Finanzierungsmodelle für die energetische Sanierung im Test
Die energetische Sanierung von Gebäuden soll langfristig einen wichtigen Beitrag leisten zur Reduktion des Treibhausgases. Doch dafür muss in der Schweiz die Sanierungsquote erhöht werden. Vieles hängt dabei von der Finanzierung ab, die auf einen längeren Zeithorizont ausgerichtet werden muss. Erfahrungen mit solchen Finanzierungsmodellen sind positiv.
Quelle: Stefan Schmid
Der Versicherungskonzern Zurich hat den Neubau und die Renovation des globalen Hauptsitzes auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Strom liefern Solarzellen auf den Dächern, geheizt und gekühlt wird mit Wasser des Zürichsees. Bild: Der neue Turm inmitten denkmalgeschützter Gebäude.
Es ist ein Speed Dating der besonderen Art. Eigentümerinnen und Eigentümer sowie Bauspezialisten treffen sich, um ein gemeinsames Ziel ins Auge zu fassen. Auch das Gesprächsthema ist schon bekannt: die energetische Sanierung von Gebäuden. Es geht um Vertrauen und um Kompetenz. Denn bei Eigentümern sind die Einsicht in die Notwendigkeit und der Wille für Sanierungen zwar oft vorhanden, doch viele sind mit der Komplexität der Aufgabe eines Bauherrn überfordert. Bautechnische und rechtliche sowie finanzielle Aspekte müssen berücksichtigt werden. Stockwerkgemeinschaften müssen sich zusammenraufen.
Der Name der Veranstaltung ist nicht zufällig gewählt, denn die Zeit drängt. «Wir sind zu langsam unterwegs», sagt Christian Schmid, Bereichsleiter Sozioökonomie beim interdisziplinären Forschungs- und Beratungsunternehmen Intep, das die Anlässe organisiert. Darin waren sich alle Fachleute beim Swiss Green Economy Symposium einig. Im Rahmen des Innovationsforums ging es um die Gebäudesanierung und ihre Finanzierung. Tatsächlich liegt die Sanierungsquote schweizweit momentan lediglich bei rund einem Prozent.
Fünf Prozent als Ziel
Bei diesem Tempo würde es 60 bis 100 Jahre dauern, bis in
der Schweiz alle Gebäude saniert sind. Um die Ziele der Energiestrategie zu
erreichen, muss die Quote in den nächsten Jahren auf fünf Prozent erhöht
werden, so Schmid. Doch dafür brauche es einen Bewusstseinswandel, denn allzu
oft seien Eigentümer und Architekten eher an Neubauten interessiert als an
Sanierungen.
Doch nicht immer wird mit Ersatzneubauten mehr Wohnfläche geschaffen, auch bei Aufstockungen ist das Potenzial beschränkt. Daher müsse der Fokus auf den Bestandsbauten liegen. Den grössten Effekt bei der Transformation hat die Sanierung von Mehrfamilienhäusern, in denen rund die Hälfte der Schweizer Bevölkerung wohnt und die pro Jahr über drei Millionen Tonnen des Treibhausgases verursachen.
Quelle: zvg
Den grössten Effekt bei der Transformation hat die Sanierung von Mehrfamilienhäusern, die pro Jahr drei Millionen Tonnen des schädlichen Treibhausgases verursachen.
Das Klimaabkommen von Paris verpflichtet die Schweiz zur Halbierung der Treibhausgasemissionen bis 2030 mit dem Ziel Netto null bis 2050. Momentan erzeugt der Gebäudepark in der Schweiz aber noch rund ein Drittel der Emissionen. Auch weil die Schweiz zu jenen europäischen Ländern gehört, in denen der Anteil mit Öl beheizter Gebäude überdurchschnittlich hoch ist. Soll Netto null erreicht werden, müssen künftig vermehrt Bestandsbauten energetisch saniert werden.
