11:25 BAUPRAXIS

Kunst am Bau von Roman Candio: Begegnung im Raum

Geschrieben von: Claudia Porchet (cet)
Teaserbild-Quelle: Roman Candio / Bilder: Heinrich Breiter

Eine profunde Aufarbeitung des Werks zu Roman Candio gab es bisher nicht, obwohl der Solothurner Künstler rund 70 Kunstwerke am Bau realisiert hat. Nun ist ein Buch zu seinen Kunstbau-Arbeiten erschienen.

Fenster der Katholischen Kirche St. Stephan in Fulenbach

Quelle: Roman Candio / Bilder: Heinrich Breiter

Chorfenster mit abstraktem Dreifaltigkeitsmotiv in der Katholischen Kirche St. Stephan in Fulenbach SO (1967).

Wer ist Roman Candio? Ist er über Solothurner Grenzen hinaus überhaupt bekannt? «Viel zu wenig», findet die Buchautorin Roswitha Schild, die zusammen mit dem Grafiker und Fotografen Heinrich Breiter sowie dem Publizisten und Kulturmanager Bruno Frangi ein Übersichtswerk zu Candios Schaffen herausgebracht hat. Dabei hat Candio über 70 Werke Kunst am Bau in der ganzen Schweiz realisiert und wurde 1991 mit dem Solothurner Kunstpreis ausgezeichnet.

Das Gesamtwerk von Candio zu sichten, zu ordnen und aufzunehmen, erwies sich als nicht ganz einfach. Bruno Frangi konzentrierte sich zuerst auf die fehlenden und zerstörten Teile und investierte viel Zeit und Energie, um Behörden zu motivieren, kaputte Elemente zu ersetzen, Verschwundenes zu suchen, um den ursprünglichen Zustand der Arbeiten möglichst wiederherzustellen. 

«Zunächst mussten wir uns häufig um ganz profane Dinge kümmern, etwa um das Wegräumen von Stühlen, serbelnden Zimmerpflanzen oder gut gemeinte künstlerische Erweiterungen», erinnert sich Roswitha Schild. «Manchmal mussten wir auch zu Besen und Lappen greifen, um augenfällige Störfelder zu –entfernen. Kurzum: Wir mussten die ursprüngliche Erscheinungsform der Räume mit einigem Aufwand wiederherstellen.» Einmal waren Kirchen, Schulen und Alters­heime geschlossen, dann wichtige Museen und Bibliotheken.

Das Buch «Roman Candio: Begegnung im Raum» ist aber trotz der aufwendigen Vorarbeiten und zahlreichen Hindernisse herausgekommen. Das Werk stellt nicht nur Kunstwerke am Bau vor, sondern zeigt auch die Formensprache des Künstlers zum ersten Mal umfassend auf. «Candio machte keine Kopien von der Realität, vor allem am Anfang war sein Stil sehr reduziert», erklärt Roswitha Schild.

Neuartig, ungegenständlich

In der Katholische Kirche St. Josef in ­Däniken SO etwa schuf Candio in den ­Jahren 1964 und 1965 Glasfenster mit ­einer neuartigen ungegenständlichen Malerei: ein wolkenartiges Gebilde, das von horizontalen und vertikalen Linien durchsetzt war. Candio verzichtete auf die Illustration heiliger Schriften. Vielmehr wollte er die Gemeinde in die «Meditation» einstimmen.

Deckengemälde Kapelle Pflegeheim St. Martin in Olten SO

Quelle: Roman Candio / Bilder: Heinrich Breiter

Ansicht des zentralen Deckengemäldes mit farbigem Fünfstern und des Glasgemäldes über dem Altarbereich in der Kapelle des Alters- und Pflegeheims St. Martin in Olten SO.

Herausragendes Raumgefühl

Candio, der sowohl die Kunstgewerbeschule Luzern als auch die Kunstakademie Düsseldorf besucht hat, bekam 1961 den Auftrag, die Fenster in der Marienkapelle Sulperg im aargauischen Wettingen zu ­gestalten. Wie immer bei diesem Künstler gingen zahlreiche Skizzen und Entwürfe voraus, bis er schliesslich zu einer für ihn stimmigen Form fand.

