Europäische Tage des Denkmals: Hereinspaziert, ins Bruderholz
«Gewusst wie», lautete das Motto der diesjährigen Europäischen Tage des Denkmals. Dies impliziert auch: «Gewusst wo». Eine der Besichtigungstouren führte in die Stadt Basel. Im Quartier Bruderholz wurden städtebauliche Entwicklungen im gesellschaftlichen Kontext veranschaulicht.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Der Blick vom Wasserturm schweift über das beschauliche Quartier hinweg in die Ferne.
Die Europäischen Tage des Denkmals würdigen das Kulturerbe jeweils auf spezielle Weise. Unbekannte Quartiere lassen sich erkunden, Innenräume historische Gebäude bestaunen und neue Erkenntnisse über städtebauliche Strukturen erschliessen. Am 11. September fanden auch Besichtigungstouren durch das Basler Quartier Bruderholz statt.
Durchs Gehölz zur «Gartenstadt»
Die Gegend rund ums Bruderholz gilt als der Ort, «wo die reichen Leute wohnen». Neben repräsentativen Villen umfasst das Wohnquartier aber auch Gebäude, welche auf Ideale der Gartenstadtidee verweisen. Das Quartier liegt südlich des Zentrums. Vom Bahnhof SBB ist zuerst das mit Blockrandbebauungen belegte Gründerzeitquartier Gundeldingen zu durchqueren, «Gundeli» genannt. In wenigen Minuten ist ein bewaldeter Hang erreicht, an dessen Fuss sich der idyllische Margarethenpark ausbreitet. Er gehört zwar der Stadt, befindet sich aber bereits jenseits der Kantonsgrenze. Dieser für Basel typische Stadt-Land-Gegensatz prägte auch die Entwicklung im Bruderholz.
Bruderholz und «Gundeli» sind topografisch durch die Wolfsschlucht getrennt. Im bewaldeten Tobel wurden 1930 Tramgeleise verlegt. Sie machten die 1915 realisierte Tramlinie, die aus Osten vom Dreispitzareal her aufstieg, zur Ringbahn. Erst diese Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr ermöglichte die Entwicklung des Wohnquartiers.
Quelle: ETH-Bibliothek Zürich, Stiftung Luftbild Schweiz / Foto: W. Mittelholzer
Als Flugpionier Walter Mittelholzer 1927 über das Bruderholz kurvte, war das Quartier erst rudimentär bebaut. Am unteren linken Bildrand ist die Bruderholzallee erkennen.
Oberhalb der Wolfsschlucht und rund 50 Meter über dem Niveau des «Gundeli» beginnt jenseits des Waldstreifens die Bruderholzallee. Sie bildet das städtebauliche Rückgrat des Quartiers. Alleebäume flankieren Trottoir, Fahrbahn und Tram-trassee und führen in sanften Windungen nach Süden, Osten und hinab zum Dreispitzareal. Bei der Tramhaltestelle «Studio Basel» startete die erste Besichtigungstour.
Stetes Ringen um Identität
«Bauliche Identität zwischen Bestand und Veränderung». Das war das Thema der Tour. Durchgeführt wurde sie vom Neutralen Quartierverein Bruderholz (NQV). Der pensionierte Lehrer Oswald Inglin umriss kurz die Quartiergeschichte. Der Name Bruderholz lässt sich auf Eremiten zurückführen, die in der Abgeschiedenheit mitten in der Natur Stille und innere Einkehr suchten.
Auch noch lange Zeit danach scheint die Stadt die Anhöhe als Wildnis wahrgenommen zu haben. Erst allmählich erfolgte die Bebauung. Mit einem Strassennetz erschlossen wurde die Gegend dann zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Der Geselligkeit dienten damals so genannte «Sommerwirtschaften», in denen auch der unterschiedlich gehandhabte Alkoholausschank dies- und jenseits der stets nahen Kantonsgrenze eine Rolle spielte. Zeuge dieser Zeit, als das Quartier als Ausflugsziel galt, ist der zurückhaltend neoklassizistisch gestaltete Bau des Traditions-restaurants Bruderholz, in dem bis heute gehobene Kulinarik betrieben wird.
