17:48 BAUPRAXIS

Le Corbusier am Rhein-Rhône-Kanal: Architekturjuwel wird neu entdeckt

Teaserbild-Quelle: Alexandra von Ascheraden

Am Rhein-Rhône-Kanal stehen ein Schleusenturm und ein Verwaltungsgebäude, die einst von Le Corbusier entworfen wurden. Doch die Bauten bröckeln unübersehbar.  Für ihre Renovierung ist das nötige Geld von einer Million Euro aber noch nicht beisammen. 

Schleusenwärterturm von Le Corbusier am Rhein-Rhône-Kanal

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Von Le Corbusier stammen der Schleusenwärterturm und das Verwaltungsgebäude im Hintergrund. Im Verwaltungsgebäude sind Wände und Böden weitgehend noch im Originalzustand erhalten.

Für mich zeigen diese Gebäude ein Konzentrat des Schaffens Le Corbusiers. Man sieht deutlich, dass sie zu seinem Spätwerk gehören», sagt Claude Huard, während er über das Betriebsgelände der Schleuse führt. Huard ist Chef der Schleusenwärter- und der Unterhaltsmannschaft im wenige Kilometer von Basel entfernten Kembs-Niffer im Elsass. Durch diesen Job ist er auch für zwei Gebäude von Le Corbusier zuständig, die seit einem Vierteljahrhundert ungenutzt auf dem Betriebsgelände stehen.

Markanter Turm 

Der berühmte Architekt hat in Frankreich kaum je Aufträge für Gebäude erhalten, die mit öffentlichen Geldern finanziert wurden. Umso kurioser mutet es an, dass ausgerechnet an einem beschaulichen Elsässer Kanal gleich zwei der wenigen Ausnahmen zu finden sind: ein markanter vierstöckiger Schleusenwärterturm und das zugehörige Verwaltungsgebäude für das Zoll- und Schleusenpersonal. 

Im Alter schuf Le Corbusier zunehmend skulptural wirkende Gebäude. Der Schleusenwärterturm ist ein gutes Beispiel für seine Formensprache. Raumwürfeln sind entlang einer senkrecht verlaufenden T-förmigen Achse gegeneinander verschobenen. Der verglaste Arbeitsraum des Schleusenwärters setzt sich davon mit seinem dreieckigen Grundriss ab und schliesst den Turm nach oben hin ab.

Das leuchtend grüne Steuerpult steht nach wie vor an seinem Platz, es ist seit 1995 ausser Betrieb. Der Turm und das Verwaltungsgebäude werden nicht mehr genutzt, seit in der Nähe eine doppelt so lange Schleuse in Betrieb ging, die auf die Masse moderner Rheinlastschiffe ausgelegt ist. Über sie fliesst der gesamte Frachtverkehr zum Hafen in Mulhouse.

Die Schleuse, wo sich die von Le Corbusier entworfenen Gebäude befinden, ist aber weiterhin in Betrieb, wird jedoch von der grossen Schleuse aus ferngesteuert. Etwa 650 Freizeitboote nutzen sie jeden Sommer, um in den Rhein-Rhône-Kanal einzufahren.

Gerade im Sommer ist Huard froh, dass die alte Schleuse noch betriebsfähig ist: «Das Becken der grossen Schleuse ist 190 Meter lang, das der Corbusier-Schleuse nur 85. Bei jedem Schleusvorgang verbrauchen wir mit der kleinen Schleuse somit nur halb so viel Wasser. Das gewinnt an Bedeutung, seit uns der Klimawandel regelmässig trockene Sommer beschert.»

Seit 2005 denkmalgeschützt

Die beiden Gebäude wurden durch die Voies Navigables de France (VNF) in Schuss gehalten wie alle anderen Gebäude im Immobilienpark auch. Die VNF ist die Behörde, die in Frankreich für alle schiffbaren Flüsse und Kanäle zuständig und die auch mit dem Erhalt der zugehörigen Infrastruktur betraut ist – inklusive der Gebäude von Le Corbusier.

