09:10 BAUPRAXIS

Landesmuseum Zürich: Ein Puzzle aus Tausenden Holzteilchen

Geschrieben von: Claudia Bertoldi (cb)
Teaserbild-Quelle: Moana Miglio

Die historischen Zimmer im Westflügel des Landesmuseums mussten während Sanierungsarbeiten ausgebaut werden. Vier Expertenteams kümmerten sich darum. Nach den Bauarbeiten werden die komplizierten 3D-Holzpuzzle nun wieder eingebaut.

Im meistbesuchten kulturhistorischen Museum der Schweiz, dem Landesmuseum Zürich, wird seit langem gebaut. Bereits im Jahr 2000 wurde ein internationaler Architekturwettbewerb für die Sanierung und Erweiterung des Landesmuseums ausgeschrieben, aus dem die Basler Architekten Emanuel Christ und Christoph Gantenbein als Sieger hervorgingen.

Vor gut zwei Jahren wurde der dringend benötigte Erweiterungsbau eröffnet. Der Gebäudetrakt bietet zusätzliche 6100 Quadratmeter Nutzfläche und 2200 Quadratmeter flexibel unterteilbare Ausstellungsfläche, zudem ein Studienzentrum, ein Auditorium, ein Restaurant, eine Boutique und eine grosszügige Eingangshalle. Gleichzeitig stand die Sanierung des Altbaus auf dem Programm, die mit dem Westflügel und dem Turm jetzt in die Endphase gehen. Die Sanierungsplanung unterliegt ebenfalls dem Büro Christ und Gantenbein. Die Arbeiten am 120 Jahre alten Gebäude sind sehr komplex. Deshalb wurden sie in vier Etappen aufgeteilt.

Konservierung und Modernisierung

Die lange, intensive Nutzung hat ihre Spurenhinterlassen. In den vergangenen Jahrzehnten waren mehrfach Umbauten und Anpassungenerfolgt, die aus Sicht der Experten nicht immer vorteilhafte Resultate an der Bausubstanz und den Einbauten erzielt hatten. 1994 mussten einige Bereiche des Museums aus statischen Gründen geschlossen werden. Die nötigen Instandsetzungsarbeiten dienen vor allem auch der Anpassung des Gebäudes an die aktuellen Vorschriften des Brandschutzes und Erdbebenertüchtigung sowie dem Einbau einer modernen Haustechnik.

Drei Jahre lang dauerte die 2006 begonnene und 43 Millionen Franken teure Sanierung des Bahnhofflügels, der im August 2009 mit der neuen Dauerausstellung wiedereröffnet wurde. Gemeinsam mit dem Erweiterungsbau wurde von 2013 bis 2015 auch der sogenannte Kunstgewerbeschulflügel saniert. Die Gesamtkosten der beiden Baulose belaufen sich auf 111 Millionen Franken.

2015 folgte die Sanierung des Hofflügelsund 2016 haben die Arbeiten im Westflügel begonnen. Nach dessen Fertigstellung bildet der Ostflügel den Abschluss des jahrelangen Arbeitsprogramms. Für die Sanierung der drei Gebäudeflügel wurde ein Kredit von 95 Millionen Franken bewilligt. Spätestens Anfang 2021 sollen alle Arbeiten abgeschlossen sein.

Noch ist der Westflügel eingerüstet und gleicht einer Grossbaustelle. Besuchern des Landesmuseums, ausgenommen jene, die sich hier gut auskennen, fällt es kaum auf, dass viele Zimmer gar nicht besichtigt werden können.Sie werden durch eine Passerelle an der Aussenseite des Westflügels vorbeigeführt. Von innen erscheint der Bereich wie ein langer Korridor. Seit einigen Monaten läuft die Sanierung der Räumlichkeiten auf Hochtouren, der Wiedereinbau der historischen Zimmer aus dem 15. bis 17. Jahrhundert hat im Juni begonnen.