Als wichtige Wegmarken bei der Quartierentwicklung nannte Oswald Inglin neben der Tramlinie das 1940 erstellte und mittlerweile ins «Gundeli» umgezogene Radiostudio Basel. Im Jahr 1978 wurde sodann der «Quartier Circus Bruederholz» gegründet, der seither jeweils im Sommer in einer der vielen Grünanlagen seine Zelte aufschlägt.
Die Erkundungstour führte hinauf zur schlichten Buremichelsanlage mit einem schmuckem Skulpturenbrunnen und Sitzbänken, die vom vom NQV gestiftet wurden. Auf dem Anstössergrundstück befindet sich eine Alterssiedlung der gemeinnützigen Christoph Merian Stiftung (CMS). Das architektonisch ambitionierte, in die Parkanlage integrierte Häuserpaar des bekannten Büros Alioth und Remund aus den 1980er-Jahren steht allerdings leer, noch in diesem Jahr soll der Abriss erfolgen. «Das Quartier hat fast keine Läden mehr», kommentiert Oswald Inglin die Ursache, «ältere Menschen können nirgends mehr einkaufen.»
Wasserturm als Wahrzeichen
Dass das Wohnquartier um seine Identität ringt und mit der Zukunft etwas hadert, zeigte der Rundgang auch beim Areal mit den Familiengärten. Es kann ebenso als «Denkmal» gelten, weil es an eine verlorene Volksabstimmung von 2006 erinnert, mit der eine Überbauung und dadurch im Quartier eine etwas höhere Verdichtung hätte erreicht werden sollte.
Die Besichtigung endete bei einer Artilleriestellung, die zur Zeit der napoleonischen Kriege errichtet wurde. Auf dem Gelände steht auch das Denkmal für die Schweizer Opfer der beiden Weltkriege. Gleich gegenüber befindet sich der Wasserturm. Erbaut in den 1920er-Jahren ist es das eigentliche Wahrzeichen des Quartiers.
Ist das Bruderholz nun tatsächlich das Quartier der Reichen? Auf diese Frage lieferte die Begehung keine klare Antwort. Teilweise sei das aber schon der Fall, meint Inglin. Und er weist darauf hin, dass der Kanton Basel-Stadt in den frühen 1950er-Jahren im Bereich der Buremichelsanlage mit der erklärten Absicht Land erwarb, darauf ein Villenquartier zu erstellen. Damit wollte Basel-Stadt besser situierten Bürgern Gelegenheit bieten, den Wohnsitz auf Kantongebiet zu behalten, anstatt in die benachbarten Baselbieter Gemeinden «auszuwandern». Der Plan ging auf, obwohl das gestalterische Korsett sehr eng war. Ortsbildprägend sind diese eher zurückhaltenden Bauten allerdings kaum.
Reformideen als Inspiration
Das Bruderholz erhält seinen Charakter primär durch die sehr gute Durchwegung sowie öffentliche Grünzüge und Plätze. «Gartenstadtidee und Reformarchitektur» war Thema des zweiten Rundgangs. Es ging dabei um eine Epoche, in der für die grosse Zukunft gross geplant wurde und für eine neue, bessere Gesellschaft. Den Weg, den Romana Martic´, Architektin und Bauberaterin bei der Kantonalen Denkmalpflege Basel-Stadt, einschlug, war die ursprüngliche Verbindungen hinunter zur Stadt von der Bruderholzallee über den Unteren Batterieweg.
Auf mittlerer Höhe zwischen «Gundeli» und Bruderholz realisierte hier im Jahr 1909 der Architekt Erwin Heman villenartige Häuser mit mehreren, separat von der Strasse erschlossenen Wohneinheiten. Die noch sehr gut erhaltene, behutsam gepflegte Architektur orientierte sich an den Reformbewegungen in Deutschland, der «Arts and Crafts»-Bewegung in Gross-britannien und dem Gartenstadtideal. Es sollte an diesem Ort etwas Neues entstehen, im Vergleich zur Gründerzeitstadt sogar etwas Besseres und Gesünderes.
Der Architekt hatte Kontakt zur Landgesellschaft Bruderholz, einem privaten Unternehmen, welches viel Land aufkaufte und das gesamte Quartier entwickeln wollte. 1913 erarbeitete Heman zusammen mit dem Ingenieur Eduard Riggenbach einen Bebauungsplan für das ganze Bruderholz, der zu einer locker bebauten Stadtlandschaft geführt hätte im Sinne des Quartiers Hellerau in Dresden. Der Plan sah ein geordnetes, fast dörflich wirkendes Ensemble für die gehobene Mittelklasse vor, nicht aber ein Villenquartier mit Palästen. Der Erste Weltkrieg machte den Entwicklern jedoch einen Strich durch die Rechnung.
