Kirchen im Wandel der Zeit: Neue Nutzung für sakrale Räume
Die Kirchenlandschaft in der Schweiz ist geprägt von einem tiefgreifenden Wandel. Sowohl die katholischen als auch die reformierten Kirchen verzeichnen sinkende Mitgliederzahlen, was Fusionen von Kirchgemeinden und die Aufgabe zahlreicher Kirchengebäude notwendig macht. Diese Entwicklung wird sich in den kommenden Jahren voraussichtlich verstärken, da die Nutzung vieler Kirchenräume nicht mehr wirtschaftlich tragbar ist.
Quelle: Basile Bornand Fotopraxis
Das Projekt Oekolampad schafft neues Leben für ein Basler Wahrzeichen.
Die Universität Bern dokumentiert diesen Trend in einer umfang-reichen Datenbank. Sie zeigt eindrucksvoll die Vielfalt der Umnutzungen, die von kulturellen Einrichtungen über soziale Projekte bis hin zu privaten Wohnhäusern reichen. Diese Sammlung dient nicht nur der Forschung, sondern auch als Inspiration für Architekturbüros und Entscheidungsträger.
Die technische Herausforderung und emotionale Dimension
Technisch betrachtet unterscheidet sich die Umnutzung von Kirchengebäuden kaum von der Transformation anderer Bauwerke, etwa von Industriehallen. Doch der emo-tionale Wert einer Kirche als Ort des Glaubens, der Spiritualität und der Gemeinschaft macht diese Aufgabe besonders anspruchsvoll. Hier bedarf es eines sensiblen Umgangs mit den Erwartungen der lokalen Bevölkerung, für die diese Gebäude oft Erinnerungen und symbolische Bedeutungen tragen.
Vielfältige neue Nutzungen
Ein Beispiel dafür ist die Lukaskapelle in Bern, die 1924 im Art-déco-Stil erbaut wurde. Nach ihrer Profanierung 2010 wurde sie in ein Wohnhaus umgewandelt. Architekt Cornelius Morscher hat dabei bewusst Elemente wie das Kreuz auf dem Dach und eine Inschrift erhalten, um die ursprüngliche Bedeutung des Gebäudes sichtbar zu lassen.
Neben der Umwandlung in Wohnhäuser gibt es zahlreiche andere Nutzungsformen. Das Kapuzinerinnenkloster St. Karl in Altdorf, das 2004 aufgelöst wurde, dient heute als Firmensitz und Quartier für eine Tourismusgruppe. Trotz moderner Büroeinrichtungen blieb der ursprüngliche Zustand vieler Räume erhalten, was eine besondere Atmosphäre schafft.
Quelle: Basile Bornand Fotopraxis
Das äussere Erscheinungsbild der Kirche Oekolampad hat sich nicht stark verändert.
Quelle: Hanspeter Schiess
Der Umbau der Zwingli-Kirche zielte darauf ab, den ursprünglichen Charakter der Kirche zu bewahren und gleichzeitig ihre Nutzungsmöglichkeiten erheblich zu erweitern.
Die Zwinglikirche: Vom sakralen Raum zum Quartierzentrum
Ein exemplarisches Beispiel für eine gelungene Umnutzung ist die Zwinglikirche in Schaffhausen. 1957 als Quartierkirche eingeweiht, verkörperte sie mit ihrer schlichten Zeltform und den klaren Linien den funktionalen und zurückhaltenden Architekturstil ihrer Zeit. Doch veränderte Anforderungen und bauliche Defizite machten eine Sanierung unumgänglich. Im Jahr 2006 begann ein umfassender Umbau, der nicht nur technische und funktionale Verbesserungen brachte, sondern auch die Verbindung zur Quartiersgemeinschaft neu definierte.
Der Umbau zielte darauf ab, den ursprünglichen Charakter der Kirche zu bewahren und gleichzeitig ihre Nutzungsmöglichkeiten erheblich zu erweitern. Ein besonderes Highlight des Projekts ist die vollständig erneuerte Decke mit nahezu zwei Millionen präzise gebohrten Löchern. Diese beeindruckende technische und handwerkliche Leistung, umgesetzt von der Schreinerei Bantli AG, verleiht dem Innenraum eine einzigartige Akustik und Lichtstimmung.
Die neue Zwinglikirche öffnet sich sowohl symbolisch als auch funktional dem Quartier: Der Eingangsbereich wurde grosszügig erweitert und barrierefrei gestaltet, während das Sekretariat als «alltagsnahe Anlaufstelle» direkt ins Gebäude integriert wurde. Der Kirchenraum selbst erhielt eine flexible Bestuhlung, moderne technische Ausstattung und eine innovative Lichtwand, die nicht nur funktional ist, son-dern auch die spirituelle Bedeutung des Raumes unterstreicht.