Die Arbeiten erfordern hohe Fertigkeiten und Kenntnisse. Die insgesamt elf getäfelten Stuben im Landesmuseum stammen aus historischen Gebäuden aus dem 15., 16. und 17. Jahrhundert und wurden bereits zur Zeit der Eröffnung in den Westflügel eingebaut. «Die Räume haben sich über die lange Zeit mit Um- und Ausbauten sehr verändert. Auch die Ausstellungen haben Spuren hinterlassen. Im Westflügel ist dies besonderszu erkennen. Unsere Idee war es, das Gebäude wieder in seinen ursprünglichen Originalzustand zurückzuführen», erklärt Luigi Razzano, Betriebsprojektleiter Neues Landesmuseum. So werden unter anderem übermalte Fresken wieder freigelegt oder eine ursprünglich zweigeschossige Räumlichkeit wieder rückgebaut.

Museum im Museum

«Die historischen Zimmer sind für sich bereits spektakuläre Ausstellungsobjekte. Zusätzlichwerden in den Räumlichkeiten passende Objekte aus der kulturhistorischen Sammlung ausgestellt», meint Luigi Razzano. Vor allem die historischen Zimmer seien sehr aufwendig mit Details geschmückt. Die Decken, Wände und Böden wurden nachdem Ausbau von Schmutzablagerungen gesäubert.

Die historischen Zimmer stammen mit einer Ausnahme alle aus Adelssitzen, Klöstern und Gutshäusern in der Ostschweiz. Bereits Gustav Guhl, der Erbauer des Landesmuseums, hattedarauf geachtet, dass sie optimal in den Rohbau integriert werden konnten. Für den Besucher entsteht somit der Eindruck, die Räume mit ihren kunstvollen Decken, Böden, Geländern, Portalen und Türdurchgängen wären eigens für diesen Bau entworfen.

Holzeinbauten, beispielsweise auch die Holztäfelungen alter Bauernstuben sind eigentlichfür die Lebensdauer des Bauwerks gedacht. Jedes erneute Eingreifen in das komplexe Gefüge der vielen Einzelteile hinterlässt Spuren. Als einzigartiges Kulturgut der Geschichte, das nicht ersetzbar ist, sollten Beschädigung möglichst vermieden werden. Deshalb wurden ausschliesslich erfahrene Spezialisten mit den Ab- und Aufbauarbeiten beauftragt. Vier Teams aus der Schweiz und Deutschland sind im Einsatz. Im Oktober 2016 wurde mit dem Ausbau begonnen.

«Der Ausbau der Zimmer war kompliziert, aber auch spannend. Es kommen oft unerwarteteDetails zum Vorschein. Man erkennt auch, welche Anpassungen bereits beim letzten Einbauvorgenommen wurden», berichtet Gaby Petrak, Konservatorin und Restauratorin für Möbel und Holzobjekte im Schweizerischen Nationalmuseum. Ihr unterliegt die Oberaufsicht für die Arbeitenan den historischen Zimmern.

Alles genau dokumentiert

Nur wer die Menge der zum Einbau bereitliegenden Einzelteile gesehen hat, erhält einen ungefähren Eindruck von der Arbeit der Restauratoren. Abertausende, auch kleinste Teile wurden einzeln herausgenommen, vermessen, vermasst, nummeriert, katalogisiert und der komplette Prozess mittels photogrammetrischer Aufnahmendokumentiert. Damit wird garantiert, dass beim Einbau jedes Teil wieder seinen angestammten Platz erhält. Eine Dokumentation der vorgefundenen Rohbausituation und der Raummasse sowie über die vorgenommenen Arbeiten ergänzt die Unterlagen. Viele Kenntnisse zum Originalzustand beruhen allein auf altem Fotomaterial.

«Die Hauptschwierigkeit beim Ausbau bestand darin, den richtigen Punkt zu finden, wo man anfangen kann. Das bedeutet, man muss sich in die Denkweise der alten Handwerker hineinversetzen, um ihre spezielle Handschrift zu erkennen. Ist dies geschafft, wird der Abbau ganz logisch», erläutert Jörg Magener, einer der herangezogenen Spezialisten. «Und wenn das letzte Teil dann wieder eingebaut ist, ist das ein wahrer Glücksmoment». Das von seinem Team restaurierte Zimmer «Casa Pestalozzi» stammt als einziges nicht aus der Schweiz, sondern aus Chiavenna, einer kleinen Stadt in der italienischen Provinz Sondrio.

