Mathildenhöhe in Darmstadt: Sanierung mit Aerogel-Putz
Die Sanierungsarbeiten am Ausstellungsgebäude der zum Unesco-Welterbe erklärten Darmstädter Mathildenhöhe wurden mit dem diesjährigen «Aerogel Architecture Award» ausgezeichnet, der mitunter von der Eidgenössischen Materialprüfungsanstalt (Empa) ausgelobt wurde. Um Gebäudeproportionen des Ausstellungsbaus nicht zu verändern, erhielten seine Aussenwände einen Hochleistungswärmedämmputz.
Quelle: Robert Mehl
Ostansicht der Mathildenhöhe, im Hintergrund der Hochzeitsturm. In der Bildmitte sieht man die langgestreckte Halle 2 mit den wieder freigelegten Fensteröffnungen. Seitlich davon die Hallen 1 (links) und 3 (rechts). Deren Aussnwände sind geschlossen und weisen dekorative Putzflächen der 1970er-Jahre auf. 1908 wiesen auch diese Gebäudeflügel engstehende Fenster analog zur Halle 2 auf.
«Das Austellungsgebäude der Darmstädter Mathildenhöhe entstand 1908 letztendlich auch aus einem Impuls der Wirtschaftsförderung», erklärt Astrid Wuttke, Projektleiterin bei dem renommierten Frankfurter Architekturbüro schneider+schumacher. Sie erläutert, dass der letzte hessische Grossherzog Ernst-Ludwig sich als Kunstmäzen verstand und ab 1899 die Grundstücke auf der Mathildenhöhe für die damals neu entstehende Künstlerkolonie bereitstellte.
Gemäss dem Leitspruch «Mein Hessenland blühe und in ihm die Kunst» erhoffte er sich aus der Verbindung von Kunst und Handwerk eine wirtschaftliche Belebung für sein Grossherzogtum. Die Initiative zielte insbesondere auf die Vermarktung von Mobiliar und Geschirr hessischer Hersteller im Art-Déco-Stil ab. Für ihre adäquate Präsentation wurde eigens im Berliner Kaufhaus Wertheim ein «Hessisches Zimmer» geschaffen. Darüber hinaus wurde der Architekt und primus inter pares der Künstlerkolonie Joseph Maria Olbrich (1867 – 1908) mit dem Bau des besagten Ausstellungsgebäudes und mehrerer Künstlerhäuser beauftragt.
Zusätzliches Industriedenkmal
Der genaue Standort und die Ausmasse waren quasi vorgegeben, da der Bau auf dem zentralen Wasserspeicher der Stadt zu errichten war. Dieser versorgte seit den 1880er-Jahren Darmstadt mit Trinkwasser. Das aus zwei grossen, jeweils 2500 Kubikmetern umfassenden Becken bestehende Kellersystem existiert bis heute unter dem Ausstellungsbau. Es ist jedoch seit den 1990er- Jahren stillgelegt und bildet ein zusätzliches Industriedenkmal unter der Jugendstilikone.
Eines der Becken wird künftig wieder mit Wasser befüllt und mit einem leistungsfähigen Wärmetauscher ausgerüstet. Es dient dann als Energiespeicher für das Ausstellungsgebäude, der im Winter wärmt und im Sommer kühlt. Zusammen mit sieben auf dem Vorplatz geschaffenen, jeweils bis zu 200 Meter tiefen Erdsonden soll so ab dem kommenden Jahr der fossile Brennstoffbedarf der Welterbestätte stark eingeschränkt werden. Als Rückfallsystem existiert weiterhin ein zentrales, erdgasbetriebenes Blockheizkraftwerk in einem der Jugendstilgebäude, mit dem über Nahwärmeleitungen der grosse Ausstellungsbau verbunden ist.
