Movable House: Ein Haus, das mitzügelt
Wo werden wir in Zukunft leben? Oft bestimmen äussere Umstände wie Arbeit und Ausbildung den Wohnort. Ein Pilotprojekt der Rahbaran Hürzeler Architekten könnte den Umzug wesentlich erleichtern: Das «Movable House» zieht einfach mit um, wenn neue Ziele anstehen.
Am Anfang war allein der Gedanke an ein eigenes Haus für eine kleine Familie – Mutter, Vater und zwei Kinder. Baugrund ist in Basel rar und teuer. Und so entstand zunächst ein Projekt, das sich an vielen Standorten verwirklichen lässt. Zudem sollte das Haus möglichst einfach wieder ab- und an anderer Stelle aufgebaut werden können. Mit diesen Ideen wandte sich der künftige Hausherr an die Basler Architektinnen Shadi Rahbaran und Ursula Hürzeler. Sie haben sich auf die Entwicklung ganzheitlicher Lösungen spezialisiert, die Konzept, Programm, Raumqualität, Material und Ausführung vereinen.
Jedes Gebäude erhält somit einen individuellen architektonischen Charakter, der auf die spezifischen Anforderungen der Nutzer abgestimmt werden kann. «Der Standort ist für Architekten eigentlich ein sehr wichtiger Parameter. Da der Bauplatz aber noch nicht bekannt war, konzentrierten wir uns bei der Projektierung auf die weiteren Anforderungen: Grundfläche mindestens 100 Quadratmeter, beweglich, räumlich grosszügig gegliedert, nachhaltig mit eigener Energieproduktion und zudem auch gut aussehend und nicht zu teuer», berichtet Shadi Rahbaran von der nicht einfachen Aufgabenstellung.
Ihre Projektstudien führten sie zu einer sehr kompakten Bauform. Deshalb ist das Haus auch nicht gross. Es misst rund zehn mal zehn Meter, hat also einen quadratischem Grundriss, ein Flachdach und eine minimalistische Gestaltung. Die umlaufenden, raumhohen Fensterfronten ermöglichen eine gute Orientierung und bilden zugleich eine flexible Fassade, die sich je nach Tages- und Jahreszeit öffnen oder schliessen lässt.
Es ist ein Prototyp und Experiment zugleich. Vorgefertigte Segmente ermöglichen einen schnellen Aufbau vor Ort. Dennoch sind es keine Elemente, die sich wie im Modulbau beliebig aneinander reihen lassen. Die Masse des Gebäudes sind klar vorgegeben und damit auch dieGrösse der einzelnen Segmente, bei denen es sich um komplette Hausteile handelt, die zusammengefügt werden. «Zudem sollten diemaximalen Abmessungen pro Bauteil dieDimensionen von 12 mal 2,55 mal 4 Metern nicht überschreiten, damit die fertigen Segmente auf dem Laster zur Baustelle transportiert werden können», erläutert die Architektin.
Plätzchen in Grosis Garten
Endlich war ein Bauplatz gefunden – im Garten der Grossmutter des Bauherrn in Riehen BS. Nicht riesig, dafür aber in einer idyllischen Siedlung mit älteren, zweigeschossigen Doppelhäusern, ruhig gelegen und umgeben von viel Grün. Ideale Bedingungen für eine Familie mit kleinen Kindern. Baurechtlich konnten alle vorgeschriebenen Parameter eingehalten werden, der Mindestabstand von drei Metern zum Nachbargrundstück blieb gewährleistet.
«Da das Haus nicht unterkellert ist, sondern auf einer Bodenplatte errichtet wurde, war es auch möglich, es in die ideale Position auszurichten», so Rahbaran. Aufgrund der vorhandenen Bebauung war auch die Bauhöhe nicht frei wählbar und wurde möglichst flach gehalten.
