Kommission Hochwasserschutz: Geschiebe mit enormen Kräften
Der Bergsturz am Piz Cengalo hat gezeigt, wie wichtig vorbeugende Sicherungsmassnahmen für Bondo waren. Der Geschiebehaushalt und vor Überschwemmungen sowie Murgängen schützende Rückhalteanlagen standen im Fokus der Tagung der Kommission Hochwasserschutz KOHS.
Als am Morgen des 23. August 2017 im Val Bondasca die Sensoren Alarm schlugen, waren die Bewohner und Hüttenwarte der Zone bereits vorgewarnt. Seit Tagen war die Gegend um den Piz Cengalo als Gefahrengebiet deklariert worden, Hinweisschilder warnten vor dem Betreten des Wandergebiets. Über drei Millionen Kubikmeter Gestein stürzten mit einer Geschwindigkeit von 250 Kilometern pro Stunde zu Tal. Der durch den Bergsturz verursachte Murgang schwemmte Material bis ins drei Kilometer entfernte Dorf Bondo und begrub grosse Teile des Ortes unter sich.
Alle 200 Einwohner von Bondo waren zu diesem Zeitpunkt bereits evakuiert. Nur zwei Tage später mussten sie ein zweites Mal fliehen, als am Nachmittag des 25. August ein weiterer Murgang das Dorf erreichte. Eine zuvor definierte Gefahrenzone wurde erneut überflutet, dabei neben den bereits beschädigten oder zerstörten Gebäuden ein weiteres Firmengelände in Mitleidenschaft gezogen. Bondo hatte Glück im Unglück; Menschen kamen im Ort selbst nicht zu Schaden. Denn das Gebiet der Gemeinde Val Bregaglia ist durch ein Murgang-Alarmsystem abgesichert. Es war nach einem Bergsturz 2011 eingerichtet worden und löste nun erstmals seit der Installation aus. Zudem wurde die Geröll- und Schlammlawine, die bis zu einer Breite von 100 Metern durch das Tal schoss, durch ein Auffangbecken im Dorf aufgehalten.
Anzeichen für einen Bergsturz bestanden für die Experten seit geraumer Zeit, aber weder hatte man mit einem so enormen Ausmass noch mit dem unmittelbar einsetzenden Murgang gerechnet. Dennoch war man vorbereitet. «Nach dem Bergsturz im Jahr 2011 mit 1,5 Millionen Kubikmetern Geröll wurde in Bondo bis 2016 ein grosser Rückhalteraum angelegt. Unter anderem musste in der als gefährdet beurteilten Zone ein Campingplatz weichen, an Strassen und Brücken, im Gewerbegebiet und in der Wohnzone wurden Verstärkungs- und Sicherungsmassnahmen durchgeführt», berichtet Christian Tognacca vom auf Wasserwirtschaft und Flussbau spezialisierten Unternehmen Beffa Tognacca GmbH.
Quelle: klaas hartz_Pixelio.de
Bei Hochwasser besteht Verklausungsgefahr durch mitgeführtes Holz. Löst sich die «Verstopfung» bei grossem Druck, stürzen die angestauten Wassermassen und Materialien unkontrolliert ins Tal.
Massnahmen haben sich bewährt
«Die bereits 2014 eingeleiteten Schutzmassnahmen mit Reissleine und Alarmsystem, die bei starken Niederschlägen und hohem Pegelstand auslösen, die Sperrung der Strassen sowie die Schliessung des Schiebetors am Kegelhals haben sich bewährt», so Tognacca. Noch immer liege in der Steilstrecke und Transitzone vom Berg nach Bondo sehr viel Material, dass beseitigt werden müsse. Das Alarmsystem ermöglichte aber selbst zwischen den Murgängen im August Aufräumungsarbeiten, sodass sich die Arbeiter rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Bereits bei den letzten Massnahmen waren für den Rückhalteraum sehr hohe Volumina eingeplant worden, was sich nun als sicherheitsrelevant erwiesen hat. Die 500 000 Kubikmeter Ablagerungen im Kegelraum wurden inzwischen ausgebaggert und in Deponien eingebaut.
«Der Berg bewegt sich weiter, es sind noch wesentlich höhere Abflüsse möglich. Deshalb wird das Auffangvolumen erhöht. Die Sicherheitsmassnahmen bleiben bestehen, werden aber optimiert, unter anderem werden die Brücken angehoben und die Verkehrsleitung angepasst», berichtet der Experte. Um der Bevölkerung mehr Sicherheit und einige Minuten zusätzliche Reaktionszeit zu geben, wurde die Reissleine zwei Kilometer weiter entfernt im Tal installiert.
«Eine Restgefährdung bleibt immer bestehen. Es wurden aber Überlastungsfälle für unterschiedliche Murgänge und Bergstürze mit Gesteinsmengen von drei bis vier Millionen Kubikmetern errechnet», fährt Tognacca fort. Dabei wurden auch wesentlich höhere Mengen als die bisher angenommenen 600 000 Kubikmeter einkalkuliert. Wie die Erfahrungen zeigen, treten die Abflussmengen nicht in einem Schub auf, sondern sind das Ergebnis mehrerer hintereinander folgender Murgänge.
Im Januar wurde im Auftrag der Gemeinde Bregaglia ein zweistufiger Projektwettbewerb für den Wiederaufbau von Schutzbauten und Verkehrswege ausgeschrieben. Gegenstand des Wettbewerbs ist die Ausarbeitung eines Lösungsvorschlags für die landschaftsarchitektonische Gestaltung der Verbauungsanlagen sowie für die neuen Verkehrsanlagen. Das Verfahren wie auch die weitere Planung und Realisierung erfolgen in enger Zusammenarbeit mit dem Kanton Graubünden.
Weitere Projekte für Schutzmassnahmen kamen an der Tagung der KOHS zur Sprache, wie zum Beispiel das Geschieberückhaltebecken der Maschänser Rüfi im Churer Rheintal sowie Schutzbauten im Val Paghera. Ebenfalls Thema war ein Geschiebesammler zum Schutz der Dörfer Gampel und Steg vor Hochwassern der Lonza.
Quelle: Karl-Heinz Liebisch_Pixelio.de
Noch fliesst der Bach ruhig dahin. Im Frühjahr zur Schneeschmelze oder bei starken Gewittergüssen und in lang anhaltenden Regenperioden kann er sich zum reissenden Strom verwandeln. Dann verhindern Geschiebesammler den Abtransport grosser Mengen von Material und die Vermurung an der Talsohle.