12:44 BAUPRAXIS

Forschung: Vergolden mit Nanomaterial im Spätmittelalter

Teaserbild-Quelle: Schweizerisches Nationalmuseum, Landesmuseum Zürich

Weil Blattgold zu teuer war, griff man im Spätmittelalter auf Zwischgold zurück. Dabei handelt es sich um ein Nanomaterial, respektive um Folie, die aus einer Silber- und einer darüber liegenden oft hauchdünnen Goldschicht bestand.  Ein Team des Paul Scherrer-Insituts (PSi) hat nun herausgefunden, weshalb die Restaurierung solcher Skulpturen so schwierig ist.  

Altar

Quelle: Schweizerisches Nationalmuseum, Landesmuseum Zürich

Der untersuchte Altar wurde vermutlich um 1420 in Süddeutschland hergestellt, heute befindet er sich im Landesmuseum in Zürich.

«Obwohl Zwischgold im Mittelalter häufig verwendet wurde, wusste man bisher wenig über dieses Material», sagt Physiker Benjamin Watts vom PSI. «Deshalb wollten wir die Proben mit einer 3-D-Technik untersuchen, die kleinste Details sichtbar machen kann.»  Zwar ist Zwischgold bereits mit anderen Mikroskopietechniken untersucht worden, doch diese zeigten nur einen zweidimensionalen Querschnitt durch das Material. Das heisst, man konnte nur die Schnittoberfläche betrachten und nicht in das Material hineinschauen. Zudem befürchtete das Wissenschaftsteam, dass man beim Schneiden die Struktur der Probe verändert haben könnte.

Höhepunkt der Metallurgie und der Vergoldungskunst

Die aktuell eingesetzte Methode – die  ptychografische Tomografie- lieferte erstmals ein dreidimensionales Bild vom Inneren des Zwischgolds. Dazu verwendeten die Forschenden die Röntgenstrahlen, die in der SLS erzeugt werden. Damit lassen sich Tomogramme herstellen, die Details im Bereich von Nanometern sichtbar machen. «Die Ptychografie ist eine komplexe Methode, denn man hat keine Objektivlinse, die auf dem Detektor direkt ein Bild formt», erklärt Watts. Bei der Ptychografie entsteht vielmehr ein Beugungsmuster des beleuchteten Bereichs, also ein Bild mit unterschiedlich intensiven Punkten. Bewegt man die Probe in einer genau definierten Weise, kann man Hunderte von überlappenden Beugungsbildern erzeugen. «Dann können wir diese Beugungsmuster in einer Art grossem Sudoku-Rätsel kombinieren und berechnen, wie das ursprüngliche Bild aussah», sagt der Physiker. Kombiniert man ein Set von ptychografischen Bildern, die aus verschiedenen Richtungen aufgenommen wurden, erhält man ein dreidimensionales Tomogramm.

Der Vorteil dieser Methode ist ihre extrem hohe Auflösung. «Wir wussten, dass die Dicke der Zwischgold-Probe der Maria in der Grössenordnung von hundert Nanometern lag», so Watts. «Wir mussten also in der Lage sein, noch kleinere Details aufzulösen.» Dies gelang ihm seinen Kollegen mit Hilfe der ptychografischen Tomografie, wie sie in der Fachzeitschrift Nanoscale berichten. «Die 3-D-Bilder zeigen deutlich, wie dünn und gleichmässig der Goldfilm oberhalb der Silberschicht ist», sagt Qing Wu, Erstautorin der Studie. Die Kunsthistorikerin und Konservierungswissenschaftlerin machte ihre Doktorarbeit an der Universität Zürich in Zusammenarbeit mit dem PSI und dem Landesmuseum. «Manche dachten, im Mittelalter sei das Technologieniveau niedrig gewesen», sagt Wu. «Im Gegenteil. Das Mittelalter ist kein finsteres Zeitalter, sondern eine Zeit, in der die Metallurgie und die Vergoldungskunst einen Höhepunkt erreichten.»

