12:55 BAUPRAXIS

Grand Hotel Locarno: «Goldener Leopard» für Wiederbelebung

Geschrieben von: Stefan Schmid (sts)
Teaserbild-Quelle: Keystone-SDA

Die Geschichte des Grand Hotel Locarno entwickelte sich in den letzten beiden Jahrzehnten in Episoden fast zum Drama. Mehrere Projekte zur Wiederbelebung des Prachtbaus und des Parks, wo das Filmfestival einst seinen Anfang nahm, scheiterten. Inzwischen zeichnet sich ein Happy End ab. Eine Tessiner Immobiliengruppe will dem Bau zu seiner ursprünglichen Gandezza verhelfen. Anfang Juni begannen die Bauarbeiten im Aussenbereich.

Freiluftaufführung

Quelle: Keystone-SDA

Nach der Gründung des Filmfestivals fanden im Park des Grand Hotel Locarno Freiluftaufführungen statt. Doch die einst mondäne Absteige war in den letzten zwei Jahrzenten geschlossen.

Das Grand Hotel Locarno war noch bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts die bevorzugte Absteige mondäner Gäste. Filmstars hielten hier Hof und verleihten dem Festival internationalen Glamour, Marlene Dietrich residierte 1960 in der Edelabsteige. Hotel und Gartenanlagen bildeten die Kulissen, wo Filmprojekte ausgeheckt oder bei rauschenden Festen die Verleihungen des Goldenen Leoparden gefeiert wurden. 

Doch der einstige Glanz des Hotels verblasste wie das Zelluloid eines alten Stummfilms. Zum Leidwesen der Festivalveranstalter wurde das Hotel im Jahr 2005 geschlossen. Stars und Glitterati hatten längst andere Absteigen für den grossen Auftritt gefunden. Zuletzt sei es in der Schweiz wohl das einzige Grand Hotel mit zwei Sternen gewesen, frotzelte Marco Solari, langjähriger Präsident des Filmfestivals, in einem Beitrag von SRF Aktuell.

Danach fristete der ehemalige Prunkbau ein pitoyables Dasein, wie vor Jahren ein Augenschein vor Ort beim nördlichen Aussenbereich ergab. An einigen Stellen der Fassade war bereits der Putz abgeplatzt. Im Erdgeschoss waren die Fenster mit Brettern zugenagelt. Das Gemäuer umgab einen leicht morbiden Charme wie bei einer Altversion des Gruselfilms Nosferatu. Innen bröckelten laut dem «Blick» die Farbschichten von den kunstvollen Stuckaturen an Decken- und Wänden, die Aussentreppe zum Swimmingpool war mit Moos und Unkraut überwachsen. Am Gebäude nagte der Zahn der Zeit zusehends schneller. Auch der Hotelpark durfte aus Sicherheitsgründen nicht mehr betreten werden.

Mehrere Anläufe für Erneuerungsprojekte

Doch es brauchte einige Takes mit unterschiedlicher Besetzung, bis das Projekt endlich zustande kam. Mehrmals haben sich Pläne für eine Renovierung zerschlagen, weil sich interessierte Investoren mit den fünf Eigentümern nicht einigen konnten. Das war beispielsweise auch 2008 der Fall, als sich laut «Blick» Denner-Erbe René Schweri für ein Jahr bereits das Vorkaufsrecht sicherte, dieses aber verfallen liess. Insgesamt sechs Mal blieb es bei der hehren Absicht, ein kunsthistorisch bedeutendes Bijou wiederzubeleben, oder die Projekte blieben schliesslich im Planungsstadium stecken.

Gleichwohl waren Massnahmen nötig, um dem Verfall entgegenzuwirken oder das denkmalgeschützte Gebäude vor Vandalismus zu schützen. Denn Türrahmen, Stuckaturen sowie Malereien unter den nachträglich aufgetragenen Verputz- und Farbschichten sind im Original noch vorhanden. Über mehrere Stockwerke hängt ein 800 Kilo schwerer Kronleuchter aus Muranoglas – Signum einer glorreichen Vergangenheit. Für Heizung, Sicherheit, Reinigung von Hotel und Park sowie Versicherungen liefen jährlich hohe Kosten auf. In den letzten Jahren konkretisierten sich erneut Ideen, um dem Gebäude wieder die alte Grandezza zurückzugeben, zumal es sich beim Hotel um Kulturgut von kantonalem Interesse handelt, das auch im eidgenössischen Kulturgutinventar aufgeführt ist.

Erhalt und moderne Betriebsnutzung

Nach der Gesuchstellung im März 2022 gingen zwei Einsprachen ein. Diese betrafen zum einen die ungenügende Zahl geplanter Parkplätze. Zum anderen beanstandete der Tessiner Heimatschutz, die Società ticinese per l’arte e la natura (Stan), das lückenhafte und unausgereifte Baugesuch, das Aspekten des Denkmalschutzes zu wenig Rechnung trage. In der Folge wurden die Pläne des eingereichten Baugesuchs überarbeitet.