Roswitha Schild schreibt, dass Candio insbesondere die Wirkung der Bleiruten der Fenster beschäftigte. «Diese Überlegungen flossen später massgeblich in seine Glasfenster im solothurnischen Lohn und im Sankt Gallischen Jona ein, die seiner Einschätzung nach «von den Bleibewegungen leben».

Roswitha Schild vergleicht die Fenster der Marienkapelle Sulperg «in ihrer zurückhaltenden Farb- und Formgebung» mit Candios damaligen Gemälden: «häufig ­geometrische Abstraktionen in Weiss, Grau und Schwarz.» Bei Sonnenschein ergebe sich eine cognacfarben-warme Atmosphäre. Das heisst, der Raum verändert sich.

Damit sind wir bei einem zentralen ­Begriff angelangt: dem Raum. «Es ist spannend, wie Candio auf verschiedene Raumarten eingehen kann», erklärt Roswitha Schild auf Anfrage. «Es ist sehr eindrücklich, wie er einen Raum erspürt.» Candio habe ein herausragendes Raumgefühl.

Kirchen neu erleben

Abstrakt hat Candio auch 1964 in der Kloster­kirche St. Josef in Solothurn gearbeitet, zweifellos eines seiner Hauptwerke. Ein aus bunten Rechtecken und Quadraten ­bestehendes Fensterband verläuft unmittelbar unter der Decke des Altarraums. Auch hier verändern die verschiedenen ­Tageszeiten «dank der fein abgestuften Farbtöne» den Raum, je, nachdem, wie der Lichteinfall ist.

«Candio ging im sakralen Raum auf ­Distanz zu altvertrauten Symbolen, vielmehr ging es ihm darum, Kirchenräume neu erlebbar zu machen durch unverbrauchte Bilder, die sich den Betrachtenden häufig erst in der Bewegung durch den Raum ­erschliessen», schreibt Roswitha Schild.

Zu einem ähnlichen Resultat kommt Candio 25 Jahre später bei der Renovation und künstlerischen Neugestaltung der Pfarr­kirche St. Alexander in Aadorf. Hier steht er vor der Aufgabe, den Bezug zwischen den bestehenden Glasfenstern im Kirchenschiff und dem von ihm gestalteten Chorraum ­herzustellen, ohne dabei mit der Farbigkeit der Fenster zu konkurrieren. Seine Lösung ist bestechend einfach: Er taucht die vieleckige Chorwand in raumhohe, rechteckige Farbflächen in zurückhaltenden Rot-, Blau- und Gelbtönen und begrenzt sie durch ein weisses wolkenartiges Band, das dem Ganzen einen Rahmen gibt.

Wandgemälde Kantonsschule Hardwald in Olten

Quelle: Roman Candio / Bilder: Heinrich Breiter

Zweiteiliges Wandgemälde «Farbzeichen auf Beton» im Flur des 3. Obergeschosses in der Kantonsschule Hardwald Olten SO (1977).

Fünfstrahliger Stern

Bei der Ausgestaltung der Kapelle im ­Alters- und Pflegeheim St. Martin in Olten SO entschied sich Candio 1975 für ein heiteres Gelb als Grundfarbe. Auch hier treffen wir auf wolkig umhüllendes Weiss, das den Raum aufhellt. Tageslicht fällt einzig durch das Glasgemälde über dem Altar ein.

Im abstrahierenden fünfstrahligen Stern an der Decke kommen die sparsam im Raum verwendeten Farben Rot, Grün, Rosa, Hellblau und das dominante Gelb auf weissem Wolkengrund zusammenfassend nochmals vor. Sein Zentrum hat der Fünf­stern genau auf der Deckenkante, was der niedrigen Decke etwas Kuppelartiges verleiht und den Raum erhöht.

