Minihaus «Ojalà»: Wenn eine Tessiner Architektin träumt
Beatrice Bonzanigo hat ihr Kleinsthaus ohne Parzelle als «Wohngebäude mit hoher Flexibilität» zum Patent angemeldet. Nach der Präsentation im Fuori Salone in Mailand sprach sie mit dem Baublatt über ihr «Ojalà». Das Credo: Natur bewohnen undmöglichst wenig in die Landschaft eingreifen.
Quelle: Beatrice Bonzanigo, IB Studio
Das Minihaus ist auf solidem Fundament gebaut und bietet Schutz. Die feine Hülle ermöglicht zugleich ein unmittelbares Erleben der Natur.
«Manchmal möchte ich unseren Planeten vom Bett aus rundum betrachten und erleben können, grenzenlos, und mich dabei wohl und sicher und zuhause fühlen.» Es scheint, als habe sich Beatrice Bonzanigo mit ihrem Kleinsthaus namens Ojalà genau diesen Traum erfüllt. Zu träumen begonnen hatte sie in Südamerika.
«In den vergangenen Jahren war ich viel in Argentinien, Chile und Uruguay unterwegs. Ich hatte das Gefühl, dass ich frische Impulse durch unendliche Landschaften sowie eine jüngere Herangehensweise an zeitgenössische Architektur brauche», beschreibt Bonzanigo ihre Situation.
Italienische Bürokratie sei für einen Architekten manchmal einfach zu viel. Auftanken konnte sie auf dem Pferderücken oder im Jeep, Tage voller Staub und wilder Natur erleben. Danach in geordnete, zentralisierte Strukturen zurückzukehren, sei ihr jedes Mal schwergefallen.
Die Unendlichkeit erleben
Selbst die schönsten Hotels hätten ihr abends und nachts nicht das geben können, was sie tagsüber erlebt hatte – den Kontakt mit der Unendlichkeit. «Ich möchte die Anden sehen, während ich ein heisses Bad nehme, von traditionellen und duftenden Stoffen umgeben sein, während ich die Sterne und nichts anderes betrachte.»
Die Sehnsucht nach Unendlichkeit übertrug sich auf ihre Wunschliste: «Manchmal brauche ich einen Kleiderschrank, auch wenn ich mitten in der Wüste bin. Manchmal stört mich der Wind, während ich am Meer lese. Manchmal möchte ich vom Wind berührt werden, der eine Schaukel schwingt. Manchmal möchte ich das alles mit ein oder zwei Freunden teilen.»
Die Natur bewohnen
Doch wie soll moderne Architektur das Gefühl der völligen Freiheit schier endloser Landschaften vermitteln? Das fragte sich die Tessinerin, als sie sich an ihren Schreibtisch in Mailand setzte: «Wie kann man die Natur bewohnen, ohne sie zu verletzen? Wie kann ich Hotel-Komfort geniessen, ohne auf Ruhe und Genuss zu verzichten?»
Bonzanigo wollte sich von unnötigen, künstlichen Strukturen trennen, Wände verschwinden lassen, wenn sie nicht gebraucht werden. Sie suchte nach einem autarken System, das an isolierten Orten funktionieren kann, und begann über ein flexibles kleines Haus nachzudenken, «einen kleinen Raum mit einer Fülle von Möglichkeiten».
Ihre ersten Auftraggeber waren Luxushotels, die neue Lösungen wünschen, Baustellen jedoch vermeiden wollen. Bonzanigos Kleinsthaus sollte zudem private Interessenten finden und sich für Grundstücke jeglicher Art eignen – auf Weinbergen oder in Lagunen, auf Wiesen oder Bergen, in Sanddünen oder Wäldern.
Quelle: Beatrice Bonzanigo, IB Studio
Bonzanigo wollte eine Reduktion aufs Wesentliche. Der Auf- und Abbau sollte zudem möglichst einfach vonstatten gehen können, wobei sich mehrere Minihäuser zu Ensembles gruppieren lassen .
Umweltfreundlicher Komfort
Das Ergebnis ist ein Rundhaus mit einer Grundfläche von 27 Quadratmetern, gebaut auf einer Mittelsäule und Tragelementen aus Stahl für die beiden Holzplattformen am Boden sowie am Dach und stabilisiert von vier Zugstangen. Die Plattform im Erdgeschoss hat einen Durchmesser von sechs Metern, die acht Meter hohe Terrasse eine Fläche von acht Quadratmetern. Das Haus verfügt über ein Regenwassersammelsystem, eine kleinen Abwassertank und kann mit Photovoltaikmodulen ausgestattet werden.
Die Rundungen bieten ein Optimum an Raum und für den auf Gleitelementen basierenden Ausbau, das Innenleben Komfort und Flexibilität: Badewanne, Kamin, Fussbodenheizung, einen geräumigen Kleiderschrank, bequeme Betten und heisses Wasser. Schiebewände aus Holz und Stoff öffnen, trennen und verbinden die verschiedenen Bereiche.
Mit Seilen können die Elemente auf-, zu- und weggerollt werden. «Diese Technologie erschliesst ein hohes Design-Potential starrer Oberflächen und ermöglicht elegante Membranen mit gleichen Eigenschaften beim Aussehen, bei Haptik und Funktion wie die leichteren, flexibleren Materialien Papier oder Stoff», schwärmt die Architektin. Das eingesetzte Holz wie auch die Textilien sollen den Traditionen des jeweiligen Ortes entsprechen. «Wir wollen unnötige Transporte vermeiden, möglichst jeweils mit lokalen Lieferanten zusammenarbeiten.»
Ojalà – schön wär’s
Das runde Möbelstück um die Hauptsäule enthält Waschbecken, Regale, Nachttische, Schränke und ein kleines Regal mit einem Elektroherd und kann – je nach den Bedürfnissen – durch das Push-Pull-System im Sockel des Hauses verschwinden. Bodenbeläge, Brüstungen, Aussentreppe und Dachterrasse bestehen ebenfalls aus Holz.
An dieser Stelle bricht der begeisterte Redeschwall der Tessinerin ab. «Mehr darf ich aufgrund meines angemeldeten Patents nun wirklich nicht verraten.» Sie hofft, dass sie bald überall, wo es auf der Erde besonders schön ist, ihr neues Projekt realisieren kann. Immerhin: «Ojalà» ist spanisch und heisst übersetzt «hoffentlich» oder «schön wär’s».
Zur Person
Die gebürtige Tessinerin studierte an der Architekturakademie von Medrisio TI, geprägt von der Philosophie ihrer Mentoring-Architekten Peter Zumthor, Valerio Olgiati, Manuel und Francisco Aires Mateus. 2014 eröffnete sie gemeinsam mit der italienischen Architektin Isabella Invernizzi das IB Studio in Mailand und spezialisierte sich auf prestigeträchtige Renovierungsarbeiten: elegante Apartements im Stadtzentrum, Bauernhäuser in der toskanischen Landschaft, Villen an der Riviera, Chalets am Fusse des Mont Blanc. Im Mailänder Fuori Salone hat sie ihr Kleinsthaus «Ojalà» erstmals präsentiert.