Kompakt und praktisch
Das Projekt wurde an den Standort angepasst in Zusammenarbeit mit ZPF Ingenieure, Basel, und dem Institut Energie am Bau der Fachhochschule Nordwestschweiz weiterentwickelt. Die Voraussetzung für einen universalen Einsatz des«Movable House» ist der leichte und effiziente Transport sowie der schnelle Auf- und Abbau der Gebäudeteile.
Die auf einem Quadrat mit zehn Metern Seitenlänge basierende Grundrissfläche wurde in vier unterschiedlich grosse Räume unterteilt. Diese werden von vier vorgefertigten Kernen getrennt und gliedern sich um einen leicht dezentral angeordneten, kreisrunden Raum. Er bildet den zentralen Eingangspunkt für alle Räume und verbindet sie so miteinander. Die Kerne selbst sind begehbare Schränke und beinhalten verschiedene Nebennutzungen wie den Eingangsbereich, die Küche, zwei Bäder und die gesamte Haustechnik. Die kompakte Planung dieser Kerne maximiert die Nutzfläche und befreit die Wohnräume von jeglichen Installationen.
Günstig und dennoch perfekt
Ein Ziel bestand darin, die statischen und bauphysikalischen Grenzen auszuloten und den Einsatz neuer Materialkombinationen zu testen. So verfügt das eingeschossige Haus auch nicht über ein traditionelles Tragwerksystem. Tragende Elemente sind die bereits erwähnten vier Kerne, die zugleich Einbaumöbel sind, sowie die Decke und der Boden. In ihnen sind zudem die Wärmedämmung und der Energiespeicher integriert.
Die vier begehbaren Holzschränke tragen die auskragenden Dachelemente aus vorgespanntem Beton. Die Schränke sind aus 40 Millimeter starken Mehrschichtplatten aus Buchenholz gefertigt. Die Schichtholzoberflächen sind nicht zusätzlich verkleidet und ihre Struktur bleibt sichtbar. «Baubuche wird normaler Weise nicht als sichtbares Konstruktionsmaterial verwendet, da die Oberfläche nicht perfekt ist und die Unregelmässigkeiten klar zu erkennen sind», erklärt Rahbaran. Doch angesichts der guten statischen Werte und zur Optimierung der Kosten wurde dieser Kompromiss gewagt. Die aufliegende Decke besteht aus fünf vorgespannten Betonelementen. Diese sind zehn Meter lang, zwei Meter breit und nur sechs Zentimeter stark. Sie sind bereits ab Werk zwischen den seitlich aufstehenden Rippen gedämmt.
Der Boden besteht aus fünf gleich grossen, elf Zentimeter starken Betonelementen. Dank der integrierten Module mit Phasenwechselmaterialien (PCM) auf Wachs- und Salzbasis entspricht die Speicherkapazität einer 30 Zentimeter starken Betonplatte bei vier Grad Kelvin Temperaturänderung. Alle Betonelemente bestehen aus Weisszement mit Einschlüssen aus Carrara-Marmor. Die Deckenuntersichten sind roh belassen. Die Bodenelemente wurden vor Ort geschliffen, um eine terrazzoartige Optik zu erhalten.
Schnell gebaut
Nach der Projektierungsphase und Baugenehmigung ging es Schlag auf Schlag: Erdarbeiten, Kanalisation und Fundamente wurden im März und April ausgeführt. Die Bodenplatte besteht ausfünf vorfabrizierten Betonelementen mit einemEinzelgewicht von jeweils 5,4 Tonnen. In nur drei Tagen war die Bodenplatte gesetzt.
Zudem wurden im Gelände zwei Erdwärmekörbe «Beta Therm» mit jeweils zwei Kilowatt Leistung eingebracht. Die Körbe haben einenoberen Durchmesser von 2,4 Metern und sind 2,7 Meter tief im unmittelbaren Umfeld desGebäudes eingegraben. Weitere Energie für die autonome Energieversorgung liefern 33 jeweils1,7 Quadratmeter grosse Photovoltaikelemente auf dem Flachdach mit einer Gesamtleistung von 9,7 Kilowatt. Die Wärmepumpe mit integriertem Boiler und einer Nennleistung von 4,7 Kilowatt liefert Warmwasser. Heizung und sommerliche Kühlung werden mittels Fussbodenheizung mit Niedertemperatur möglich.
