15:38 BAUPRAXIS

Mathematisches Modell: Berechnen wie viele Schadstoffe aus der Fassade im Boden landen

Teaserbild-Quelle: Vitalis Hirschmann, Unsplash

Oft enthalten Fassadenputz und Mörtel Schwermetalle und Biozide. Bei Regen werden sie ausgewaschen und gelangen in den Boden. In welchem Umfang sie im Grund landen, lässt sich mit einem speziellen mathematischen Modell berechnen, das ein Team des Fraunhofer-Instituts für Bauphysik IBP entwickelt hat.

Regenpfütze in der Altstadt von Morges

Quelle: Vitalis Hirschmann, Unsplash

Wie gross ist die Menge an Schadstoffen, die bei Regen von der Fassade in den Boden gerät? Eine von einem Fraunhofer-Team entwickeltes Modell kann eine Antwort liefern.

Die Rezepturen für Putze und Mörtel sind komplex. Bei den Hauptbestandteilen der Fassadenbaustoffe handelt sich in der Regel um Sand und Bindemittel wie Zement, Gips oder Kalk. Zudem sind pastöse Putze oft mit Bioziden angereichert, um das Wachstum von Pilzen und Algen an der Fassade zu reduzieren. Scheint die Sonne, ist das kaum ein Problem. Regnet es aber und drückt der Wind das Regenwasser gegen die Hauswand, sieht es anders aus: Rezepturbestandteile aus den Fassadenputzen werden vom Regen ausgewaschen und gelangen mit dem abfliessenden Regenwasser in die Kanalisation, in den Boden und schlimmstenfalls ins Grundwasser.  Nun hat ein Forschungsteam des Fraunhofer IBP ein mathematisches Modell entwickelt, das exakte Prognosen erlaubt, welche Stoffe aus Fassadenputz bei Regen ausgewaschen werden.

«Die Umweltrisiken, die durch Regenwasserabfluss von Putzen und Mörteln entstehen, haben in den letzten Jahren verstärktes Interesse geweckt», sagt Pablo Alberto Vega Garcia, Experte für Ökologische Chemie und Mikrobiologie in der Abteilung Umwelt, Hygiene und Sensorik am Fraunhofer (IBP). «Mineralischer Putz enthält anorganische Schwermetalle wie Chrom, Vanadium und Blei, pastöse Putze enthalten Biozide. Unser thermodynamisches Modell gibt Auskunft über die Stoffkonzentration im abfliessenden Regenwasser.» Weil die Wetterdaten der Region und die Rezeptur des jeweiligen Baustoffs in die Berechnung einflössen, sei das Modell sehr detailreich und aussagekräftig.

Regenmenge, Windstärke, Sonneneinstrahlung und Temperatur

Wie das IBP in seiner Medienmitteilung schreibt, haben Bauherren und Architekturbüros «erstmals die Möglichkeit», die Umweltverträglichkeit der infrage kommenden Fassadenbaustoffe schon bei der Planung zu bewerten. Zudem soll das Modell Herstellern von Putz und Mörtel bei der Entwicklung umweltfreundlicher Produkte helfen. Für das Modell arbeiteten die Fraunhofer-Fachleute mit verschiedenen Partnern zusammen, darunter die Technische Universität München, die RWTH Aachen, der Verband für Dämmsysteme, Putz und Mörtel (VDPM) sowie aus der Industrie und Herstellung von Fassadenbaustoffen.

Für das Modell erforschten die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IBP am Standort Holzkirchen die chemischen, physikalischen und kinetischen Prozesse beim Auslaugen von Schadstoffen im Freilandversuch. Dazu setzten sie Proben mit unterschiedlichen Putz- und Mörtelrezepturen über jeweils während 18 Monaten der Witterung aus. Nach jedem Regenereignis wurde das abgeflossene Wasser im Labor auf relevante Stoffe untersucht und deren Konzentration bestimmt. Eingang in die Analysen fanden zudem meteorologische Daten wie Regenmenge und -dauer, Windstärke und -richtung sowie Temperatur. Auch die Sonneneinstrahlung wurde berücksichtigt. Zusätzlich wurden Laborversuche zur Auslaugung unter definierten Bedingungen durchgeführt. Auf diese Weise entstand eine umfangreiche Datenbank mit Datensätzen zur Konzentration der ausgelaugten Stoffe, den Wetterbedingungen sowie den Inhaltsstoffen der getesteten Proben. Die Angaben zu den Inhaltsstoffen wurden von den Herstellern geliefert.

Vom Regenwasser über die Konzentration der Schwermetalle bis zur Sickerprognose

«Mit diesen Daten haben wir ein dreistufiges thermodynamisches Modell entwickelt», so Vega Garcia. Auf Stufe 1 mass das Team, wieviel Regenwasser von der Fassade abläuft. Weil bei Starkregen nur ein Teil des Wassers als Film von der Fassade abfliesst, ein anderer Teil des Wassers von der Wand abprallt und ein weiterer von der Fassade absorbiert wird, braucht es diese Unterscheidung um genaue Ergebnisse zu erhalten. Wetterdaten und Materialeigenschaften werden auf dieser Stufe ebenfalls berücksichtigt. Auf Stufe 2 werden für jede Probe die Konzentrationen von Schwermetallen im abgeflossenen Wasser gemessen und quantifiziert. Dabei haben sich aufgrund ihrer hohen Konzentrationen Vanadium, Chrom und Blei als relevante Stoffe herausgestellt, wie Vega Garcia erklärt. Auf Stufe 3 folgt eine Sickerwasser-Prognose, dies um die Konzentration am vorher definierten Ort abzuschätzen. 

Für jeden Fassadenputz eines Herstellers kann damit laut dem Fraunhofer Institut so bereits bei der Planung eine Modellierung erstellt und damit auch die Umwelteigenschaften des jeweiligen Produkts bewertet werden. Das Modell der Fraunhofer-Forschenden orientiert sich bei der Bewertung der Umweltkonformität an den Grenzwerten der deutschen Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft Wasser (LAWA). Solange die ermittelte Schadstoffkonzentration unter der sogenannten Geringfügigkeitsschwelle liege, sei die im Sickerwasser vorhandene Stoffkonzentration unbedenklich, heisst es in der Medienmitteilung.

Umweltfreundliche Fassadenbaustoffe herstellen und dabi eine spezifische Situation berücksichtigen

Mit dem dreistufigen Modell können Hersteller von Fassadenbaustoffen bei der Entwicklung neuer Produkte laut Medienmitteilung des IBP die Rezeptur so anpassen, dass die zu erwartende Stofffreisetzung durch ablaufendes Regenwasser für eine bestimmte Region und deren typische Witterung unter der Geringfügigkeitsschwelle bleiben. «Von grosser Bedeutung ist das beispielsweise für Fassaden in städtischen Gebieten oder auch in Regionen mit häufigen Starkregenereignissen», sagt Vega Garcia. Auch Behörden könnten das Modell nutzen, etwa um bestimmte Anwendungsbereiche für Fassadenbaustoffe zu definieren.

Als nächste Schritte wollen die Fraunhofer-Fachleute das Modell für die Berechnung der aus Bioziden unter Umwelteinflüssen entstehenden Transformationsprodukte verfeinern und auch auf weitere Baustoffe übertragen. So sei beispielsweise über Flachdächer mit Bitumenbahnen schon länger bekannt, dass daraus Radizide, die die Dachabdichtung vor Durchwurzelung schützen sollten, ausgewaschen werden und mit dem Ablaufwasser in die Umwelt gelangen könnten. (mgt/mai)


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