13:43 BAUPRAXIS

Forschung: Diese Falten sind gut für die Umwelt

Teaserbild-Quelle: Andrei Jipa / ETH Zürich, BRG

Eine Architektur-Doktorandin der ETH Zürich hat eine einfache Lösung entwickelt, wie sich Betondecken klimafreundlicher bauen lassen. Dank einer leichten und robusten Form für die Schalung lassen sich viel Beton und Stahl sparen. Die innovative Betonschalung ist wiederverwendbar.

Gewölbedecke aus unbewehrtem Beton

Quelle: Andrei Jipa / ETH Zürich, BRG

Diese Gewölbedecke aus unbewehrtem Beton entstand mit der neuartigen Schalung von Architektur-Doktorandin Lotte Scheder-Bieschin.

Von Corinne Landolt*

Kein Baustoff wird weltweit mehr verwendet als Beton. Das Gemisch aus Zement, Wasser, Sand und Kies ist relativ günstig, beliebig formbar und hält grossem Druck stand. Bei Zugspannungen hingegen kommt Beton schnell an seine Grenzen. Deshalb wird er mit Stahl verstärkt, und oft wird unnötig viel Material verwendet. Das trägt zum Klimawandel bei, denn bei der Produktion von Beton und Stahl werden grosse Mengen des Treibhausgases CO2 freigesetzt.

Forschende um ETH-Professor Philippe Block beweisen seit Jahren, dass auch mit weniger Beton und Stahl stabil gebaut werden kann. Die Block Research Group (BRG) hat zum Beispiel gewölbte Deckenelemente aus Beton entwickelt, welche heute durch das ETH-Spinoff Vaulted AG kommerzialisiert werden. Dank ihrer Geometrie sind diese Decken viel dünner als herkömmliche Betondecken und kommen ohne integrierte Stahlbewehrung aus.

Nachhaltigkeit beginnt schon bei der Schalung

Um diese Gewölbedecken bauen zu können, braucht es ein Schalungssystem – also eine Form, in welche der Beton gegossen wird und dadurch seine filigrane Struktur erhält. Oft ist diese Form jedoch sperrig und besteht aus Materialien wie Styropor, das aus Erdöl hergestellt wird. Zudem wird die Schalung für aussergewöhnliche Geometrien meistens nur einmal verwendet, und bei ihrer Herstellung entsteht viel Abfall.

«Dadurch geht ein Teil der Nachhaltigkeit leider wieder verloren», sagt Lotte Scheder-Bieschin. Die Doktorandin aus Blocks Forschungsgruppe hat nun ein faltbares Schalungssystem entwickelt, das bei der Herstellung wenig Ressourcen braucht und wiederverwendet werden kann.

Innovative Betonschalung ETH

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

So sieht die fertig aufgestellte Schalung von oben aus. Sie besteht aus vier einzelnen Teilen, die sich wie ein Fächer entfalten lassen.

Fertigung Sperrholzplatte

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Einfache Fertigung: Aus der Sperrholzplatte werden einzelne gekrümmte Streifen ausgeschnitten.

Brettholzstreifen mit Textil

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Die Streifen werden auf einer Seite mit Textil beschichtet und miteinander verbunden.

Massiv weniger Beton und Stahl

«Unfold Form» besteht aus dünnen, flexiblen Sperrholz-Streifen. Sie sind durch Textilscharniere miteinander verbunden und lassen sich wie ein Fächer entfalten. Vier solcher kompakter Teile lassen sich in einem Holzrahmen einfach und schnell zu einer stabilen, zackenförmigen Schalung zusammenfügen. Der Beton kann dann direkt auf die Schalung gegossen werden.

Sobald der Beton ausgehärtet ist, lässt sich die Schalung von unten einfach entfernen, wieder zusammenfalten – und für den nächsten Einsatz brauchen. Das ganze System für den Prototypen wiegt nur 24 Kilogramm, kann aber bis zu einer Tonne Beton tragen.

«Ich suchte nach einer Lösung, wie man nicht nur für das finale Bauwerk, sondern auch für die Schalung selbst die Geometrie nutzen kann. Und dadurch weniger Material braucht und den ganzen Prozess umweltfreundlicher machen kann», sagt Scheder-Bieschin. Dank der besonderen Geometrie der Schalung lassen sich bis zu 60 Prozent Beton und bis zu 90 Prozent Bewehrungsstahl einsparen.

