Mehrgenerationenhaus in Altendorf SZ: Decken aus Holz und Lehm
Von Allschwil im Baselbiet an den Zürichsee: Für ein Mehrgenerationenhaus im schwyzerischen Altendorf wurden die Holz-Lehmdecken, die für das Hortus-Projekt in Allschwil entwickelt worden sind, an die Bedürfnisse des Wohnungsbaus angepasst. Ein Augenschein vor Ort.
Quelle: Roland Bernaht
Das Innere des Mehrfamilienhauses mit Stampflehmdecke in Altendorf.
Seit der Mensch sesshaft ist, lebt er in Unterkünften aus Lehm oder Lehmziegeln. Das ist auch heute noch in den meisten Teilen der Welt der Fall. Mit Ausnahme des globalen Westens – in Europa und Nordamerika. Hier ist der bewährte Baustoff in Vergessenheit geraten. Doch nun, im Zuge der allseits geforderten Ressourcenschonung, erlebt Lehm eine Renaissance.
Beton und Zement wurden ab Mitte des 20. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika flächendeckend für Plattenbauten und Hochhäuser, aber auch einfache Einfamilienhäuser verwendet. Dass man den Lehmbau vernachlässigt und sich moderneren Techniken zugewandt hat, lässt sich auf einen Hauptgrund zurückführen: «Die Energie war in den vergangenen Jahrzehnten unglaublich günstig», erläutert Architekt Stanislas Zimmermann. Dass man die Beton-Bestandteile Kies und Sand um die halbe Erde transportiert, fiel deshalb bisher nicht gross ins Gewicht. «Aber Kies und Sand sind nicht unendlich vorhanden.» Gerade bei Sand macht sich der Mangel bemerkbar: Inzwischen wird er vom Meeresboden abgesaugt – ohne Rücksicht auf Pflanzen und Lebewesen, die am Grund des Ozeans leben. Leider eignet sich der zuhauf vorhandene Wüstensand wegen der Form seiner Körner nicht, um Beton und Zement herzustellen.
Auch Kies wird zur Mangelware: Der Fachverband der Schweizerischen Kies- und Betonindustrie sagte bereits vor zwei Jahren: «Zurzeit können wir der Nachfrage in der Schweiz noch weitgehend nachkommen - in Zukunft wird dies aber kaum mehr möglich sein.» Man gehe davon aus, dass die Probleme mit dem Kiesnachschub schon in fünf bis zehn Jahren zunehmen werden. «In einem Ranking zu den Schweizer Unternehmen, die am meisten CO2 emittieren, belegten Zementfirmen die ersten drei Plätze. Das besagt eine Studie des Carbon Disclosure Project aus dem Jahr 2019», weiss Architekt Stanislas Zimmermann. «Alle Baumaterialien, die gebrannt oder geschmolzen werden müssen, wie Backsteine, Beton oder Stahl, brauchen extrem viel Hitze, und enthalten damit viel graue Energie», erläutert er. Dazu kommen lange Transportwege.
Lehm hingegen ist praktisch überall vor Ort vorhanden. Die Lieferwege sind kurz und die Herstellung der Lehmziegel braucht wenig Energie. Das Zürcher Architektenbüro «jomini & zimmermann» hat eben in Altendorf SZ ein Haus verwirklicht, das zum grössten Teil aus Holz und Lehm besteht. Zimmermann: «Bislang war es eine körperlich harte Arbeit, die Ziegel zu pressen. Doch seit die Schweizer Firma Terrabloc eine Maschine konstruiert hat, die erdhaltigen Aushub zu gepressten Lehmsteinen verarbeitet, sind diese zu einer veritablen Alternative von Beton und Co. geworden.»
Sichtmauerwerk aus Lehmsteinen
Die Innenwände des Hauses sind zum grössten Teil Sichtmauerwerk aus Lehmsteinen. Sie bieten viel thermische Speichermasse und können die Luftfeuchtigkeit ausgleichen. Die Fassadenwände bestehen aus konventionellem Holzrahmenbau ohne innere Verkleidung, um eine gute Wärmedämmung und tiefe Baukosten zu erreichen. Sowohl die Holzwände, wie auch die Lehmsteine haben auch unverkleidet einen optischen Reiz und bleiben daher sichtbar. Der Lehm ist in der Natur in zahlreichen Farben – von tonerdig über weiss bis rot – vorhanden und kann optisch auf das Holz abgestimmt werden.
Terrabloc arbeitet seit Jahren mit Lehmziegeln. Was es bisher nicht gab, waren Decken aus Stampflehm. Diese Lücke hat die Schweizer Firma Rematter – spezialisiert auf Roboter im Baubereich – nun geschlossen. Ihre Deckenelemente bestehen aus einer Schicht Stampflehm, getrennt durch Holzbalken, welche die Statik der Deckenkonstruktion übernehmen. Die Zwischenräume aus Lehm sind gewölbt und selbstragend.
Quelle: Aurelliano Ramella
Wand aus Lehmziegelsteinen.
