08:37 BAUPRAXIS

Hybrid-Flachs-Pavillon: Baustoff aus dem Garten

Geschrieben von: Ben Kron (bk)
Teaserbild-Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

An der Landesgartenschau in Baden-Württemberg präsentiert die Uni Stuttgart einen Pavillon in einer neuartigen Bauweise: eine Konstruktion aus Bauholz und Platten aus gewickeltem Flachs. Mit dem Einsatz der uralten, robusten Kulturpflanze lassen sich Holz und viele weitere Ressourcen sparen – und natürlich der CO2-Fussabdruck des Gebäudes massiv senken.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Der Hybrid-Flachs-Pavillon an der Landesgartenschau in Wangen: Aussergewöhnliche Form trifft einzigartige, neue Konstruktionsweise.

Gartenbauausstellungen haben es in der Schweiz nicht leicht. Nachdem 1959 in Zürich der erste nationale Event dieser Art stattfand, gab es 1980 mit der «Grün 80» in Münchenstein bei Basel noch eine zweite und bisher letzte Ausgabe. Unser nördlicher Nachbar Deutschland indes hat schon im 19. Jahrhundert erste Gartenschauen veranstaltet, die bis heute zum festen Programm gehören: Alle zwei Jahre findet die Bundesgartenschau statt, zuletzt 2023 in Mannheim. Alle zehn Jahre lädt Deutschland gar zur Internationalen Gartenbauausstellung.

Parallel dazu führen die Bundesländer ihre eigenen Landesgartenschauen durch. Aktuell läuft die Schau des Landes Baden-Württemberg, die in Wangen in Allgäu stattfindet. Seit diesem Frühjahr und noch bis zum 16. Oktober kann das Gelände in der Stadt nördlich des Bodensees besucht werden, Erwachsene zahlen 19 Euro für die Tageskarte.

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Quelle: Landesgartenschau / Roland Halbe

Der Pavillon steht in Sichtweite zum 22 Meter hohen Aussichtsturm, der ebenfalls aus Holz errichtet wurde.

Turm und Pavillon

Und sie kriegen nebst viel Grün und Blumenpracht, nebst Kulinarik und Kultur auch architektonisch etwas geboten. Der «Eyecatcher» der Landesschau ist ein 22 Meter hoher Aussichtsturm aus Holz, einer in sich gedrehten Konstruktion, um die es im Vorfeld der Veranstaltung einige Diskussionen gab.

In Sichtweite des Turms gleich daneben aber, umgeben vom renaturierten Fluss Argen, steht der heimliche Star der Ausstellung: ein Hybrid-Flachs-Pavillon, der an der Uni Stuttgart entwickelt wurde, genauer am Exzellenzcluster «Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur» der Professoren Achim Menges und Jan Knippers. Und trotz der Diskussionen um den Holzturm stellte der Wangener Oberbürgermeister Michael Lang in seiner Eröffnungsrede klar: «Der eigentliche Star ist der Holz-Naturfaser-Pavillon. Allein schon durch seine Bauweise wird er ein Anziehungspunkt sein.»

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Der Aufbau im Schema von unten nach oben: 1. Umlaufende Glasfassade 2. Zentraler Klimagarten 3. Robotergewickelte Naturfaserkomponenten 4. Holz-Hybridkomponente 5. Dachaufbau.

Fliessende Form

Denn schon die Form des Pavillons ist speziell, mit seinem gewellten und gewölbtem Dach, das zur Mitte des Zentralbaus hin abfällt. Diese Wellenform entspricht dem umgebenden Fluss und fügt sich nahtlos ein in die kleinen Hügel der Umgebung. Im Inneren schafft die Form kontinuierliche, sich graduell verändernde Raumzonen. Daneben ermöglicht die vollständig verglaste Fassade eine beeindruckende Rundumsicht, liegt doch der Pavillon inmitten der Schaugärten. Auch der Übergang von Innen und Aussen wird dadurch fliessend, wie alles bei diesem Pavillon. Während der Gartenschau wird er eine interaktive Ausstellung des Landkreises Ravensburg beinhalten, zu den Themenbereichen Erneuerbare Energien, Energiewende und Klimaneutrales Bauen.

Einzigartig ist aber vor allem die Konstruktion: Der Bau kombiniert schlanke Brettsperrhölzer mit Flachsfaserkörpern zu einem neuartigen Tragsystem. Dieses schont Ressourcen, da Holz durch regional wachsende, biobasierte Bauwerkstoffe ersetzt wird. «Dieser Pavillon ist das erste Gebäude weltweit, das auf diese Weise mit Naturfasern arbeitet», so Professor Jan Knippers. Er ist Leiter des Instituts für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen an der Universität Stuttgart

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Roboter beim Wickeln. Oder präziser: Roboter-Werkzeugeffektor erstellt Faserwickelkopf mit Inline-Imprägnierung.

