der Einsatz am Siedlungsrand zahlt sich aus – wertvolle Lebensräume und gut erreichbare, attraktive Naherholungsgebiete sind der Lohn.
von Jennifer Zimmermann*
Ränder sind in der Regel schmale Abschlüsse von grösseren Einheiten und darum auf den ersten Blick zweitrangig. Auf den zweiten Blick hingegen verdienen sie besondere Aufmerksamkeit. Denn Ränder bedeuten auch Spannung, Austausch und Dynamik zwischen Einflüssen von zwei unterschiedlichen Seiten. Ein interessantes Umfeld, in dem sich viel bewegen lässt.
Ränder haben es in sich
Dies gilt für die Gesellschaft, von deren Rändern immer wieder zentrale Impulse für Weiterentwicklungen und Errungenschaften ausgehen. Es gilt aber auch für die Natur, deren Randgebiete als Übergänge zwischen verschiedenen Elementen, Strukturtypen und Vegetationsformen einezentrale Bedeutung haben.
Egal ob in Form von Auengebieten, Waldrändern, Ruderalflächen, Gletschervorfeldern, Küsten oder Uferstreifen – Ränder sind sowohl Hotspots für die Biodiversität als auch zentrale Landschaftselemente und Erholungsgebiete für uns Menschen.
Auch der Siedlungsrand hat das Potenzial, sowohl zu einem wichtigen Erholungsraum als auch zu einem Biodiversitätshotspot zu werden. Um dies zu erreichen, gilt es, seine Strukturvielfalt zu fördern und damit seiner Übergangsfunktion und Multifunktionalität Sorge zu tragen.
Gestaltung macht den Unterschied
Geprägt von Asphalt, Beton, Eternit und Wellblech oder dem abrupten Übergangin eine strukturlose Agrarlandschaft kann ein Siedlungsrand eintönig und wenig einladend wirken – kein attraktiver Zustand, weder für Mensch noch Natur. Das kann aber auch ganz anders aussehen. Der Siedlungsrand kann verspielt gestaltet sein, lebendig, grün und mit attraktiven Kleinstrukturen wie Hecken, natürlichen Bachläufen oder typischen Kulturlandschaftselementen versehen sein.
So wirkt er nicht nur attraktiv, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag für Ruhe, Erholung, Spiel und Bewegung und trägt als Visitenkarte der Gemeinde zu einem intakten Landschaftsbild bei. Und so wird er auch zu einer wahren Oase für eine vielfältige Tier- und Pflanzenwelt und dient als wichtige Vernetzung von Lebensräumen. Je nach Topografie und vorhandenen Bauwerken und Landschaftselementen besteht ein attraktiver Siedlungsrand aus der engen Verzahnung von Natur- und Kulturlandschaft, klaren Kanten oder grösseren Übergangsflächen.
Mehr Aufmerksamkeit für das Randgeschehen
Mit dem neuen Raumplanungsgesetz verstärkt sich der Fokus auf die Siedlungsränder. Das Gesetz verlangt eine Verdichtung gegen innen und die Verkleinerung überdimensionierter Bauzonen. Gerade der Bedarf nach Verdichtung erfordert die bewusste Schaffung von Grün- und Erholungsräumen im Innern und an den Rändern von Siedlungen sowie deren bewusste Vernetzung.
Gemeinden müssen deshalb dem Siedlungsrand mehr Aufmerksamkeit schenken, um für Bevölkerung und Natur attraktive Erholungs und Lebensräume zu schaffen. Denn attraktive Siedlungsränder entstehen nicht einfach so, für ein gelungenes Ergebnis müssen sie vielmehr mit viel Sachverstand und unter Einbindung aller relevanten Akteure bewusst gestaltet werden. Dabei gilt es für Gemeinden, sich im Spannungsfeld verschiedener Interessen geschickt zu verhalten.
Herausforderungen für Gemeinden
Dieser Prozess stellt Gemeinden vor vielzählige Herausforderungen. Dazu gehörteinerseits ein angemessener Umgang mit Gestaltungs- und Nutzungskonflikten zwischen den Bedürfnissen von Bevölkerung und Natur nach Erholung und Lebensraum und jenen von Landwirten, Gewerbetreibenden und privaten Grundstückbesitzern nach möglichst intensiver Nutzung der zur Verfügung stehenden Flächen.
