Kreislaufwirtschaft: Cradle to Cradle im Holzbau
Haben die in Häusern eingesetzten Materialien und Bauteile künftig alle mehrere Leben? Die Bauwelt arbeitet daran, kreislauffähige Konstruktionen zu entwickeln, mit denen das möglich wird. Aktuelle Schweizer Bauprojekte im kleinen wie im grossen Massstab zeigen, dass sich Holz dafür ausgezeichnet eignet.
Quelle: Janusz Drap, eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Holz - nachhaltiger Baustoff mit viel Tradition. Im Bild: Stabkirche Borgund in Norwegen, sie stammt aus dem 12. Jahrhundert.
Von Michael Meuter*
Wald und Holz stehen in einem natürlichen Kreislauf. Jeder Baum zieht CO2 aus der Luft und baut mit dem Kohlenstoff daraus Holz auf. Nach der Ernte des Baumes halten Holzprodukte den Kohlenstoff fest, während der Wald als Solarfabrik weiterarbeitet, indem er immer neues CO2 aufnimmt und in Biomasse verwandelt. Der Holzzuwachs kann laufend abgeschöpft werden. Auf diese Weise kann ein zweiter Wald in Form von Holzprodukten heranwachsen.
Wichtig ist, dass der Klimanutzen des Gesamtsystems von Wald und Holz von möglichst langer Dauer ist. Deshalb erfolgt die Vewendung des Rohstoffs sinnvollerweise in einer Kaskade: hochwertig vor niederwertig vor energetisch. Fliesst das sägefähige Holz zuerst vor allem in langlebige, hochwertige Produkte wie Häuser, Innenausbauten und Möbel, bleibt der darin gespeicherte Kohlenstoff aus der Atmosphäre über viele Jahrzehnte fixiert. Dann folgen andere, immer weniger hochwertige Anwendungen desselben Materials, bis es am Ende noch der Gewinnung von Wärme und Strom dient.
Das Kreishaus in Feldbach ZH als Labor für die Zukunft des Bauens
Mit seinem natürlichen Lebenszyklus und seiner Klimawirkung ist Holz prädestiniert für kreislauffähiges Bauen. Das im Herbst 2021 in Feldbach am Zürichsee eröffnete Demonstrations- und Forschungsobjekt namens Kreishaus zeigt auf kleinstem Raum, was man sich darunter vorstellen muss. Das Haus besteht aus einer voll ausgebauten kleinen Wohneinheit mit Wintergarten. Bei diesem Pionierbau ist alles nach dem Kreislaufprinzip aufgebaut – von den Baumaterialien bis zum Abwasser für den Dachgarten.
Der kleine Bau kommt ganz ohne Beton aus. Für die Wohneinheit wurde ein Vollholzelementbausystem aus dem Appenzell eingesetzt, bei dem Bretter mit Holzdübeln zu grossflächigen Platten verbunden werden. Der Wintergarten entstand in einer Balkenkonstruktion. Die Böden und Wände des Wintergartens bestehen ebenfalls aus einem Massivholzsystem ohne Leim und Metall. Alle Teile wurden so verbaut, dass sie am Lebensende wieder auseinandergenommen und neu verwendet oder rezykliert werden können.
Treibende Kraft hinter diesem Pionierbau ist die Devi Bühler, Umweltingenieurin der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW). Sie leitet ein von über 40 Partnern unterstütztes Kooperationsprojekt zwischen der ZHAW und dem Verein Synergy Village als Umsetzungspartner, mit dem noch bis Ende Jahr Betriebsdaten für die weitere Forschung und Entwicklung gesammelt werden. "Der Einsatz des Baustoffs Holz liegt bei einem solchen Projekt auf der Hand", sagt die junge Wissenschaftlerin. "Das Material kommt in der Schweiz mit kurzen Transportwegen aus umweltgerecht bewirtschafteten Wäldern, es verfügt über ausgezeichnete baubiologische Eigenschaften, wirkt als CO2-Senke, und sein Potential als Baustoff ist bei weitem nicht ausgeschöpft." Doch mit dem Baustoff allein ist es noch nicht getan, wie sie erklärt. Der Gesamtblick fehle oft. Kreislauffähiges Bauen braucht laut Bühler "unbedingt eine ganzheitliche Planung".
Was das bedeutet, hat das Büro für Holzbau, Bauphysik und Brandschutz Pirmin Jung Schweiz AG in einer Studie zu Rückbau und Wiederverwendung von Holzbauten untersucht. Verfasst haben sie der Holzingenieur Daniel Müller, Bereichsleiter Bauphysik bei Pirmin Jung, und sein Mitarbeiter Dan Moser, der zu diesem Thema bereits seine Bachelorarbeit geschrieben hat.