Allerdings hat man in den ersten Jahrzehnten nach dem Bau noch nicht geahnt, dass diese beiden Gebäude bei Niffer im Jahr 2005 unter Denkmalschutz gestellt sein werden. Entsprechend pragmatisch erfolgte der Unterhalt. Was kaputt war, wurde mit Material aus dem Baumarkt ersetzt, was gestrichen werden musste, wurde mit einem neuen Anstrich versehen. So kommt es, dass die meisten der originalen Schreinerarbeiten heute ersetzt sind. Die hölzernen Rahmen der markanten Fenster an der Kabine des Schleusenwärters etwa wurden irgendwann gegen pflegeleichte Aluminiumrahmen ausgetauscht.

In den Räumen des vom Zoll benutz-ten Verwaltungsgebäudes sind Wände und Böden allerdings weitgehend noch im Originalzustand erhalten. Die Schleusenwärter dagegen haben ihren Gebäudeteil, entsprechend dem Geschmack der 1980er-Jahre, unter anderem mit einer wandfüllenden Fototapete mit Palmenmotiv um-gestaltet. Alle unsachgemässen Änderungen sollen nun entfernt und die Gebäude wieder in den Originalzustand zurück-geführt werden.

Verwaltungsgebäude von Le Corbusier am Rhein-Rhône-Kanal

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Im Untergeschoss des Verwaltungsgebäudes für Zoll- und Schiffskontrolle befinden sich Diensträume, Heizung und Garage.

Witterung setzt Beton zu

Vor allem aber müssten die unübersehbaren Schäden an der Bausubstanz behoben werden. Mit der Ausserbetriebnahme haben die VNF die Wartung der Gebäude im Jahr 1995 fast völlig eingestellt. Sie werden lediglich im Winter leicht beheizt. Das forderte unweigerlich Tribut. Die Elsässer Winter waren nicht immer so mild, wie sie es jetzt sind. Die Aussentreppe des Turms, es ist der einzige Zugang, zeigt überall grossflächige Abplatzungen. Dadurch liegen die rostenden Armierungen stellenweise frei. Entlang einiger Spalten an den Decken haben sich an diversen Stellen dekorative Tropfsteinreihen gebildet. Man bekommt schnell eine Ahnung davon, warum die VNF mit Renovierungskosten von etwa einer Million Euro rechnen.

Dachform als Knacknuss

Dabei waren die Gebäude schon bei ihrer Entstehung eine Knacknuss für die ausführenden Unternehmen. Es dauerte seine Zeit, bis die geeignete Betonmischung für die komplizierten Formen gefunden war. Eine besondere Schwierigkeit beim Verwaltungsgebäude stellte die Realisierung des Dachs dar.

Die ungewöhnliche Dachform fällt sofort ins Auge. «Es bildet eine so genannte hyperbolische Paraboloidschale. Die in regelmässigem Abstand doppeltgekrümmte Fläche erinnert in ihrer Form an einen Sattel. Das ist Physik und Mathematik in einem», beschreibt Huard. Die spezielle Form erforderte beim Bau eine ebenso teure wie aufwendige Verschalung. Nach einigen Anlaufschwierigkeiten liess sie sich wie gewünscht realisieren. Es schliesst in einer mehrschichtigen Abdichtung ab, die in Gussbitumen eingebettet wurde.

Längst zeigen sich Risse und Brüche, die im Rahmen der Renovierung beseitigt werden sollen. Das Dach verleiht dem Gebäude zusammen mit den für Le Corbusier typischen, rhythmisch gegliederten Glasscheiben der Fassade eine starke Vertikalität und setzt es damit bewusst in ein Spannungsfeld zum horizontal orientierten Turm.

Coup der Ingenieure

Der Architekt hat die Bauten übrigens nie selbst gesehen. «Soweit wir wissen, war er selbst nie vor Ort, wohl aber Architekten aus seinem Pariser Büro», erzählt Huard weiter. Umso verblüffender ist es, dass der Auftrag überhaupt zu Stande kam. Denn Le Corbusier hat ja zeitlebens so gut wie nie Aufträge der öffentlichen Hand erhalten. Daher reagierte er etwas verblüfft, als ihn eines Tages zwei Ingenieure anriefen, die mit dem Bau einer Schleuse beschäftigt waren, um ihn zu fragen, ob er die beiden zugehörigen Gebäude bauen wolle.