«Hochwertige Substanz erhalten»
Etwa zwei Drittel des Schweizer Gebäudeparks wurden vor 1980 erbaut. Diese Gebäudekategorie bereitet am meisten Sorgen, weil Dämmungen oft nur rudimentär vorhanden sind oder nicht mehr heutigen Vorschriften entsprechen, was zu erheblichen Wärmeverlusten führt. Über eine Million der rund 1,7 Millionen Gebäude muss daher modernisiert werden. «Künftig müssen wir hochwertige Substanz erhalten und diese gleichzeitig auch klimatauglich machen», sagt Christian Zeyer, Geschäftsführer von Swisscleantech.
Gebäude, die zwischen 1990 und 2005 erstellt wurden, sind in der Regel schon mit einem besseren Wärmeschutz ausgestattet, während Bauten mit Erstellungsdatum ab 2005 bereits eine vergleichsweise gute Energieeffizienz aufweisen. Das Ziel beim Energieverbrauch für die Wärmeerzeugung bei einer nachhaltigen Gebäudeerneuerung liegt bei 30 bis 50 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr.
Doch Modernisierungen erfordern zusätzliche Investitionen in Anlagen, zu denen sich die laufenden Kosten für Betrieb und Unterhalt addieren. Die «Mehrkosten» können für Hausbesitzer zur Belastung werden, etwa bei jüngeren Eigentümern mit einer hohen Schuldenlast. Auch bei älteren Personen ist die Sanierungsquote wegen der Belastung eines langfristigen Projekts unterdurchschnittlich. Mit dem herkömmlichen Ansatz wird die Zahlungsbereitschaft regulatorisch erhöht etwa durch Verbote von bestimmten Heizsystemen.
Auch werden objektspezifische Mehrkosten in Form von Subventionen, Gebäudeprogrammen, Steuerabzügen oder Zinsrabatten abgegolten. Doch das System, «Mehrkosten» zu eliminieren und die Zahlungsbereitschaft zu erhöhen, stösst an Grenzen, sagt Benjamin Buser vom Beratungsunternehmen Econcept. Die Regulierung ist schwerfällig, und es kommt zu Mitnahmeeffekten. Wegen der Umverteilung und des steigenden Mittelbedarfs wirken sich auch die Transaktionskosten nach-teilig aus.
Quelle: Econcept AG
Die sogenannten Mehrkosten müssen abgegolten werden. Dazu braucht es einen neuen Ansatz, bei dem der Generationenvertrag zentral ist.
Generationenvertrag bindet
Daher plädiert Buser für einen neuen Finanzierungsansatz: Mehrwert statt Mehrkosten. Zum einen gehe es ebenfalls um monetäre Vorteile wie höhere Anlagewerte zukunftsfähiger Immobilien. Aufgrund des Lifecycle-Prinzips werden Energie- und Betriebskosten reduziert, sodass heutige und künftige Abgaben entfallen können, was gesamthaft für Investoren interessant sein kann. Diese können zum anderen auch von nicht-monetären Effekten wie dem bessere Wohlbefinden der Bewohner in sanierten Gebäuden oder von Imageeffekten profitieren, so Buser.
Entscheidend aber sind die Verpflichtungen im Rahmen des Generationenvertrags. Der Mehrwert wäre sozusagen die «ethische Rendite», die auch Vorteile bringen soll wie Steuerabzüge oder Vorteile bei der Refinanzierung, wie Buser ausführt. Durch Labels und Zertifikate liessen sich Mehrwerte für potenzielle Finanzierungsquellen transparent und nachvollziehbar kommunizieren. Der neue Ansatz bedinge allerdings, dass Eigentümerinnen und Eigentümer die Vorteile erkennen würden.
Längere Amortisationsdauer
Aufgrund des Klimawandels steigt der Druck auf die Eigentümer, bei Gebäude-sanierungen vorwärts zu machen. Als eines der Hemmnisse für Modernisierungen erweist sich die lange Amortisationsdauer. «Viele Eigentümer haben eine kurzfristige Perspektive», sagt Zeyer. Wegen unrealistischer Renditeüberlegungen werde mitunter erwartet, dass sich eine Investition schon innerhalb von zehn Jahren rechne.
Quelle: Swisscleantech
Die kurzfristige Sicht führt zu unrealistischen Renditeerwartungen. Die Abschreibungsdauer muss daher langfristig ausgerichtet werden.