Mitte Juni wurde das Wohnhaus aufgerichtet. Nach dem Versetzen der Kerne und Auflegen der sieben Deckenelemente konnten die Glasfassaden mit weissgestrichenem Holzrahmen und die Holzaussenwände montiert sowie die Dachabdichtung vorgenommen werden. Eine elastische EPDM-Dichtungsfolie bildet den oberen Abschluss. Die Deckenelemente sind vorgespannt und überkragen die über Eck verglasten Wohnräume.
Bis in kleinste Detail geplant
Ab Ende Juni startete die Ausbauphase des Gebäudes. Die Photovoltaikanlage wurde montiert und die komplette Haustechnik eingebaut. Die Geräte für die Warmwasseraufbereitung und die Wärmepumpe befinden sich alle im Haus und sind geschickt in die Kerne integriert. Teils verschwinden sie hinter einer Tür des Einbauschranks des Elternschlafzimmers, andererseits in der Wandverkleidung des kleineren Bads.
Auch die Schränke der zwei Schlafzimmer sind in den Kernen eingegleidert, ebenso die Stauflächen der Küche, des Wohnraums und des kleinen Eingangsbereichs. Im zentralen Atrium, das in diesem Fall ohne Kuppel geplant wurde, ist viel weiterer offener Stauraum in Form von Regalen eingebaut. Hinter ihnen verbergen sich bei Öffnung auch die Schiebtüren des grösseren Bads und der Schlafräume, die sich diagonal gegenüber liegen. Die Küche und der Wohnraum sind hingegen offen angelegt und ermöglichen einen freien Blick von einem Hauseck zum anderen.
Beide Sanitärräume, die ebenfalls in den Kernen integriert sind, wurden fast spartanisch ausgestattet und sehr schlicht gehalten: Toilette, Waschbecken und Badewanne in einem Raum, im anderen nur Waschtisch und ein weiteres WC, dafür im Vorraum die Standfläche für Waschmaschine und Trockner. Da diese Räume fensterlos sind, wurden Oberlichter vorgesehen. Alle technischen Leitungen und Kabel verbergen sich hinter Abdeckleisten im oberen Bereich der Kerne.
Alternative Verschattungsmethode
Der diesjährige Sommer zeigt: Auch in der Schweiz kann es dauerhaft sonnig und heiss sein. Das weit auskragende Dach bietet da nicht ausreichend Verschattung. Zudem ermöglichen die raumhohen, umlaufenden Fensterfronten grosszügigen Ein- oder Ausblick. Dies soll nicht immer so sein. Deshalb wurden textile Aussenvorhänge vorgesehen, die sich je nach Bedarf teilweise oder komplett schliessen lassen und nicht so nur Lichtschutz sondern auch Privatsphäre ermöglichen.
Gleichzeitig mit den Ausbauarbeiten wurde auch die Aussengestaltung des Geländes eingeleitet. Dem Neubau mussten einige Pflanzen in Grosis Garten weichen. Die neuen Anpflanzungen werden im Kontrast zur sehr strengen Form des Neubaus geplant und lockern somit das Ambiente etwas auf.
Inzwischen hat die Familie ihr neues Heim bezogen. Vielleicht ziehen sie irgendwann gemeinsam mit ihrem Häuschen wieder um. In den kommenden drei Jahren werden allerdings zunächst alle Daten zum thermische Verhalten des Gebäudes ausgewertet. Die Forscher der FHNW erhoffen sich dadurch neue Erkenntnisse zur Optimierung des Wärmebedarfs, der Nutzung alternativer Baumaterialien und der Vorfabrikation.