Erdrutsch in Schwanden: Aufräumarbeiten mit High-tech
Nach dem Erdrutsch in Schwanden GL laufen umfangreiche Aufräumarbeiten, bei denen die Armee wertvolle Dienste leistete: Mit Spezialgeräten schufen Expertenteams des Katastrophenhilfekorps zu Beginn die Voraussetzungen, um die riesigen Erdmassen rasch und sicher abtragen zu können.
Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni
Innert acht Tagen aufgebaut: Die Notbrücke Marke «Mabey Johnson Compact 200».
Gleich vier Erdrutsche suchten Schwanden GL
letztes Jahr heim, zerstörten zahlreiche Gebäude und hinterliessen grosse
Mengen an Erdmaterial. Die Gemeinde Glarus Süd begann umgehend mit
Aufräumarbeiten im Gebiet Wagenrunse, wobei zuerst Ablagerungsplätze für den
abzubauenden Erdrutsch geschaffen wurden. Immerhin: Bei dem Ausheben dieser
Flächen stiess man auf sehr gutes Material, das sich für Schutzbauten eignet.
Räumung und Neubau dieser Schutzwälle können deshalb gleichzeitig erfolgen.
Bevor aber an diese Arbeiten überhaupt zu
denken war, mussten ein Dorf evakuiert und zerstörte Infrastruktur zumindest
provisorisch wiederhergestellt werden. Hier kam die Armee ins Spiel: Bereits im
Oktober 2023, kurz nach den ersten beiden Ereignissen, schlugen Armeeangehörige
eine Brücke über den Fluss Sernf. Für Ruedi Stüssi, den Stabschef des
Gemeindeführungsorgans, ein Meilenstein: «Diese Brücke stellt die Zufahrt zum
Werkhof und ins abgeschnittene Wohn- und Gewerbegebiet auch für schweres
Räumgerät sicher.»
Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni
Das Überschwemmungsgebiet Wagenrunse aus der Luft: Noch immer drohen weitere Erdmassen ins Tal zu rutschen.
Notbrücke ab Lager
Die Spezialisten montierten eine
vorgefertigte Brücke aus England, Typ «Mabey Compact 200», die 36 Meter lang
ist und 40 Tonnen tragen kann. Das Material für den Brückentyp ist in einer
Logistikbasis der Armee eingelagert. «Über die Rüstungsbehörde Armasuisse
wurden insgesamt acht Brücken dieses Typs beschafft», sagt Oberst Sébastien
Neuhaus, Kommandant des Katastrophenhilfe-Bereitschaftsbataillons. Mit ihnen
lassen sich Bauwerke bis zu 61 Meter Länge erstellen.
Die Brücke in Schwanden, die auf drei LKWs
mit Schlittenanhängern Platz hatte, besteht aus 2585 Einzelteilen mit einem
Gesamtgewicht von 54,5 Tonnen. Nachdem ein Unternehmer zwei Widerlager erstellt
hatte, errichtete die Armee die Brücke, wobei zwei Radbagger, ein Teleskoplader
und ein Traktor mit Forstwinde zum Einsatz kamen. Für den Brückenbau benötigen
die Fachleute acht Tage, wobei vierzehn Durchdiener und ein Berufsmilitär im
Einsatz waren. Der Rückbau wird ähnlich viel Zeit in Anspruch nehmen.
Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni
Eine Spezialeinheit der Armee, das Katastrophenhilfe-Bereitschaftsbataillon, baute die Notbrücke über die Sernf.
Gezogen statt gestossen
Speziell an der Situation in Schwanden war
der Platzmangel. Sébastien Neuhaus: «Die Brücke wird normalerweise in
Baurichtung gestossen, sei es durch einen Lastwagen oder durch eine
Baumaschine, was hier nur am Anfang möglich war. Danach aber konnten wir die
Brücke mit einer Forstwinde über die Sernf ziehen, da die Brücke für den Bau
auf Rollen gelagert war.»
Im Februar diesen Jahres kamen erneut
Angehörige des «Kata Hi Ber Bat», so das militärische Kürzel, zum Einsatz:
Spezialisten aus dem Lehrverband Genie / Rettung /ABC. Sie hatten den Auftrag,
in der Gefahrenzone einen Entlastungsgraben auszuheben, der Wasser und kleine
Schlammströme ableiten und somit das sichere Arbeiten im Erdrutschgebiet
ermöglichen soll.