Wenn für Amortisation und Zinsen eine zu kurze Dauer gewählt wird, sind die bezahlten Tranchen grösser als die Reduktion der Energiekosten. Die Differenz interpretieren Hauseigentümer nicht selten als Mehrinvestition, obwohl die Lebensdauer der Anlagen effektiv länger ist und dadurch ein sogenanntes «Golden End» realisiert werden kann. Doch die höheren Ausgaben sind viel kleiner als das «Golden End».
Bei der langfristigen Abschreibung ändert sich das. Zwar sind die Zinsen höher, die jährlichen Tranchen jedoch kleiner als die Reduktion der Energiekosten. Die längere Abschreibungsdauer bedinge aber eine andere Art der Finanzierung, was wiederum auf die Sanierungsquote zurückwirken soll. «Der langfristige Finanzierungsansatz ist ein wichtiger Bestandteil für die Erhöhung der Sanierungsquote», erklärt Zeyer.
Gesichert durch öffentliche Hand
Eine längere Abschreibungsdauer erfordert wiederum eine entsprechende Finanzierung. Denn auf dem Finanzmarkt gibt es beispielsweise keine Kreditangebote für Gebäudesanierungen mit Laufzeiten von 20 oder 30 Jahren. Zinsentwicklungen auf einen derart langen Zeithorizont zu kalkulieren, könnte Banken teuer zu stehen kommen. Auch ist die Refinanzierung sehr langfristiger Kredite mit kurzfristigen Sichteinlagen regulatorischen Einschränkungen unterworfen. Daher fokussiert sich der Lösungsansatz auf die Finanzierung über eine sogenannte Public-Private-Partnership, auf deren Basis die Hochschule Luzern zusammen mit Swisscleantech zwei Finanzierungsmodelle entwickelt hat.
Beim Versicherungsmodell übernimmt der Staat eine generelle Sicherheit. Die «Organisation» – deren Struktur ist noch nicht definitiv festgelegt – verteilt diese in Absprache mit der Bank Sicherheiten auf einzelne Gebäude und legt gegenüber dem Staat Rechenschaft über die korrekte Nutzung der Bürgschaften und den Effekt auf die Kohlendioxid-Reduktion ab. Die Bank zahlt eine Risikoprämie an die «Organisation» und gewährt dem Eigentümer günstige langfristige Kredite, welche verzinst und amortisiert werden müssen.
Beim Kreditgeber-Modell übernimmt der Staat wiederum die Sicherheit, wobei die «Organisation» als Drehscheibe für die direkte Vergabe der Kredite an die Eigentümer fungiert. Banken spielen beim zweiten Modell eine subsidiäre Rolle, beispielsweise indem sie Bonitätsauskünfte erteilen. Den Finanzbedarf der «Organisation» decken Finanzinstitute.
Quelle: Swisscleantech
Der Finanzierungsprozess läuft folgendermassen: Hauseigentümer stellen einen Antrag, etwa über den Gebäude-Energie-Ausweis der Kantone (1), der Massnahmenplan wird in Qualitätssicherung kontrolliert (2), der Kredit wird gewährt (3), Handwerker bestätigen die Ausführung (4). Schliesslich erfolgt die Rückzahlung über die Lebensdauer des Bauteils in jährlichen Raten.
Obwohl die Grobstruktur, die beteiligten Parteien und die Abläufe der Finanzierungsmodelle konzeptionell vorliegen, muss noch eine Reihe von Fragen geklärt werden, namentlich die Ausgestaltung der Verträge, die Organisationsform (beispielsweise als Genossenschaft, Stiftung oder Fonds) oder die Aufteilung und Abgeltung der systemischen Langfristrisiken. Um mit dem Finanzierungsmodell Erfahrungen zu sammeln, hat Swisscleantech zusammen mit der Fachhochschule Luzern und der Berner Kantonalbank in der Stadt Bern ein Pilotprojekt gestartet.
Erfahrungen in Holland
Ein Finanzierungsmodell für energetische Gebäudesanierungen mit der öffentlichen Hand als Sicherheitsgarantin hat sich in den Niederlanden bereits etabliert. Rechtlich ausgestaltet ist dort der Energiesparfonds als gemeinnützige Stiftung ohne Gewinnerzielungsabsicht. Die Stiftung vergibt Darlehen spezifisch für Energiesanierung und Eigentümer.