Andererseits bedarf eine gelungene Gestaltung von Siedlungsrändern viel Expertise. Jede Siedlung ist individuell und braucht entsprechend auch ein massgeschneidertes und auf bereits bestehenden natürlichen und kulturellen Elementen aufbauendes Vorgehen bei der Verknüpfung ihres Innen- und Aussenraums. Daneben stellen sich häufig Finanzierungsfragen, da oftmals grössere Projekte entstehen, die das Gemeindebudget nicht mehr allein decken kann.
Um diese Herkulesaufgabe zu lösen sind Gemeinden auf die Unterstützung von Kantonen oder Regionalverbänden angewiesen. Im Thurgau stehen Kanton und Gemeinden beispielsweise in regem Kontakt – der Kanton institutionalisierte eigens eine Plattform für einen Erfahrungsaustausch zur Innenentwicklung. In Val-de-Ruz pflegt die Gemeinde eine enge Zusammenarbeit mit dem regionalen Naturpark, und in der Region Bodensee unterstützt die Agglomeration verschiedene Projekte in Gemeinden zum Siedlungsrand. Kommunikation und Partizipation werden hier grossgeschrieben.
Projekte erfolgreich umsetzen
Die Herausforderungen können gerade für kleine und mittlere Gemeinden gross erscheinen. Erfolgreiche Beispiele aus der Praxis, wie etwa in der Gemeinde Hüttwilen, dem Naturpark Chasseral und der Agglomeration Bodensee, zeigen aber eindrücklich, dass es nicht nur möglich ist, die Herausforderungen zu meistern, sondern dass man mit einem klugen Vorgehen als Gemeinde viel Unterstützung und Vertrauen bei der Bevölkerung gewinnen kann.
Die Erfahrungen aus vielen Gemeinden zeigen, dass verschiedene Faktoren massgeblich zu erfolgreichen Siedlungsrandprojekten beitragen. Es ist sinnvoll:
- die Aufwertung des Siedlungsrandes mit anstehenden Projekten zu verknüpfen (wie Umzonungen, Strassensanierungen, Neubau von Quartieren),
- alle relevanten Akteure und betroffenen Personen miteinzubeziehen und gemeinsam Lösungen zu suchen,
- den geplanten Siedlungsrand zu visualisieren und damit Bilder zu schaffen, die den Mehrwert aufzeigen (Naherholung, Landschaftsbild, Biodiversität),
- regelmässig zu kommunizieren und den Prozess zur Umsetzung eng zu begleiten,
- immer wieder sicherzustellen, dass alle Beteiligten vom Gleichen sprechen,
- Expertinnen und Experten miteinzubeziehen und die rechtlichen Grundlagen zu berücksichtigen,
- die Rolle der Gemeinde, der Einwohnerinnen und Einwohner und des Kantons zu definieren,
- die zukünftige Pflege des Siedlungsrandes mit einzuplanen.
Gestaltung verbindlich festlegen
Gemeinden haben unterschiedliche Möglichkeiten, den Fokus auf den Siedlungsrand und seine bewusste Gestaltung und Aufwertung langfristig sicherzustellen. Sie können beispielsweise entsprechende Vorkehrungen im kommunalen Richtplan oder im Landschaftsentwicklungskonzept (LEK) verankern.
Um Konzepte für den Siedlungsrand auch für Grundeigentümerinnen und -eigentümer verbindlich festzulegen, gilt es die Bau- und Zonenverordnung entsprechend zu gestalten. Damit ist gewährleistet, dass der Siedlungsrand auch über Amtsperioden hinweg die Aufmerksamkeit behält, die er aufgrund seiner wichtigen Funktionen verdient.
Links und weitere Infos:www.pusch.ch/themaumwelt
*Jennifer Zimmermann ist Leiterin Gemeindeangebote und Erwachsenengrundbildung bei Pusch, Zürich.
Dieser Artikel ist zuerst in derFach- und Mitgliederzeitschrift von Pusch «Thema Umwelt» 2/2019 erschienen.