Jahrelange Forschung

«Als Ergebnis jahrelanger Forschung zeigt er einen Weg, wie biobasierte Materialien und bioinspirierten Strukturen eine regenerative und zugleich ausdrucksstarke Architektur schaffen können», ergänzt Professor Achim Menges, Sprecher des Exzellenzcluster «Integratives Computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur».

Der Pavillon nutzt also die spezifischen Eigenschaften des Baustoffes Holz und kombiniert diese mit Flachsfaserkomponenten, um besonders leichte, effiziente Bauteile mit hervorragender Leistungsfähigkeit zu bauen. Der Flachs, der fast überall lokal vorhanden ist oder angebaut werden kann, senkt dabei den Bedarf an Bauholz massiv. Für das aktuelle Projekt wurde das Pflanzenmaterial vormals in der örtlichen Textilindustrie verarbeitet, deren altes Spinnereigelände im Zuge der Landesgartenschau saniert wurde. 

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Der nächste Schritt in der Vorfertigung der Flachsfaserkomponenten mit Faserwickelmaschine, die bei einem Industriepartner erfolgte.

Vom Roboter gewickelt

Die Flachsfaserkörper wurden von Robotern in einer kernlosen Wickeltechnik hergestellt. Sie bestehen aus mehreren, sequenziell gewickelten Lagen, wobei die primäre Faserstruktur, die sogenannte «Spine», als zentraler Unterzug von innen nach aussen wirkt. Durch die Anordnung in Fächern werden die Lasten gleichmässig auf die Stützen verteilt, während das Fasernetz die nötige strukturelle Integrität bietet, ergänzt durch zwei Eckverstärkungslagen. Während die Faserplatten die Zuglasten tragen, nimmt die Holzplatte die entstehenden Druckkräfte auf und bietet die Oberfläche für die Decke und den darüber liegenden Dachaufbau.

Insgesamt besteht das Dach des Pavillons aus zwanzig Hybridbauteilen, die sich mit herkömmlichen Holzelementen abwechseln und eine Ausstellungsfläche von 380 Quadratmetern überspannen, über eine Spannweite von 8,6 Metern hinweg. Die wellenförmige Dachfläche des Zentralbaus entsteht durch radial angeordnete und kreuzverleimte Holzplatten von 120 Millimetern Dicke. Sie wurden mit einer CNC-Fräse hergestellt und weisen abgeschrägte Kanten auf: Diese passen ihren Winkel jeweils der Orientierung der Faserverbindungen an.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart / Foto: Conné van d’Grachten

Mit der CNC-Fräse werden die Holzelemente bei einem weiteren, lokalen Industriepartner vorgefertigt.

Klimaaktivierte Bodenplatte

Der Hybrid-Flachs-Pavillon verfügt weiter über eine Bodenplatte aus RC-Beton, die sich durch Erdwärme aktivieren lässt und somit eine ressourcenschonende Klimatisierung des Gebäudes ermöglicht. Herzstück ist indes ein Klimagarten: Er dient zugleich als Innenhof, Lichtquelle und ermöglicht eine natürliche Querlüftung und Kühlung. Durch ihn sind die Gäste des Pavillons zugleich von allen Seiten von Grün umgeben.

Der Planungs-, Fertigungs- und Bauprozess dauerte nur gerade ein Jahr, da das Stuttgarter Forscherteam auf integrative, computerbasierte Planungsmethoden zurückgreifen konnte. Zudem hat dasselbe interdisziplinäre Team erst dieses Jahr in Stuttgart den neuartigen «HygroShell-Pavillon» eingeweiht, bei dem sie zahlreiche Erfahrungen sammeln konnten, gerade bei den oft kniffligen Schnittstellen zu konventionellen Bau-elementen wie Fassade oder Dach. «Im Vergleich zu Stuttgart muss der Pavillon eine fünfmal höhere Schneelast aushalten», so Knippers. Auch die aktivierte Bodenplatte findet sich schon im «HygroShell-Pavillon».