«Die Unfold-Form-Schalung lässt sich ohne Fachwissen oder Hightech produzieren und aufstellen», betont Scheder-Bieschin. Ihr war es wichtig, dass es ein einfaches und robustes System ist, das sich weltweit und auch mit beschränkten Mitteln einsetzen lässt. Denn bisher werden Betonschalungen für komplexe Formen meist digital gefertigt. «Das macht es für Entwicklungsländer schwierig, mit Beton nachhaltig zu bauen. Und gerade dort ist die Nachfrage nach Neubauten sehr hoch», erklärt die Forscherin.

Die Schalung lässt sich günstig produzieren. «Man braucht neben dem Material nur eine Schablone für die Form und ein Heftgerät.» Das Material für den Prototyp kostete insgesamt nur 650 Schweizer Franken.

Die leichten und kompakten Einzelteile lassen sich einfach von Ort zu Ort transportieren. Das ganze System baute Scheder-Bieschin problemlos zusammen, als sie schwanger war. «Mir war wichtig, dass mein Ansatz so einfach ist, dass es Menschen in jeder Situation mühelos selbst bauen können», betont die Doktorandin.

Gefaltete Schalungsteile

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Die vier gefalteten Schalungsteile sind bereit für den Einsatz.

Transport Schalung

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Die Einzelteile lassen sich, zusammen mit dem zerlegten Rahmen, einfach zur Baustelle transportieren.

Zackenmuster sorgt für Steifigkeit

Was macht die neuartige Schalung so leicht und dennoch so stabil? Bei der Entwicklung griff Scheder-Bieschin auf ihr Wissen über biegeaktive Tragwerke zurück – ein Thema, mit dem sie sich während ihres Studiums befasst hatte. Dabei werden elastische Materialien wie zum Beispiel dünne, lange Holzplatten unter Spannung gebogen. Diese Verformung sorgt für Stabilität und ermöglicht geschwungene und leichte Konstruktionen.

Bei «Unfold Form» entscheidend ist auch die zackenförmige Anordnung der einzelnen Holzstreifen. «Diese Riffelung gibt zusätzliche Festigkeit, ohne das Gesamtgewicht massgeblich zu erhöhen», sagt die Doktorandin. «In der Natur kommen solche Riffelungen auch vor, zum Beispiel bei Muscheln.»

Das Riffelung macht nicht nur die Schalung besonders tragfähig, sondern auch den Beton, der darauf gegossen wird: «Der Beton nimmt diese Riffelung auf als Rippen. Diese Rippen helfen dabei, Lasten abzutragen.»

Die Kraft liegt in der Kurve

Massgebend bei ihrem System sei aber auch das Zusammenspiel der zackenförmig angeordneten Holzstreifen, erklärt Scheder-Bieschin und macht ein Beispiel: «Wenn man einen einzelnen Holzstreifen verbiegt, wird er bei Belastung sehr wabbelig, und es ist schwierig zu kontrollieren, in welche Form er sich biegen wird.» Wenn man hingegen zwei Holzstreifen entlang einer geschwungenen Kante miteinander verbindet, erhält man eine viel höhere Steifigkeit. «Unter Last verformen sich die Holzstreifen minimal und man kann durch die Form dieser Verbindungskurven kontrollieren, welche Endform sie annehmen», sagt die Wissenschaftlerin. Dieses Konzept gibt es schon länger, es heisst Curved-Crease Folding (CCF, übersetzt etwa: Faltung entlang einer Kurve) – und hat seinen Ursprung in der Papierfaltkunst Origami.

Beim Falten geht es immer vom Grossen ins Kleine, das heisst man startet mit einem flachen Element, dass dann durch Falten immer kleiner wird. Das macht das System des Faltens für den Bau wenig geeignet. «Wenn man zum Beispiel eine gewölbte Betondecke von zwei auf drei Metern möchte, müsste die initiale Platte, die gefaltet werden soll, rund drei auf fünf Meter gross sein. Das ist für den Transport natürlich sehr unpraktisch», sagt Scheder-Bieschin.

Sperrholzstreifen

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Vor Ort lassen sich die Sperrholzstreifen wie ein Fächer entfalten und werden dadurch gleichzeitig gebogen.