Schliesslich konnte laut der Zeitung «Ticino Libero» mit dem Amt für Kulturerbe und Muralto, der Standortgemeinde des Hotels, eine Einigung erzielt werden. Demnach sind Eingriffe vorgesehen, welche die historische Substanz des Gebäudes respektieren, aber gleichzeitig eine Anpassung an die heutigen Bedürfnisse des Hotelgewerbes ermöglichen sollen. Ein von Stan benannter Sachverständiger wird die Baustelle in denkmalpflegerischen Belangen begleiten.

Wenige Interventionen als Glücksfall

Hinter dem Projekt steht der Tessiner Unternehmer Stefano Artioli. Die von ihm und seinem Sohn kontrollierte Immobiliengruppe Artisa sicherte sich im Oktober 2021 das Vorkaufsrecht für das Grand Hotel. Im März letzten Jahres hat seine Immobiliengruppe die Option eingelöst und kurz darauf bei der Gemeinde Muralto den Bauantrag eingereicht. Formal wird das Restrukturierungsprojekt von der in Lugano domizilierten Grand Hotel Locarno SA (GHL SA) verantwortet, einer Tochtergesellschaft der Artisa-Gruppe. 

Die gesamten Investitionskosten, inklusive Ankauf, veranschlagen die neuen Eigentümer laut dem «Corriere del Ticino» auf 80 Millionen Franken. Allein für die Liegenschaft mussten über 20 Millionen Franken aufgeworfen werden. Am 21. Dezember 2022 erteilte die Gemeinde Muralto schliesslich die Baubewilligung für die «Renovierung und Restaurierung des Grand Hotel Locarno». Die Baugenehmigung enthält in den «Besonderen Bedingungen der Genehmigung» 29, von der Stan vorgeschlagene Punkte, die dem Erhalt der historischen Bausubstanz gelten und von der GHL SA akzeptiert wurden.

Saal

Quelle: Keystone-SDA

Aussen weist der Bau eher schlicht gehalten, während repräsentative Räume reich mit Malereien und Stuckaturen geschmückt sind. Eine Restaurierung soll die ehemalige Pracht wieder hervorholen.

Im Rückblick bezeichnet es Investor Artioli als Glücksfall für das Hotel, dass die letzten Eigentümer sich nicht zu dringend notwendigen Renovationen haben durchringen können. Es sei wohl eines der wenigen Grand Hotels der Schweiz, bei dem die Originalsubstanz integral erhalten geblieben sei. Anfang Juni wurden laut dem «Corriere» die Bauarbeiten aufgenommen, auf der Nordseite des Gebäudes beginnend mit dem Aushub für eine Garage und Räumen für den Betrieb einer Erdwärmepumpe.

Bau nahm Entwicklung vorweg

Rückblende: 1875 wurde das Grand Hotel Locarno in Betrieb genommen mit Blick auf die künftige touristische Entwicklung im Tessin, angetrieben durch den Bau von Eisenbahnlinien. Monate zuvor wurde laut der Plattform «Historische Hotels» bei einem Bankett im noch nicht vollendeten Festsaal des Hotels die Bahnstrecke von Bellinzona nach Locarno feierlich eingeweiht. Im Kanton konzentrierte sich die Erschliessung zuerst auf die Hauptlinien von Bellinzona in Richtung Chiasso und Locarno. Mit dem Bau des Hotels sollte ein für die begüterte Klientel passendes Angebot geschaffen werden.

Noch grössere Veränderungen für die Mobilität und damit für den Tourismus brachte jedoch der Gotthardtunnel. Der damals längsten Eisenbahntunnel der Welt war nach der Fertigstellung der Hotelgebäudes bereits im Bau und wurde im Mai 1882 offiziell für den Bahnverkehr freigegeben. In der Folge kamen lange Bahnreisen in Mode, auch wenn sie sich damals lediglich höhere Gesellschaftsschichten leisten konnten. Das Tessin wurde zum begehrten Reiseziel, das später mit dem Ausbau der Passstrassen für den Automobilverkehr noch Attraktivität gewann.

Gebaut wurde das Hotel nach Plänen des Architekten Francesco Galli. Er gilt als Wegbereiter dieses Bautyps, der aussen eher schlicht gehalten und vergleichsweise wenige Verzierungen aufweist ist. Über einem schlichten Sockel und dem Erdgeschoss weist das Gebäude drei weitere Etagen auf. Die Vorderfassade des Baukörpers ist seitlich durch zwei vortretende Flügel und in der Mitte durch einen Avantcorps mit vorgelagerter Loggia strukturiert. Den Abschluss des Baus bildet ein für die damalige italienische Architektur typisches Walmdach. Stilelemente aus der Neorenaissance wie das Giebeldreieck geben der Fassade ein eigenes Gepräge. Die imposante Treppe, die beidseits in den Park führt, findet in der Eingangshalle mit dem Aufgang zu den oberen Etagen ihre Entsprechung.

Grand Hotel Locarno

Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Bildarchiv/Stiftung Luftbild Schweiz / Fotograf: Friedli, Werner / LBS_H1-009078 / CC BY-SA 4.0

Eine Luftaufnahme des Grand Hotel Locarno von 1946.