Neben dem Ausstellungsgebäude steht auf der höchsten Erhebung Darmstadts das sieben Jahre ältere Ernst-Ludwig-Haus. Das ebenfalls im Art-Déco-Stil von Olbrich geschaffene und reich dekorierte drei-geschossige Gebäude bildet die Keimzelle der Künstlerkolonie. Während in ihm eine entsprechende Dauerausstellung gezeigt wird, ist das Ausstellungsgebäude grösseren Wechselausstellungen vorbehalten. Dieser erheblich grössere Bau entstand für die zweite grosse Ausstellung der Künstlerkolonie von 1908 und kann als Ergänzung zum Ernst-Ludwig-Haus betrachtet werden.
Quelle: Robert Mehl
Westansicht des Hochzeitsturm. Er ist zum Wahrzeichen von Darmstadt geworden.
Prägendes Fünf-Finger-Dach
Ursprünglich besass das Ausstellungsgebäude auf dem Gipfel der Mathildenhöhe einen U-förmigen Grundriss, dessen nördlichem Schenkelkopf der Hochzeitsturm - das Wahrzeichen von Darmstadt– vorgelagert ist. Dieser 48,5 Meter hohe Backsteinbau entstand 1908 zusammen mit dem Ausstellungsgebäude, wurde auch von Olbrich entworfen und gilt zusammen mit den anderen Gebäuden auf der Mathildenhöhe als Inbegriff des Modernen Bauens, so wie es die Unesco als Welterbe anerkannt hat. Prägend ist sein mit patiniertem Kupfer belegtes Fünf-Finger-Dach. Der Hochzeitsturm ist jedoch nicht Gegenstand der aktuellen Sanierung, da er schon vor einigen Jahren aufwändig restauriert wurde.
An der Stirnseite des südlichen Gebäudeschenkels befindet sich der Gebäudehaupteingang, der in eine kompakte Eingangshalle führt, die von einem Pyramidendach bekrönt wird. Neben dieser verfügt der Ausstellungsbau über vier grosse Ausstellungshallen. Drei davon sind bauzeitlicher Natur und in der erwähnten U-Form angeordnet. Sie umschliessen eine vierte Halle, die einmal ein mit Rosen bepflanzter Innenhof war.
Dieser wurde nach dem Zweiten Weltkrieg infolge eines kommunalen Raummangels jedoch überdacht, in den 1970er-Jahren noch einmal überformt und weist seitdem ein aktuell ebenfalls saniertes Sheddach auf. Entworfen und realisiert wurde dieses, wie auch alle anderen damaligen Baumassnahmen auf der Mathildenhöhe von Christiane Geelhaar. Sie war seinerzeit Architektin im Darmstädter «Hochbau- und Maschinenamt», welches diese Projekte in Eigenregie umsetzte.
Quelle: Robert Mehl
Westansicht des Haupteingangs des Ausstellungsgebäudes. Die dreidimensionale Anlage der geschlossenen Putzflächen stammt aus den 1970er Jahren. Die Farbfassung ist neu entwickelt und versucht zu den roten Dachziegeln zu vermitteln, die ebenfalls in den 1970ern eingeführt wurden. Man nimmt an, dass im Original das Dach dunkelgrau war.
Die Aussenwand dieses Saales ist geprägt von einer mit schmalen Vertikalfenstern durchsetzten Fassadenfront, die hingegen schon von Olbrich geschaffen wurde. Ursprünglich war dies eine freistehende, von der Antike inspirierte Pfeilerflucht, die den besagten Rosenhof von der weiteren Umgebung abtrennte.
Zwischen die repräsentativen Gebäudeteile mit den Ausstellungsbereichen und der Rückseite des Hochzeitsturmes hatte Olbrich die Heizungszentrale des Objektes angeordnet. Mit ihr wurde Warmluft erzeugt, die durch Kriechgänge unterhalb der Ausstellungsflächen geführt wurde und ähnlich einer römischen Hypokaustenanlage funktionierte. Nach 1945 wurde die eingeschossige Heizzentrale jedoch aufgestockt und eine wenig attraktive Hausmeisterwohnung geschaffen. Diese wurde von Geelhaar entfernt und durch einen kleinen Verwaltungsflügel und einem halb in den Hügel eingegrabenen Werkstattbereich mit einem weiterhin bestehenden Lastenaufzug zu den Ausstellungssälen ergänzt.
