14:04 BAUPRAXIS

Gebäudesanierung: Mit «Speed-Dating» zu höherer Sanierungsquote

Teaserbild-Quelle: Vlado Paunovic, Unsplash

Die Senkung des Energieverbrauchs von Gebäuden erfordert oft umfangreiche Sanierungen, die für Bauherrschaften zu komplexen Vorhaben werden können. Um Eigentümerschaften mit den Aspekten von energetischen Ertüchtigungen vertraut zu machen, haben Forscher auf Initiative der öffentlichen Hand einen speziellen Beratungsprozess entwickelt. Sanierungsfachleute geben im persönlichen Kontakt Auskunft, worauf es bei Renovierungen ankommt. Erfahrungen in drei Deutschschweizer und zwei welschen Städten zeigten das Potenzial und die Grenzen des Ansatzes auf. «Speed-Dating» in einem neuen Kontext.

Gebäudesanierung

Quelle: Vlado Paunovic, Unsplash

Um die Klimaziele zu erreichen, sollte bei Gebäuden die Sanierungsquote erhöht werden.

Von Benedikt Vogel*

Will die Schweiz die Pariser Klimaziele erreichen, müssten jährlich zwei bis drei Prozent des Gebäudebestands energetisch erneuert werden. Mit einer tatsächlichen Sanierungsrate von rund einem Prozent hinkt sie diesem Ziel deutlich hinterher, und dies trotz Förderprogrammen, steuerlichen Anreizen und einer breiten Palette von technischen Lösungen. Um die Zahl der Sanierungen zu erhöhen, gibt es kein Patentrezept. Daher ist es wichtig, neue Wege auszuprobieren und dabei die individuellen Bedürfnisse und Ausgangslagen der Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümern zu berücksichtigen.

Ein Forschungsprojekt der Beratungsunternehmen Intep (Integrale Planung GmbH) in Zürich und der Weinmann Energies SA in EchallensVD ging der Frage nach, ob die Sanierungsrate erhöht werden kann, wenn Gemeinden auf die Unterstützung von Fachleuten für energetische Sanierung zurückgreifen. «In unserem Projekt ging es insbesondere um die Frage, mit welchen Formen von Kommunikation und Partizipation sich Eigentümerinnen und Eigentümer von Einfamilienhäusern zu einer Sanierung bewegen lassen», sagt Projektleiter Christian Schmid. «Diese ‘weichen’ Faktoren sind zentral, denn erst wenn diese Bereitschaft zu einer Sanierung besteht, kann die technische Aufgabe, ein Sanierungskonzept zu erstellen, überhaupt angepackt werden.»

In fünf Schritten zur Sanierungsidee

Ziel des Projekts war die Entwicklung und praktische Erprobung eines Prozesses, mit dem Gemeinden Eigentümerschaften von Gebäuden zu einer Sanierung bewegen können. Der sogenannte «SAN-CH-Prozess» basiert auf einem Vorgehen, das die «Energieforschung Stadt Zürich» entwickelt hat und im vorliegenden Projekt zu einer Mustervorlage für alle Schweizer Gemeinden weiterentwickelt werden soll.

Gebäudesanierung

Quelle: BFE-Schlussbericht SAN-CH

Die Stadt Baden hat aus dem Gebäude- und Wohnungsregister (GWR) und weiteren Datenquellen für alle Gebäude einen Sanierungsindex errechnet, der den Sanierungsbedarf eines Gebäudes zum Ausdruck bringt.

Der SAN-CH-Prozess umfasst fünf Schritte: Erstens ermittelt die Gemeinde durch Auswertung von Registern und weiteren Informationsquellen Gebäude mit grossem Sanierungsbedarf. Die Gemeinde sucht zweitens Sanierungssachverständige und motiviert sie für eine unentgeltliche Mitarbeit bei einer Sanierungsberatung. Expertise in Sachen energetischer Ertüchtigung von Gebäuden einbringen können Energieberater und Architektinnen oder Fachpersonen von Energieversorgern, Bauunternehmen sowie von Unternehmen in den Bereichen Heizung und Lüftung. 