Berühmtheit erlangte das Grand Hotel Locarno im Oktober 1925, als die Delegationen verschiedener Länder für die Friedenskonferenz nach dem Ersten Weltkrieg hier einquartiert waren. Die Raumaufteilung und die Ausmalung des Festsaals sollen in dieser Zeit entstanden sein.

Hoffnung auf Neustart der Filmkultur

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das damals noch luxuriöse Ambiente und der weitläufige Park mit Palmen zum Treffpunkt der Filmschaffenden. Die Hoffnungen auf eine neue Art der Filmkultur nach den dunklen Jahren waren gross. Die Gründung des Filmfestivals von Locarno erfolgte 1946 im Hotelpark, der genügend Platz bot für Filmvorführungen unter freiem Himmel. Diese Art von Aufführungen im Sommer waren damals in vielen italienischen Dörfern äussert beliebt. Sie sollte zu einem der Markenzeichen des Anlasses werden, der Hotelpark als «Cinema Paradiso». 

Die Bilder des gleichnamigen Films versuchen die damalige Atmosphäre in den Dörfern einzufangen. Bald schon sollte das Festival bei der Filmgilde einen festen Platz im Terminkalender einnehmen. Weltweit haben lediglich fünf Austragungsorten eine ähnlich lange Festivaltradition wie Locarno. Die erste Ausgabe des Festivals wurde mit dem Film «O Sole Mio» eröffnete, einem Spionagethriller. Bis 1970 ging das Festival im Hotelpark über die Bühne, ab 1971 fanden dann die Freiluftaufführungen auf der Piazza Grande statt. Hotel und Park blieben danach aber die bevorzugten Orte, wo sich die Filmbranche traf.

1800 Quadratmeter für Wellness

Mit der Renovierung und Restaurierung des gesamten Komplexes, nahe des Bahnhofs und der Piazza Grande gelegen, soll laut dem Branchenmagazin «Hotelinside» ein Fünf-Sterne-Superior-Hotel entstehen. Das Beherbergungsangebot des Grand Hotel soll dereinst 122 Zimmer und Suiten mit Flächen von 25 bis 50 Quadratmetern mit Blick auf See und umliegende Berge umfassen. Umgesetzt werden soll eine zeitgemässe Ausstattung mit gehobenem Komfort. Ambiente schaffen soll die Kombination von historischen architektonischen Elementen mit Designmöbeln. Die Haupthalle wird zeitgemäss restauriert, auch der Hotelpark wird saniert und neugestaltet.

Kronleuchter

Quelle: Keystone-SDA

Das Gebäude entstand im vorletzten Jahrhundert mit dem zügigen Ausbau der Eisenbahnlinien und dem einsetzenden Tourismus. Ein originaler Kronleuchter aus Murano-Glas verweist auf den einstigen Glanz des Nobelhotels.

Auf einer Fläche von rund 1800 Quadratmetern in den bestehenden Grotten unter der Terrasse ist auch eine Wellnesszone geplant mit Thermalbädern, Entspannungs- und Behandlungsbereichen. In den Entspannungsbereich integriert wird mit der Erneuerung auch der bestehende 800 Quadratmeter grosse Aussenpool, sodass bis zu 600 Personen das Wellness-Angebot in Anspruch nehmen können. Dem Wohlbefinden förderlich sein soll auch die Kulinarik. Drei Restaurants mit direktem Zugang zur ebenfalls wiederhergestellten 700 Quadratmeter grossen Terrasse sollen laut dem gastronomischen Konzept lokale, mediterrane und internationale Spezialitäten auf der Speisekarte führen.

Zwei Jahre für Bauzeit geplant

Für den Betrieb des Hotels sind gemäss Investor Artioli Hotelgruppen auf die neuen Eigentümer zugekommen. «Doch es liegt in unserem Interesse, dieses Hotel selbst zu managen, dank einer Gesellschaft, die sich der Hotellerie und Luxus-Hospitality widmet», erklärte Artioli gegenüber der «Hotelrevue». Es wird damit gerechnet, dass das Hotel nach sieben Jahren profitabel sein wird. Mit dem restaurierten Grand Hotel sollen 100 Arbeitsplätze geschaffen werden. Weitere Details werde man später bekannt geben.

Tourismuskreise der Region Locarnese sind froh darüber, dass das Gebäude den Hotelbetrieb wieder aufnehmen wird, zumal es laut Fabio Bonetti, Direktor von Ascona-Locarno Tourismus, bestens in die Angebotspalette der Region passt. Laut Schätzung werden die Bauarbeiten etwa 24 Monate in Anspruch nehmen. Unter der Bedingung, dass der Zeitplan eingehalten werden kann, dürfte das Grand Hotel seine Türen zur Sommersaison 2025 hin wieder öffnen.

Geschrieben von

Redaktor Baublatt

Seine Spezialgebiete sind wirtschaftliche Zusammenhänge, die Digitalisierung von Bauverfahren sowie Produkte und Dienstleistungen von Startup-Unternehmen.

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