Die Architekten des Büros schneider + schumacher haben anstelle dieses, nur zwei Büros umfassenden Verwaltungsbereichs, nun einen repräsentativen Empfangs- und Besprechungsraum für das Museum angeordnet. Dessen neue Glaswände schaffen eine sinnfällige Zäsur zwischen dem verputzten Ausstellungsgebäude und dem Backsteinturm, zumal die Planer die Putzflächen der Westfassade durch diesen Raum durchlaufen lassen. Damit schaffen sie optisch – und zum ersten Mal an dieser Stelle – eine wahrnehmbare Gebäudeecke.
Quelle: Robert Mehl
Übergang von Halle 4 zu Halle 3. Die Putz-arbeiten an Halle 4 sind bereits abgeschlossen. Bei der Außenfassade von Halle 3 ist noch die Gewebematte zu erkennen. Das Aufbringen des obersten Deckputzes steht unmittelbar bevor.
Quelle: Robert Mehl
Nahaufnahme des Putzschichtwechsels zwischen den Hallen 3 und 4.
Auf Alternativensuche
Für den Erhalt und die Pflege der Künstlerkolonie ist der städtische Eigenbetrieb Kulturinstitute verantwortlich. Er beauftragte im Vorfeld das Stuttgarter Fraunhofer Institut mit der Forschung nach einer geeigneten Innendämmung der Aussenwände des Ausstellungsgebäudes. So entstanden zwei Mock-ups, die zeigten, dass sich die Raumproportionen in unbefriedigender Weise verändern würden und dass überdies die Gestaltungsmöglichkeiten künftiger Ausstellungen erheblich eingeschränkt wären: Man hätte keinen Nagel mehr an einer beliebigen Stelle einschlagen oder schwere Kunstobjekte aufhängen können.
Auf der Suche nach Alternativen stiess man auf die Aerogelbasierten Wärmedämmputze: Dabei handelt es sich um Putze mit hochporösen Festkörperzuschlägen, deren Volumen zu 99,98 Prozent aus Poren bestehen. Die Zugabe dieses Material lässt eine nanoporöse Schwammstruktur entstehen, die eine hohe wärmedämmende Wirkung besitzt. Aerogele werden hergestellt aus Silikaten wie etwa Kieselsäure, aber auch aus Metalloxiden von Aluminium oder Chrom. Führend in der Herstellung von Aerogel-Vorprodukten ist die amerikanische Cabot Corporation. Daraus entwickelte die Schweizer Fixit AG ein Aerogel-Granulat zur Marktreife, das als Additiv Putzen beigemischt werden kann, um eine wärmedämmende Wirkung zu erzielen. Tests haben ergeben, dass Aerogel-Putze einen Dämmwert von λD 0.028 W/mK besitzen, womit drei Zentimeter Aerogel-Putz so effektiv sind wie acht Zentimeter Hartschaum (expandiertes Poly-styrol – EPS).
Erhalt bisheriger Putzstärken
Der entscheidende Vorteil eines Aerogel-Putzes ist, dass eine erhebliche Verbesserung der Wärmedämmung allein durch einen Austausch des Putzes möglich ist. Dies bedeutet, dass alle Fassadendetails in ihrer Bemassung identisch bleiben. Vor diesem Hintergrund war es nur eine restauratorische Frage, wie man bestehende, in den Putz eingelassene Dekorationen der Aussenwand, wie etwa die Mosaikintarsien oder die horizontalen Würfelbänder unterhalb der Traufe innerhalb der Fassadensanierung angeht. Tatsächlich wurde bei diesen Elementen keine Dämmung eingebracht, da das historische Mauerwerk schon 60 Zentimeter stark ist. Allerdings ergab der Rückbau der Putzschichten aus den 1970er Jahren die Möglichkeit einer Freilegung der teilweise nachlässig überputzten Würfelbänder.