Die Ingenieure René Descombes und sein Kollege René Bouchet hatten Anfang der 1960er-Jahre eigentlich nur einen ganz gewöhnlichen Planungsauftrag auszuführen. Sie sollten eine Schleuse an der Kreuzung des Rheinseitenkanals «Grand Canal d´Alsace» mit dem Rhein-Rhône-Kanal planen. Diese war Teil einer Ausbauetappe des bestehenden Kanals (siehe Kasten), die bereits seit 1936 in Planung war. Das Ziel: Der Kanal sollte für grössere Schiffe bis 1350 Tonnen ertüchtigt werden, dem damaligen Standardmass für moderne französische Lastschiffe.

Meister hatte freie Hand

Die Schleuse selbst war standardmässige Ingenieursarbeit, die die beiden dem Auftrag entsprechend umsetzten. Für den zugehörigen Kontrollturm und das Verwaltungsgebäude schwebte ihnen jedoch etwas Besonderes vor. Das hatte mit der speziellen Lage dieser Schleuse zu tun. Sie befand sich immerhin am strategisch wichtigen Zusammenschluss von Rhein und Rhône. Für diesen besonderen Ort wollten sie unbedingt den von ihnen so bewunderten Architekten gewinnen – was ja auch gelang. Damit war Descombes und Bouchet ein kleines Husarenstück gelungen. 

Sie konnten den berühmten Architekten tatsächlich in Paris in seinem Büro treffen und mit ihm ihre Pläne diskutieren. Der Architekt hatte, abgesehen von einigen technischen Bedingungen, freie Hand bei der Gestaltung. Was ihm natürlich zusagte. Beim Besuch erklärte er ihnen, warum er ihren Auftrag annahm, wie sich Descombes später in einem Bericht erinnert. Le Corbusier habe erläutert: «Ich habe mich immer für die grossen Brücken- und Verkehrswegbauten interessiert, also auch für Schleusen, Staudämme und Autobahnen. Manchmal schockiert es mich, wenn ich sehe, welche architektonischen Bauten dort gesetzt werden.» Gern wollte er da einen beispielhaften Beitrag leisten.

Schleusenwärterturm von Le Corbusier am Rhein-Rhône-Kanal

Quelle: Alexandra von Ascheraden

Seit 1995 steht der Turm des Schleusenwärters leer. Die Treppe zeigt massive Schäden durch Witterungseinflüsse.

Form folgt Physik

Bald schon trafen in Strasbourg erste Pläne bei den beiden VNF-Ingenieuren ein. Es folgten Fotos des Architekturmodells. Baubeginn des Schleusenturms war im Januar 1961. Er war nach drei Monaten pünktlich zur Einweihung der Schleuse fertig. Das Verwaltungsgebäude folgte erst zwei Jahre später. Eigentlich war Le Corbusier mit anderen Projekten ausgelastet, als er 1960 die beiden Gebäude zeichnete. 

1958 war er in den Himalaya zur Baustelle der 518 Meter langen Talsperre Bhakra Nangal geholt worden, ebenfalls auf Wunsch der dortigen Ingenieure. Sie wollten seine Meinung zur ästhetischen Gestaltung der Talsperre einholen. Er fand, dass sich deren Erscheinung ganz aus den physika-lischen Notwendigkeiten ergeben und für sich stehen sollte. Also steuerte er nur wenige Elemente bei.

Le Corbusier plante aber zugehörige Gebäude, etwa ein Museum. Zudem hätte er die Pläne für die angeschlossene Freizeitinfrastruktur wie Motel, Sportclub und Touristenbüro entwerfen sollen. Er verstarb, bevor er diese ausführen konnte. Auch das Museum wurde nie gebaut. Um-so erstaunlicher ist es, dass er in dieser arbeitsreichen Phase noch zusagte, zwei vergleichsweise bescheidene Gebäude im Elsass zu entwerfen.