In einer dritten Phase laden Gemeinden Eigentümer besonders sanierungsbedürftiger Liegenschaften schriftlich zu einem Anlass zur Sanierungsberatung ein. Der Vermittlungsanlass (Schritt vier) bietet Gelegenheit, dass sich die Gebäudeeigentümerin und die Sanierungsfachperson – allenfalls unterstützt durch eine sachkundige Gemeindevertretung – während eines fünfminütigen Gesprächs kennenlernen. Es handelt sich dabei um eine Art «Speed-Dating» in einem neuen Kontext. Wenn sich die Parteien inhaltlich und persönlich verstehen, erarbeiten sie im fünften Schritt ein energetisches Sanierungsgrobkonzept, das anschliessend umgesetzt wird.

Gebäudesanierung Zusammensetzung

Quelle: BFE-Schlussbericht SAN-CH

Charakterisierung der knapp 250 Immobilienbesitzerinnen und -besitzer, die an einem der Vermittlungsanlässe teilnahmen.

Eine Sanierung auf 100 Gebäude

Der SAN-CH-Prozess wurde in den Städten Baden, Winterthur und in der Gemeinde Glarus sowie den beiden Genfer Vorortsgemeinden Bernex und Confignon in den Jahren 2021 bis 2023 testweise umgesetzt, teilweise mit finanzieller Unterstützung der Gemeinwesen oder wie im Fall von und Winterthur den Stadtwerken. Das Vorgehen bei der Umsetzung des Prozesses nahm jeweils Rücksicht auf die lokalen Besonderheiten. Ziel war es, Erfahrungen zu gewinnen, die sich auf andere Gemeinden und Städte übertragen lassen.

Gebäudesanierung Massnahmen

Quelle: BFE-Schlussbericht SAN-CH

Viele der Personen, die sich am SAN-CH-Prozess beteiligten, hatten schon Erfahrungen mit Gebäudesanierungen.

Die Projektteams identifizierten in den fünf Gemeindegebieten insgesamt rund 3000 stark sanierungsbedürftige Gebäude. Von den Hauseigentümerinnen und Eigentümern folgten 242 oder acht Prozent der Einladung zum Vermittlungsanlass. Monate nach dem Vermittlungsanlass hatte etwa jeder Zehnte ein Sanierungsprojekt in Angriff genommen, wie aus einer Befragung hervorging. Unter dem Strich entschied sich somit rund ein Prozent der kontaktierten Personen für eine energetische Sanierung. Vor diesem Hintergrund bescheinigt der Schlussbericht des Projekts dem SAN-CH-Prozess eine positive Wirkung: «Eigentümerinnen und Eigentümer, die mit Fachleuten vernetzt waren, haben deutlich häufiger ein Sanierungsanliegen vorangetrieben als solche ohne diese Vernetzung.»

Persönliche Ansprache hilft

Der Entscheid für die Durchführung einer Sanierung ist von vielen Bedingungen abhängig und kann unter den gegebenen Umständen scheitern. Die Erfahrungen mit dem SAN-CH-Prozess in den fünf Testgemeinden geben Anhaltspunkte, welche Umstände Sanierungsentscheide begünstigen können. In Winterthur wurde der SAN-CH-Prozess auf zwei Stadtquartiere mit grossem Sanierungspotenzial beschränkt. Zudem wurde über Quartiervereine Interesse für das Projekt geweckt.

Gebäudesanierung Motivation

Quelle: BFE-Schlussbericht

Motivation der Personen, die sich auf den SAN-CH-Prozess einliessen.

Das systematische Vorgehen, das auch eine zweite Einladung umfasste, führte schliesslich zu einer höheren Anmeldequote als in anderen Gemeinden. In den Gemeinden Bernex und Confignon war ein persönliches Anschreiben hilfreich, Eigentümerschaft für die Sanierungsthematik zu gewinnen. Interessante Erkenntnisse lieferte dem Forschungsteam der direkte Vergleich mit einem ähnlich gelagerten Programm, das nur mittels öffentlicher Ausschreibung, aber ohne direkte Ansprache durchgeführt wurde. In Glarus wiederum dürften persönliche Kontakte die Sanierungsentscheide befördert haben.

Das Forschungsteam stiess mit der Herangehensweise des SAN-CH-Prozesses aber auch an Grenzen. So war es schwierig, Personen für energetische Sanierungen zu gewinnen, die sich bislang nicht um dieses Thema gekümmert hatten. Von allen Personen, die sich landesweit an einem der Vermittlungsanlässe beteiligten, hatten 70 Prozent sich schon vorher mit dem Thema Sanierung auseinandergesetzt, und die Hälfte hatte schon einzelne Sanierungsmassnahmen durchgeführt. Tatsächlich hat die Teilnahme am Vermittlungsanlass die Bereitschaft zu einer Sanierung in den wenigsten Fällen verändert. Dies war die ernüchternde Erkenntnis, die das SAN-CH-Team aufgrund von Befragungen vor und nach Vermittlungsanlässen eruiert hat.