Der Staat bietet zinslose Kredite und stellt dem Energiesparfonds Eigenkapital zur Verfügung, sodass sich dieser günstig auf dem Kapitalmarkt refinanzieren kann. Gesamthaft stehen 600 Millionen Euro zur Verfügung für Kredite mit Laufzeiten von sieben bis 20 Jahren. Gemäss Justus Gallati, Dozent am Institut für Betriebs- und Regionalökonomie der Hochschule Luzern, handelt es sich um ein einfaches Verfahren, bei dem vorzeitige Rückzahlungen möglich sind. Bisher seien auch wenige Kreditausfälle festgestellt worden.
In der Schweiz kommt das Bürgschaftsmodell bereits beim gemeinnützigen Wohnungsbau zur Anwendung, wobei das Parlament auf Basis des entsprechenden Gesetzes jeweils nach fünf Jahren die Bürgschaften wieder gewähren muss. Ein ähnliches System ist das Finanzierungsmodell für die Corona-Kredite, bei dem Darlehen von der öffentlichen Hand über Bürgschaften besichert und von den Geschäftsbanken ausbezahlt werden.
Der lange Zeithorizont, das hohe Investitionsvolumen und der neue Finanzierungsansatz stellen die öffentliche Hand budget- und abrechnungsmässig aber vor noch grössere Herausforderungen. Die Investitionen für die Modernisierung und den Ersatz bestehender Energieinfrastrukturen in Gebäuden sowie von Anlagen und Geräten bis 2050 werden allein für die Schweiz auf rund 1400 Milliarden Franken beziffert.
Leitfaden für Gemeinden
Im Auftrag des Bundesamts für Energie hat Intep Anfang 2021 ein Forschungsprojekt mit vier Gemeinden gestartet. Auch bei diesem Projekt geht es um die Erhöhung der Sanierungsquote. Architekten, Projektentwickler, Sanierungsspezialisten und Energieversorger sollen dabei die Bedürfnisse der Eigentümer ausloten, um die Entscheidungsbasis für Sanierungen zu verbessern.
Behörden und Fachleute entwickeln gemeinsam einen Leitfaden, der für Gemeinden ein idealtypisches Vorgehen skizziert. Die Wahl fiel auch auf die Stadt Baden, wo auf Basis verschiedener Datenquellen sanierungsbedürftige Gebäude bestimmt und mit einem Sanierungsindex klassifiziert werden. Und es geht gleichzeitig um die Suche nach Fachleuten, die Projekte integral begleiten und nachhaltige Lösungen präsentieren können.
Tiefere Kosten bei Verbundlösung
Allenfalls kann es sinnvoll sein, energetische Sanierungen zu staffeln, wie Studien der Eidgenössischen Materialprüfungs-anstalt nahelegen. Demnach ist bei älteren Gebäuden der Effekt energetischer Sanierungen am grössten, wenn zuerst das Dach und dann die Fassade modernisiert werden, bevor die Heizung auf nichtfossil umgestellt wird. Einhergehend mit der Erhöhung der Effizienz von Gebäuden müssen erneuerbare Energiesysteme installiert werden, um auch im Winter über genügend Energie verfügen zu können.
Im Fokus der Planer stehen auch Quartier- und Verbundlösungen. Bei Cluster-sanierungen entwickeln Gruppen von Eigentümern langfristig Erneuerungsstrategien für ihre Gebäude. Marvin King, Senior Researcher des Bereichs Technik und Architektur bei der Hochschule Luzern schätzt das Kostensenkungspotenzial bei Clusterlösungen wegen Skaleneffekten auf rund 20 Prozent. Für die Bauwirtschaft werde die operationelle Umsetzung von Sanierungen zu einem neuen Geschäftsmodell. Davon ist auch Christian Zeyer überzeugt: «Wir glauben, die Bauindustrie kommt in eine neue Phase, in der Modernisierungsprojekte wichtiger werden.»
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