Der Meister selbst schreibt über diese Bauten, die er im achten und letzten Band der Gesamtausgabe seiner Werke erwähnt: «Diese Schleuse erlaubt den Rheinschiffen die Einfahrt auf die Rhône in Richtung Marseille. Hier diskutiert man nicht mehr, ob es sich um Architektur oder eine Ingenieursleistung handelt. Es handelt sich um ein Bauwerk. Die Verwalter und die Ingenieure haben mich gebeten, mich an ihrem Unternehmen zu beteiligen.»

Gebäude öffentlich zugänglich

Ziel ist es nun, spätestens im Frühling 2022 mit den Renovationsarbeiten zu beginnen. Nathalie Kohlmayer von den VNF erläutert: «Knapp ein Drittel der dafür benötigten Million Euro haben wir dank der Unterstützung der ‹Mission patrimoine› zusammen, die in Frankreich unter anderem über Rubbellose Geld für die Restaurierung historischer Gebäude sammelt. Nun suchen wir weitere Unterstützung. Auch in Form privater Spenden.»

Die Gebäude sollen nach erfolgter Renovierung erstmals öffentlich zugänglich sein. Daher müssen auch zusätzliche Sicherungsmassnahmen entlang des Schleusenbeckens erfolgen, um unfreiwillige Bäder eifrig fotografierender Architekturfreunde zu verhindern. Kohlmayer berichtet weiter: «Es müssen doch sehr viele Akteure unter einen Hut gebracht werden. Wir stimmen alle Arbeiten mit den für Architektur zuständigen Kulturbehörden und der Fondation Le Corbusier ab. Wenn alles glatt geht, können wir Ende 2023 erste Veranstaltungen in den Gebäuden durchführen.»

Ursprünglich sollten identische Gebäude übrigens auch an weiteren Schleusen entlang des auszubauenden Kanals errichtet werden. Das aber wurde durch den Tod Le Corbusiers und schliesslich den Stopp des gesamten Ausbauprojekts verhindert.

Die Spendensammlung läuft unter www.fondation-patrimoine.org/59138

Der Rhein-Rhône-Kanal

Der Rhein-Rhône-Kanal wurde zwischen 1784 und 1833 erbaut. Er ist Teil eines Binnenwasserwegs, der das Mittelmeer und die Nordsee verbindet. Der Kanal überwindet mit 112 Schleusen einen Höhenunterschied von 280 Metern. Er ist allerdings nur für Boote der Freycinet-Klasse durchgehend befahrbar. Deshalb hat er seine Bedeutung für die Berufsschifffahrt längst eingebüsst. Selbst Boote des Freycinet-Typs (maximal 38,5 Meter Länge, Ladekapazität bis 400 Tonnen) können jedoch in französischen Kanälen wegen des geringeren Tiefgangs von teilweise nur 1,8 Meter lediglich 250 Tonnen laden. Das entspricht etwa dem Ladevolumen von vier Güterwaggons. Insbesondere im kanalisierten Doubs sind Tiefgang und Durchfahrtshöhe zusätzlich eingeschränkt. Für den Transport von Lasten ist der Rhein-Rhône-Kanal daher längst unattraktiv geworden. Sport- und Hausboote dagegen nutzen ihn bis heute.

Es gab lange Zeit Pläne, den Kanal für grössere Schiffe befahrbar zu machen. Allerdings wurde für moderne Rheinschiffe bis 4500 Tonnen lediglich das vom Rhein abzweigende Teilstück zwischen Kembs-Niffer und Mulhouse ausgebaut. Sie können so den Hafen Mulhouse Ile Napoléon anfahren. Etwa eine Million Tonnen Fracht gelangt jährlich auf diesem Wasserweg nach Mulhouse. Der Ausbau der restlichen 214 Kilometer des Kanals sollte ursprünglich bis 2010 abgeschlossen sein. Erst 1998 wurden die Pläne auf Geheiss des französischen Premierministers  Lionel Jospin endgültig aufgegeben.(ava)

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