Auftraggeber des Mehrgenerationenhauses in Altendorf SZ ist die Familie Mächler, die die solidarische Landwirtschaft Halde mit einem bioveganen Garten betreibt, in dem ohne Dünger oder Traktoreneinsatz gearbeitet wird. Gemüse und Früchte liefert die Halde an Privathaushalte, lokale Läden oder Restaurants. Kunden, die sich ein solches Gemüse-Abo gönnen, haben zudem die Möglichkeit, in der Halde mitzuarbeiten.
Die Biofarmer wohnen schon lange an dieser Stelle. Doch nun brauchten sie mehr Platz. Einerseits, weil Tochter und Sohn zurück ins Elternhaus ziehen wollten. Andererseits, um ihre solidarische Landwirtschaft weiter zu professionalisieren. Im Erdgeschoss wurde neben der Wohnung der Eltern ein Hofladen sowie eine Hofküche zur Verarbeitung eines Teils der Ernte untergebracht. Der Keller dient als Lager. In der mittleren Etage lebt Tochter Manuela, zuoberst Sohn Christian.
«Uns war es wichtig, möglichst ökologisch und mit natürlichen Materialien zu bauen. Wir haben uns von Lehmhäusern in anderen Kulturen inspirieren lassen und wollten dies in unserem Projekt ausprobieren», sagt Manuela Mächler zum Baublatt. In Südamerika hätten einige Familienmitglieder Lehmbauten kennengelernt und sogar geholfen, Lehmkonstruktionen anzufertigen. Sie waren überzeugt, dass diese Bauweise in ihr Konzept von einem gemeinschaftlichen, biologischen Garten passt.
Architekt Zimmermann erklärt: «Die Holz-Lehm-Decken und die Lehmsteinwände erfüllen hohe Ansprüche an Traglast, Feuerwiderstand und Schallschutz. Der Lehm verbessert das Raumklima, da er die Luftfeuchtigkeit besser ausgleichen kann, als andere Baumaterialien.» Zudem hat Lehm eine hohe thermische Speichermasse. Wer nachts die Fenster offen lässt, profitiert am nächsten Tag von einem kühlen Haus.
Die Aufnahmefähigkeit von Wasser ist leider nicht nur ein Vor- sondern einer der wenigen Nachteile von Lehm. Er kann im Innern der Immobilie, als tragende oder trennende Wand sowie als Decke eingesetzt werden. Bei Aussenmauern muss mit Vordächern oder Schutzbändern in den Mauern verhindert werden, dass der Lehm zu viel Feuchtigkeit aufnimmt. Die Firma Terrabloc erforscht neue Lehmmischungen, welche eine höhere Wasserfestigkeit aufweisen und für Fassaden verwendet werden können.
Quelle: Ruud Zwart, photo taken by Ruud Zwart, CC BY-SA 3.0
Legendäre Lehmbaukunst: Die Grosse Moschee von Djenné in Mali gilt als grösstes sakrales Lehmgebäude. Sie gehört zusammen mit der Altstadt Djennés zum Unesco-Weltkulturerbe.
Wind- und Erdbebenstabilität
Eine weitere, noch zu lösende Aufgabe ist die Wind- und Erdbebenstabilität. In dem Haus in Altendorf SZ ist das Treppenhaus aus Beton der Wind- und Erdbebenverband des gesamten Gebäudes. Doch das Ziel ist, auch dies aus erneuerbaren Materialien zu bauen. Zimmermann arbeitet an der Berner Fachhochschule zum Thema Regenerative Architektur an Lösungen für diese Fragen. «Es ist spannend, etwas neu zu entwickeln», schwärmt er. «In der Baubranche ist momentan alles ist in Bewegung, um graue Energie zu sparen, und die Umweltverträglichkeit zu verbessern.»
Der Architekt geht davon aus, dass die Bauindustrie im Moment eine Weiterentwicklung erlebt, ähnlich wie die Automobilindustrie mit der Elektromobilität. «Die benötigte Heizenergie konnte in den letzten Jahren bereits stark gesenkt werden. Der nächste Schritt ist nun, dass der Energiebedarf bei der Herstellung der Gebäude reduziert wird. So kann der Bausektor seinen Beitrag zur Reduktion des CO2-Fussabdruckes leisten.» Irgendwann wird die Politik den Energiebedarf den Bau von Häusern regeln, so wie dies in Dänemark bereits geschehen ist. Daher ist es sinnvoll, wenn sich die hiesige Bauwirtschaft bereits darauf einstellt.
Die Holz-Lehm Decke von Rematter kann preislich bereits mit anderen Holzdeckensystemen mithalten Doch noch belastet ein Stampflehmhaus das Budget des Bauherrn mehr, als die herkömmliche Bauweise. Grund dafür ist, dass für das Mischen und Stampfen der Ziegel noch teure Handarbeit benötigt. Zudem gibt es erst wenige Firmen, die die Erfahrung haben, um Häuser aus Stampflehm anbieten zu können. Das Wissen um die neue alte Bauweise muss erst wieder erlernt werden. Nicht nur bei uns, auch in anderen westlichen Ländern steigt das Bedürfnis, ökologisch zu bauen. Das Beste am Lehm/Holz-Bau: Alles lässt sich zurück in seine Einzelteile zerlegen und wieder verwenden oder rückstandsfrei in die Natur reintegrieren.