Blattgold für den Heiligenschein, Zwischgold für das Gewand

Allerdings gibt es keine Aufzeichnungen, wie das Zwischgold damals hergestellt wurde. «Wir nehmen an, dass die Handwerker ihr Rezept geheim gehalten haben», sagt Wu. Aufgrund der Nanobilder und Dokumente aus späteren Epochen weiss die Kunsthistorikerin jedoch heute, wie im 15. Jahrhundert vorgegangen wurde: Zuerst wurde das Gold sowie das Silber separat behämmert, sodass Folien entstanden, wobei die Goldschicht viel dünner sein musste als das Silber. Dann wurden die beiden Metallfolien zusammen weiter bearbeitet. «Dazu brauchte es spezielle Schlagwerkzeuge und Beutel mit verschiedenen Einlagen aus unterschiedlichen Materialien, in welche die Folien eingefügt wurden», erklärt Wu. Das Verfahren war ziemlich kompliziert und benötigte qualifizierte Fachleute.

«Nach unseren Untersuchungen von Zwischgold-Proben beträgt die durchschnittliche Dicke der Goldschicht etwa 30 Nanometer, während das in denselben Regionen und Epochen hergestellte Blattgold etwa 140 Nanometer dick ist», erklärt Wu.  «Auf diese Weise liess sich viel teures Gold sparen.» Dabei gab es eine strikte Materialhierarchie: So wurde beispielsweise für den Heiligenschein einer Figur Blattgold verwendet, für das Gewand jedoch Zwischgold. Weil dieses Material zudem einen kühleren Glanz hat, färbten die Künstler damit häufig die Haare oder Bärte ihrer Statuen. «Es ist verblüffend, dass jemand, der nur mit Handwerkzeugen ausgerüstet war, ein solches Nanomaterial herstellen konnte», sagt Watts. Zugute kam den mittelalterlichen Handwerkern ein spezielles Verhalten der Gold- und Silberkristalle, wenn man diese zusammenpresst: Ihre Ausrichtung bleibt über den ganzen Metallfilm hin erhalten. «Ein Glücksfall der Natur, der dafür sorgt, dass diese Technik funktioniert», sagt der Physiker.

Mit Harz schwarze Verfärbung verhindert

Die 3-D-Bilder des Zwischgolds machen aber auch den Nachteil deutlich, den dieses Material hat: Das Silber kann die Goldschicht durchdringen und die Goldoberfläche bedecken. Dabei bewegt sich das Silber überraschend schnell, selbst bei Zimmertemperatur. Schon nach Tagen formt sich eine dünne, durchgängige Silberschicht über dem Gold. An der Oberfläche gelangt das Silber mit Wasser und Schwefel aus der Luft in Kontakt und korrodiert. «Mit der Zeit wird die goldene Oberfläche des Zwischgolds schwarz», erklärt Watts: «Das Einzige, was man dagegen tun kann, ist, die Oberfläche mit einem Lack zu versiegeln, damit der Schwefel das Silber dort nicht angreifen und Silbersulfide bilden kann.» Dieses Problem war den Herstellern des Zwischgolds von Anfang an bekannt. Als Lack verwendeten sie Harz, Leim oder andere organische Substanzen. «Aber nach Hunderten von Jahren hat sich diese Schutzschicht zersetzt und die Korrosion findet weiterhin statt», erklärt Wu.

Die Korrosion funktioniert zudem als Antrieb, dass immer mehr Silber an die Oberfläche wandert und unter dem Zwischgold ein Hohlraum entsteht. «Wir waren überrascht, wie deutlich wir diese Lücke unter der Metallschicht sehen konnten», sagt Watts. Vor allem bei der Probe aus dem Gewand von Maria hatte sich das Zwischgold deutlich vom Untergrund abgelöst. «Diese Lücke kann zu mechanischer Instabilität führen, und wir erwarten, dass in einigen Fällen nur noch der Schutzlack über dem Zwischgold das Metallblatt an Ort und Stelle festhält», erklärt Wu.

Dies ist ein grosses Problem für die Restaurierung der Kunstwerke, denn die Silbersulfide sind eingebettet in die Lackschicht oder liegen darunter. «Entfernen wir diese hässlichen Korrosionsprodukte, dann entfällt auch die Lackschicht und wir verlieren alles», sagt Wu. Sie hofft, dass sich in Zukunft ein spezielles Material entwickeln lässt, mit dem man die Lücke füllen und das Zwischgold festhalten kann: «Mit der ptychografischen Tomografie könnten wir überprüfen, wie gut ein solches Konsolidierungsmittel seine Aufgabe erfüllen würde.» (mgt / mai)

Hier geht es zum Originalartikel des PSI.

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