Ferngesteuerter Bagger
Um kein Menschenleben zu gefährden, griff
die Armee auf einen ferngesteuerten Bagger zurück, einen «Caterpillar 323» aus
dem Jahr 2020. Daneben besitzt die Armasuisse auch einen entsprechend
umgebauten «Menzi-Muck Schreitbagger M545» von 2017, den die Armee ebenfalls
nutzt. «Die Fernsteuerung beider Maschinen war ursprünglich ein Projekt mit der
ETH, welches nun vom Start Up Unternehmen Gravis Robotics weitergeführt wird»,
so Sébastien Neuhaus.
«Wir haben an der ETH im Gebiet ‹autonome
Baumaschinen› geforscht und in diesem Zusammenhang auch an einer
Fernsteuerungslösung gearbeitet», erklärt Dominic Jud, CTO und Mitgründer von
Gravis Robotics. Am Ende dieser Forschungsarbeit gründete man vor eineinhalb
Jahren das Unternehmen.
Quelle: VBS/DDPS - Alex Kühni
Die Brücke kurz vor der Fertigstellung: Am Ende ist sie 36 Meter lang und kann 40 Tonnen Gewicht tragen.
System passt auf alle Marken
Die Forschung dazu erfolgte in einer
Kooperation der ETH Zürich mit «Armasuisse W+T», dem
Technologiekompetenzzentrum des Bundesamtes für Rüstung. Sie führte zu den
beiden weltweit bisher einmaligen Baumaschinen-Prototypen, welche sich
automatisiert, aber auch ferngesteuert betreiben lassen. «Es gibt keine andere
Nation, die einen Menzi-Muck hat, der den Unterwagen automatisch regeln kann»,
sagt Markus Höpflinger, Leiter Schweizer Drohnen- und Robotikzentrum der
Armasuisse. Beim CAT sei sehr viel mit KI gemacht worden.
Die Fernsteuerung kann indes auch in andere
Baumaschinen eingebaut werden, so Dominic Jud. «Wir haben in diesem
Forschungsprojekt einen CAT und einen Menzi-Muck ab Werk umgebaut, doch unser
System lässt sich auch für andere Marken und Modelle nutzen.»
Für die Einsätze der Armee war die
Fernsteuerung wichtig; der Schwerpunkt der Entwicklung liegt bei Gravis aber in
der Autonomie: «Unser Ziel ist es, grosse Bagger autonom betreiben zu können.
So dass die Baumaschine also ihre Aufgabe selbsttätig erledigt, und nur bei
einem Problem, wenn der Bagger irgendwo steckenbleibt, greift ein Maschinist
kurz mit der Fernsteuerung ein und bereinigt das Ganze.»
Die Baumaschinenführer der Armee wurden
vorgängig auf der Maschine geschult und ausgebildet, was sowohl den Betrieb und
die Wartung der Maschine, als auch deren Sicherheitseinrichtungen beinhaltet.
Sébastien Neuhaus: «Ein Einsatz kann dabei nicht immer eins zu eins geübt
werden. Wir haben die Möglichkeit, in einer Kiesgrube in Bremgarten den Umgang
mit der Maschine zu üben. Dabei kann ferngesteuert oder auch manuell gesteuert
werden.»
Quelle: Gravis Robotics
Alles im Blick: Der Baggerführer sitzt in sicherer Entfernung zum Einsatzort, kann die Maschine aber trotzdem präzise steuern.
Hintergrund Mitholz
Die Armasuisse hat die Erforschung dieser
speziellen Fernsteuerung und der Automatisierungslösung mitfinanziert.
Hintergrund sind militärische Einsätze in ausserordentlichen Lagen, zum
Beispiel der automatisierte Aufbau eines Schutzwalls im Geniebereich. Ein Thema
sind auch die anstehenden Räumungsarbeiten im ehemaligen Munitionslager
Mitholz, so Höpfliger. «Wir haben es hier mit Tausenden von
50-Kilogramm-Fliegerbomben zu tun, in einem felssturzgefährdeten Gebiet. Zudem
sieht man einen Grossteil der Munition im Moment noch gar nicht.» Hier brauche
es den Einsatz von Geräten, damit Kampfmittelräumer aus sicherer Entfernung
arbeiten können. «Auch bei einem Grossbrand in einer Chemieanlage oder einem
nuklearen Ereignis wäre ein solcher unbemannter Bagger hilfreich.»