Stärke: Weit fortgeschrittenen Digitalisierung
Der Holzbau hat für kreislauffähige Konstruktionen von Haus aus einige Vorteile. Eine besondere Stärke liegt in der weit fortgeschrittenen Digitalisierung. Bereits seit den achtziger Jahren betreibt die Holzbaubranche computergestützte Planung (CAD) und Fertigung (CNC), weshalb sie heute auch im Building Information Modelling (BIM) technisch an der Spitze steht.
Die grosse Mehrheit der Holzbauwerke in der Schweiz wird mit digitalen 3D-Modellen geplant, die erforderlichen Baumaterialien werden ab diesen Modellen bestellt. Die verbauten Materialien sind so bei Holzbauwerken gut dokumentiert und damit nachverfolgbar. Überdies sind die vorgefertigten Bauteile bei einem Rückbau gut fassbar und lassen sich in vielen Fällen zerstörungsfrei ausbauen, überprüfen und abtransportieren.
Doch auch im Holzbau ist Kreislaufdenken noch nicht Standard. Denn der Rückbau müsse bereits in der Planungsphase eines Gebäudes bedacht werden, hält Daniel Müller im Gespräch fest. Dieser Aufwand werde oft noch gescheut, weil er sich finanziell zu wenig lohne. Für eine kreislauffähige Konstruktion brauche es eine saubere Schichtentrennung und möglichst einfache, reversible Verbindungen. Und: "Je einfacher die Konstruktion, desto besser." Diese Erkenntnisse setzt das Ingenieurbüro Pirmin Jung Schweiz AG in einem vielbeachteten Projekt in Sursee in die Praxis um: im ‹Haus des Holzes›. Architekt Marc Syfrig und Bauherr Pirmin Jung (Holzbau: ARGE ‹Haus des Holzes› mit Hecht Holzbau AG, Sursee/Haupt AG, Ruswil/Tschopp Holzbau AG, Hochdorf) verbinden in diesem sechsgeschossigen Holzbau mit gemischter Nutzung verschiedene innovative Technologien.
Nur das Untergeschoss ist betoniert. Für die Wände kommen Holzrahmenkonstruktionen zum Einsatz. Dort, wo sie aussteifende Funktion haben, sind sie mit flächigen Brettsperrholzscheiben ausgesteift. In der gesamten Aussteifung sind keine metallischen Verbindungsmittel notwendig. Der Bau wird diesen Herbst bezogen.
Den Paradigmenwechsel im Holzbau vorbereiten
Das Projekt "circularWOOD" der Hochschule Luzern (HSLU) geht den Bedingungen für einen Paradigmenwechsel in Richtung zirkulärer Wirtschaft im Holzbau auf den Grund. Dafür arbeitet das Kompetenzzentrum Typologie & Planung in Architektur (CCTP) mit dem Lehrstuhl für Entwerfen und Holzbau der Technischen Universität München zusammen. Das Projekt führt Sonja Geier, Architektin, Ingenieurin und stellvertretende Leiterin des CCTP. Aus ihrer Sicht eignet sich Holz als erneuerbarer Werkstoff ausgezeichnet für kreislauffähiges Bauen. Damit, so Geier, gehe aber auch die Verpflichtung zum sorgsamen Umgang mit der wertvollen Ressource einher: "Es braucht bei Holz eine Wieder- oder Weiterverwendung oder zumindest eine mehrstufige Kaskadennutzung."
Auch unter technologischem Aspekt sieht Geier Holz als einen Baustoff, der gute Voraussetzungen für kreislauffähige Konstruktionen mitbringt. "Holz ist leicht, das senkt die graue Energie in Transport und Logistik. Bauteile lassen sich im Computer planen und bis ins grosse Format vorfertigen. Allein der Grundsatz des Fügens im Holzbau führt schon recht nahe an das Bild einer gleichsam modular zusammengesetzten und wieder zerlegbaren Konstruktion. Vereinfachungen im Schichtaufbau und auch stärkere Standardisierung könnten aber helfen, die im Holzbau angelegten Vorteile noch besser zu nutzen."
Insgesamt, so Geier, hätten Bau und Immobilien noch einen langen Weg vor sich bis zu geschlossenen Kreisläufen. "Dafür muss sich ein ganz neues Bewusstsein bei den Eigentümern entwickeln. Jeder Bau muss künftig auch als Rohstoffquelle der Zukunft erkannt werden. Er enthält einen Materialwert, der im Rückbau wieder aktiviert werden kann. Dafür gibt es aber noch keine Geschäftsmodelle. Gerade die Hölzigen sollten sich überlegen, wie sich so etwas gestalten lässt. "Mit dem Projekt ‹circularWOOD› versuchen wir den Weg dazu aufzuzeigen."
*Michael Meuter ist Verantwortlicher Information von Lignum, Holzwirtschaft Schweiz, Zürich