Quelle: Robert Mehl
Südwestansicht des Ausstellungsgebäudes, links der Hochzeitsturm. Im Vordergrund der freistehende Treppenpavillon, der zum Haupteingang führt. Dieser wurde ebenfalls aktuell saniert, erhielt jedoch keinen Aerogel-Putz, da es keinen Anlass gab, ihn zu dämmen.
Erhaltenswürdige Bauzustände
Denkmalpflegerisch interessant ist, welcher Bauzustand als schutzwürdig eingestuft und restauriert wurde. Anzunehmen wäre, dass eine Wiederherstellung des Urzustandes von 1908 angestrebt wurde. Man entschied sich jedoch, neben dem Erhalt von angetroffenen Originalbauteilen wie etwa den Glasdächern der Hallen 1 und 3, für einen weitgehenden Erhalt der 1970er-Jahre. Die Hintergründe waren weitgehend pragmatischer Natur. So hätte die zentrale Sheddachhalle, die man als Ausstellungsfläche benötigt, wieder zu einem Rosenhof zurückgebaut werden müssen.
Auch hatte man im Zuge der Sanierungsarbeiten festgestellt, dass das Gebäude bauzeitlich umlaufend mit grossen Fenstern bestückt war. Für grosse Kunstausstellungen braucht es aber viel Wandfläche und wenig UV-haltiges Tageslicht. Deshalb beliess man, bis auf die östliche Aussenwand von Halle 2, alle weiteren fensterlosen Flächen weiterhin geschlossen.
Diese langgestreckte Ausstellungshalle bildet gewissermassen die Unterkante des eingangs erwähnten U-förmigen Gebäudegrundrisses und war die letzten Jahrzehnte ein reiner Kunstlichtraum. Alle anderen Hallen besitzen hingegen grosse Deckenoberlichter. Anstelle der Rekonstruktion der historischen Lochfassade erneuerte man die in den 1970er- Jahren entworfenen dekorativen Putzfelder. Diese waren von einer nie realisierten Entwurfsskizze von Olbrich inspiriert.
Die dem Baustil der 1970er-Jahre verpflichteten Werkstätten an der Nordseite, wie auch der dazugehörige Lastenaufzug, bleibt optisch unverändert erhalten. Auch hier ist der Hintergrund, dass man für künftige Ausstellungen sowohl diese handwerklichen Arbeitsorte wie auch eine leistungsfähige Vertikalerschliessung der Ausstellungsräume benötigt. Würde man diese, durchaus qualitätvollen und hochwertigen Gebäudeteile wieder abreissen, müsste man am Ort einen adäquaten Ersatz für sie finden.
Quelle: Robert Mehl
Innenansicht der Halle 4, dem Sheddachsaal. Der Blick geht auf die bauzeitliche Pfeilerflucht die an antiken Säulenstellungen inspiriert ist.
Preiswürdige Sanierungsarbeiten
An dem als Welterbe eingestuften Ausstellungsgebäude der Darmstädter Mathildenhöhe wurde insgesamt eine Fassadenfläche von 2000 Quadratmetern mit Aerogel verputzt. Damit handelt es sich um das bislang grösste Einzelprojekt, bei dem so ein Hochleistungsputz, insbesondere unter besonderer Beachtung des Denkmalschutzes verarbeitet wurde.
Vor diesem Hintergrund wurden im NEST, dem Forschungs- und Innovationsgebäude der Eidgenössischen Materialprüfanstalt (Empa), den Sanierungsarbeiten am Ausstellungsgebäude der Darmstädter Mathildenhöhe im Sommer 2022 der «Aerogel Architecture Award» verliehen. Der Preis wurde 2020 von der Empa und den Industriepartnern Fixit, Agitac, Hag AGA Naturbaustoffe, Hasit und dem Verband AdvaPor initiiert.