Dank dieser Erfahrung, interdisziplinärer Planung und hochpräziser Vorfertigung dauerte die Montage des Pavillons vor Ort acht Tage. Und natürlich ist das Ganze in zirkulärer Bauweise entwickelt: Nach Ende der Landesgartenschau können die Materialien durch die sortenreine Zerlegung der Hybridkomponenten in ihre Einzelteile wiederverwendet oder zumindest wiederverwertet werden.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Der Aufbau der Konstruktion auf dem Bauplatz benötigte am Ende nur noch acht Tage.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Blick in den Innenraum, der zugleich rundherum einen Blick nach Aussen ermöglicht und die beiden Bereiche miteinander verbindet.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Der Klimagarten im Zentrum des Pavillons lässt Licht ein und hilft dabei, im Bau mit wenigen Ressourcen eine angenehme Temperatur zu halten.

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Quelle: © ICD/ITKE/IntCDC University of Stuttgart

Auch bei Nacht ist der Flach-Hybrid-Pavillon ein Hingucker - leider schliesst die Landesgartenschau aber um 20.30 Uhr.

Projektpartner

Exzellenzcluster IntCDC - Integratives computerbasiertes Planen und Bauen für die Architektur, Universität Stuttgart

ICD Institut für Computerbasiertes Entwerfen und Baufertigung

Prof. Achim Menges, Rebeca Duque Estrada, Monika Göbel, Harrison Hildebrandt, Fabian Kannenberg, Christoph Schlopschnat, Christoph Zechmeister

ITKE Institut für Tragkonstruktionen und konstruktives Entwerfen

Prof. Dr. Jan Knippers, Tzu-Ying Chen, Gregor Neubauer, Marta Gil Pérez, Renan Prandini, Valentin Wagner,

mit Unterstützung von: Daniel Bozo, Minghui Chen, Peter Ehvert, Alan Eskildsen, Alice Fleury, Sebastian Hügle, Niki Kentroti, Timo König, Laura Marsillo, Pascal Mindermann, Ivana Trifunovic, Weiqi Xie

Landesgartenschau Wangen im Allgäu 2024

Karl-Eugen Ebertshäuser, Hubert Messmer

Stadt Wangen im Allgäu


Weitere Partner:

  • HA-CO Carbon GmbH
  • Siegbert Pachner, Dr. Oliver Fischer, Danny Hummel
  • STERK abbundzentrum GmbH
  • Klaus Sterk, Franz Zodel, Simon Sterk
  • FoWaTec GmbH
  • Sebastian Forster
  • Biedenkapp Stahlbau GmbH
  • Stefan Weidle, Markus Reischmann, Frank Jahr
  • Harald Klein Erdbewegungen GmbH


Projektkooperationen

Wissenschaftliche Kooperation

IntCDC Large Scale Construction Laboratory

Sebastian Esser, Sven Hänzka, Hendrik Köhler, Sergej Klassen

Weitere beratende Ingenieure

Belzner Holmes und Partner Light-Design

Dipl.-Ing. (FH) Thomas Hollubarsch, Victoria Coval

BiB Concept

Dipl.-Ing. Mathias Langhoff

Collins+Knieps Vermessungsingenieure

Frank Collins, Edgar Knieps

Moräne GmbH - Geotechnik Bohrtechnik

Luis Ulrich M.Sc.

Spektrum Bauphysik & Bauökologie

Dipl.-Ing. (FH) Markus Götzelmann

wbm Beratende Ingenieure

Dipl.-Ing. Dietmar Weber, Dipl.-Ing. (FH) Daniel Boneberg

lohrer.hochrein Landschaftsarchitekten DBLA


Baugenehmigung

Landesstelle für Bautechnik

Dr. Stefan Brendler, Dipl.-Ing. Steffen Schneider

Prüfingenieur

Prof. Dr.-Ing. Hans Joachim Blass, Dr.-Ing. Marcus Flaig

Versuchsanstalt für Stahl, Holz und Steine, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)

Prof. Dr.-Ing. Thomas Ummenhofer, Dipl.-Ing. Jörg Schmied

MPA-Materialprüfungsanstalt, Universität Stuttgart

Melissa Lücking M.Sc., Dipl.-Ing (FH) Frank Waibel


Baukooperation

  • ARGE- Leistungsbereich Wärmeversorgungs- und Mittelspannanlagen
  • Franz Miller OHG
  • Stauber + Steib GmbH


PROJEKT UNTERSTÜTZUNG

DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft

Dieses Projekt wurde durch das Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg unterstützt.

Bioökonomie Baden-Württemberg: Forschung- und Entwicklung (FuE) Förderprogramm «Nachhaltige Bioökonomie als Innovationsmotor für den Ländlichen Raum»

Holz Innovativ Programm (HIP), Ministerium für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg

IFB Institut für Flugzeugbau, Universität Stuttgart

ISW Institut für Steuerungstechnik der Werkzeugmaschinen und Fertigungseinrichtungen, Universität Stuttgart

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