Schalung aus Einzelteilen

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Die vier Einzelteile werden zur Schalung zusammengefügt. Diese kann bis zu einer Tonne Beton tragen.

Vom Papiermodell zum Betonprototyp

Die Frage, wie man dieses simple, aber intelligente System des CCF sinnvoll für die Architektur nutzen kann, liess die Doktorandin nicht mehr los. Sie experimentierte am Schreibtisch mit Papiermodellen. «Irgendwann klebte ich die Teile anders zusammen. Und so fand ich ein System, das von einer gestapelten Form ausgeht, die sich auffächern lässt – genau wie bei einem Fächer. Und gleichzeitig erhält man die gebogene Form.» Ihr Entfaltungssystem nennt Scheder-Bieschin in Anlehnung an das CCF «Curved-Crease Unfolding (CCU)».

Die nächste Herausforderung bestand darin, von einem dünnen Blatt Papier zu einem tragfähigen Material mit einer bestimmten Dicke zu gelangen. Die Doktorandin löste diese Knacknuss mit Hilfe von Textilscharnieren.

Sie entwickelte danach die Computermethode für die Simulation. «Schon die ersten Prototypen bestätigten mir, dass ich mit Hilfe einer simplen 2D-Vorfabrikation gefaltete und kompakte Paneele bauen kann, die sich einfach auffächern lassen. Und dass sie die Steifigkeit haben, die es braucht, um darauf Beton zu giessen.»

Betonguss auf Schalung

Quelle: Lotte Scheder-Bieschin / ETH Zürich, BRG

Der Beton wird direkt auf die Schalung gegossen. Sobald er ausgehärtet ist, lässt sich die Schalung von unten entfernen.

Gewölbte Betondecke

Quelle: Andrei Jipa / ETH Zürich, BRG

Nachhaltiges Endergebnis: Die gewölbte Betondecke ist dünner als herkömmliche Betondecken und kommt ohne integrierte Stahlbewehrung aus.

In Südafrika wiederverwendet

Neben dem finalen Prototyp, der im Robotic Fabrication Laboratory (RFL) auf dem Hönggerberg steht und eine Spannweite von 3 Meter auf 1,8 Meter hat, gibt es einen zweiten identischen Betonbau. Er steht in Südafrika und wurde mit derselben Schalung gefertigt. Dazu packte der wissenschaftliche Assistent Mark Hellrich, der beim Unfold-Form-Projekt massgeblich mitgearbeitet hatte, die gefaltete Schalung in zwei Surfbrett-Taschen und reiste damit mit dem Flugzeug nach Kapstadt. Zusammen mit der lokalen Partnerfirma «nonCrete», die sich für nachhaltige Bauten und erschwingliche Wohnräume einsetzt, wurde vor Ort der zweite Prototyp gegossen.

Dies zeigt drei Dinge auf einmal: Das Schalungssystem kann ohne Qualitätseinbussen wiederverwendet werden, es lässt sich leicht transportieren und es funktioniert mit verschiedenen Betonarten: «NonCrete» verwendete einen Biobeton auf der Basis von zerkleinerter gebietsfremder invasiver Vegetation. «Es braucht also keinen perfekten Qualitätsbeton, um mit der neuen Schalung eine tragfeste Decke zu giessen», freut sich Scheder-Bieschin.

Das Resultat habe auch die südafrikanische Partnerfirma überzeugt, sagt die Forscherin. «Mit dem neuartigen Schalungssystem sollen in südafrikanischen Townships dereinst Wohnhäuser entstehen, die qualitativ gut, würdig und nachhaltig sind.»

Hilfe zur Selbsthilfe

Nach dem Abschluss ihres Doktorats in ein paar Monaten möchte die Forscherin ihre Technik als Postdoktorierende an der ETH Zürich weiterentwickeln – und sie dereinst auf den Markt bringen. Zurzeit arbeitet die 33-Jährige an dem Entwurf einer Markthalle in einer Township in Kapstadt – mit ihrem Schalungssystem. In einem nächsten Schritt gehe es aber vor allem um Hilfe zur Selbsthilfe: «Wir planen Schulungsprogramme für die Menschen vor Ort, damit sie die Schalung und auch die Gebäude selbst bauen können.»

*Corinne Landolt arbeitet in der Hochschulkommunikation der ETH Zürich. Dieser Beitrag erschien zuvor unter den ETH-News. 

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