Gebäudesanierung Absicht

Quelle: BFE-Schlussbericht SAN-CH

Der SAN-CH-Prozess hat den Teilnehmerinnen und Teilnehmern teilweise geholfen, sich für oder auch gegen eine Sanierung zu entscheiden. Grau: Befragung vor der Teilnahme am Vermittlungsanlass. Grün: Befragung nach der Teilnahme am Vermittlungsanlass.

Leitfaden für Gemeinden

Die Wissenschaft hat verschiedene «Hemmnisse» identifiziert, die der Umsetzung von Sanierungen bisher entgegenstehen und die künftig mit geeigneten Massnahmen überwunden werden könnten:

  • Da die Sanierungsbereitschaft bei der Eigentümerschaft unterschiedlich stark ausgeprägt ist, sollte darauf geachtet werden, dass Informationsangebote und die ausgewählten Sanierungsfachleute auf den jeweiligen Stand der Sanierungsbereitschaft ausgerichtet sind.
  • Um Enttäuschung und Frustration bei den Eigentümern zu vermeiden, sollte in der Projektkommunikation «eine gute Balance zwischen Aktivierung und Anerkennung der Schwierigkeiten» gefunden werden, wie das SAN-CH-Team festhält.
  • Städte und Gemeinden, die einen SAN-CH-Prozess durchführen, müssen sich mit dem Umstand auseinandersetzen, dass Eigentümerinnen Behörden wie Bewilligungsbehörden oder Denkmalpflege mitunter als «Verhinderer» wahrnehmen.
  • Die bestehenden Energieberatungen decken die Bedürfnisse der Zielgruppen bei Abklärung und Vorplanung von Sanierungen noch nicht wunschgemäss ab. Neue Fördermodelle unter Einbezug bezahlter Sanierungsfachleute könnten weiterhelfen.
  • Wenn die Adressdaten von Gebäuden mit hohem Sanierungsbedarf nicht verfügbar sind, müssen gegebenenfalls alternative Wege für die Kontaktnahme gefunden werden.
Gebäudesanierung Glarus

Quelle: BFE-Schlussbericht SAN-CH

Jeder violette Punkt steht für ein sanierungsbedürftiges Gebäude in der Gemeinde Glarus. Die Eigentümerinnen und Eigentümer wurden zu einem Vermittlungsanlass mit Sanierungsfachleuten eingeladen.

Für Gemeinden, die den SAN-CH-Prozess durchführen wollen, hat das Projektteam einen Leitfaden unter dem Titel ‘Sanieren beschleunigen – Leitfaden für eine höhere Sanierungsrate’ erarbeitet. «Wir wollen die Gemeinden ermutigen, solche Prozesse durchzuführen und sich damit als Akteurinnen und Akteure für nachhaltige Entwicklung zu profilieren», sagt Christian Schmid. Dieser Ansatz habe gegenüber allgemeinen Informationsanlässen den Vorteil, dass sich Eigentümer mit einer grundsätzlichen Sanierungsbereitschaft bei ihren individuellen Bedürfnissen abholen liessen und Sanierungsfachleute frühzeitig mit einbezogen werden könnten, hält Schmid fest.

*Den Beitrag hat Benedikt Vogel im Aufrag des Bundesamts für Energie verfasst.

Links zu weitere Infos

  • Das Dokument «Sanieren beschleunigen – Leitfaden für eine höhere Sanierungsrate» ist verfügbar unter: intep.com
  • Der Schlussbericht zum Projekt ‹Fachleute für energetische Sanierung als Sanierungstreiber in der Schweiz› (SAN-CH) ist abrufbar unter: www. aramis.admin.ch
  • Weitere Fachbeiträge über Forschungs-, Pilot-, Demonstrations- und Leuchtturmprojekte im Bereich Gebäude und Städte finden Sie unter www.bfe.admin.ch/ec-gebaeude

Auskünfte zum Projekt erteilen Nadège Vetterli (nadege.vetterli@anex.ch), externe Leiterin des BFE-Forschungsprogramms Gebäude und Städte, und intep-Projektleiter Christian Schmid (schmid@intep.com). 

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