Quelle: Manuel Pestalozzi
Mit dieser Villa schuf Architekt Erwin Heman 1909 einen Prototyp für eine spätere Gartenstadt. Zusammen mit dem Ingenieur Eduard Riggenbach erarbeitete er 1913 einen Bebauungsplan für das Bruderholz.
Die Bautätigkeit im Bruderholz kam erst in den späten 1940er-Jahren richtig in Schwung. Trotzdem befinden sich am Unteren Batterieweg und den von ihr abzweigenden Strassen mehrere Häuser, welche der Architektur des Bebauungsplans folgen. Das Quartier vermittelt als «Fragment» daher eine Idee des Reformeifers in der damaligen Ära. Die Denkmalpflege hält ein waches Auge auf die Sanierungstätigkeiten und konnte beispielsweise bewirken, dass einer dieser «Reihenhausvillen» wieder eine einheitliche, ursprüngliche Farbe erhielt. Das Erbe des Bebauungsplans von 1913 besteht in weiten Teilen in der erwähnten Anordnung der Strassen und Wege. Auch die Dimensionierung der Bauvolumen lehnt sich an den meisten Orten an jene des Bebauungsplans an.
Gut eingewachsene Moderne
Um Reformgedanken ging es auch beim dritten Rundgang. Rebekka Brandenberger, ebenfalls Architektin und Bauberaterin bei der Kantonalen Denkmalpflege Basel-Stadt, führte durch das Schulhaus im östlichen Teil des Quartiers. Die Pavillonschule des Architekten Hermann Baur, der viel im Bruderholz baute und gleich nebenan wohnte, wurde 1939 eröffnet – als kompromisslos moderner, auf die Bedürfnisse der Kinder eingehender Bildungsbau. Entlang des Hangs zog der Architekt eine sanft gekrümmte Betonmauer, welche das Gelände terrassiert. Aus der Mauer ragen die eingeschossigen Klassentrakte wie Finger in die untere Terrasse und fassen so Schulhöfe ein. 1961 erweiterte Hermann Baur das Gebäude mit zwei identischen Trakten. 2010 folgte ein Ergänzungsbau von Engler Architekten BSA SIA, Basel.
Der ursprüngliche Entwurf ist stark geprägt von den neuen Ideen der Pädagogik, welche damals in Europa entwickelt wurden. Hinzu kamen Forderungen nach Licht, Luft und Sonne. Die Vermeidung starrer, sinnentleerter Hierarchien sollte auch bei den Bildungsbauten eingelöst werden. Die Klassenzimmer sind im Grundriss annähernd quadratisch. Da der Erschliessungskorridor niedriger ist, lassen sie sich von zwei Seiten mit Tageslicht versorgen. Jede Klasse hat einen eigenen Gartenplatz am südlich angrenzenden Pausenhof. Diese zum Tal hin offenen Höfe werden bergseitig von der Stützmauer abgeschossen. Vordächer aus Holz bieten bei Regenwetter in den Pausen Schutz.
Das Schulhaus ist weitgehend im Originalzustand erhalten. Es bildet bis heute in einem gewissen Sinn den östlichen Abschluss des Quartiers, wo das Gelände in Richtung Dreispitzareal abfällt. Die Fernsicht ins untere Birstal und in die Hügel des Juras ist heute allerdings durch Laubwald verstellt. Doch auch diese Reformidee hat Bestand. Sie ist in jeder Hinsicht gut eingewachsen.
Der Besuch im Bruderholz brachte auch Ortsunkundigen viele interessante Erkenntnisse. Das «Gewusst wie» beschränkt sich nicht auf handwerkliches, gestalterisches Können am einzelnen Artefakt. Der Denkmalwert umfasst mehr als einzelne Gebäude. Über Parzellengrenzen und manchmal sogar über Kantonsgrenzen hinweg gewähren historische gewachsene städtische Strukturen spannende Einblicke in gesellschaftliche Aspekte des Bauens.