Verspielte Wandgemälde

Verspielt ging Candio bei der Aufgabe im Grenchner Schulhaus Halden 1972 vor. Der grosse Eingangsbereich wirkt durch das Wandgemälde leicht, kein Pathos, kein ideologisches oder pädagogisches Programm. Subtil und kindgerecht verspielt reagierte er auf den etwas kühlen und streng strukturierten Aussenraum. Was aber so leicht aussieht, ist das Resultat vieler Studien, zahlreicher Zweifel und Neuanfänge. Immer wieder musste er durch aufreibende Wechselbäder gehen, um im Raum eine ­Begegnung möglich zu machen, die schliesslich leicht und wohltuend wirkt.

Mit der Kantonsschule Olten SO, mit ihren Stützen und Trägern, mit Treppen und Terrassen formten die Architekten eine gewaltige Skulptur. Die Materialien setzen sich zusammen aus gestocktem und glattem Sichtbeton, rostigem Cortenstahl und unverputztem Backstein. Die Leitungen sind offen verlegt, die Stahlgeländer im Treppenhaus robust wie Leitplanken: Ein Haus, so rational im Raster wie brachial im Ausdruck.

Mit seinen Bildern erzeugt Candio 1977 Lebendigkeit, indem er Formen miteinander kombiniert, die nichts miteinander zu tun haben. Beim Malen am Objekt schafft er durch feine Nuancen Bezüge, welche dazu beitragen, dass jedes Element seine Kraft und Eigenständigkeit im Verbund behält.

Ob Candio nun gelbblaue Zacken zwischen Wolken und T-Zeichen oder Bio­morphes zwischen Farbschirm und flimmernder Anordnung weisser Quadrate auf Schwarz präsentiert: Immer bleibt der ­Eindruck einer Kraft, die jedes Element für sich strahlen lässt, zusammen jedoch gerade dadurch einen Mehrwert erfährt. Die Betonwand verwandelt sich auf diese Weise in etwas anderes, in etwa Aufmüpfiges und Menschliches zugleich. «Es braucht wenig, um bewegt zu werden: ein Zeichen, eine Farbe, eine Linie, einen Ton», so der Künstler.

Wandbild im Bildungszentrum Wallierhof Riedholz SO

Quelle: Roman Candio / Bilder: Heinrich Breiter

Wandbild im Hauswirtschaftsgebäude, genäht aus Baumwollstoff, auf Holzplatte montiert. Im Bildungszentrum Wallierhof Riedholz SO (1978)

Figurativ

Dass Candio auch anders kann, hat er unter anderem mit seinen Aquarellen im Alters­zentrum Breite in Schaffhausen von 1991 gezeigt. Mehrheitlich zeigen die Bilder farbenprächtige Pflanzen und Blumen. Die Sujets sind der Aufgabestellung gemäss klar erkennbar, konkret, kompakt komponiert, farbenfroh – viel in den Grundfarben Gelb, Rot, Blau mit viel Grün.

Im Bildungszentrum Wallierhof Riedholz SO (1978) gibt es gar konkret-erzählerische Elemente wie verschiedene Tiere, Gebäude, Personen, und einen Traktor. Da gibt es einen Apfelbaum, eine Bäuerin mit Schürze und vollem Korb vor dem Leib sowie die Grundfarbe Grün in mannigfachen Schattierungen.

Roman Candio ist ein vielfältig begabter Künstler, der sowohl abstrahierte Kirchenbilder und Betondecken gestaltete, aber auch bunte Blumen- und Genrebilder malte. Im neu erschienen Buch «Roman Candio: Begegnung im Raum» gibt es ihn und seine Welt (wieder) zu entdecken. 

Buchtipp

Roman Candio: Begegnung im Raum. Texte von Roswitha Schild. Mit Beiträgen von Sibylle Zambon, und Bruno Frangi. Fotos: Heinrich Breiter. Zürich: Scheidegger & Spiess, Januar 2023. ISBN 978-3-03942-105-3. 59 Franken.

 

Geschrieben von

Redaktorin Baublatt

Claudia Porchet ist Philologin und interessiert sich für Architekturgeschichte, Kunst am Bau und Design. Ebenso begeistern sie neue Forschungsresultate aus allen Bereichen. Zudem ist sie für die Kolumnen zuständig und steht deshalb in Kontakt mit allen grossen Verbänden.

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