Testweise zum Einsatz gekommen ist der
ferngesteuerten Menzi-Muck 2020 von Armasuisse bei den SBB. Es wurde hierfür
ein Prozess aufgebaut, dank dem die Bundesbahn die Unterstützung der Armee mit
den unbemannten Baumaschinen beanspruchen kann. «Das Gerät gibt uns eine
Möglichkeit, bei Naturgefahren zu intervenieren und grösseren Schaden zu
vermeiden. Und dies ohne Personen einer Gefahr auszusetzen,» so Marc Hauser,
Leiter Abteilung Naturgefahren bei den SBB im selben Beitrag. Die Bahn rechnet
wegen des Klimawandels mit einer starken Zunahme an Naturereignissen. «Wir
werden vermehrt Murgänge haben, starke und intensive. Hier können wir
frühzeitig Rückhalte- oder Abfangbauwerke erstellen, dank dieser Technologie.»
Wie im Simulator
Bei der neuartigen Fernsteuerung arbeiten
Baggerführerin oder Baggerführer dabei nicht auf Sicht: Sie sitzen in sicherer
Entfernung zum Gefahrengebiet in einer abgesetzten Steuerstation, in einem
kleinen Anhänger. Die Signale von und zum Bagger werden über ein Funknetz in
Echtzeit übertragen, so dass die Person 200 bis 300 Meter vom Einsatzort
entfernt sein kann. Auch eine Satellitenverbindung über Satcom (Starlink) wurde
schon getestet. Markus Höpfliger von der Armasuisse: «Damit konnten Operateur
und Maschine irgendwo auf der Welt verteilt sein.»
Die Steuerstation erinnert stark an einen
Simulator: Ein High-tech-Sitz mit Steuerelementen links und rechts, ganz dem
Cockpit des Baggers nachempfunden. Und statt Scheiben geben mehrere Bildschirme
dem Menschen am Joystick umfassende Sicht nach vorne, zu den Seiten und nach
hinten, alles über Kameras, die nebst zahlreichen Sensoren im Bagger
installiert sind. Zudem bewegt sich der Sitz jeweils mit der Kabine mit, was
die Arbeit für den Baggerführenden sehr realistisch macht.
Dazu kommt Augmented Reality zum Einsatz:
Dem Bild auf den Monitoren ist ein blaues Raster unterlegt. Dadurch lassen sich
auf dem ansonsten flach wiedergegebenen Bild Distanzen abzuschätzen und ein
Gefühl für die dritte Dimension entwickeln.
Quelle: Gemeinde Glarus Süd
Nach dem Armeeeinsatz konnten die Aufräumarbeiten im Gebiet Wagenrunse ohne Gefahr für Mensch und Maschine aufgenommen werden.
Arbeit termingerecht beendet
Nach rund einem Monat konnte die Armee
ihren Einsatz im April termingerecht abschliessen: Mit dem ferngesteuerten
CAT-Bagger wurde ein Graben ausgehoben, der dafür sorgt, dass Wasser nicht mehr
entlang und durch Gebäude fliesst, die später wieder genutzt werden sollen.
Daneben führten die Grabarbeiten der Armee zu besseren Kenntnissen über die
Eigenschaften der abgelagerten Erdmassen. Das wiederum hilft, die Folgearbeiten
optimal zu organisieren.
Im Mai konnten die nächsten Arbeiten
gestartet werden: Insgesamt 15 Gebäude müssen abgerissen werden, und parallel
dazu läuft der Bau eines Schutzdamms in der Gefahrenzone. Denn nach wie vor
drohen 45'000 Kubikmeter Geröllmassen ins Tal zu rutschen. Zum Vergleich: Beim
ersten Erdrutsch im August 2023 waren es rund 30'000 Kubikmeter. Die Arbeiten
haben laut Ruedi Stüssi bereits begonnen, obwohl die dafür benötigten
Stellungnahmen von Bund und Kanton noch ausstehen. «Dies schreibt der Schutz
der Bevölkerung vor.» Allerdings dürfen erst Rohbauten erledigt werden.
Bevor die ersten Wohnhäuser abgerissen wurden, konnten deren Bewohnerinnen und Bewohner immerhin noch einmal in ihr Zuhause zurückkehren. Die Häuserreihe, von der nur noch die obersten Geschosse aus den Schlammmassen ragen, war zuvor von einem Statiker untersucht und freigegeben worden. Durch die Fenster der noch freiliegenden Etage konnten wenigstens ein paar persönliche Gegenstände gerettet werden.