Einbauten fast unsichtbar

Die mit dem Aus- und Einbau beauftragten Teams waren auch mit der Konservierung und Restaurierung der jeweiligen Zimmer betraut. Die Bauteile wurden nach der Demontage in eine eigens für ihre Aufbewahrung konstruierte Depot-Baracke im Sammlungszentrum des Schweizerischen Nationalmuseums nach Affoltern am Albis überführt. Während sich die Mitarbeiter der vier Spezialfirmen hier unter anderem der Reinigung und Festigung der Holzbauten widmeten, begannen im Landesmuseum diedringend notwenigen Modernisierungsarbeiten. Die Räume waren nun im Rohbauzustand. Einzig und allein die bemalten historischen Kachelöfen waren in den Zimmern verblieben.

Zwei Hauptaufgaben waren mittels der Sanierung zu erfüllen: Der Einbau einer modernen Technik, die den gesetzlichen Vorgabenentspricht, zudem die Schaffung der für das 21. Jahrhundert adäquaten Ausstellungsflächen. Beim Wiedereinbau sollen möglichst alle Originalteile wieder eingebaut werden. Wenn bereits Bohrungen alte Durchlässe für Lampen oder Brandmelder vorhanden sind, sollten diese fürdie neuen technischen Anlagen wiederverwendet werden. Doch nicht immer ist dies möglich. «Es lässt sich nicht vermeiden, einige neueÖffnungen oder Bohrungen einzubringen. Dann müssen Kopien angefertigt und eingefügt werden. Die Originale sind im Sammlungszentrum des Nationalmuseums in Affoltern eingelagert», erklärt Gaby Petrak.

Standard ist nichts im Haus

Noch sind die Arbeiten in vollem Gange, in einzelnen Zimmern aber bereits weit fortgeschritten. Dass sich hinter den alten Holzeinbauten, die nun wie unverändert wieder an ihren Platz zurückgekehrt sind, eine hochmodere Technik versteckt, kann nur ein Eingeweihter erkennen. Die dicken Bündel von Leitungen und Rohren, die über das ganze Hause verteilt verlegt werden mussten, sind geschickt in Freiräume, wie eine ehemalige«Besenkammer» neben einem Durchgang verschwunden.

Seit Juni werden die Zimmer wieder eingebaut. Die Arbeiten sind langwierig. Ende des Jahres wird das Gesamtergebnis zu sehen sein. Die Sanierung des Westflügels umfasst auch alle weiteren Räume des Gebäudetrakts inklusive der unteren und oberen Kapelle. Unter den strengen Vorgaben des Denkmalschutzes fand auch hier der Einbau der Sicherheits- und Klimaanlagen, der Fenster sowie der Elektroinstallationen statt. Zudem musste das Gemäuer den gültigen Ansprüchen der Erdbebensicherheit angepasst werden. Ein Merkmal des Westflügels sind dievielen Malereien, die im Laufe der Zeit teilweise übermalt oder entfernt worden waren. Sie wurden nun wieder freigelegt oder mithilfe historischer Fotos rückgeführt. So schmücken jetzt floraleMalereien die Felder des Deckengewölbes der Kapelle. Die in einigen Räumen vorhandenen Bodenfliesen wurden auf Basis der alten Muster neugefertigt und verlegt. Die Keller- und Dachräume werden in Zukunft als Büros, Lager und Technikräume genutzt. Auch sie wurden komplett saniert.

Bis Oktober kommenden Jahres soll der Einbau der Ausstellung abgeschlossen sein. Im ersten und zweiten Obergeschoss wird die rund 2000 Quadratmeter grosse Dauerausstellung eingebaut, im zweiten Geschoss wird die 400 Quadratmeter grosse Familienausstellung Einzughalten. Zur Wiedereröffnung ist eine Publikation zu den historischen Zimmern geplant.

Geschrieben von

Ehemalige Redaktorin Baublatt

Claudia Bertoldi war von April 2015 bis April 2022 als Redaktorin beim Baublatt tätig. Ihre Spezialgebiete waren Architektur- und Technikthemen.

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