Das Gebäude dient heute nicht mehr nur als Gotteshaus, sondern auch als Veranstaltungsort für Konzerte, Vorträge und kulturelle Anlässe. Besonders bemerkenswert ist die sorgfältige Abstimmung zwischen traditioneller Architektur und modernen Anforderungen: Während die markanten Zeltform-Elemente und die massive Wandstruktur beibehalten wurden, sorgen Massnahmen wie die Wärmedämmung des Dachs und die energieeffiziente Boden-heizung für einen zeitgemässen Komfort.
Die Zwinglikirche wurde für ihre Transformation mehrfach ausgezeichnet. Besonders das Architekturbüro Busenhart & Partner AG unter der Leitung von Roland Busenhart erhielt Anerkennung für den gelungenen Spagat zwischen dem Erhalt der ursprünglichen architektonischen Identität und der Modernisierung zu einem multifunktionalen Gebäude. Hervorgehoben wurden die innovative Lichtgestaltung, die massgeschneiderte Akustiklösung und die ästhetische Umsetzung, die das historische Design respektiert und gleichzeitig neue Akzente setzt.
Diese Qualitäten machten die Zwinglikirche zu einem Vorbildprojekt für ähnliche Vorhaben in der Umnutzung sakraler Bauten. Ihre Wiedereröffnung im Jahr 2007 markierte nicht nur das Ende der Bau-arbeiten, sondern auch den Beginn einer neuen Ära. Als lebendiges Quartierzentrum verbindet die Kirche heute Vergangenheit und Gegenwart und hat sich eine überregionale Strahlkraft als Kultur- und Gemeinschaftsort erarbeitet.
Heute steht die Zwinglikirche als Symbol für die gelungene Wiederbelebung kirchlicher Räume in einer zunehmend säkularisierten Gesellschaft. Sie zeigt, wie Sakralbauten durch kreative Umnutzung nicht nur erhalten, sondern auch zu einem integralen Bestandteil des Gemeinschaftslebens werden können.
Das Oekolampad: Ein neues Leben für ein Basler Wahrzeichen
Das Gemeindehaus Oekolampad in Basel, benannt nach dem Reformator Johannes Oekolampad, wurde 1931 von den Architekten Emil Bercher und Eugen Tamm erbaut. Mit seiner kubischen Backsteinar-chitektur repräsentiert es die klassische Moderne und steht seit 1996 unter Denkmalschutz. Nach dem letzten Gottesdienst im Jahr 2011 wurde das Gebäude nicht mehr für kirchliche Zwecke genutzt.
Im November 2020 erwarb die Wibrandis Stiftung das Gemeindehaus mit dem Ziel, es zu einem Begegnungsort für alle Generationen umzunutzen. Die Architekten und Architektinnen von Vécsey Schmidt (Projektleitung Juri Schönenberger und Paula Frasch) standen vor der Herausforderung, die historische Substanz zu bewahren und gleichzeitig moderne Nutzungen zu integrieren.
Die Sanierung, die im Sommer 2022 begann und bis 2024 andauerte, umfasste umfangreiche Restaurationen und Umbauten im Innern, während das äussere Erscheinungsbild weitgehend unverändert blieb. In den ehemaligen Kirchensaal wurde ein multifunktionaler Theaterraum eingebaut, der die sakrale Atmosphäre des Raumes bewahrt und gleichzeitig für kulturelle Veranstaltungen genutzt werden kann.
Quelle: Basile Bornand Fotopraxis
Im ehemaligen Kirchensaal des Projekts Oekolampad wurde ein multifunktionaler Theaterraum eingebaut.
Zusätzlich wurden ein Demenzgarten und ein Gastronomiebetrieb integriert, die das Oekolampad zu einem lebendigen Treffpunkt für alle Generationen machen. Verschiedene gemeinnützige Institutionen, darunter AMIE Basel, die Stiftung Basler Wirrgarten, das Mädchenmagazin Kaleio und das Vorstadttheater Basel, haben im Gebäude ihre Heimat gefunden.
Die gelungene Umnutzung wurde im November 2024 vom Heimatschutz Basel mit einer Auszeichnung gewürdigt. Besonders hervorgehoben wurde die Qualität der Sanierung und die Schaffung eines Kultur- und Begegnungszentrums, das die architektonische Integrität des denkmalgeschützten Baus respektiert.
Das Oekolampad steht heute als Beispiel dafür, wie historische Kirchengebäude durch sensible Umnutzung neue Funktionen erhalten und weiterhin als bedeutende Orte im städtischen Gefüge dienen können.
Ein Blick in die Zukunft
Die Umnutzung von Kirchengebäuden ist nicht nur eine architektonische, sondern auch eine gesellschaftliche Herausforderung. Sie bietet die Möglichkeit, historische Bauwerke zu bewahren und neue Impulse für das Gemeinwesen zu setzen. Mit dem sensiblen Umgang, wie er bei der Zwinglikirche, dem Oekolampad oder der Lukaskapelle praktiziert wurde, lassen sich emotionale Werte und moderne Bedürfnisse harmonisch verbinden.
Quelle: Basile Bornand Fotopraxis
Oekolampad: ein Ort der Begegnung und des gemütlichen Zusammenseins.